NZZOnline 26.07.2011
«Gewisse exzessive Reaktionen»
Der Vatikan hat seinen Botschafter aus Dublin zurückgerufen. Anlass sind die harschen Vorwürfe des irischen Regierungschefs Enda Kenny an die Adresse des Vatikans, weil dieser offenbar die Untersuchung von Missbrauchsfällen in Irland behinderte.
Das in Irland am Beichtgeheimnis gerüttelt werden soll, ist dem Umstand geschuldet, dass die kath. Kirche alle vorherigen Gesprächsversuche abbürstete und sich nicht ansatzweise kompromissbereit zeigt. Die Maximalforderung ist auch dem Umstand geschuldet, dass diplomatische Reaktionen seitens der Kirche unterblieben und man zu sehr auf einem Standpunkt beharrte, der dermaßen weltfremd, die eigentlichen Ursachen nicht aufarbeiten hilft.
Man mag darüber, ob es Sinn macht, das Beichtgeheimnis in einem europäischen Staat abzuschaffen, aber es sollte in der Kirche als letzte Chance ankommen, dass die Zeiten der Strafvereitelung durch Anweisungen durch hohe Kirchenvertreter nicht länger tolleriert werden.
Man kann auch prima leben damit, wenn das Beichtgeheimnis in der Sache fällt. Denn mal Hand aufs Herz, wer kann überhaupt noch nach all den Skandalen der kath. Kirche, noch ansatzweise Vertrauen haben, die Beichte abzulegen? Geschweige denn, ob das, was gegenüber den Verfehlungen in der Kirche, v. normalen Kirchenmitgliedern gebeichtet wird, auch nur ansatzweise an den Grausamkeiten innerhalb der Kirchenmauern herankommt, das man von solchem Pack auch nur im entferntesten die Absolution braucht?
Das verwundert doch nicht mehr im Geringsten. Umfassende Aufklärung, Aufarbeitung und Konsequenzen KÖNNEN doch überhaupt nicht im Interesse der Kirche sein.
Die Wenigen, die innerhalb der Kirche daran Interesse haben, werden sanktioniert und zurückgepfiffen. Sanktionen drohen denjenigen, die berufliche Existenz steht mitunter auf dem Spiel. Stattdessen werden Richtlinien erlassen, Lippenbekenntnisse, Entschuldigungen, Worte des Bedauerns und ein paar Silberlinge abgeliefert, ein paar der Täter öffentlich „hingerichtet“ in der Hoffnung, die „Opfer“ mögen endlich Ruhe geben, aber allenthalben will man von nichts gewusst haben und von Verantwortung will man nach wie vor nichts wissen.
Missbrauchsbeauftragte werden ernannt, deren oberstes Anliegen ist, sich, ihre Brüder, ihre Institutionen, ihre Interessen und das System zu schützen. Und das tun sie.
Es ist längst müßig, die Kirchen und deren Orden an ihren postulierten eigenen Ansprüchen zu messen, den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen Predigen und Handeln zu beklagen und es immer noch nicht glauben zu wollen.
Im besten Fall kann man wohl eine kollektive Persönlichkeitsstörung als Ursache annehmen oder muss man nicht doch der Tatsache ins Auge sehen, dass es sich bei den Tätern um ganz „normale“ delinquente Personen (Straftäter) und bei den Mitwissern und Strafvereitlern um deren Helfer und Helfershelfer handelt?
Wie auch immer. Diese Kirchen und deren Vertreter können nicht die Vertreter eines Menschen mit christlicher und/oder humanistischer Weltanschauung sein.