WELT ONLINE 30.11.2011
Der Runde Tisch Kindesmissbrauch tagte über ein Jahr, jetzt gibt es Ergebnisse. Den Opfern sexuellen Missbrauchs geht die Hilfestellung nicht weit genug.
Ein mit 100 Millionen Euro ausgestatteter Fonds soll Opfer sexuellen Missbrauchs in Deutschland unterstützen. Bund und Länder stellen jeweils die Hälfte dieser Summe für Hilfe und Therapien zur Verfügung, wie Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in Berlin bei der Vorstellung des Abschlussberichts des Runden Tisches Sexueller Kindesmissbrauch sagte.
Eine zentrale Clearingstelle soll die Ansprüche prüfen. Die Verjährungsfristen für Schadenersatzansprüche werden auf 30 Jahre angehoben, die Stellung von Opfern im Strafprozess soll weiter gestärkt werden. Der Opferverband NetzwerkB kritisierte indessen die Beschlüsse.
Der Runde Tisch Kindesmissbrauch wurde im März 2010 von der Bundesregierung beschlossen. Anlass waren die vielen bekannt gewordenen Missbrauchsfälle aus der Vergangenheit in staatlichen, privaten und kirchlichen Einrichtungen.
Leutheusser-Schnarrenberger betonte, die Beschlüsse des Runden Tisches seien einstimmig gefallen. Der Abschlussbericht enthalte eine Reihe von Empfehlungen an den Gesetzgeber und die Institutionen. Deutlich geworden sei, dass ein „Lernprozess für die gesamte Gesellschaft notwendig“ sei.
Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) kündigte eine Präventionskampagne an, mit deren Hilfe für das Thema Sexueller Missbrauch sensibilisiert werden soll. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) will 30 Millionen Euro für Forschungsprojekte, beispielsweise über die Traumatisierung von Opfern oder die Gewaltvorbeugung, zur Verfügung stellen.
Kritik der Opfer
Der Opferverband NetzwerkB kritisierte die Beschlüsse. Der Vorsitzende Norbert Denef sagte: „Der Runde Tisch ist gescheitert: Dies war vorauszusehen und überrascht uns nicht.“ Der Bericht enthalte vor allem Empfehlungen und keine konkreten Ergebnisse.
Denef kündigte an, Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen der Verjährungsfristen für Schadenersatzansprüche zu erheben. Dass diese nun auf 30 Jahre erhöht worden seien, sei „nicht ausreichend – die Verjährungsfristen müssen weg“.
Ich finde es unfassbar, dass nach diesen ganzen Jahren der Aufklärung und den erlangten Erkenntnissen über die Ausmaße eines sexuellen Missbrauchs sowie die Folgen dessen immer noch die Verjährung im Mittelpunkt der Diskussion steht und nicht die Frage endlich beantwortet wird, „wie kann ich den Opfern helfen, ein Leben zu gestalten, ohne die Problematik mit gesundheitlichen Schäden gesellschaftsfähig bleiben zu müssen“!
Mit jeder erneuten Diskussion um die Verjährungsfristen und Anerkennung erlebe ich eine erneute Traumatisierung und die negativen Gefühle (bin ich richtig und kann ich meinen Gefühlen überhaupt trauen) kommen wieder… es kann doch nicht sein, dass sowas immer noch geschieht und so akzeptiert wird!
Auch ist es eine Frechheit, „Empfehlungen an den Gesetzgeber und die Institutionen“ auszusprechen und nicht diese so festzulegen, dass wirkliche Hilfe erhalten werden kann!
Für jeden, der Missbrauch erleben musste, ein Schlag ins Gesicht!
Verjährungsfristen in Bezug auf sexuellen Missbrauch gehören abgeschafft!!!
Da kann ich mel nur zustimmen! Ich denke, das es allen klar sein muss, und klar ist, das die Verjährungsfristen abgeschafft gehören.
Keiner hat das Recht, sich in Sachen Missbrauch und Vergewaltigung ein Hintertürchen offen zu halten, schon gar nicht verantwortungsvolle PolitikerINNEN.
Ich bin darüber erbost und gleichzeitig erschüttert, das ausgerechnet vier (4), wenn nicht gar fünf (5) Frauen aus den Ministerien Familie (Schröder), Bildung (Schavan) und Justiz (Leutheuser-Schnarrenberger), sowie eine ehemalige Vizepräsidentin des Deútschen-Bundestages (Vollmer), als auch Frau Dr. Bergmann (SPD), als Missbrauchsbeauftragte, einen derartigen Abschlussbericht mit Empfehlung an den Deutschen Bundestag vorlegen konnten.
Wie konnte es passieren, das der Deutsche Bundestag, ohne kritische Anmerkungen, ohne ein entsetztes Aufschreien, diesen Abschlussbericht verabschieden?
Wo waren unsere schriftlichen Eingaben an alle PolitikerINNEN, Fraktionen, Ausschüsse? Wo finden sich unsere persönlichen Gespräche, als Betroffene mit unseren Parlamentsvertretern vor Ort in dieser Abschlusserklärung wieder?
Wie konnte es geschehen, das dieser Abschlussbericht im Deutschen Bundestag einen so geringen Stellenwert zugemessen bekam, das es an letzter Stelle auf der Tagesordnung aufgelistet wurde?
Bei Frau Dr. Bergmann haben sich tausende Opfer gemeldet, haben sich geoutet, haben dieser Frau offen und ehrlich ihr Leid geklagt. Wo sind all diese Schicksale gelandet, wurden diese Briefe, Mails… wirklich wie zugesagt alle gelesen? Wenn ja, wie konnte dann ein solcher Abschlussbericht den Bundestag kritiklos passieren?!
10.000 Euro sollen uns Opfern als Sachleistungen zugesprochen werden. Wahrscheinlich erst wieder nach erneuter schamloser Aufforderung, den Missbrauch zu belegen, was wiederum mit zusätzlichen Kosten für uns verbunden ist.
Wo bleibt die nachträgliche Bezahlung für geleistete Kinderarbeit, wo die nachträgliche Einzahlung in die Rentenkasse, wo all die damals an den Heimen gezahlten Taschen-u.Kleidergelder, welche nie bei den Heimkindern gelandet sind, aber von den (Landes)Jugendämtern nachweislich an die Einrichtungen gezahlt wurden?
Wo die Nachzahlungen unserer Aufwandsentschädigung für die Glaubhaftmachung der an uns begangenen Missbräuche und Züchtigungen? Hier die Suche nach Zeitzeugen, Heimakten, Gutachten, Testate, Kopier-u.Druckkosten, Kopien, Fahr-u.Telefonkosten…!
Gleichen finanziellen Aufwand müssen wir wohl aufbringen, um nun unsere Ansprüche beim „Verteiler“ vorzulegen.
Übernahme von Therapiekosten z.B., da kommen Staat und Kirche ja ganz billig weg, da die meisten Therapieplätze in kirchlicher Hand sich befinden und private Therapieplätze kaum in Frage kamen, entweder wegen einem zu hohem Patientenaufkommen, oder Kassenpatienten erst gar nicht aufgenommen wurden, oder die Krankenkassen die Kosten nicht übernommen haben. Von der langen Warteliste ganz zu schweigen, den ein Trauma haben ja heute schon überlasstete und gestresste Beamte.
Leider kommen dann die, welche ein wirkliches Trauma erleiden zu kurz!
Fast zynisch möchte ich fast sagen, es wäre besser gewesen ich wäre in Amerika sexuell missbraucht und körperlich gezüchtigt worden und bräuchte mir um meine wirklich und tatsächlich vorhandene Glaubwürdigkeit keine Sorgen machen!
Für das erlittene Leid, sowie für die genommene Lebensqualität, als auch für die unfreiwillige sexuelle Entfaltung, desweiteren für geleistete nachweisliche Kinderarbeit, erwarte, ja verlange ich von den staatlichen und kirchlichen Einrichtungen und Institutionen eine finanzielle, für mich frei verfügbare Entschädigung!!!
Eines möchte ich auch dennoch deutlich betonen, ich, wie viele andere menschliche Opfer engagieren sich in Vereinen und Verbände, machen sich unendliche Gedanken und viele Aktionen, fordern rigide Massnahmen gegen Täter und unterbreiten Präventionsvorschläge, gehen auf die Strasse und ganz wichtig, sie nehmen kein Blatt vor den Mund, um auf Missstände und Versäumnisse hinzuweisen. Und da zählt nun mal für mich federführend das netzwerkB und der VeH e.V. !
Jeder hat eine Stimme um anzuklagen, aber es tut gut zu wissen, das es auch ein Sprachrohr gibt, wo sich alle Stimmen wieder finden können. Und als solches möchte netzwerkB gesehen werden und ich bin stolz darauf ein kleiner Teil dieses Sprachrohres zu sein !
Auch ich finde das Ergebnis des Runden Tisches unsäglich.
Die von der Familienministerin angekündigten Präventionsangebote erscheinen mir als „Heiße Luft“ und haben mit der Realität in entsprechenden Familien und Institutionen NICHTS zu tun. Als Opfer wußte ich auch damals schon, dass die Tat „nicht richtig“ war. Eine gut gemeinte Aufklärung in der Schule hätte mir nicht das Mindeste gebracht.
Und ehrlich: wie die Dinge in meiner Familienkonstellation stehen (Schweigen, Schweigen, Schweigen), würde ich es noch nicht mal heute (mit Mitte Vierzig und nach über 10 Jahren selbst bezahlter Therapie) schaffen, ein Zivilgerichtsverfahren zu beginnen, um den Täter zum Schadensersatz zu zwingen.
Selbst WENN die Verjährungsfrist aufgehoben wäre.
Trotzdem finde ich es selbstverständlich absolut notwendig, die Verjährungsfrist auszusetzen. Es wäre zumindest ein Signal.
Aber: statt in teure schön klingende Präventionsprojekte bitte das Geld in eine bessere Traumatherapie-Versorgung stecken! Da wird es dringend gebraucht und kann ganz konkret Not lindern!