Sehr geehrte Frau Maischberger,

mit Interesse haben wir Ihre Talkshow zum Thema „Gefährliche Liebschaften oder wahre Liebe“ am 11.10.2011 verfolgt. Es ist sehr mutig, dieses Thema aufzugreifen. Die Zuschauer werden zum Nachdenken angeregt und das empfinden wir grundsätzlich als positiv.
Wir sind Betroffene sexualisierter Gewalt in der Kindheit und Jugend und erlauben uns aus dieser Perspektive folgende konstruktiv-kritische Anmerkungen zu Ihrer Sendung.

1. Die Äußerung von Lisa Fitz

Zitat: „…Knabenliebe hat es schon im Alten Rom gegeben…“

Dies ist das meist benutzte Argument Pädokrimineller, die sich selbst „Pädosexuelle“ nennen. Wir sind erschüttert, dass diese Bemerkung ohne Kommentar im Raum stehen geblieben ist.

Die Tatsache, dass eine bestimmte Straftat schon seit Jahrtausenden verübt wird, ist kein Argument dafür, dass sie straffrei bleiben sollte. Körperverletzung, Mord, Diebstahl, Betrug usw. wurden schon im Alten Testament beschrieben, trotzdem herrscht allgemeiner Konsens darüber, dass es sich bei alledem um abscheuliche Verbrechen handelt. Warum sollte das ausgerechnet bei Pädokriminalität anders sein? Hier hätte die Sendung durch eine entsprechend sachliche Diskussion gewonnen.

Des Weiteren propagiert Frau Fitz, dass sie sich heute als Frau nimmt was sie will. Sie beschreibt hier eine Haltung im Bereich der Sexualität, wie sie in unserer Gesellschaft hoffentlich immer mehr in Frage gestellt wird.

Ihre Erklärung zu dem unten geschilderten Fall ist haarsträubend. Da es sich bei Ervin Unterlechner um einen Jungen handelt, wird die „Beziehung“ von der Schauspielerin für gerechtfertigt angesehen, indem sie sich heraus redet, die Sexualität des Mannes sei als Gebender ausgerichtet. Eine aus unserer Sicht extrem gefühlskalte und egozentrische Einstellung.

Gerade deshalb spricht man von sexuellem Missbrauch, weil hier sexualisierte Manipulation vollzogen wird. Und dies von TäterInnen ganz bewusst. TäterInnen nützen die Naivität Jugendlicher und Kinder aus, um einzig und allein IHRE Bedürfnisse zu befriedigen. Wenn nötig auch mit Gewalt. Gewalt im psychischen Sinne ist es immer, weil es den TäterInnen nie um eine Beziehung auf gleicher Augenhöhe, auf gleicher Entwicklungsstufe geht, sondern nur um Machtausübung, um – wenn Sie so wollen – die Hörigkeit ihrer Opfer! Solche TäterInnen sind gar nicht fähig, eine ebenbürtige gute Partnerschaft zu führen, sie brauchen einen Unterlegenen, um sich groß und mächtig zu fühlen. Sie kompensieren ihre Minderwertigkeitsgefühle damit, indem sie sich andere gefügig machen. Deshalb: Missbrauch! Hier handelte es sich nie um eine unreflektierte Beziehung, wie es immer wieder und in letzter Zeit vermehrt bagatellisierend umschrieben wird.

Würden alle Erwachsenen (Lehrkörper, Trainer in Turnvereine, Pfarrer usw.), die im Laufe ihres Lebens von Jugendlichen kindlich umschwärmt werden, dies als Aufforderung verstehen, sich der kindlichen Naivität  zur eigenen Bedürfnisbefriedigung zu bedienen, würden sämtliche Institutionen und Vereine für Kinder und Jugendliche zu Einrichtungen der ungewollten, erzwungenen sexuellen Ersterfahrung mutieren, in denen zu Hauf die Abhängigkeit Kinder und Jugendliche von pädophile TäterInnen schamlos ausgenützt würde. Minderjährige sind noch nicht in der Lage, die Konsequenzen solch Schwärmereien abzusehen, würde ein Erwachsener darauf eingehen. Teenager sind außerstande, sich gegenüber Erwachsenen zu behaupten. Beides gilt in unserer Kultur als Voraussetzung für eine intime Partnerschaft.

Damit beziehen wir uns im Besonderen auf das Paar aus Österreich. Hier liegt aus unserer Sicht die alleinige Verantwortung bei Renata Jura, die unseres Erachtens zu Recht verurteilt wurde. Unverständlich jedoch ist, warum diese Täterin noch auf freiem Fuß ist und somit weiterhin Zugriff auf den Jungen hat. Denn auch in Österreich gilt dies als eine Straftat, was der in der Sendung hinzu geschaltete Jurist unterschlug, indem er behauptete, „nur“ der „sexuelle Kontakt“ zwischen Erwachsenen und Kindern unter 14 Jahren stünde in Österreich unter Strafe. Aber auch die österreichische Gesetzgebung unterteilt weitere, abgestufte Regelungen (§ 201 ff öStGB – Straftaten gegen die sexuelle Integrität). Wie in Deutschland liegt das absolute Schutzalter bei 14 Jahren: jegliche Art von „sexuellem Kontakt“ eines Erwachsenen mit einem Kind unter 14 Jahren ist komplett verboten.

Bei Opfern unter 16 finden sich mehrere Regelungen: Hier seien einige aufgezählt.

  • bei Ausnützen der fehlenden Reife (§ 207b Abs. 1, ein Jahr oder 360 Tagessätze)
  • bei Ausnützen einer Zwangslage (§207b Abs. 2, ein bis drei Jahre)
  • Finden die „Kontakte“ unmittelbar gegen Entgelt  statt, wird  das Schutzalter bis 18 Jahren herauf gestuft; (§ 207b  Abs. 3, bis 3 Jahre)
  • Ebenso bei „Handlung, die geeignet ist, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung … zu gefährden“ (§ 208 Abs. 1)
  • Bei Ausnützen des Autoritätsverhältnisses („mit einer minderjährigen Person, die seiner Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht untersteht, unter Ausnützung seiner  Stellung“) wird die schutzbedürftige Altersgrenze auf 18 gehoben und mit einem Strafrahmen bis 3 Jahren versehen (§ 212 Abs. 1).

Als Zuschauer und Betroffene stellen wir uns die Frage, wie dieser Fall vor Gericht beurteilt worden wäre, wenn die Täterin männlich gewesen wäre und das Opfer ein Mädchen? Wie wäre das in der Öffentlichkeit beurteilt und aufgefasst worden?
Was uns jedoch am Meisten erschütterte, ist die Tatsache, dass ARD dieser Frau ein Podium anbot, auf dem sie öffentlich sexualisierte Gewalt mit einem minderjährigen Jungen „bewerben“ darf.
Begrüßenswert wäre gewesen, wenn Sie das Thema Pädokriminalität / Pädosexualität genutzt hätten, um darüber aufzuklären, dass es sich bei „Pädophilie“ nicht um eine Form von Liebe, sondern einzig und allein um subtile bis hin zu massiver Machtausübung mittels sexualisierter Gewalt handelt.

2. Die Bemerkung des Herrn Karl-Dieter Möller war hoffentlich ironisch gemeint:

Zitat: „… Was in deutschen Kinderzimmern passiert, darüber sollte man einen Mantel decken…“

Seit geraumer Zeit kämpfen wir Betroffenen sexualisierter Gewalt gegen diesen Mantel des Schweigens, der gesellschaftlich verankert ist. In Anbetracht dessen, dass jedes 5. Mädchen und jeder 7. Junge sexualisierter Gewalt ausgesetzt ist und inzwischen auch in der Prävention endlich diese erschütternde Tatsache ein Thema geworden ist, darf und kann es nicht hingenommen werden, dass Erwachsene in einer öffentlichen Sendung wie der Ihren kommentarlos ein derartiges Statement abgeben. Zumal neueste Erhebungen mittlerweile von 10 Millionen Betroffenen sexualisierter Gewalt ausgehen (s. Quelle).
Die Dunkelziffer ist hier noch nicht mit einberechnet. Mitwisser, Vertuscher und Wegseher sind erheblich an der hohen Dunkelziffer beteiligt und verstärken bei Kindern, an denen über Jahre hinweg sexualisierte Gewalt verübt wird und wurde, das Gefühl, nicht darüber reden zu dürfen, keine Hilfe zu bekommen. Wie oft wurde gerade im letzten Jahr der Aufdeckung sexualisierter Gewalt in Schulen und kirchlichen Institutionen den Opfern und Betroffenen vorgehalten, dass sie so lange geschwiegen haben. Wundert es noch, wenn Bemerkungen wie die eines Herrn Karl-Dieter Möller immer und immer wieder in öffentlichen Medien kommentarlos verbreitet werden dürfen?

Sollten unsere Einwände aus Ihrer Sicht ungenügend schlüssig sein oder Sie Interesse zeigen an unserem Fachwissen, stellen wir Ihnen dieses und weitere dienliche Informationen aus unserem fundierten Archiv gerne zur Verfügung.

Unterschriften:
Jacqueline Ehmke – Betroffene sexualisierter Gewalt in der Kindheit
Angelika Oetken, Berlin – Betroffene sexualisierter Misshandlung in der Kindheit; Ergotherapeutin
Sarah Mohn – Betroffene sexualisierter ritueller Gewalt; Erzieherin und Werklehrerin im heilpädagogischen Bereich
Susanne Baumgärtner – Betroffene
Tanja Bullert – Betroffene sexualisierter Gewalt – Akteurin im kreativen Prävention- und Bildungsbereich
Petra Forberger – Betroffene fortgesetzter krimineller sexualisierter Gewalt im Kindesalter

Quelle:
http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=suche&p=Kindesmisshandlung&id=87643

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Menschen bei Maischberger – Sexparadies für Pädokriminelle