Leipziger Volkszeitung 14.01.2012

Rückkehr an den Ort der Angst – für eineinhalb Stunden

Ex-Delitzscher Norbert Denef spricht vor Fernsehkamera über Missbrauchsfälle und kämpft für Aufhebung der Verjährungsfristen

von Kay Würker

Delitzsch. Mehr als vier Jahre nach seinem letzten Besuch ist Norbert Denef am Donnerstag erneut nach Delitzsch gekommen. Doch es war eine kurze Begegnung mit der Stadt, mit der ihn so viel und doch so wenig verbindet: keine Übernachtung, kein Gassenbummel, nur eineinhalb Stunden Drehtermin vor der Kulisse der katholischen Kirche. Die Macher des SAT1-Wissenschaftsmagazins Planetopia hatten ihn darum gebeten. Denn für die Sendung, die am Montag um 22.15 Uhr ausgestrahlt wird, ist der 62-Jährige ein wichtiger Gesprächspartner. Sie beschäftigt sich mit einem der dringendsten Anliegen Norbert Denefs: der Aufhebung der Verjährungsfristen bei Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung.

„Es tat unglaublich weh“, sagt Denef über seinen Delitzsch-Besuch. Denn nichts habe sich über die Jahre verändert. Noch immer sei er ein Ausgegrenzter, gelte als „Nestbeschmutzer“. 1993 hatte er Erlebnisse aus seiner Kindheit und Jugend offenbart, berichtete von über Jahre währendem Missbrauch in Delitzschs katholischer Pfarrgemeinde durch den damaligen Pfarrer Alfons Kamphusmann sowie einen zweiten Täter. „Eine Aufarbeitung hat in der Stadt nach wie vor nicht stattgefunden. Stattdessen habe ich auch während der Dreharbeiten wieder erlebt, wie man mir aus dem Weg geht und aus Angst schweigt.“

Auch viele Opfer schweigen, weiß Denef. Er selbst tat es 35 Jahre lang. Doch wenn Kraft und Abstand schließlich ausreichen, um zu reden, sind die Täter oft nicht mehr zivil- oder strafrechtlich zu belangen. „Während Vergewaltigung und sexuelle Nötigung im Strafrecht erst nach 20 Jahren verjähren, sind es beim sexuellen Missbrauch nur zehn Jahre und im Falle von minderjährigen Schutzbefohlenen fünf Jahre“, schildert Denef. „Im Zivilrecht verjähren die 
Ansprüche Betroffener sogar inner-halb von nur drei Jahren, wobei die Frist spätestens mit Vollendung des 
21. Lebensjahres zu laufen beginnt.“

Der Ex-Delitzscher kämpft deshalb für die Aufhebung dieser Fristen. In unzähligen Zeitungs-, Radio- und Fernsehbeiträgen hat er sich inzwischen zu Wort gemeldet, gestärkt durch das von ihm gegründete netzwerkB – ein Verein von Betroffenen sexualisierter Gewalt. Sein bisher wichtigster Meilenstein: Als Gastredner vor dem SPD-Bundesparteitag im Dezember hielt er eine emotionale Rede zur Bekräftigung eines Antrags, der sein Anliegen unterstützte. Das Ergebnis: ein einstimmiger Beschluss. „Die Bundes-SPD wird ihren Gesetzentwurf zum Thema nun noch einmal überarbeiten“, so Denef.

Auch das Planetopia-Team wurde durch diesen Parteitags-Auftritt auf Norbert Denef aufmerksam. „Wir beleuchten das Thema Verjährungsfristen mit ihm und einem Opferanwalt“, kündigte Redakteur Christian Stracke an. Denef selbst, der inzwischen an der Ostsee lebt, bezeichnet sich als Beispiel für einen klassischen Missbrauchsfall mit all seinen Folgen. Und auch Delitzsch sei nur ein Beispiel für all die anderen Schauplätze.

Für den 62-Jährigen freilich ist der Ort mehr. „Die Ereignisse von damals haben mir die Seele gebrochen, bis heute. Und die verbreitete Furcht vor dem Thema ist das Schlimmste.“ Eigentlich sollte am Donnerstag ein weiteres Opfer von Kamphusmann vor der Kamera sprechen. Kurz vor dem Dreh sagte der Mann ab. Aus Angst.

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