Pressemitteilung: Betroffene zum Abschlussbericht von Frau Dr. Christine Bergmann, der Öffentlichkeit vorgestellt am 24. Mai 2011 – Stellungnahme SNAP und netzwerkB

Betreff:
1. Beteiligung der Opfer sexualisierter Gewalt
2. Fristen
3. Höhe der Entschädigungen
4. Finanzierungsmodell

Wir begrüßen es, dass die Bundesregierung zusammen mit Trägern der Kinder- und Jugendarbeit, darunter insbesondere die Kirchen, seit April 2010 einen Runden Tisch durchführt, um sich mit der Problematik sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen und deren Folgen zu befassen.

Leider erkennen wir in den Vorschlägen von Frau Dr. Bergmann keine Fortschritte.

Entgegen der Darstellung im Bericht wurden die Opfer am Runden Tisch nicht beteiligt. Sie durften lediglich an einer Anhörung teilnehmen und eine Arbeitsgruppe bilden. Namhafte Initiativen wie das größte Netzwerk Betroffener sexualisierter Gewalt (netzwerkB) in Deutschland sind an ihr nicht beteiligt. Experten aus internationalen Betroffenen-Organisationen wie das Netwzerk der Überlebenden von Missbrauch durch Priester (SNAP), das auf eine über 20jähriger Erfahrung in der Selbsthilfe Betroffener zurückblicken kann, wurde nicht hinzugezogen. Die gleiche Augenhöhe und echte Mitwirkungsmöglichkeiten für die Opfer fehlten bei dieser Veranstaltung.

Es ist allen Fachleuten bekannt, dass Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend Opfer systematischer, pädokrimineller Straftaten wurden, mehrere Jahrzehnte benötigen, sich das an ihnen begangene Verbrechen bewusst zu machen, über diese Schädigungen sprechen zu können oder weitere rechtliche Schritte zu ergreifen. Auch die Gerichte erkennen dies mittlerweile (zum Beispiel das Landgericht Osnabrück).
Die bisherige Frist von 30 Jahren für zivilrechtliche Schritte bei schwerem sexuellem Missbrauch ist daher völlig aufzuheben, um den Opfern wirkungsvoll helfen zu können (vgl. http://netzwerkb.org/petition). Hier scheint sich Frau Bergmann dem Druck der am runden Tisch beteiligten Institutionen zu beugen.

Die von Frau Bergmann vorgeschlagenen 50.000 Euro Entschädigung scheinen auf den ersten Blick viel. Erkennbar ist, dass die Kirchen diesen Vorschlag nicht mittragen. Gleichwohl stellt ein solcher Betrag eine erneute Missachtung für viele Opfer dar. Hierbei wird unterschlagen, dass die meisten Betroffenen heute auf Harz IV angewiesen sind. Die Folgen der Verbrechen in der der Kindheit belasten nicht nur die berufliche Leistungsfähigkeit und das eigene Lebensglück, sondern auch die Familienangehörigen. Die Folgen sind individuell pro Einzelfall zu bewerten, um eine gerechte Entschädigung zu bemessen – ein Menschenleben verdient mehr Wertschätzung.

Wir halten es für fragwürdig, dass der Staat sich an den Folgen von Straftaten im institutionellen Bereich beteiligen soll, weil sich die Täter bzw. ihre Arbeitgeber und Organisationen, die über ein Milliardenvermögen verfügen und alljährlich Zuschüsse in Milliardenhöhe vom Staat beziehen, hinter den Fristen weiterhin verstecken können. Durch das Abwälzen eines großen Teils der Folgekosten dieser Verbrechen wird mit der gleichen Skrupellosigkeit, mit der Beschäftige bzw. Angehörige von Institutionen Kinder systematisch brachen ohne persönliche Konsequenzen fürchten zu müssen, auch die Gesellschaft missbraucht.


netzwerkB.org (Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt) ist eine unabhängige Interessenvertretung. Wir setzen uns für die Rechte Betroffener ein, indem wir das gesellschaftliche Schweigen brechen, über Ursachen und Auswirkungen sexualisierter Misshandlung informieren, beraten und uns für konkrete Veränderungen stark machen.

netzwerkB bittet darum an Betroffene die netzwerkB-Kontaktdaten weiterzugeben sowie die Kontakt-Email (info@netzwerkb.org) und Website (www.netzwerkB.org) zu veröffentlichen.

SNAP  ist seit 1988 die Stimme der Opfer von sexualisierter Gewalt und Missbrauch
SNAP (Survivors Network of those Abused by Priests) ist das Netzwerk der Überlebenden von Missbrauch durch Priester (www.SNAPnetwork.org) und hat 9000 + Mitglieder in den USA und der ganzen Welt.
SNAP ist die größte und aktivste Unterstützungsgruppe von Menschen, die von religiösen Autoritätsfiguren (Priestern, Bischöfen, Diakonen, Nonnen und anderen) verletzt wurden. SNAP ist unabhängig und ist nicht mit der Kirche oder Kirchenautoritäten verbunden. SNAP ist für die Opfer eine Selbsthilfegruppe um einander zu heilen und zu helfen.

SNAP sitzt in Chicago. Bei SNAP vertreten die Opfer von sexuellem Missbrauch die Interessen der Opfer. Barbara Blaine, eine Sozialarbeiterin, ist SNAP-Gründerin und Präsidentin der Organisation.

SNAP kooperiert in Europa mit lokalen Netzwerken wie www.netzwerkB.org in Deutschland oder Österreich und unterstützt die Netzwerkbildung der Überlebenden.

Für Journalisten-Rückfragen:
netzwerkB – Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt e.V.
Nobert Denef, Vorsitzender
Tel: 04503 892782, Mobil: 0163 1625091, presse@netzwerkb.org

Netzwerk der Überlebenden von Missbrauch durch Priester (SNAP)
Rückfragen (auf Englisch in den USA) an:
Barbara Blaine (Präsidentin), SNAPblaine@gmail.com +1 312 399 4747