netzwerkB 15.03.2012

nachfolgend nimmt netzwerkB Stellung zu offenen Fragen zum Thema Aufhebung der Verjährungsfristen, die im Zusammenhang mit dem Artikel „Die Frage der Verjährungsfristen“  gestellt wurden:

Gesetz den Fall, die Verjährung kippt: Was sagen Sie Opfern, die gegen mutmaßliche Täter prozessieren und an Mangel an Beweisen scheitern? “Du hast Pech gehabt”, oder sagen Sie solchen Menschen? Wie hilft NetzwerkB in solchen Fällen? Wie kommen Sie damit klar, dass einige Leute erfolgreich gegen die Täter vorgehen können und andere nicht? Wie helfen Sie gescheiterten Klägern, die retraumatisiert sind, weil sie wieder nicht gegen die Täter – auf Prozesswegen – vorgehen konnten? Sie glauben doch nicht im Ernst, dass sich was mit der Abschafftung der Verjährung für die Opfer verbessert? Wie naiv sind Sie denn?

Zunächst muss netzwerkB natürlich eingestehen, dass es tragisch ist, wenn Betroffene gegen ihre Täter prozessieren und dann aus Mangel an Beweisen scheitern. Dies geschieht schon heute sehr häufig, insofern es überhaupt zu einer Anklage kommt. Dennoch glauben wir, dass es nicht eine Frage der Konsequenzen ist, ob wir uns für eine Aufhebung der Verjährungsfristen entscheiden oder nicht. Für netzwerkB steht die Frage der grundlegenden Gerechtigkeit gegenüber den Betroffenen im Mittelpunkt. Hier ist es gerecht wie bei anderen Straftaten auch, dass die Betroffenen, wenn sie denn klagen wollen und für sich das Für und Wider einer Klage abgewogen haben, auch klagen können.

Da sexualisierte Gewalt nun jedoch schwierig zu beweisen ist, sprechen Sie unserer Auffassung ein generelles und schwerwiegendes Problem an, was allerdings an den Gründen, die wir für die Aufhebung der Verjährungsfristen anführen, nur weniges ändert. Unserer Auffassung schließt die Abschaffung der Verjährungsfristen, wie schon erwähnt, eine Gerechtigkeitslücke gegenüber Betroffenen. Unsere Argumentationen hierzu sind sehr vielfältig. Wir wollen einige, wenn auch nicht alle Gründe auflisten (die Gründe wurden bereits detaillierter in Positionspapieren dargelegt). Sie werden schnell bemerken, dass dabei der Ausgang etwaiger Prozesse nicht Hauptaugenmerk unseres Anliegens ist.

Zu den Gründen für die Abschaffung der Verjährungsfristen:

  1. Durch die Abschaffung gewährleistet der Rechtsstaat, dass der Betroffene die Möglichkeit bekommt, Anzeige zu erstatten, insofern er es will. Momentan dürfen Betroffene von so bezeichneten Altfällen, die klagen wollen, nicht klagen. Gleich wie ein möglicher Prozess ausgehen mag, nimmt der Staat hier eine Vorentscheidung über die Beweismöglichkeit vor und verwehrt Betroffenen pauschal ihr Recht dies vor Gericht prüfen zu lassen.
  2. Angeblich wäre mit den Verjährungsfristen ein Rechtsfrieden wieder hergestellt. Diese Annahme ist jedoch falsch, insofern sich der Betroffene mit den Spätfolgen der verübten Taten auseinander setzen muss. Hier gibt es keinen Rechtsfrieden, da der oftmals immense Schaden noch nicht reguliert ist und für den Betroffenen tagtägliches Leid bedeutet. Allein mit der Gewährung der Klagemöglichkeit, auch wenn die Erfolgsaussichten gering sind, erkennt der Staat zumindest an, dass die lebenslangen Schäden nicht wie bei Sachgegenständen abgelten. Seelische Verletzung bestehen weitaus länger als etwa der Schaden beim Diebstahl einer Handtasche. Demzufolge bedeutet die Abschaffung der Verjährungsfristen auch eine Anerkennung des Leids Betroffener und das sich beim psychischen Wohl Rechtsfrieden nicht allein durch verstrichene Zeit einstellt.
  3. Die Abschaffung der Verjährungsfristen beseitigt den Klagedruck, den viele Betroffene verspüren. netzwerkB liegt so beispielsweise ein Fall vor, wo an eine junge Frau die Klagefrist heranrückt und sie bereits in der Therapie die schwere Entscheidung treffen muss, ob sie anzeigt oder nicht. Dazu ist sie noch nicht bereit. Im Gegenzug hält der Täter momentan noch still und äußert sich nicht. Mit der Verjährung seiner Taten kann sich dieses dramatisch ändern. Auch dieses übt wiederrum Druck auf die Betroffene aus. Der Druck muss hier beseitig werden, um die Betroffenen beispielsweise in ihrer Therapie zu unterstützen. Diese Verbesserung erreicht die Abschaffung der Verjährungsfristen unmittelbar.
  4. Verjährungsfristen führen momentan dazu, dass bestimmte Betroffene nicht klagen dürfen, obwohl Geständnisse vorliegen. Stattdessen werden die Betroffenen mit Unterlassungserklärungen unter Druck gesetzt. Diese Form des Täterschutzes wäre mit einer Aufhebung der Verjährungsfristen ebenfalls beseitigt.
  5. Die Schwere der Verbrechen bei sexualisierter Gewalt zeichnet sich oftmals dadurch aus, dass Betroffene sich nicht äußern (aufgrund von Scham, Angst, Selbstbeschuldigung) oder sich darüber hinaus nicht erinnern können, da sie verdrängen müssen. Diesem Schweigen muss Rechnung getragen werden. Die Aufhebung der Verjährungsfristen erkennt das Schweigen der Betroffenen an und vermindert so den gesellschaftlichen Druck auf Betroffene.
  6. Insofern ein Betroffener erst spät über die Gründe seiner psychischen Qualen erfährt, so muss er das Recht haben, Klage erheben zu können. Dies Recht ist unabhängig von möglichen Konsequenzen. Wir von netzwerkB sehen es als Verletzung der Menschenrechte an, wenn der Staat dem Betroffenen dieses Recht verwehrt, noch dazu in besonderen Maße wenn die Betroffenen zuvor psychisch nicht in der Lage waren, zu klagen. Aus eigener Erfahrung können wir sagen, dass hier allein durch das Verbot von Rechtswegen her, Betroffene sich vom Staat verlassen und verraten fühlen. Erinnerungen, die sich Jahrzente später wie ein Abgrund in der Psyche aufreißen, müssen auch im Recht Berücksichtigung finden.
  7. Ungeachtet dessen gibt es die Betroffenen von so bezeichneten Altfällen, die tatsächlich ihr Recht durchsetzen könnten. Und nun seien Sie ehrlich. Ihrer Argumentation entsprechend müssten wir diesen Betroffenen, die schlagkräftige Beweise in Händen halten, sagen: „Wir dürfen Ihnen das Recht auf Klage nicht gewähren, da andernfalls Betroffene klagen würden, die ihre Taten nicht beweisen können und dann durch das Scheitern traumatisiert würden.“ Hieran sollten Sie klar sehen, dass eine derartige Argumentation sich ad absurdum führt. Gleichfalls überlegen Sie bitte auch, ihr Argument auf andere Rechtsfälle wie Vergewaltigung zu übertragen, welche ebenfalls schwer zu beweisen sind. Sollten wir hier etwa Betroffenen auch pauschal antworten, ihr dürft nicht klagen, weil es ohnehin schwierig zu beweisen ist?

Im Mittelpunkt der vormaligen Argumente stand vorwiegend die Frage der Gerechtigkeit. Neben diesen Gründen legt netzwerkB noch Wert auf andere konsequenzialistische Argumentationsstränge, gleichwohl diese Argumente ferner die Verjährungsfristen betreffen, sondern diese Argumente das Verhältnis zwischen Vergangenheitsbewältigung und der Entwicklung unserer Gesellschaft betreffen. Dieses möchten wir auch erläutern:

netzwerkB betont besonders einen gesellschaftlichen Wandel, wobei es darum geht sozial vererbte Gewalt und Gegengewalt zu beenden. Nicht Wut und Hass oder etwaige Rachegedanken begründen daher unsere Haltung. Bei der Aufhebung der Verjährungsfristen geht es nicht darum Täter zu strafen. Mittelpunkt unseres Bemühens ist es, dass sich die Gesellschaft ändert, so dass keine Täter mehr in unserer Gesellschaft entstehen. Um dieses zu erreichen, benötigen wir eine konsequente, objektive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Die Aufhebung der Verjährungsfristen gibt an dieser Stelle ein erstes Signal, dass wir die Vergangenheit als Herkunft unserer gegenwärtigen Probleme ernst nehmen. In vielen Fällen, so glaubt netzwerkB, ist die Ursache der Taten in den Umständen der kindlichen Entwicklung zu suchen; auf Seiten der Täter und der Betroffenen. Die Aufhebung der Verjährungsfristen vor allem im Zivilrecht zeigt eine erhöhte Bereitschaft nach den Gründen für seelisches Leid zu suchen und sensibilisiert schließlich unsere Gesellschaft für ihre eigene Entwicklung.

Die Aufhebung der Verjährungsfristen ist ein Federstrich, zugleich aber ein klares, moralisches Signal für die Gerechtigkeit gegenüber den Betroffenen und damit sogar ein Votum für die freie Entwicklung unserer Kinder. Dieses klingt utopisch kann sich in der Konsequenz jedoch als radikaler Schnitt in den Gewaltketten erweisen, denn wir würden ein bagatellisiertes Vergehen als Verbrechen, das es ist, behandeln und zugleich eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unterstützen.

Zudem mag es ebenso sein, dass sich aus der Aufhebung eine präventive Wirkung vor sexualisierter Gewalt ergibt, da ein höheres Bewusstsein für viele Fälle sexualisierter Gewalt geschaffen wird (vergleichbar wären hier die Auswirkungen in Schweden, wo der Staat Gewalt gegen Kinder stark sanktioniert). Unabhängig von dieser empirischen Frage aber, die diskutabel sein mag, zeigt sich, dass die Aufhebung der Verjährungsfristen in erster Linie eine Frage der Gerechtigkeit ist. Damit machen wir die positiven Effekte einer Aufhebung weniger stark von realen Prozessverläufen und deren Konsequenzen abhängig, sondern erachten die Aufhebung der Verjährungsfristen als notwendige Handlung, um unseren Staat überhaupt gegenüber Betroffenen gerechter zu machen. Diese Grundintuition, die selbst den gesamten Bundesparteitag der SPD überzeugt hat, wollen Sie doch nicht wirklich als naiv bezeichnen?

Mit freundlich Grüßen

Ihr netzwerkB Team

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