Es ist der zweite Weihnachtstag, 2011, und ich habe gestern die Texte zu Weihnachten auf der Webseite von netzwerkB gelesen. Und es hat wieder heftig an meinen Erinnerungen gerührt. Also habe ich beschlossen, jetzt zu schreiben.
Ich wurde von meinem Großvater missbraucht, als ich noch sehr klein war, so etwa 3 oder 4 Jahre, und es hat sich wiederholt bis ich 6 oder 7 war. Das Schlimmste für mich, das worunter ich auch heute noch am meisten leide, war, dass er die „beste“ Bezugsperson war, die ich hatte, und ich meine Liebe und Zuneigung zu ihm immer noch nicht ganz einordnen kann.
Meine Mutter war mit mir überfordert, sie ist ungewollt schwanger geworden und wollte damals weder die Hochzeit mit meinem Vater noch ein Kind. Sie war 24 als ich geboren wurde. Also waren ihre Pflege und ihre Zuneigung immer etwas ambivalent, vor allem auch, da ich ein „schwieriges Kind“ war, sehr lebhaft z.B.
Mein Vater wollte zwar sowohl die Hochzeit als auch mich, also ein Kind, konnte aber nichts mit mir anfangen, da er selbst ohne Vater aufgewachsen war, und hat sich sehr wenig mit mir beschäftigt. Außerdem studierte er in meinen ersten Lebensjahren noch und musste gleichzeitig das Geld für die neue Familie irgendwie aufbringen.
Mein Großvater war die liebevolle und lustige männliche Bezugsperson in meinen ersten Jahren. Meine Mutter war in der Woche sehr viel bei ihren Eltern, da sie ihnen auch im Geschäft aushalf bis 2einhalb Jahre später meine Schwester geboren wurde. Mein Großvater hat mich durch die Luft gewirbelt, mit mir gespielt und Spaß gemacht und mich später mitgenommen, zu seinen Arbeitsstellen (er war Maler und Tapezierer), zu Besorgungen und auf den Spielplatz.
Dort erinnere ich auch einen Missbrauch, ich weiß allerdings nicht, ob es der erste war. Ich musste pinkeln, und mein Großvater ist mit mir ins Gebüsch gegangen und hat mir „geholfen“ und mich dabei an der Scheide berührt. Damals oder auch später hat er mir auch Finger in die Scheide und in den After geschoben, ich erinnere das furchtbare Gefühl und den Schmerz! An eine Penetration mit dem Penis kann ich mich nicht erinnern.
Er hat mir erzählt, dass ich darüber nichts sagen dürfe, und zwar, weil sie (die anderen in der Familie, nehme ich an) ihn dann nicht mehr lieb haben würden! Er hat mir also außerdem eine enorme Verantwortung aufgedrückt! Das, woran ich mich weiter erinnere, sind Berührungen, wenn ich in der Badewanne saß´, denn ich habe, nachdem meine Schwester geboren war, viele Wochenenden bei meinen Großeltern verbracht. Es gab ein Ritual am Samstagabend, das sagte, erst Baden und dann durfte ich fernsehen, Daktari meistens. Das fand ich ganz toll, denn zuhause hatten wir zu der Zeit noch gar keinen Fernseher. Am Sonntagmorgen gab es ein weiteres Ritual, ein „Bettfrühstück“ mit einem Nest aus Decken und Kissen für mich am Fußende des Bettes (in dem ich auch die Nacht verbracht hatte, meist auf der Besuchsritze, und wo ich mich nicht an Übergriffe erinnere), Kakao und Kuchen. Später gab es dann noch ein „richtiges“ Frühstück mit Brötchen und Eiern. Das alles waren Höhepunkte in meinem sonst an Ritualen und Besonderem armen Leben, ich kann mich z.B. nicht daran erinnern, eine Nacht im Bett meiner Eltern verbracht zu haben, oder dort zu frühstücken.
Außerdem ist mein Großvater weiterhin mit mir auf den Spielplatz gegangen, meist am Sonntagvormittag, während meine Oma Hühnersuppe kochte.
Wie und wieso alles endete, daran kann ich mich auch nicht erinnern, ich habe auch nachdem ich 7 und älter war noch Nächte bei meinen Großeltern verbracht, aber nicht mehr so häufig und dann auf dem Sofa im Wohnzimmer. Eine Zeitlang, ich glaube, nachdem ich zur Schule kam, wollte ich dort nicht mehr hingehen, und das wurde auch akzeptiert. Vor allem wollte ich – und habe es, soweit ich weiß, auch – verhindern, dass meine kleine Schwester dort allein übernachtet und das Gleiche erlebt wie ich. Doch sie war lange Zeit eifersüchtig auf mich wegen meines speziellen Verhältnisses zu den Großeltern!!
Weihnachten bringt mir all dies nahe, weil es eben ein Familienfest ist und wir immer mindestens einen Feiertag mit den Großeltern verbracht haben, meist mehr. Ich konnte all das, was mir passiert ist, erst „erinnern“, nachdem mein Großvater gestorben war. In mehreren Therapien habe ich die Erlebnisse aus der Kindheit und ihre Auswirkungen bis heute aufgearbeitet.
Heike S.
Dein Bild hat mich sehr berührt, es zeigt so deutlich die Spuren deines erlittenen Leides. Diese Augen , diese zusammengesunkene Haltung, das Tuch vor dem sprachlosen Mund. Danke, dass Du den Mut hattest, dich zu outen. Anka
Liebe Anka,
ich bin stolz auf dich, dass du geschafft hast, zu überleben. Dir ist das „Unaussprechliche“ in deiner frühen Kindheit passiert! Mit den Fingern … Du bist verheiratet (dein Foto)? Von ganzem Herzen wünsche ich dir, dass dein Partner dich unterstützt, dich hält, dich tröstet – mein Mann hat mich verstossen …
Meine Leidensgeschichte, weiss ganz klar den Anfang, Verlauf und Ende – habe ich an info@netzwerkb.org gesendet, mir ist noch gar nicht klar, wie ich mit Überlebenden in Kontakt treten kann!
Helga
Anka schreibt Dir, liebe Helga:
Du bist bei NetzwerkB sehr gut aufgenommen.
Hier hast Du eine Plattform gefunden, wo Du Dich mit Betroffenen austauschen und Informationen erhalten kannst.
Sehr gut funktioniert das über Kommentare. Es werden Dir viele antworten.
Deine Frage zur Person auf dem Photo möchte ich jedoch hier richtig stellen:
Diese Leidensgeschichte und das Photo betrifft Heike S.
Sie wird sich auch über Deinen Kommentar gefreut haben.
Bis demnächst auf dieser Plattform und weiter soviel Mut wünscht Anka