Passauer Neue Presse 20.07.2011
Kirche entschuldigt sich für Verfahrensfehler
von Eva Fisch
Die Evangelische Landeskirche hat ein Disziplinarverfahren gegen einen Pfarrer wegen sexuellen Missbrauchs eingestellt. Der bereits verurteilte Mann könne nicht ein zweites Mal für seine Taten verurteilt werden, hieß es zur Begründung. Für das Opfer Kerstin F. ist die Entscheidung „ein ziemlicher Schlag“, wie sie der PNP sagte. Dass der Missbrauch zwar erwiesen sei, das Verfahren wegen formeller Fehler der Kirche aber eingestellt werde, sei „schwer zu verkraften und doppelt frustrierend“.
…Es ist unvorstellbar, wieviel Energie die Kirche einem abverlangt. Wie lange sie versucht, eigene Fehler zu verschweigen und dafür dem Opfer unterstellt, es sei doch alles ganz anders gewesen.
2003/04 wurde der Täter auf alle erdenkliche Weise geschützt. Und hätte ich nicht den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt, hätte ich nach Kirchenrecht nie erfahren, wie unzulänglich dieses Verfahren gegen den Pfarrer war. Opfer haben im Kirchenrecht KEINE Rechtsposition. KEINE Akteneinsicht. Der juristische Beistand muss nach den Regeln der Landeskirche Bayern EVANGELISCH sein und in der Sache die Verschwiegenheit waren.
Und doch pocht die Kirche darauf, sexuellen Missbrauch im Rahmen des Kirchenrechts aufklären zu wollen und zu können.
Dabei können sie noch nicht mal bei erwiesener Schuld des Pfarrers mit einem neuen Verfahren die Fehler korrigieren, die sie im ersten Verfahren gemacht haben.
Und immer heisst es mir gegenüber: Aber die Kirche hat sich doch bei Ihnen entschuldigt. Ja, per Presseerklärung. Ja, vor der Landessynode. Aber an mich ging kein Brief, kein Telefonat. Wie soll ich da das Gefühl haben, jmd. hätte sich entschuldigt, jmd. würde sich damit auseinandersetzten, was das alles für mich heisst.
Die Suspendierung des Pfarrers wird aufgehoben. Er bleibt abgesichert und behält seinen Beruf. Ich bin seit über einem Jahr arbeitsunfähig. Immerhin habe ich eine Anerkennung nach dem OEG erhalten: das bringt eine gewisse Absicherung.
Dass jetzt die Fehler der Landeskirche öffentlich geworden sind ist das Ergebnis eines zermürbenden Kampfes. Und oft habe ich mir gedacht: wie soll da einer durchkommen, der weniger Kraft, Energie, Ressourcen hat. Jmd. der eh schon am Boden liegt… Dann wäre es der Kirche erneut gelungen, den Mantel des Schweigens über die ganze Angelegenheit zu breiten.
Ich hätte mir eine inhaltliche Aufarbeitung gewünscht. Ein Urteil, das die Schuld feststellt. Das werde ich kirchlicherseits nicht mehr bekommen. Mein Kampf mit dem Missbrauch und was er für mich heisst, geht weiter. Der Pfarrer darf weiter das Wort Gottes verkünden und von Vergebung sprechen.
Hallo Kerstin,
genau so wie Du es eben beschrieben hast, habe ich es auch erfahren.
Es wird alles heruntergespielt. Einrichtungen, die etwas zu verschweigen haben, pflegen zu den Opfern ein eher distanziertes Verhältnis. Das zeigt die Verlagerung der Kommunikation auf Presseerklärungen, Telefon-Opfer-Hotlines und eine möglichst rasche pauschalierte Entschädigung. Eine Linie der konsequenten Nulltoleranz wäre hilfreicher gewesen.
Ich frage mich wieder einmal: Wo bleibt da die seelsorgische Kompetenz der Kirche in Krisensituationen? Fehlanzeige!
Oliver
Halte durch!
@Kerstin
Wenn ich das lese, knallt es mir echt den Nuggi raus. Kirchenrecht? Hallo? Dachte eigentlich die Säkularisierung sei durch, also was heisst hier Kirchenrecht, wenn ein Pfarrer Kinder missbraucht, dann ist das ein Fall für die Polizei und der Staatsanwaltschaft, dann gehört der Pfarrer in der Talare und in Handschellen aus der Kirche abgeführt und in Untersuchungshaft gesteckt so wie jeder andere Täter auch. Und falls verurteilt dann soll bitte auch gleich eine Berufsverbot oder wenigstens ein Vollständiges Kontaktverbot zu Kindern ausgesprochen werden, wobei letzteres bereits genügen dürfte damit der sein Beruf an den Nagel hängen kann. Was die Kirche intern mit dem macht oder eben nicht macht, intressiert doch nicht.
Wenn das so läuft das „die“ das selber intern lösen dürfen, ja dann ist schon klar das es niemals vollständig aufgeklärt wird, schliesslich pickt eine Krähe der anderen kein Auge aus.
Für mich hat die Kirche keinen höheren Stellenwert als jede andere Sekte auch und was mit Sekten passiert wo es zu massivem Missbrauch kam weiss man ja oder? Ja, genau da werden alle verhaftet und verurteilt, die Sekte komplett ausgehoben und danach gibt es diese Sekte nicht mehr! Und ganz genau so wie man es mit diesen Sekten macht, genau so soll es bitte schön mit der Sekte „katholische Kirche“ oder „evangelische Landeskirche“ gemacht werden.
Und wenn es tatsächlich noch so was wie „Kirchenrecht“ gibt, was ich aber echt nicht glaube, dann ist es jetzt an der Zeit dieses komplett und ein für alle male endgültig aufzuheben.
Deshalb finde ich es auch völlig irrelevant ob das Disziplinarverfahren eingestellt wurde oder ob es „formelle Fehler der Kirche“ gab, das ist alles Sache der Polizei und der Staatsanwaltschaft und nicht der Kirche.
Und wenn ich das lese und darüber nachdenke, dann ähnelt das ganze ja fast einer kriminellen Organisation, insbesondere wenn man dann noch den anderen Artikel liest, wo interne Gruppen erwähnt werden die gegen den Schutz von Kindern ist, da frage mich ob man die ganze Kirche nicht als eine kriminelle Organisation einstufen und dann auch dementsprechend behandeln sollte. Womöglich kommt dann endlich mal ein bisschen Bewegung in die Sache. Ich meine sorry aber man lässt ja auch nicht die Mafia oder sonst ein Verein irgendwelche Verbrechen „intern lösen“ oder? Gehts noch?! Das ist Sache des Staates in dem diese Verbrechen geschehen sind, das ist Sache der Justiz, punkt aus!
…die Kirchen pochen auch am runden Tisch darauf, dass sie sexuellen Missbrauch selber aufklären und ahnden wollen. Aber wie soll das gehen, wenn Opfer zu reinen „Zeugen“ degradiert sind. Wenn sie nicht als Verfahrensbeteiligte gesehen werden. Kein Recht haben, eine Überprüfung des Verfahrens zu beantragen.
Hätte die Kirche 2003 – so wie es auch die ev. Leitlinien besagen – den dringenden Verdacht der Staatsanwaltschaft gemeldet, dann wäre der Missbrauch noch nicht verjährt gewesen.
Jetzt schreiben sie in jeder Presseerklärung (www.evangelisch-bayern.de), dass ja auch die „umgehend eingeschaltete“ Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hat. Dabei hat sich die Staatsanwaltschaft ‚von Amts wegen‘ eingeschaltet, wegen der Presseberichte. Und das 2010 und eben nicht 2003.
Und am Ende hilft diese unwahre Behauptung allein der Kirche: „Seht, nicht nur wir sind bei der Aufklärung des Missbrauches gescheitert, nein der Staat auch. Nicht nur wir mussten das Verfahren einstellen, nein die Staatsanwaltschaft auch. Nicht nur wir sind die Schuldigen…“
Und so entschuldigen sie sich in der einen Zeile, um in der nächsten eine Lüge für ihre eigenen Zwecke in die Welt zu setzen…
Und sagen mir: jetzt wollen wir mit Dir reden und die Sache schnell beenden.
Ihr wollt beenden – und ich?
Der Missbrauch ist die eine Geschichte. Hier stehe ich noch immer am Anfang. Weil seit März letzten Jahres alle Energie und Kraft in den strukturellen Kampf ging. Die Kirche hier nicht davon kommen zu lassen. Ich habe es nur mit Anwälten der Kirche zu tun – Juristen soweit das Auge reicht. Da ist kein Platz für meine Seele und meine Wunden.
Und nun soll ich dazu beitragen, das schnell zu beenden. In ihrem Sinne versteht sich. Schließlich gibt es keine juristische Verpflichtung der Kirche. Und da ist es doch eine große Geste, jetzt mit mir reden zu wollen…
Wären wir wirklich nach 60 Jahren ein Volk von Demokraten geworden, dann würden wir nicht erst als Betroffene selbst noch aufklären und zu Demos aufrufen müssen.
„Nulltoleranz“ hätte von oben verordnet werden müssen – schon in den 50er Jahren.
Nun steckt die ganze Nation im Schlamassel. Alle wussten von irgendwelchen finsteren Tat-Sachen. Keiner will’s gewesen sein …
Unser DURCHHALTEN aber ist jetzt mehr denn je not-wendig.
Wozu gibt es ein Verfassungsgericht?
Allerings braucht man die nötige Energie und ein
gutes finanzielles Polster, um so ein Verfahren
durchzustehen.
Wer von den Betroffenen hat das schon in so einer Lage?
Mal wieder ein gutes Beispiel, daß staatliche Gesetze oft wenig
mit Gerechtigkeit zu tun haben.
… und mal wieder ein gutes Besipiel für die strukturelle Gewalt, von der wir tagtäglich umgeben sind, die aber beständig geleugnet wird. Für Betroffene von sexualisierter Gewalt eine tagtägliche Retraumatisierungsquelle.
@Kerstin: Vielen Dank für Dein Engagement und die Energie, die Du investiert hast, damit Täter und Institution nicht davonkommen: Ohne Leute wie Dich würden wir immer noch in einer Gesellschaft leben, in der sexuelle Gewalt ein Kavaliersdelikt ist und die Opfer Lügner und Nestbeschmutzer.
Ach so, natürlich leben wir nach wie vor in einer solchen Gesellschaft. Aber wir sind unterwegs woanders hin. Dank auch Deines Engagements! Damit machst Du vielen Mut!
@Christoph(ina)
„was mit Sekten passiert wo es zu massivem Missbrauch kam weiss man ja oder? Ja, genau da werden alle verhaftet und verurteilt, die Sekte komplett ausgehoben und danach gibt es diese Sekte nicht mehr! “
Schön wärs! Satanische Sekte quälen und morden ihre Opfer, ohne entdeckt zu werden. Denn ihre Opfer werden entweder selbst im satanischen Kreis zu Tätern gezüchtet oder sie werden eben bestialisch ermordet, wenn sie nicht mehr brauchbar sind.
Ich hatte Glück, denn ich wuchs in einem Heim auf. Meine Mutter war Mitglied einer satanischen Sekte und holte mich Wochenends immer zu sich. Wäre ich nicht spätestens am Sonntag abend wieder im Heim zurückgebracht worden, hätte man bei ihr nachgeforscht und wäre so auf diese Sekte gestossen. So merkte leider keiner etwas. Ich war zu sehr traumatisiert, mit Morddrohungen zum Schweigen gezwungen.
Und gerade in solchen Sekte tummeln sich auch Leute der obersten Schicht.
Sarah M.
… „Verfahren eingestellt … wegen formeller Fehler der Kirche“ + http://netzwerkb.org/2011/07/27/die-evangelische-kirche-ist-nicht-besser/
Kerstin F. schreibt am 22. Juli 2011 um 00:42 Uhr
„…die Kirchen pochen auch am runden Tisch darauf, dass sie sexuellen Missbrauch selber aufklären und ahnden wollen. Aber wie soll das gehen, wenn Opfer zu reinen “Zeugen” degradiert sind. Wenn sie nicht als Verfahrensbeteiligte gesehen werden. Kein Recht haben, eine Überprüfung des Verfahrens zu beantragen.“
Die freie demokratische Rechtsprechung unseres STAATES steht noch in MMXI stramm vor landeskirchlicher Willkür.
Ihr Fall, Kerstin F., schreit nur so nach RÜCKWIRKENDER AUFHEBUNG DER VERJÄHRUNG und nach einem KURZEN PROZESS gegen diesen staats- und kirchenrechtlich durchtriebenen Klüngel bei Evangelen wie Katholen.
Mein Lösungswegweiser wäre bekanntlich (s. Kommentar 31.7.) „…vor dem Plenum unserer zivilen Volksvertreter die Gründung eines Weltgerichtshofes, speziell für “Verbrechen gegen das MENSCHSEIN als solches” beantragen – denn:
Dann erst kann ein Welt-Ethik-Rat Schluss machen mit Macht-Missbrauch.
Dann erst wird es objektiv gerechte Verfahren geben können, frei von Eigeninteressen der Täter und ihrer oft genug auch finanzkräftigen Lobbys.
Dann erst verliert auch die eid-begründete Bestechlichkeit von Beamten durch ihre Vorgesetzten und obersten Dienstherren ihren Schmuddelstatus.
Dann erst wird Menschlichkeit nicht mehr korrumpiert werden können…
… Schritt 1: WER SPENDET UNS DEN MINDESTBETRAG ZUR PRODUKTION UNSERES MAHN-BALLONS? … alle weiteren Schritte ergeben sich dann aus der gewaltlos-freiheitlich-demokratischen Grundausrichtung …“ – auch dieses Staates, am 22.9.d.J. …