netzwerkB 9.07.2011
Kommentar von Norman Schultz
Warum Verjährung für Straftaten sexualisierter Gewalt gegen Kinder substantiell ungerecht ist.
Opfer frühkindlicher sexualisierter Gewalt können oftmals vor Gericht nicht klagen. Da sie die traumatischen Ereignisse in vielen Fällen über Jahrzehnte verdrängt haben, gelten die Taten in den meisten Fällen für die Strafverfolgung als verjährt. Natürlich spielen bei den Opfern auch Entschädigungen und Therapiekosten eine Rolle, worum es aber in einem weitaus größeren Rahmen geht, ist, ein erfahrenes Leid thematisieren zu dürfen und dieses vor der Gesellschaft. Genau diese Möglichkeit spricht ihnen aber unser Rechtsstaat ab, in der Art wie die Verjährungsfrist für solcherlei Fälle angesetzt ist. Auch wenn die Argumentation lautet, dass wir mit einer Flut von Klagen rechnen müssten oder dass die Beweisaufnahme nach 40 Jahren schwierig sei, muss jedoch unser Rechtsstaat dieses Recht prinzipiell einräumen, um überhaupt gerecht zu sein. Es geht hier also nicht um dieses oder jenes Opfer, sondern um die Frage, ob wir in einer gerechten Gesellschaft überhaupt leben wollen. Wenn wir dieses wollen, so führt kein Weg daran vorbei, den Opfern auch diese Gerechtigkeit im weitesten Rahmen zu gewähren. Um dieses aber genau zu klären, müssen wir auseinanderlegen, was Gerechtigkeit in den Fällen sexualisierter Gewalt eigentlich bedeutet.
Gerechtigkeit als Moral
Gerechtigkeit ist die Frage nach unserem sozialen Miteinander und so als das Moralische in unserer Gesellschaft zu verstehen. Die Frage nach Gerechtigkeit gibt es, so gefasst, nur zwischen Menschen, die miteinander leben wollen. Sie bezeichnet den moralischen Zustand, da alle unsere Interessen ihren Ausgleich finden und der Frieden in der Gesellschaft hergestellt worden ist. Es ist wichtig sich zu merken, dass ich diese Form der Gerechtigkeit als Ausgleichsgerechtigkeit bezeichnen werde, da es hier immer um den Ausgleich von Interessen geht. Es geht bei dieser Ausgleichsgerechtigkeit also nicht so sehr um die Frage, was überhaupt gerecht ist, sondern das vorrangige Ziel ist mit weitblickender Weisheit den Frieden im Staat zu sichern. Daher ist es auch möglich, dass wir einen Täter in seinen Freiheitsrechten einschränken, obwohl das Recht auf Freiheit als unveräußerliches Menschenrecht besteht.
Diese Argumentation wird meines Erachtens nun übertragen, um Verjährungsfristen zu rechtfertigen, da Verdächtige nicht auf alle Zeit verfolgt werden sollen und der Friede im gemeinschaftlichen Miteinander im Vordergrund stehe. Ich möchte allerdings argumentieren, dass dies keineswegs gerecht ist und den Frieden in unserer Gesellschaft nicht langfristig sichert, sondern hingegen ein Problem unausgesprochen lässt, womit viele Opfer ihr Leben lang zu kämpfen haben und die Freiheit des Opfers stärker angreifen als durch einen Prozess in die Freiheit eines Verdächtigen eingegriffen werden würde. Es geht hier in besonderer Weise um Über- und Eingriffe in das Werden einer Person, die erst ihre Freiheit gewinnen muss. Vergehen, die an Kindern begangen werden lassen aus diesem Grund keine Verjährungsfrist zu. Wir müssen uns daher für eine Abschaffung der Verjährungsfrist einsetzen, um langfristig die Rechte von Kindern zu sichern und nicht nur die Rechte der bereits Betroffenen. Dafür werde ich argumentieren.
Gerechtigkeit als Bedingung für das eigene gute Leben (Ethik)
Der Gerechtigkeitsbegriff ist nicht nur als Ausgleichsgerechtigkeit bestimmt, sondern auch in unserer ethischen Lebensweise angelegt. Das heißt: Wir werden kein lebenswertes Leben empfinden können, wenn wir nicht Gerechtigkeit in unserem Leben erfahren und gerecht handeln. Aber was heißt das? Ich gehe davon aus, dass wir uns nur als freie Person fühlen können, insofern wir uns in unserer Freiheit entfalten dürfen. Diese Entfaltungsfreiheit schließt das gegenseitige Verständnis mit ein, dieses auch einem anderen zu gewähren, so wie er es mir gewährt. Ausgleichsgerechtigkeit hat daher nicht ihre Legitimation im bloßen Ausgleich von angeblich objektiv materialen Interessen des Staates. Es geht nicht allein um den Frieden im Staat, sondern es geht mit dem Frieden im Staat um die Freiheit seiner Staatssubjekte überhaupt, die damit den Staat und die Ausgleichsgerechtigkeit erst legitimieren. Jedwede Form der Ausgleichsgerechtigkeit bezieht also ihre Legitimation erst daraus, dass Individuen sich gegenseitig als freie Personen anerkennen. Ein Staat ist daher nicht gerecht, weil er irgendeine Form der Ausgleichsgerechtigkeit praktiziert, sondern weil in diesem Staat durch die Anerkennung der Individuen untereinander die freie Ausgleichsgerechtigkeit als Ideal erst etabliert wird.
Diese Würde des Menschen, sich selbst als frei am anderen zu begreifen, ist Grundlage für jede Form von Gerechtigkeitsvorstellung überhaupt und ist damit die Grundgerechtigkeit. Gerechtigkeit heißt somit vor allem dies: Als freie Person anerkannt werden.
Wie aber wird man eine freie Person, die erst den Staat in seinem Auftrag zur Ausgleichsgerechtigkeit legitimiert? Durch Erziehung zur Freiheit. Kinder müssen daher in besonderer Weise geschützt sein, um später ihre Rolle als freie Person in der Gesellschaft wahren zu können. Werden sie in dieser Weise nicht geschützt, verspielt der Staat seine Legitimation selbst. Verbrechen, die sich also gegen die Freiheit der Kinder richten, sind zu gleich Verbrechen gegen die Grundfeste des Staates selbst und gegen alle Mitglieder seiner Gemeinschaft und verlangen daher besonderer Beachtung.
Bestreitbarkeit von allgemeingültiger Gerechtigkeit
Ausgleichsgerechtigkeitsbegriffe sind ihrer Natur nach umstritten, da diese Gerechtigkeitsbegriffe erst in Gesellschaften auf den Weg kommen. Zum Beispiel: Wie viele Jahre Freiheitsstrafe soll es für Steuerhinterziehung geben? Welche Strafen für Diebstahl? Wie hoch sollen Entschädigungen sein? Diese Fragen werden in verschiedenen Staaten moralisch verschiedentlich behandelt. Daher lautet die Behauptung Gerechtigkeit sei zurückgebunden an die jeweilige Gesellschaft und relativ. Eine pluralistische Moderne mag hier die Runde für den Debattierclub als eröffnet ansehen. Gerade im westlichen Staatsverständnis setzt sich die Forderung nach Ausgleich gleichberechtigter Interessen durch. Hierbei verliert unsere Gemeinschaft in vielen Fällen die Übersicht und vor allem den Blick auf das Individuum, das Ursprung dieser Ausgleichsgerechtigkeit ist. Dieses Individuum verliert im Theoriegebäude der Ausgleichsforderungen seinen Stellenwert. Erst dieses Individuum als freie Person aber fundiert doch mit allen anderen Individuen als freie Personen den Bezugsrahmen unter dem Ausgleichsgerechtigkeit erst möglich ist. Daher muss dieses Individuum bei jeder Ausgleichsgerechtigkeit besonders berücksichtigt werden und dieses gilt insbesondere bei Fällen sexualisierter Gewalt. Denn bei sexualisierter Gewalt steht weniger die Frage nach Ausgleich im Vordergrund, sondern die Frage nach Grundgerechtigkeit.
Die Herausforderung sexualisierter Gewalt an unser Gerechtigkeitsverständnis
Frühkindliche sexualisierte Gewalt fordert unser Verständnis von Ausgleichsgerechtigkeit aus vielerlei Gründen heraus, vor allem aber, da das Kind hier einer Grundfreiheit tiefgehend beraubt ist. Hier geht es nicht um zivilrechtlichen Ausgleich, denn die Waage der Justizia kann nicht mehr ins Lot gebracht werden.
Ich will das mal an Beispielen verdeutlichen:
Prämisse 1: Person A verprügelt Person B
Prämisse 2: Person B verklagt Person A und erhält Recht. Person B erhält damit eine Entschädigungszahlung und Person A eine Haftstrafe.
Konklusion: Die Ausgleichsgerechtigkeit ist hergestellt.
Dieses Argument verkennt einen wichtigen Aspekt. Zwar ist Person B von Person A entschädigt worden, das heißt aber nicht, dass die etwaige Demütigung und die Folgen für die Psyche von Person B beseitigt worden sind. Im Falle des Kindermissbrauchs wird das deutlicher:
Prämisse 1: Person A missbraucht Person B sexuell.
Prämisse 2: Person B verklagt Person A und erhält Recht. Person B erhält damit eine Entschädigungszahlung und Person A eine Haftstrafe.
Konklusion: ?
Warum zögern wir hier davon zu sprechen, dass Gerechtigkeit wiederhergestellt worden ist? Weil wir davon ausgehen, dass hier nicht nur irgendeine Form des gerechten Zusammenlebens verletzt worden ist, sondern die Gerechtigkeit überhaupt. Wir glauben, dass hier die Gerechtigkeit, die die Grundlage für uns als freie Personen ausmacht, verletzt worden ist. Was in Beispiel I nur diffus sichtbar war, erscheint uns in Fällen sexualisierter Gewalt als offensichtlich.
Im Falle der frühkindlichen, sexualisierten Gewalt nimmt der Täter das Opfer nicht mehr im Rahmen der persönlichen Freiheitsrechte wahr und schädigt dieses Opfer dabei so nachhaltig, dass in den meisten Fällen Wiedergutmachung einfach nicht zu leisten ist. In diesem Sinne ist die Frage nach Gerechtigkeit keine Frage mehr, die sich auf materiale Entschädigung bezieht, die vielleicht nach einem Verständnis von Ausgleichsgerechtigkeit verhandelbar wäre. Ausgleichsgerechtigkeit kann hier nicht mehr walten, da das Opfers selbst so massiv in seiner Integrität beschädigt worden ist, so dass anscheinend nichts dieses mehr zurücknehmen kann.
Die Verunmöglichung der Freiheit bei sexualisierter Gewalt
Um es klarer zu sagen: Der Täter schädigt das Opfer nicht nur in dem Moment der Tat mit vielleicht physischen Verletzungen, sondern greift tief in die Entwicklung zu einer freien Persönlichkeit ein. Freie Persönlichkeitsentfaltung ist aber Voraussetzung dafür, dass Ausgleichsgerechtigkeit überhaupt ihre Grundlage findet.
Was wir als physischen Vorgang beobachten, bedeutet den Schrecken erst auf der psychischen Ebene, deren Dimension wir nur in Gesprächen erfahren, aber niemals vollends erfassen können und nicht nach Fragen der Ausgleichsgerechtigkeit abhandeln können. Der Täter zerstört den Bezugsrahmen für eine gesunde Psyche womöglich unwiderruflich, da er das Opfer zwar „nur“ in seiner Physis attakiert, darüberhinaus aber viel stärker in seiner freiheitlichen Selbstbestimmung zum Objekt degradiert. Diese Demütigung ist so einschneidend, da das, was uns als Menschen ausmacht, nämlich unsere persönliche Freiheit, in einem Stadium übergangen wird, da diese sich erst entwickelt. Unser Körper, den wir immer selbst besitzen, aber dem wir zugleich auch ausgeliefert sind, wird bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder nur auf das reine Körpersein reduziert und das, was wir vielleicht als Seele in Form unserer freien Selbstbestimmung bezeichnen können, wird somit so stark mit den erzwungenen sexuellen Handlungen verdinglicht, dass ein Entfremdungseffekt beim Opfer zu sich selbst seinen Ursprung nehmen muss. Das heißt das Opfer kann sich nicht mehr so leicht in seiner Freiheit begreifen und wird biographisch immer auf seine Geschichte als Opfer zurückbezogen sein.
Das ist natürlich keine Psychologie, die ich hier beschreibe, sondern nur die Analyse unseres Verständnisses von freien Personen. Was sind die Grundvoraussetzungen dafür, dass ein Mensch sich als vollwertige Persönlichkeit unserer Gesellschaft mit aller Selbstgewissheit erfahren kann? Hierzu gehört unweigerlich, die Anerkennung und Einbeziehung als freie Person in diese Gemeinschaft. Dieses aber wird der sich entwickelten Persönlichkeit verwehrt.
Unser Selbstverständnis müssen wir in Auseinandersetzung mit der Welt gewinnen, wenn wir im Falle der sexualisierten Gewalt aber als Gegenstand in der Welt zur Welt nur noch in dieser Weise dazugenommen werden, so ist der Zugang zur Welt als solcher durch allerlei Hindernisse verstellt. Erschwerend kommt hinzu, dass der Täter sein Opfer nicht nur als Gegenstand behandelt, sondern noch als Person mit Freiheit, die er zum Gegenstand degradieren kann. Warum muss er denn einen Menschen wählen? Es geht also nicht rein um Befriedigung der Sexualität, sondern dem Täter geht es selbst immer schon um den Angriff auf die Freiheit des Menschen überhaupt. Es muss doch klar sein, dass die Schuld nicht beim Opfer liegt, daher kann nur ein hemmungsloser Sexualdrang, der in Bezug auf die Degradierung der Freiheit eines anderen ausgeübt wird, das Motiv sein. Dieses Motiv aber ist damit nicht nur ein Angriff auf eine andere Person, das Tätermotiv ist bestimmt durch eine tiefgreifende Ablehnung gegenüber eines Prinzips, das unseren Staat erst ausmacht. Die Dimensionen sind hier also begrifflich noch in vielfältiger Weise zu erweitern und zu durchdenken, wichtig aber ist, dass der Täter das Opfer so schädigt, dass keine Ausgleichsgerechtigkeit mehr geschehen kann, da niemand dem Opfer seine freie Persönlichkeitsentfaltung zurückgeben kann und das Opfer sich immer nur unter dem Eindruck seiner psychischen Reduzierung auf Gegenständlichkeit nachhaltig bewegen kann. Da er dieses aber auch will handelt es sich nicht nur um einen Angriff auf eine Person, sondern um eine nachhaltige Störung der gesellschaftlichen Gerechtigkeit und nicht nur ihres momentanen Friedens. Dieses hat damit der Täter zu verantworten.
Die Waage der Justizia kann in diesen Fällen nie wieder zum Ausgleich gebracht werden. Kein weltliches Verfahren kann Wiedergutmachung für die Opfer leisten. Auch wenn der Täter lebenslang hinter Gittern verbringt, er seine Einsicht zeigen mag, um Wiedergutmachung ringt, wo erst ein Mensch sich so tiefgreifend als Nichts erfahren musste und so stark in seiner Entwicklung entwertet wurde, dort kann sich das Opfer nicht mehr ohne Weiteres in der Welt die Freiheit zurückgewinnen. Das Ringen um das Selbst, wird zur existentialen Frage, die erschüttert ist, von dem Erlebnis nur das niedrigste Ding unter den Dingen sein zu müssen und nicht, wie es dem Wesen des Menschen gemäß ist, sein eigener und letzter Wert (Zweck) wahrgenommen zu werden.
Wie könnte eine Entschädigungszahlung diesen Wert des Selbst-Seins zurückgeben? Wie könnte ein Wert aufwerten, was überhaupt erst Werte spontan erzeugen kann. Der Mensch in seiner Freiheit ist durch kein Geld der Welt wieder herstellbar. Hier sind Kinder von einem Täter in ein Schicksal ohne Schuld eingefügt worden und das ohne Recht auf das, was jedem zusteht: Ein ungestörtes Selbst sein zu dürfen. Ein anderer Mensch hat sie mit klarer Absicht in ihrer Freiheit entwertet und dies ist die tiefste Ungerechtigkeit, die empfunden werden kann. Dieses ist die Ungerechtigkeit man selbst sein zu müssen, zugleich die Ungerechtigkeit nicht ein anderer sein zu dürfen und zuletzt nicht man selbst sein zu können. Das Selbstverhältnis gerät hier in die stärkste Störung, die Welt überhaupt auslösen kann.
Natürlich Entschädigungszahlungen helfen, die Opfer bekommen notwendige Therapien, die vage Möglichkeit sich selbst zurückzuerlangen. Doch darin liegt keine Garantie. Für viele Opfer verbleiben Selbstzweifel ein Leben lang in Form einer zerrissenen Psyche, die auch nur frei sein will. Die Vergangenheit holt sie immer wieder in ihre Dunkelheit des ungewissen Selbst zurück. Das Vergessen kann die Geworfenheit in das eigene Schicksal nicht verbergen. Hier ist die Ungerechtigkeit Opfer sein zu müssen, obwohl er oder sie doch Person ist. Doch wäre die Alternative ein Leben ohne Vergangenheit zu führen? Wir können uns nur in Auseinandersetzung mit unserem Werden gewinnen, ein Verdrängen ist kein Glück, aber Erinnern auch nicht mehr. Das Verhältnis des Menschen in sich selbst, zu dem seine gesamte Vergangenheit dazu gehört, ist gestört. Vergessen ist oftmals die einzige Alternative, um nicht die Schmerzen noch mal zu erleben, doch zu einem Menschen gehört doch seine gesamte Existenz.
Was bedeutet dies für unsere Gesellschaft?
Da wir Schaden schnell in Verbindung mit verrechenbaren Zahlen bringen, so erweckt es den Anschein als könnte eine Geldsumme überhaupt so etwas wie Entschädigung leisten und die Waage der Justizia wieder ins Lot bringen. Natürlich sind die Opfer zumeist finanziell ruiniert, da sie nicht mehr arbeiten können und ein aufwändiges Therapieprogramm verfolgen müssen, wenn sie denn überhaupt eines zur Verfügung gestellt bekommen. Viel schlimmer aber ist, dass dem Opfer eine Entfaltung der freien Persönlichkeit genommen worden ist. Was hätte aus ihm werden können, wenn seine Freiheit nicht schon so früh und so nachhaltig eingeschränkt worden wäre? Ein hartgesottener Liberaler mag hier nun auf die prinzipielle Freiheit des Individuums pochen, sein Leben immer wieder neu beginnen zu können, wo aber das Selbstvertrauen in einer so gravierenden Weise und die ganze Persönlichkeitswahrnehmung im Rahmen der eigenen Körperlichkeit so tief zerstört worden ist, da wird die persönliche Geschichte zu einer Frage, die jedes Ereignis im Alltag bestimmt. Die Freiheit eines Menschen muss sich in einem gesunden Verhältnis zur Welt erst ausprägen, geschieht dies in dieser Weise nicht, so nützen alle Floskeln nichts mehr: „Reiß dich zusammen!“, „Vergiss, was nicht zu ändern ist!“ oder „Denke positiv!“ Jeder Motivationskünstler kommt hier an seine Grenze. Das Opfer hat einen Raub erlitten, das ihm kein anderes Gut der Welt ersetzen kann, die eigene Möglichkeit zur Freiheit in einer unbeschwerten Persönlichkeit ist ihm genommen. Die Person als Opfer, die Person, die erst allen Werten Wert gibt, hat es unermesslich schwer, die Festigkeit zu gewinnen, die es braucht, um überhaupt noch die Welt würdigen zu können. Mit dem verlorenen Selbstbewusstsein steht auch immer das Weltbewusstsein in Frage und mit dem Weltbewusstsein immer auch das Selbstbewusstsein. Wer sollte dieses jemals wieder ins Lot bringen können, wenn nicht das Opfer überhaupt selbst?
Damit ist die Ausgleichsgerechtigkeit im Prinzip nicht mehr zu bearbeiten, da ein Interessensausgleich unmöglich ist. Daher auch die strengen Forderungen der Bevölkerung für Täter solcher Vergehen wieder die Todesstrafe einzuführen, denn bei solchen Verbrechen kommt der Verstand an seine Grenze, den Schaden im Rahmen der Welt überhaupt zu verstehen. Was hier aber zerstört worden ist, ist das Transzendente selbst, nämlich der Mensch, der sich als Freiheit zum Grunde erfahren muss. Daher sind die Zahlungen der Kirchen an Geschädigte immer nur ein lächerlicher Handel. Symbolisch zwar, aber keineswegs reizen sie damit ihre noch zu gehenden Wege aus.
Warum also überhaupt Ausgleichsgerechtigkeit für die Opfer?
Die Opfer dieser Taten bedürfen Gerechtigkeit, um sich selbst zum Teil als Teil der Gesellschaft fühlen zu können. Dieses haben gerade Opfer der frühkindlichen sexualisierten Gewalt nötig, da sie in ihrer Reifung zur vollwertigen Person so nachhaltig gestört worden sind, dass sie sich nicht mehr selbst als freie Personen erleben können, die sie vom Rechtsanspruch her aber darstellen. Es ist somit eine Überwindung für das Opfer überhaupt einen Prozess anzustrengen und bereits ein Teil der Rückgewinnung der eigenen Freiheit über die grausame Vergangenheit.
Die Verjährungsfristen daher schon ab dem 18. Lebensjahr oder dem 21. Lebensjahr beginnen zu lassen, da in diesem Jahr eventuelle Abhängigkeitsverhältnisse zum Täter (zum Beispiel zum Vater) gelöst sein sollen, geht von einer physischen Persönlichkeitsentfaltung im Rahmen der Gehirnentwicklung aus. Die Persönlichkeitsentfaltung aber gelangt erst zu ihrer Entstehung, wenn der Ursprung, das freie Selbstverhältnis zu sich selbst wieder gesetzt worden ist. Dieses ist nur bedingt von den gesellschaftlichen Mittelwerten abhängig, sondern müssen wir immer auch hinsichtlich psychologisch-biographischer Konstellationen berücksichtigen. So besteht zum Beispiel die Abhängigkeit zum Täter über die Jahre der rechtlichen Volljährigkeit hinaus und entäußert sich in allerlei psychischen Problemen. Dieses reicht von der absoluten Verdrängung der Ereignisse bis hin zur Unfähigkeit sich geordnet mit der eigenen Lebensgeschichte auseinandersetzen zu können. Die Verjährung also pauschal ab dem 18. oder 21. Lebensjahr beginnen zu lassen, ist keinesfalls angemessen im Verhältnis zur Tat.
Genau genommen konnten Opfer sich nie als Teil einer gerechten Ordnung empfinden, denn erst das Erlebnis der Gerechtigkeit kann ihnen die freie Persönlichkeit geben, die sie sind. Da sie aber das Schicksal als tiefste Ungerechtigkeit erleben mussten, sich nur als Objekt in einer degradierenden Beziehung zu einem Menschen verstehen durften, muss in ihnen erst das Grundfest unseres Staates gesetzt sein und das heißt sich als freie Person vollständig zu begreifen, so dass überhaupt die Frage nach der Gerechtigkeit gestellt wird. Damit aber ist nicht die Frage nach der Volljährigkeit entscheidend, sondern die Frage nach der ersten Anerkennung ihrer Person, die durch den Täter auf Jahre hinaus verstellt worden ist.
Zur Verjährung
Der Rechtsanspruch an Opfer nach dem 18. oder 21. Lebensjahr als eine freie Person mit einem biologisch abhängigen Gehirnpotenzial ist verfehlt. Diese Opfer können oft über Jahre hinaus diese moralische Gerechtigkeit des gesellschaftlichen Miteinanders nicht nutzen. Woran liegt das aber, dass sie diese moralische Gerechtigkeit nicht rechtzeitig nutzen können? Nun der Grund, dass diese Personen als Opfer, das nicht können, liegt beim Täter. Damit ist meines Erachtens der Verjährungsgrundsatz auch abzulehnen, denn der Täter ist Grund dafür, dass es zur Verjährung kommt. Zwar hat er dieses nicht durch Arglist erwirkt, doch aber durch eine Missachtung der grundsätzlichen Freiheitsrechte eines Menschen bewirkt.
Hinzu kommt verschärfend, dass gemäß der ethischen Auffassung von Gerechtigkeit, eine Person sich nicht eher als Person in einer Gesellschaft erfahren kann, als dass sie Grundgerechtigkeit erfährt. Das bedeutet, dass sie in allen Belangen als uneingeschränkt freie Person wahrgenommen wird. Diese Freiheit ist ihr aber mit der ersten Ablehnung als Person in ihrer frühen Kindheit genommen wird. Die Person als Opfer konnte sich nicht früher zurückgewinnen und womöglich kann sie sich auch erst nach einem gerechten Verfahren zurückgewinnen, wo sie zum Beispiel erfährt, dass die Ereignisse nicht eigenes Verschulden waren, sondern einem fremden Menschen, der sie selbst nicht sind, zuzuschreiben sind und das auch, wenn das Verfahren in seiner Anlage naturgemäß schwierig ist, da die Beweislage alles andere als einfach ist.
Natürlich sind die Opfer freie Personen, diese Freiheit wird aber immer wieder durch die Erlebnisse so stark eingeschränkt, so dass sie selbst immer wieder gezwungen sind, an ihrer Freiheit zu zweifeln. Daher ist es ein Verbrechen des Staates gegen sich selbst, dass diese massive Beschädigung teilweise nicht mal mehr im Rahmen der Ausgleichsgerechtigkeit zur Anzeige gebracht werden kann, weil eine angebliche Verjährung eingesetzt hat. Dort hat ein Täter einem Menschen seine Freiheit der unbeschwerten Vergangenheit in der Weise genommen, dass er sich erst viele Jahre danach als Person in Bezug auf diese Vergangenheit zurückgewinnen kann. Dieser sich zurückgewinnenden Person diesen Rechtsanspruch zu verweigern, heißt dass der Staat das Verbrechen des Täters fortsetzt. Der Staat erkennt im Weiteren wie der Täter nicht die sich gewinnende Persönlichkeit des Opfers an. Damit wird das Verbrechen des Täters aber auch zu einem Verbrechen des Staates gegen sich selbst.
Diese Grundgerechtigkeit gegenüber dem Opfer, sich selbst gewinnen zu dürfen, ist erst die Grundlage für Ausgleichsgerechtigkeit, daher muss der Staat auch ein Interesse daran haben, diese Chancen einzuräumen. Tut er dieses nicht aufgrund der Tatsache, dass er irgendwelche Ausgleichsgerechtigkeiten in Form von Verjährung gewähren will, so nimmt er dabei Gerechtigkeit in Anspruch, die er dem Opfer in diesem Moment nicht zugesteht. Dieses ist ein performativer Selbstwiderspruch, das heißt er sagt Ausgleichsgerechtigkeit performativ dem Täter zu, obwohl er dem Opfer keine Gerechtigkeit gewährt und sich als Staat damit selbst die Grundlage für mögliche Ausgleichsgerechtigkeit entzieht. Die Grundgerechtigkeit für das Opfer ist aber in jedem Fall höher zu werten als die Ausgleichsgerechtigkeit für den Täter.
Ein Argument, warum Verjährung ungerecht ist
Ich spreche also von objektiven Gründen aus der Anlage unseres Rechtsstaates, die die Aufhebung der Verjährungsfrist fordern. Mein Argument besteht darin, dass das Opfer sich erst unter der Perspektive der Gerechtigkeit aus dem Abhänigkeitsverhältnis des Täters beginnen kann zu lösen. Zu Deutsch: Es gehört Mut in Form von Selbstbewusstsein dazu, sich einer Öffentlichkeit zu stellen und darüber hinaus über ein Verbrechen an der eigenen Intimität des Selbstseins im Rahmen eines Gerichtsprozesses zu berichten. Erst nach einem Prozess könnte daher eine Verjährungsfrist beginnen, was mit dem Prozess dann aber hinfällig ist. Zum Anderen zeigt sich klar, dass die Verjährung selbst Teil des Verbrechens ist, auch wenn der Täter diese Verjährung nicht intentional erzwingen wollte, so war die Verdrängung des Opfers aufgrund der schweren Schädigung doch Teil seiner Tat. Zu Deutsch: Er wusste bei der Straftat, dass er das Opfer in seiner prinzipiellen Freiheit beschädigt.
Wir können es auch in einem Gedankenexperiment verdeutlichen: Wenn ein Opfer von einem Mann für 45 Jahre ins Koma geprügelt wird. Warum hätte das Opfer nach 45 Jahren, wenn es erwacht, nicht mehr das Recht, diese Tatsache zur Anzeige zu bringen?
Prozesskosten können hier zwar zynische Gründe eines überforderten Rechtssystems sein, aber diese sind keineswegs gerecht. Auch die Schwierigkeit, einen Prozess aufgrund der komplizierten Beweislage führen zu können, halte ich für unangemessen, da die Beweise erst mit dem Erstarken des Bewusstseins des Opfers zu Tage kommen. Zudem müssen die Beweise auch erst in einem gerechten Verfahren geprüft werden.
Ungeachtet dieser Gründe möchte ich nochmals mein Argument schärfen: Erst mit der Eröffnung eines gerechten Verfahrens wird dem Opfer in einem Staat die Möglichkeit gegeben sich als Person in diesem Staat zu gewinnen. Daher kann eine Verjährung nicht an Gehirnpotenzialen (vollständige Entwicklung des Gehirns mit 18 soll Garant für Persönlichkeit sein?) gemessen werden, sondern es darf für solcherlei Fälle überhaupt keine Verjährung geben.
Ich will es noch mal sagen, der Prozess ist eine wichtige Möglichkeit für das Opfer sich als Mitglied in einer gerechten Gesellschaft zu verstehen, daher ist es nicht nur Aufgabe des Opfers dieses für sich einzufordern, sondern der Rechtsstaat muss dieses unterstützen, um sich selbst als gerechter Staat konsistent verhalten zu können. Konsistent verhält der Staat sich nämlich nur, wenn er von den Mitgliedern fordert Gerechtigkeit selbst zu verlangen um umgekehrt wieder legitimiert zu sein.
Erschwerend hinzu kommt, dass die Form der Gerechtigkeit, die erst im Individuum ihren Ausgang nimmt, höher zu bewerten ist als die Form der Ausgleichsgerechtigkeit, die nur unser Zusammenleben regelt. Es gibt keine anwendbare Ausgleichsgerechtigkeit, solange das Opfer nicht als Mitgleid einer gerechten Gesellschaft rehabilitiert worden ist. Darüber hinaus kann es aber für das Opfer ohnehin so gut wie keine Ausgleichsgerechtigkeit mehr geben, da das erfahrene Leid nicht mehr zum Ausgleich zu bringen ist. Das Opfer hat zwar dennoch Recht auf Entschädigung (Erstattung der möglichen Verdienstausfälle, Therapiekosten, Schmerzensgeld), das Eigentliche kann aber nicht mehr zum Ausgleich gebracht werden, nämlich die bis an die äußerste Grenze geschwundene Möglichkeit sich selbst zu gewinnen. Das Verfahren selbst aber ist ein erster möglicher Schritt zur Rehabilitierung des Opfers vor sich selbst als Person, die sich selbst gewinnen will. Dieses muss im Rechtsstaat Vorrang vor jeder Ausgleichsgerechtigkeit haben.
Schlussfolgerungen
Die Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt ist eine Auseinandersetzung mit den Grundlagen unserer Gesellschaft. Es geht nicht nur um das gestörte friedliche Zusammenleben, sondern um die Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft überhaupt. Es geht um das, was erst Gerechtigkeit stiftet, die Gewähr sich als Kind frei entfalten zu dürfen und sich als freie Person ergreifen zu können. Wenn wir diese Rechte nicht uneingeschränkt zugestehen, so negiert der Staat, freie Person sein zu dürfen und setzt die Tat des Täters fort. Dieses sollte jedem Richter oder Staatsanwalt bewusst sein, der für Verjährung argumentiert. Und noch eine viel drastischere Konsequenz ergibt sich daraus: Strafverfolgung auch über den Tod der Täter hinaus. Denn es geht hier nicht (nur) um Ausgleichsgerechtigkeit zwischen Täter und Opfer, sondern der Rechtsstaat übernimmt hier die Rolle dem Opfer seine Reifung zur Person zu bestätigen und hat damit eine therapeutische Funktion für das Opfer und für sich selbst. Es geht also um eine erste Form der Anerkennung der Opfer. Der Staat kann sich hier nicht nur prozedural verhalten, sondern muss substantiell tätig werden. Er stellt nicht nur Interessensausgleich her, sondern kämpft für die Gerechtigkeit, die ihn selbst erst legitimiert.
Und so kämpfen die Opfer auch nicht nur für sich, sondern für das, was unseren Staat von seinem Grunde her bestimmt: Endlich eine freie Person sein zu dürfen. Verjährung im Falle von frühkindlicher sexualisierter Gewalt muss aufgehoben werden.
GRANDIOS!!!!! Aus tiefstem Herzen DANKE dafür!!!
Und für die Mühe, die Sie sich gemacht haben, zum Kern der Schädigung durch sexualisierte Gewalt und der Gerechtigkeitsfrage durchzudringen.
DANKE!!
Es ist kaum noch nach zuvollziehen wie schwer es ist das Prinzip der Gerechtigkeit zu erklären, und selbst das Prinzip der Ausgleichsgerechtigkeit. Wo bei ich mir die Frage erlaube: Gibt es das wirklich?
Ich denke eher: Nein oder vielleicht ein nur: Vielleicht?!? Ich bin auf jeden Fall für eine Sicherheitsverwahrung für einen Menschen, in seiner sexuell gestörten Persönlichkeit, auf Lebenszeit, und für die Aufhebung von verjährungsfristen. Den Täter vor sich selber schützen, sollte das Motto sein. Den wer Täter vor sich selber schützt, schützt gleichzeitig auch neue Opfer.
Ist der Täter dann vor sich selber geschützt ist es auch ein gutes Gefühl.
Bleibt da noch zu klären: Was passiert mit denen, die auch noch diese Täter schützen? Auch diese gehören dem weltlichen Gericht zu geführt. Wäre es nicht langsam an der Zeit etweilige bestehende Imunitäten, mit sofortiger Wirkung auf zu lösen, um zumindestens dem Privileg der Gleichberechtigung genüge zu tun, dass auch die bestraft werden die Täter schützen. Ist das mit dem Gerechtigkeitssinn noch vereinbar einem Menschen das Privileg der Unfehlbarkeit zu dogmatieren, ob wohl wissentlich es keinen unfehlbaren Menschen gibt unter den ca.8 Milliarden Menschen auf dieser Erde? Ist das nicht schon der Anfang der Heuchelei zu glauben es gibt einen einzigen Menschen der unfehlbarkeit?
Doch was bleibt dem Opfer? Eine Art der Wieder- gutmachung, vielleicht sogar mit einer materiellen Endschädigung? Kann das einer Seele WIRKlICH helfen sich selber wiederzufinden um ein: ICH DARF SELBST MENSCH SEIN, und gibt es WIRKLICH diese Freiheit um ein WIRKLICH freier Mensch zu sein?
Irgendwie sind wir zum Teil wieder doch vom Wohlwollen anderer Menschen ein Stück abhängig, von daher wird es niemals die grenzenlose Freiheit im Ganzen geben.
Nur ein kleines Beispiel: Möchte ich das tägliche Brot essen, ist der Anfang des Brotes das Samenkorn, dass der Landwirt in der Boden legt, damit eine Frucht daraus wird, die er eines Tages wenn das Wetter es gut meint ernten darf, um es zu den Menschen zu bringen die es dann zu Brot weiterverarbeiten, damit ich es eines Tages genüsslich und dankbar verspeisen darf….
Der Gedanke der völligen Freiheit ist von daher schon ein ungerechter Selbstbetrug, und niemals WIRKLICH zu verwirklichen. Selbst wenn es der Menschheit es gelingen würde es WIRKLICH hinzubekommen, gäbe es da noch ein kleines Problem: Das Wetter fragt uns Menschen nicht was WIR wollen, sondern macht das was es will, und schon ist der erste Mensch schon wieder unzufrieden, weil er sich vielleicht Sonne wünscht in dem Moment wo es regnet, unde er das als ungerecht empfindet, weil sein Wunsch nicht seiner Erwartung entspricht. Und wem gibt er dann die angebliche Schuld, ohne zu erkennen das er selbst es ist der einer falschen Erwartung unterlegen ist, dass das Wetter sich nach seinen Wünschen richtet: Dann hat Gott schuld, obwohl der Mensch etwas falsch erwartet hat. So ist halt der Mensch, der gerne sich lieber selbstbelügt, als zu sich selbst zu sagen: Ich Esel habe mich selbst betrogen, weil Gott kann doch nichts dafür wenn ich etwas erwarte, und es dann nicht SO eintrifft wie gewünscht, dass ich lernen muss zu es zu akzeptieren, auch wenn ich mir etwas anderes wünsche. Herzliche Grüsse für das Loslassen von falschen eigenen Erwartungen.
Lieber Herr Bruns,
sie haben natürlich vollkommen Recht, die Forderung nach Freiheit im Rahmen einer Gerechtigkeit zu hinterfragen, da es diese nicht im absoluten, realen Maße geben kann. Wir sind alle mehr oder minder schwer davon betroffen, wie stark unsere eigene Freiheit durch die Außenwelt eingeschränkt ist. Dies ist wohl gerade in Bezug auf die Natur sehr deutlich, wie sie es ja auch darstellen (auch wenn hier eine Freiheitsdebatte begonnen werden könnte, dann aber streiten wir über Determinismus und Freiheit).
Im Umgang mit Menschen aber, halte ich dafür, dass wir uns zwar gegenseitig einschränken, wir doch aber immer auch Freiheit als Grundlage unseres Miteinanders annehmen und zwar annehmen müssen. Damit ist nicht gesagt, dass Freiheit real sein muss, sondern dass wir keine Wahl haben im Umgang mit Menschen als diese Freiheit zu unterstellen, andernfalls würden wir alle Prinzipien der Gerechtigkeit unterlaufen.
Sie haben Recht, wenn sie diese Freiheit als Fundament meiner Argumentation kritisieren. Ich sehe allerdings keinen Weg um die Unterstellung der Freiheit. Diese ideale Unterstellung der Freiheit gehört dazu, wenn wir andere Menschen ernst nehmen. Unterstelle ich diese nicht und behandle ich andere Menschen wie Dinge unter Dingen, so begehe ich ein Verbrechen. Dieses kann in verschiedener Form der Fall sein, erscheint mir aber im Falle sexualisierter Gewalt am radikalsten, weil der Täter es ja darauf anlegt, ein freies Wesen zu missbrauchen. Der Mensch, der zwar auch Körper ist, lässt sich doch im Miteinander nie auf den Körper reduzieren, sondern muss immer als frei und selbstbestimmt gefragt und behandelt werden und dieses ist die Grundlage für unsere Gerechtigkeit. Wir verhandeln mit Menschen, die ideal unterstellt gleichwertig wie wir sind, die wir nicht einfach unterwerfen können, sondern die immer gefragt sein wollen. Woher wissen wir das? Weil wir denselben Gerechtigkeits- und Freiheitsanspruch auch für uns erheben. Mit der Erhebung dieses Anspruchs aber können wir Freiheit nicht mehr bezweifeln ohne diese zugleich in Anspruch genommen zu haben. Diese Argumentation des performativen Widerspruchs nach Apel und Habermas habe ich versucht auf die Thematik sexualisierter Gewalt gegen Kinder in besonderer Weise hervorzuheben.
Ich kann durchaus nachvollziehen, dass Sie es wiederrum schwer haben nachzuvollziehen, warum ich hier überhaupt noch das Prinzip der Gerechtigkeit in Anspruch nehme. Es gibt mit Sicherheit auch andere substantielle Argumentationen, wovon sie eine vorgeschlagen haben. Mir erscheint aber der Beitrag zur Prinzip der Gerechtigkeit einerseits als ergänzend, andererseits auch als der im Rahmen des Rechtsstaates als der schlagkräftigere Beitrag, da ich mich versuche auf das zu beziehen, was der Rechtsstaat in besonderer Weise versucht, in Anspruch zu nehmen.
Aber wie sie wahrscheinlich auch frage ich mich, warum wir überhaupt über Verjährung diskutieren, da wohl vielen ganz intuitiv einleuchtet, dass diese Form der Verjährung ungerecht sein muss. Hier wird für mich nur deutlich, dass wir in einer fortschreitenden Gesellschaft unsere verschiedenen Intuitionen immer weiter vermitteln müssen.
Dieses gilt auch für mich, denn auch wenn ich zum Beispiel das Prinzip der Gerechtigkeit in Anspruch nehme, so kann ich mich nicht auf die intuitive Einsichtigkeit berufen und muss weiter argumentieren, daher danke ich ihnen für diesen Beitrag.
Norman Schultz
Ich finde es gut beschrieben , das mit der unterdrückten Persönlichkeitsbildung keine Volljärigkeit nach dem Alter gemäß entwickeln kann .
Ich meine , das so mancher Täter , sich schon um seine Taten gedanken macht .
Denn mein Täter sagte zu mir , das ich als er das mit mir angefangen hätte , er es nach meinen 18 Geburtstag gemacht hätte .
Und es kein Mißbrauch war weil sein einziges Teil ,ich nie zu gesicht bekommen hätte .
Das sagt mir , das mein Täter , sich mit der Belangbarkeit seiner Taten beschäftigt hat .
Und denke auch ,das , das weiter noch nach dem 18ten Lebensjahr unterdrückt wurde , das man nicht erwachsen werden durfte weiter ,bis es nicht mehr anzeigbar war .
Auch die die Kliniken haben es nicht bemerkt oder hatten freudche theorien.
Was dem Täter zu gute kam .Mich dann weiter klein halten zu können .
Ich denke auch , das die Verjährung , erst anfangen dürfte , bis man als Opfer sich so weit es geht , entwickeln darf , das es gestärkt den Täter anzeigen kann .
Mit Leuten die zu einen stehen .
Auch das man nicht mehr ein Abhängigkeitsverhältniß mehr zu dem Täter hat .
Denn so lange getraut man sich ne Anzeige schon gar nicht .
Das die Verjährung erst beginnen darf , wenn man ein so gut wie möglich ,ein geregeltes , gesichtertes Leben führen kann .
Oder aber auch , wenn einem erst bewust wird ,was früher geschehen ist .
Weil es so verdrängt war .
Oder das ganze Ausmaß , erst viel Später erst ,bewust wird .
Die persönliche Entwicklung Reifung zur Volljährigkeit wurde immer verhindert duch den Täter .
Also ist man zwar Volljährig an Jahren , aber nicht in der Reifung und psychichen Entwicklung .
Mfg
Larissa
@ Norman Schultz
Ihre Klarstellungen in diesem Artikel geben Betroffenen Würde wieder – DANKE! Sie ermutigen uns, dieses in großen Teilen ungelebte „Leben“ dennoch weiter zu führen – allen Widrigkeiten zum Trotz.
Ihr Artikel sollte jedem uneinsichtigen politischen Entscheidungs- und jedem kirchlichen „Würden“-Träger zur Pflichtlektüre verordnet werden; deren Arroganz und Ignoranz setzt das Verbrechen an uns allen unerträglich fort …
@Hildegaard
Vielen Dank für ihr Kompliment. Ich bin recht froh darüber, dass meine doch sehr abstrakten Betrachtungen, sich auf das Erleben übertragen lassen und dieses angemessen erreichen. Ich hatte bei der Darstellung immer leicht das Gefühl, ich würde den Inhalt falsch darstellen. Zumal ich natürlich eben nicht sagen möchte, dass „Opfer“ hier keine freie Persönlichkeit mehr seien oder noch nicht einen angemessenen Reifegrad erreicht hätten, sondern dass ein ihnen zugehörige Vergangenheit durch starke Traumata verstellt sein muss.
@Larissa
Es gibt natürlich verschiedene Täterprofile. Gerade aber bei Kindesmissbrauch sind es ja zumeist keine Vergehen, die einmal statt finden, sondern wiederholt. Dies weist meines Erachtens darauf hin, dass Täter dieses bewusst durchführen. Mein Argument ist aber noch etwas anders, da ich ja auch kein Rechtsexperte bin. Mein Argument lautet, dass der Täter eine Person in ihrer Freiheit schädigen will. Das heißt es geht nicht nur um Sexualität, sondern zugleich auch um die Unterwerfung einer anderen Person und die Einschränkung ihrer Freiheit. Das erkläre ich mir so als dass der Täter, wenn es um Befriedigung seiner Lust ginge nicht einen Menschen suchen müsste. Er wählt aber einen Menschen, dieses macht die Tat im Vergleich zu anderen Verbrechen so unfassbar. Während ein schwerer Raub zumindest so vorstellbar ist, dass es dem Räuber nicht um den Menschen geht, sondern um die Beute, ist dies beim sexuellen Missbrauch anders. In dem Sinne greift der Täter mit der Durchsetzung seines Willens direkt in den Willen eines anderen ein und zwar dieses mit direkter Absicht. Er will den anderen für sich beugen, ihm geht es um kein materielles Gut.
Was Sie beschreiben ist nun noch dramatischer, da der Täter nicht nur seinen eigenem Willen einfach nur folgt, sondern zugleich auch noch in einem Bewusstsein über die rechtliche Belangbarkeit die Taten ausführt.
Da ich nun kein Experte bin, zeigt mir das zunächst Folgendes: Jeder Fall ist in seiner Anlage nochmals verschieden und muss jeweils in einem eigenen Verfahren auch zur Sprache gebracht werden.
Vor allem aber sollte dies deswegen geschehen, und das war ja mein Argument, um dem Opfer eine Chance zu geben, die ihm fast nicht mehr zu geben ist; der Staat bestätigt immerhin in einem symbolischen Akt, dass hier das Wohl des Opfers im Vergleich zur Schwere der Tat im Vordergrund steht und nicht eine Art der Ausgleichsgerechtigkeit herrschen kann, die einen angeblichen Frieden im Staat sichern soll, indem diese Taten verjähren.
@Doro Vielen Dank, ich bin froh mit meiner Recherche etwas sinnvolles getan zu haben, das macht mich froh, auch wenn es ein sehr tragisches Thema ist.
@ Norman Schultz
Sie haben den Sachverhalt genau richtig erkannt, nachempfunden und wiedergegeben – die zumeist wiederholten Taten fallen Überlebenden tatsächlich lebenslänglich „auf die Füße“, „in den Rücken“ …
Da würde sich ganzen Generationen von ernsthaften Wissenschaftlern ein immenses psycho-somatisches Forschungsfeld anbieten, dem Sie bereits auf der Spur sind.
Chapeau!
Lieber Norman,
In Deiner Analyse bringst Du alles genau auf den Punkt.Du sprichst an und erkennst und das auf philosophischer einzigartiger Weise….wo selbst das WEISE sichtbar wird.
Heute bekommst Du die Quittung dafür—nämlich Deinen Magister ausgehändigt.Dafür meinen herzlichsten Glückwunsch und ich bin so stolz um Dich zu wissen…vielen dank dafür ! Herzlich Liza
Könnte mir vorstellen das es mir und meiner Seele sehr gut tun würde, wenn ich alle Täter selber richten würde. Mir käme da spontan in den Sinn sie auf dem Scheiterhaufen verbrennen oder sie einzeln pfählen (vlad dracul lässt grüssen).
Und nun kommt die Genugtuung ins Spiel, will der Staat nicht das ich als Opfer die Täter auf diese Weise selbst richten gehe, dann verlange ich eine Genugtuung als Ausgleich dafür, dass ich sie nicht selbst auf die Weise richten darf die ich will.
Und daran sollte sich dann auch die Summe bemessen, keine Ahnung was es denen Wert ist nicht gepfählt oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden, bin mir aber ziemlich sicher es dürfte genug sein, auf jedenfall garantiert mehr als die heutigen lächerlichen Genugtuungen die Opfern ausbezahlt werden, wenn sie denn überhaupt was bekommen.
Ich finde, das sollte soweit gehen, bis die Täter komplett und für alle Zeit finanziell ruiniert sind, alles andere ist nicht angemessen. Denn die Schäden sind eigentlich gar nicht bezifferbar, es ist niemals genug, es gibt keine Wieder-gut-machung.
Und falls die Täter nicht genug Geld finden sollten, nun dann ist eben Pech, dann wird stattdessen halt die vom Opfer gewählte Hinrichtungsmethode durchgezogen – auf diese Weise taucht garantiert plötzlich doch noch genug Geld auf, da bin ich mir ganz sicher.
Wir vermissen ehrlich gesagt die guten alten Mittelalterlichen Folter und Hinrichtungsmethoden, wenn es um solche Ungerechtigkeiten geht. Hehehehe, allerdings gibt es bei uns in der Nähe eine Burg mit voll eingerichteter Folterkammer, an sich kein Problem mit ein paar Kollegen zusammen einen der Täter zu schnappen und dahin zu schleppen und all die Geräte mal auszutesten, am besten über längere Feiertage, damit man viiieeeeelll Zeit hat, bis dann jemand die Schweinerei sieht…
Also in meinem Fall sollten die beten, dass ich eine angemessene Genugtuung erhalten, ansonsten könnte das ganze womöglich umgesetzt werden….
Denn der Wunsch nach Gerechtigkeit und die Rachegedanken verjähren niemals!
Hallo Christoph(ina),
zunächst möchte ich sagen, dass ich wahrscheinlich nicht genügend abschätzen kann, was dir widerfahren ist in zweifacher Hinsicht. Einerseits das Leid, dass dir durch die Täter widerfahren ist und zum zweiten das Leid, dass du erfährst, da der Staat dir nicht hilft.
Und obwohl ich aber versuche dieses Leid nachzuvollziehen, empfinde ich die Gewalt, die du beschreibst abstoßend. Ich möchte nicht wissen, was die Taten, die du mit den Tätern planst wiederum mit dir machen würden. Quälen, schwere Folter, pfählen, in mittelalterlichen Folterkammern? Ich denke diese Handlungen sind dem Wesen des Menschen nicht gerecht, auch dir nicht. Wir sind nicht dazu geboren uns gegenseitig zu foltern, gleich welcher Hintergrund und welch grausames Leid uns widerfahren ist. Bitte verzeih, dass ich dich vielleicht damit zurückweise, aber wir wollen doch menschlicher werden oder? Ich muss dir aber auch ehrlich sagen, dass ich angesichts der Schwere der Taten oftmals in Zweifel gerate, welche Entschädigung überhaupt angemessen sein kann und wie mit den Tätern überhaupt noch verfahren werden kann. Ich weiß es auch nicht, denke aber, dass Folter und Quälen Mittel sind, die unsere Gesellschaft keineswegs menschlicher machen. Ich hoffe wir finden einen Weg.
Norman.
@Norman, Man könnte die Täter z. Bsp. für immer in ein russisches Straflager nach Sibirien schicken. Dort sollen sie arbeiten…
Warum nicht in dem Land, wo sie straffällig geworden sind? So würde der Staat sich auch die immensen Kosten für die Strafvollzugskosten sparen, die immerhin von allen Steuerzahlern finanziert werden. Diese müssten dann den Betroffenen zufließen.
Gute Idee!
@ Simone …
Da halte ich „strahlungssichere Endlager“ im eigenen Land für sinnvoller – die russischen Mit-Welt-Bürgern sind schon zu sehr belastet …
Dass diese Kriminellen aber ihre Schuld als Sühne alle ABARBEITEN sollten – damit bin ich unbedingt einverstanden.
Wir sollten unsere Arbeitsministerin auf diese Spur setzen:
Ab sofort würden fromme und reiche und schöne und gebildete Verbrecher z.B. für die Industrie Schrauben sortieren und verpacken. – Jugendliche (!!) Behinderte dürften statt dessen in Leben-Lern-Programmen optimal GEFÖRDERT werden und eines Tages für sich selber sorgen können …
Leider leben wir nicht in Bhutan – in dem asiatischen Staat herrscht z.Z. ein Monarch, der das „Bruttosozialglück“ für seine Untertanen verwirklichen will …
„Utopie“? – wir alle müssen „nur“ umdenken lernen.
Also für den Moment halte ich das auch für die beste Lösung Hildegard, aber wir werden dann auch schnell sehen dass wir deren Arbeit garnicht mehr benötigen werden wollen. Also ne Alternative muss auf jeden Fall her,,,,irgendwas wo ein Teil noch abgeschoben wird und sich absolut selber versorgen muss zusammen mit Gleichgesinnten,,,,
Nachsatz: aber Geschlechtertrennung muss schon sein dabei.