netzwerkB 18.01.2012

Offener Brief – Missbrauchsopfer werden belehrt

Die Forschung verkündet sexueller Missbrauch geht zurück und die Politik lässt sich feiern. Betroffenenverbände üben scharfe Kritik und werden mit Schulbuchplagiaten abgespeist.

Gegen Ende des letzten Jahres präsentierte Professor Pfeiffer seine umstrittene Studie zum sexuellen Kindesmissbrauch. Ein erfreulicher Rückgang der Betroffenenzahlen wurde darin festgestellt. Dennoch erntete dieses Ergebnis von vielen Betroffenenverbänden scharfe Kritik. So wählte das Team um Pfeiffer ein Studiendesign von 1992, das zwar Vergleichbarkeit zu einer früheren Studie gewährleistete, aber gerade im Hinblick auf die Fortschritte in der Traumaforschung hoffnungslos veraltet war. Zum Verständnis: Betroffene können die Gewalt, die ihnen widerfahren ist, oftmals nicht einmal vor sich selbst eingestehen und so machen sie ihr Kreuz auch nicht im Geheimen. Der berechtigte Verdacht, dass viele Betroffene sich bei den invasiven Fragen des Fragebogens nicht zu melden getrauten, diskutierte Pfeiffer jedoch nicht. Statt also über die Erhebungsmethode überhaupt nachzudenken, wurde mit den Ergebnissen der Befragung eine Kohortenuntersuchung durchgeführt. Das heißt: Verschiedene Geburtsjahrgänge wurden miteinander verglichen und ein Rückgang festgestellt. Dieser Vergleich bedeutet jedoch nicht zwingend, dass es sich bei unterschiedlichen Angaben zur sexualisierten Gewalt, dann auch tatsächlich um einen Rückgang handelt. Dass Betroffene unter den 16-Jährigen seltener sind als bei 40-Jährigen kann so zum Beispiel daran liegen, dass 40-Jährige aufgrund von langjähriger Traumatherapie eher über sexualisierte Gewalt reden können. Was die Pfeiffer-Studie daher als Erfolg aufzeigte, hätte auch ebenso ein biografischer Effekt sein können.

Zu diesen Kritikpunkten hätte das Team um Professor Pfeiffer Stellung beziehen müssen. Dies ist nicht geschehen. Politisch musste eine Erhebung reichen, um stolz zu verkünden, dass die sexualisierte Gewalt zurückgegangen sei. Die Studie stützte so das Ansehen des Runden Tisches und wurde sogleich von der Politik medial als Erfolg verbucht. Es ist jedoch klar, dass eine einzige Studie ein zu dünnes Eis ist, um den Schluss zu ziehen, dass die Fallzahlen dramatisch zurückgegangen wären. Vielmehr besteht nun mit einem unangemessenen Diskurs darüber die Gefahr, dass weitere Erhebungen zu dem Thema als politisch abgeschlossen gelten, obwohl dies ein Anfang für weitere Forschung hätte sein müssen.

Deswegen reagierte netzwerkB sehr skeptisch als Ende Oktober 2011 eine Anfrage von Professor Pfeiffer um Mitarbeit eintraf. Da wir nach wie vor glaubten, dass unsere Zweifel berechtigt sind, erstellten wir ein Schreiben, in dem wir diese Gründe darlegten und leiteten dieses auch an das Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, an Dr. Kristina Schröder weiter.

Die Antwort, die uns nun vor einigen Tagen aus dem Ministerium erreichte, zeigt, dass an einem Diskurs um die Studie wenig gelegen ist. Im Auftrag von Dr. Kristina Schröder und vollkommen verspätet wurde uns erläutert, dass das Design von 1992 übernommen worden ist, um Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Frau Dr. Schröder lässt uns erklären, was uns bereits klar war. Anstatt dann auf unsere anderen Argumente einzugehen, werden unseren Mitarbeitern wissenschaftliche Grundlagen wie Schulkindern erklärt. Zentrales Argument, insofern überhaupt von Argumentation gesprochen werden kann, lautet dann:

  • „Die Veränderung der Stichprobengrösse im Rahmen der aktuellen Untersuchung lässt sich wie folgt begründen: Da die Stichprobengroße Einfluss auf die statistische Signifikanz eines Zusammenhangs nimmt, stellt die Erhöhung der Stichprobe ein gängiges Verfahren zur Absicherung der statistischen Signifikanzprüfung bei erwartet niedrigen Grundwahrscheinlichkeiten dar.“

Diese Darstellung, die eher an ein Schulbuchplagiat erinnert (wären die Schreibfehler nicht enthalten), wurde noch höflich ergänzt:

  • „Wie groß im Einzelfall eine untersuchte Stichprobe mindestens sein muss, um gesicherte Ergebnisse zu erhalten, kann über spezielle Formeln bestimmt werden.“

Für die kostenlose Nachhilfe in Sachen Statistik der Sozialwissenschaften bedanken wir uns beim Ministerium von Frau Dr. Schröder natürlich, allerdings fragen wir uns nun, was der Frontalunterricht zu einem Diskurs zwischen zuständigen Politikern und Bürgern beitragen soll. Auch wenn das Ministerium uns vielleicht nicht vollends ignoriert hat, so hat doch niemand tatsächlich auf unsere Fragen geantwortet. Eine derart am Thema vorbeischießende Antwort verwandelt alle Erwartungen, die Betroffene an die Politik haben, in ein Nichts. Glaubt das Ministerium tatsächlich auf diese Art mit den Betroffenenverbänden zu kommunizieren?

Angesichts einer solchen Antwort wissen wir von netzwerkB nun nicht nur, dass Betroffene im Rahmen wissenschaftlicher Diskurse nicht ernst genommen werden, sondern wir wissen auch, dass wir die zuständigen Ministerien im Hinblick auf den wissenschaftlichen Diskurs nicht ernst nehmen müssen. Die Antwort aus dem Ministerium, so belehrend sie ausfällt, wird nicht mal den Ansprüchen gerecht, die Lehrer an Schüler der 7. Klasse stellen. Thema verfehlt, liebe Frau Dr. Schröder.

Norbert Denef ist Sprecher von netzwerkB, dem Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt e.V.

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