Stand 17.12.2011 (als PDF herunter laden)

netzwerkB ist die Problematik des einer vollständigen Aufhebung von Verjährungsfristen grundsätzlich entgegenstehenden Rückwirkungsverbotes bekannt und bewusst.

Das Rückwirkungsverbot ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes sowie aus § 2 des Strafgesetzbuches.

Das Rückwirkungsverbot bewirkt, dass ein Täter ausschließlich für Taten bestraft werden kann, welche zum Zeitpunkt der Begehung der Tat bereits den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllt haben.

Das strafrechtliche Rückwirkungsverbot bezieht sich allerdings nur auf eine materielle Straftat, das heißt, die Straftatbestände (z.B. Körperverletzung gem. § 223 StGB, Diebstahl gem. § 242 StGB) an sich.

Formelle Vorschriften, mithin das strafrechtliche Verfahrensrecht, unterliegen dem Rückwirkungsverbot nicht.

Hinsichtlich der Verjährungsvorschriften war in der juristischen Literatur und Rechtsprechung lange Zeit die Frage umstritten, ob diese dem materiellen oder dem formellen Straf(verfahrens)recht zuzuordnen sind.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner in der Entscheidungssammlung als BVerfGE 25, 269 ff. veröffentlichten Entscheidung festgestellt, dass die Verjährungsfristen formeller Natur sind und eine rückwirkende Verlängerung oder Aufhebung der Verjährungsfristen jedenfalls hinsichtlich mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohter Straftaten für zulässig erachtet.

Hier liegt der oder zumindest ein Ansatzpunkt von netzwerkB bezüglich der Forderung nach einer vollständigen Aufhebung der Verjährungsfristen.

Das von den Gegnern der Aufhebung der Verjährungsfristen vorwiegend angebrachte Argument, das verfassungsrechtlich verankerte Rückwirkungsverbot ließe eine vollständige Aufhebung generell nicht zu, ist in dieser abschließenden Konsequenz nicht zutreffend.

Eine Durchbrechung ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts vielmehr, wenn auch unter engen Voraussetzungen, durchaus zulässig.

Die Forderung von netzwerkB, die Verjährungsfristen für Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung aufzuheben, liegt hierbei in der Natur der Sache.

netzwerkB ist das Netzwerk Betroffener sexualisierter Gewalt und kann demnach nicht Anlaufstelle und gegebenenfalls Interessenvertreter für Betroffene sonstiger Gewalttaten sein.

Damit ist in keiner Weise die Ansicht verbunden, Betroffene anderweitiger Gewalttaten würden weniger Leid erfahren oder diesen würde die Durchsetzung ihrer Ansprüche wesentlich erleichtert.

Feststellbar ist jedoch, dass Strafanzeigen wegen Straftaten, welche sich gegen Leib und Leben richten – wie etwa wegen Körperverletzung – weitaus häufiger und vor allem mit weit weniger Abstand zum Tatzeitpunkt erfolgen als dies bezüglich Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Fall ist.

Hinsichtlich Letzterer überwiegt in der überwiegenden Zahl der Fälle das Schamgefühl, das Gefühl, den Betroffenen werde nicht geglaubt oder das Ohnmachtsgefühl, die Betroffenen könnten gegen die Täter aufgrund eines Abhängigkeitsverhältnisses nichts unternehmen.

Dies führt nicht selten zu Verdrängung über viele Jahre oder gar Jahrzehnte, so dass die Taten die Betroffenen ein ganzes Leben lang in ihrer Lebensgestaltung beeinflussen.

Aufgrund der Existenz der Verjährungsfristen ist es den Betroffenen jedoch häufig nicht (mehr) möglich, die Täter einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und somit einer Bestrafung zuzuführen.

Auf diese Weise wird regelmäßig auch die Durchsetzung zivil- und/oder sozialrechtlicher Entschädigungsansprüche verhindert, da im Regelfall für die Geltendmachung dieser Ansprüche strafrechtliche Ermittlungsergebnisse als erforderliche Beweismittel herangezogen werden (müssen).

Konsequenz dieser durch die geltende Gesetzeslage herbeigeführten Situation ist nicht selten, dass die Betroffenen sexualisierter Gewalt angesichts des Scheiterns der Geltendmachung ihrer Ansprüche und des damit verbundenen Gefühls, nicht gehört und nicht als „Opfer“ anerkannt zu werden während die Täter straflos ausgehen und sich keinen Entschädigungsansprüchen ausgesetzt sehen, weiter traumatisiert oder retraumatisiert werden.

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