Deutschlandradio Kultur 24.05.2011
Missbrauch-Opfer üben scharfe Kritik an Bericht von Christine Bergmann
Norbert Denef im Gespräch mit Joachim Scholl
Der Sprecher der Initiative „netzwerkB“ hat den Abschlussbericht der Bundesbeauftragten gegen sexuellen Missbrauch verworfen. Der Politik warf Denef vor, lediglich viel Papier erzeugt zu haben: „Die Betroffenen stehen nach wie vor im Regen.“
Joachim Scholl: „Das lässt einen nicht mehr los“, so hat die Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch, Christine Bergmann, ihren Auftrag, ihr düsteres Amt charakterisiert. Die SPD-Politikerin hat ein Jahr Informationen gesammelt, mit vielen Betroffenen gesprochen. Heute hat Christine Bergmann ihrenAbschlussbericht vorgelegt, mit vielen Analysen und Empfehlungen, und im Studio begrüße ich jetzt Norbert Denef. Er ist selbst missbraucht worden durch einen katholischen Priester, hat dieses Verbrechen schon öffentlich gemacht, als noch niemand davon hören wollte. Heute engagiert sich Norbert Denef für die vielen Opfer auf einer entsprechenden Website und als Sprecher der Initiative netzwerkB. Guten Tag, Herr Denef!
Norbert Denef: Hallo, guten Tag!
Scholl: Über 300 Seiten umfasst der Bericht von Christine Bergmann, bietet eine Bestandsaufnahme der gesamten einjährigen Arbeit, blättert dann einen ganzen Katalog von Empfehlungen und Vorschlägen auf. Mit welchen Empfindungen haben Sie, Herr Denef, als Betroffener auch diesen Bericht studiert, mit positivem oder eher kritischem Gefühl?
Denef: Ja, zunächst bin ich sehr dankbar der Frau Bergmann, dass sie ganz offen ausgesprochen hat, auf welcher Seite sie steht. Ich möchte sie hier mal zitieren. Sie sagt zu dem Thema Verjährungsfristen: „Die Forderungen nach einer rückwirkenden Aufhebung strafrechtlicher Verjährungsfristen für sexuellen Kindesmissbrauch sowie nach einer Unverjährbarkeit von Delikten des sexuellen Kindesmissbrauchs können nicht unterstützt werden.“ Zitat Ende. Das ist eine Enttäuschung, aber damit hat sie ganz klar zu verstehen gegeben, auf welcher Seite sie steht, nämlich auf der Täterseite, dass alles so bleiben soll, wie es ist.
Und alles andere drum herum ist ein Machwerk, um der Gesellschaft vorzugaukeln, wir tun was, und in Wirklichkeit bleibt alles so, wie es ist. Die Opfer, die Betroffenen sollen weiter schweigen. Die sollen ihren Mund halten, sie sollen nicht über das Vergangene wirklich reden, sie dürfen es nicht. Laut Gesetz bekommen sie dann eine Anklage wegen Verleumdung, und das ist das, wo wir uns bewegen. Es soll sich also nichts ändern. Das ist das Signal, was ich empfangen habe.
Scholl: Das ist ein schwerer Vorwurf, Herr Denef. Lassen Sie uns ein bisschen konkreter werden in den einzelnen Beispielen. Sie haben jetzt schon einen Punkt gesagt, also diese Verjährung, die rückwirkende Verjährungsfrist, die empfiehlt Frau Bergmann also nach juristischen Gesichtspunkten nicht zu verlängern, andererseits ist sie aber wieder dafür, dass die Verjährung, die bestehenden Verjährungsfristen, durchaus verlängert werden, nämlich über 30 Jahre hinaus.
Denef: Ja, das ist auch ein Vorgaukeln. Der jetzige Stand ist, es geht ja auch nur bei den 30 Jahren um die Verjährungsfrist im Zivilrecht, das heißt, der aktuelle Stand, wir haben schon die 30 Jahre, nämlich bei leichtem, angeblich leichtem Missbrauch, und bei schwerem haben wir bisher auch die 30 Jahre, das heißt, da wird was vorgegaukelt, was falsch ankommt in der Gesellschaft.
Scholl: Inwieweit falsch ankommt? Dass es dann gut ist, oder was? Ich finde 30 Jahre schon eine sehr lange Zeit.
Denef: Ja, aber wie gesagt, wir haben bei schwerem sexuellem Missbrauch bereits schon 30 Jahre im Zivilrecht, und hier geht es ja auch nur um das Zivilrecht, die Verlängerung. Ich stelle eine Gegenfrage: Der Gesetzesentwurf soll jetzt heißen generell 30 Jahre, das ist halt zunächst zu begrüßen, aber nicht für die Betroffenen geeignet, denn sie schweigen oft viel länger als 30 und 40 Jahre, sie müssen also schweigen.
Scholl: Das heißt, Sie wären also für eine Aufhebung jeglicher Verjährungsfrist, generelle Aufhebung?
Denef: Wenn es einen Ruck durch die Gesellschaft geben soll – und dafür setzen wir uns ein, netzwerkB –, dann muss generell die Verjährungsfrist aufgehoben werden, und zwar auch rückwirkend, damit wir die Verbrechen aufarbeiten können. Erst dann wird es ein Aufhören geben, ein Zuhören geben in der Gesellschaft, und sagen, hoppla, das ist ja wirklich wie ein Mord, das ist ja Seelenmord. Und so müssen wir das auch einstufen. Erst dann wird das Thema auf diese Stufe kommen, auch hängenbleiben in der Gesellschaft und ein Umdenken stattfinden. Vorher wird sich nichts bewegen.
Scholl: Es geht natürlich auch um die viel diskutierte Frage in diesem Bericht, um Entschädigung. Hier empfiehlt Christine Bergmann die Zahlung einer Anerkennungssumme, wie das formuliert wird, die sich am gesetzlich geregelten Schmerzensgeld orientiert. Wäre das ein Weg, der akzeptabel ist für Sie?
Denef: Ja, was heißt die Summe an dem Schmerzensgeld? Da müssen wir sagen, wir haben in Deutschland hier eine ganz, ganz schlechte Regelung, was das Schmerzensgeld betrifft. Ein Menschenleben ist weniger wert als eine Maschine, ist weniger wert oder ist die Hälfte wert von einer Abwrackprämie, wenn man das vergleicht, diesen Wert. Wir müssen generell die Entschädigungssummen in Deutschland hinterfragen und nicht sagen, das ist so und wir richten uns danach. Wir müssen uns mal nach internationalen Maßstäben halt richten und orientieren. In Amerika fließt im gleichen Fall, wo jetzt die Frau Bergmann sagt, ja bis 50.000, fließen da eine Million Euro. Und wenn wir andere Länder nehmen, ist das ähnlich gelagert.
Scholl: Das hat aber natürlich, Herr Denef, damit zu tun, dass es in Amerika die Möglichkeit des Zivilrechts gibt, das heißt, ich verklage jemanden auf eine ganz bestimmte Summe. Aber bleiben wir mal bei der Entschädigungsproblematik, Herr Denef. Die katholische Kirche hat ja jetzt angeboten, 5000 Euro jetzt erst mal pauschal als Entschädigung angeboten, die jedes Opfer erhalten soll. Das hört sich natürlich lächerlich an, gemessen an den Verletzungen, die den Opfern zugefügt wurden, aber ist es als Geste jetzt erst mal nicht auch ein Zeichen?
Denef: Nein, das ist ein Zeichen der Verhöhnung. Damit verhöhnt man erneut die Betroffenen, man fordert auch halt Papiere ein, die Betroffenen sollen jetzt halt ein Papier unterzeichnen, sie sollen die Tat noch mal schildern – das ist eine neue Verletzung, die da stattfindet. Das ist … 5000 Euro jemandem zu geben für ein Leben, für ein Leben lang, was kaputt ist. Und hier geht es um Kinder, die verletzt wurden.
Scholl: Der Abschlussbericht der Bundesbeauftragten gegen sexuellen Missbrauch liegt vor, und wir sind darüber mit Norbert Denef im Gespräch von der Betroffenen-Initiative netzwerkB. Eine merkwürdige Formulierung steht ganz am Ende der langen Liste von Empfehlungen, und da wird gefordert, wörtlich nun, „die Sicherstellung, dass die beteiligten Institutionen auf Wunsch einzelner oder mehrerer Betroffener diese in ihrer Sprache in angemessener und geeigneter Form um Verzeihung bitten“. Das muss man erst mal zweimal lesen, und beim Hören versteht man es vielleicht auch nicht ganz. Also, jenseits von diesem kruden Amtsdeutsch, ist es nicht doch auch ein wichtiger Punkt, dass die Institutionen die Opfer wirklich um Verzeihung bitten?
Denef: Wissen Sie, diesen Punkt, den hab ich nicht nur dreimal gelesen, den hab ich zehnmal gelesen. Ich hab immer wieder versucht herauszufinden, was ist da wirklich, was steckt da dahinter. Verzeihung, hier diese Welle haben wir jetzt in der Kirche beobachten können, auch der Papst hat für mich persönlich gebetet, dass ich wieder vergeben kann, anstatt mir zu helfen, ja – das ist die eine Seite. Und es kann nur von dem Opfer was kommen. Also mit um Verziehung bitten, das ist auch noch mal eine Verhöhnung. Das heißt also, ich bitte um Verzeihung, und wenn ich das dann nicht tue, dann werde ich wiederum irgendwo ausgegrenzt, dann bin ich der Schlimme: Ich kann ja nicht verzeihen.
Und jetzt kommt diese Welle: Wenn ich nicht verzeihen kann, dann kann ich auch nicht heil werden und, und, und. Das heißt also, die Schuldzusprechung wird wieder dem Opfer zugeschoben. Das heißt, wir dürfen überhaupt nicht von Verzeihung reden, das ist nur dem Opfer überlassen. Und wir können keine Forderung aufstellen, wir müssen da irgendwo eine Verzeihungswelle anstoßen – das sollten wir völlig weglassen, das gehört hier überhaupt nicht hin.
Scholl: Herr Denef, nun wird ein Außenstehender vielleicht doch sagen, es ist doch aber auch gut, dass seit einem Jahr zumindest politische Initiativen stattfinden, dass das Thema wirklich angegangen wird. Es gibt den Runden Tisch, es gibt jetzt diese Empfehlungen, die natürlich nicht bindend sind, sondern erst mal dem Runden Tisch übergeben werden, aber die Politik wird sagen, wir bemühen uns ja, wir versuchen ja, hier dieses Leid zu lindern, wir versuchen uns dem Problem zu stellen. Sie fühlen sich schon allein durch so einen Bericht, wie er formuliert ist, verhöhnt. Was ist denn da so schiefgelaufen an dieser Aufarbeitung, dass das so einen Verdruss schafft bei Ihnen?
Denef: Ach, wissen Sie, ich möchte es vergleichen, es ist jetzt über ein Jahr, es wird geredet, viel Papier erzeugt, hier sind auch wieder 300 Seiten Papier halt erzeugt worden, aber es ist nichts passiert. Die Betroffenen stehen nach wie vor im Regen, die müssen nach wie vor warten auf Hilfe, es ist überhaupt nichts passiert. Wenn die Banken kaputt gehen und es dort um viele, viele Milliarden geht, dann wird über Nacht entschieden, dass dort was getan wird. Wenn es um Betroffene geht, wenn es um die Kinder geht, um die Kinder unserer Gesellschaft, dann wird geschwiegen, dann werden Arbeitskreise gebildet, dann wird nur geredet, politisch leere Worte, mehr aber auch nicht, Zeit rausgeschunden, damit die Betroffenen immer mehr zum Schweigen kommen.
Scholl: Ich meine, mit Betroffenen-Initiativen, wie Sie sie gegründet haben, Herr Denef, und für die Sie sich engagieren, das ist ein Extrapunkt in dem Bericht von Christine Bergmann. Die sagt, mit solchen Betroffenen-Initiativen muss unbedingt stärker zusammengearbeitet werden, die müssen stärker mit einbezogen werden. Würden Sie denn da mitmachen?
Denef: Wir sind dort ausgeschieden aus dem Grund, weil wir uns nicht vereinnahmen lassen, weil wir uns nicht instrumentalisieren lassen von der Politik, damit anschließend behauptet wird, wir haben ja mit den Betroffenen, die haben ja da angeblich mitgearbeitet. Ich betone angeblich, ja. Die Betroffenen haben nach wie vor keine Stimme. Die Täterorganisationen sitzen am Runden Tisch, die bestimmen, wo es langgeht, die bestimmen, was da getan wird. Die Betroffenen, die werden nur angehört, um anschließend sagen zu können, wir haben ja mit den Betroffenen geredet. Und dann steht in dem Papier, dass wie gesagt die Verjährungsfrist nicht aufgehoben wird – dazu wird nichts gesagt. Das passt alles nicht zusammen.
Scholl: Der Abschlussbericht der Bundesbeauftragten gegen sexuellen Missbrauch, heute wurde er veröffentlicht und präsentiert. Wir haben die Einschätzungen von Norbert Denef gehört, Sprecher der Betroffenen-Initiative netzwerkB. Ich danke Ihnen, Herr Denef, für das Gespräch! Und in diesem Zusammenhang will ich auch noch auf einen Film hinweisen, der heute Abend auf 3sat läuft: die Dokumentation „Und wir sind nicht die Einzigen“. Ein Film, der nach Expertenmeinung ein Lehrfilm zum Thema ist und die Strategien der Täter in der ganzen Bandbreite aufzeigt. Heute Abend um 22.25 Uhr auf 3sat.
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