Ich bin Jahrgang 1950 und stamme aus einem kleinen Dorf im östlichen Hochschwarzwald, zirka 20 Kilometer vom Titisee (Erzdiözese Freiburg im Breisgau) entfernt. Die ersten vier Jahre bin ich dort zur Schule gegangen. Neben mir kann ich eine zweistellige Anzahl von Schulkameradinnen und Schulkameraden in meiner Zwergschule namentlich aufzählen, welche von dem damaligen Vikar meist jeweils während des Religionsunterrichts auf übelste Weise und exzessiv misshandelt und missbraucht wurden. Wenn ich beispielsweise zu schreien anfing, stopfte er mir ein Taschentuch in den Mund, um mich am Schreien zu hindern und um seine Prügelorgie bzw. seinen Missbrauch weiterführen zu können. Ich erinnere mich noch beklemmend gut an sein Hecheln, Wimmern und Schnauben und ich weiss noch sehr genau, wie es unter seiner Soutane roch, wenn er meinen Kopf zwischen seine feisten Knie klemmte. Häufig hatte er beim Prügeln sogar einen Orgasmus.

Als er mich wieder einmal vertrimmte und es besonders schlimm trieb, schoss mir der Gedanke durch den Kopf, ich müsse mich mit meinem Peiniger verbünden und seine Partei ergreifen, um ihn von seinem Tun abzubringen. Diesen Gedanken habe ich viele Jahre später von Traumatherapeuten, die mit amnesty international zusammenarbeiten, im Zusammenhang mit der Behandlung von Überlebenden von Folter beschrieben gehört, woraufhin mir die Situation mit dem seinerzeitigen Missbrauchsexzess wieder beklemmend gegenwärtig vorkam. Bei einer der Therapien, zu denen ich mich veranlasst fühlte, brachte ich eben diese Episode aus meiner „Missbrauchsgeschichte“ zur Sprache. Mein Therapeut bezog dazu Stellung und erläuterte mir, dass die Preisgabe der eigenen Position und die Parteinahme zugunsten des Peinigers in einer solchen Situation mit die schlimmste Erniedrigung sei, die einem Menschen angetan werden könne, und ich war dieser Demütigung als sechsjähriger Junge ausgesetzt.

Die zweifelhafte Art dieses Geistlichen, den Religionsunterricht zu gestalten, war in der ganzen Gegend bekannt. Eltern, der örtliche Lehrer, der Pfarrer im nächstgrösseren Ort und viele andere Erwachsene wussten mit Sicherheit davon, trauten sich aber offensichtlich nicht, den Taten dieses Kinderschänders Einhalt zu gebieten, ihn beispielsweise bei der Polizei anzuzeigen oder sonstige Maßnahmen zur Beendigung dieses desaströsen „Wirkens“ zu ergreifen.

Hier wie überall, wo die Katholische Kirche seinerzeit eine ausgeprägte Dominanz ausübte, gab es in der betreffenden Gesellschaft eine beschämende Kultur des Verschweigens und Wegschauens. Aus verschiedenen Erzählungen von Bekannten aus jener Gegend weiss ich, dass dieser Vikar auch an anderen Wirkungsstätten eine breite Schneise von Missbrauch und exzessiver Gewalt gegen Kinder hinterliess.

Nach meinem Kenntnisstand wurde er niemals zur Rechenschaft gezogen. Ich wage sogar die Behauptung, dass er eine insgesamt dreistellige Anzahl von Kindern misshandelt und missbraucht hat. Der Vikar, von dem in meiner Schilderung die Rede ist, hieß Heinz Körner. Einem Nachruf im Bistumsblatt der Erzdiözese Freiburg zufolge verstarb er im Frühjahr 2001.

Aus der einschlägigen Literatur sowie aus zahlreichen Gesprächen mit anderen Betroffenen weiss ich, dass denjenigen, die als Kind bzw. als Jugendlicher körperlich und sexuell missbraucht wurden, ein ausgesprochen desolates Selbstbild gemein ist. Ein das Leben dauerhaft begleitendes Grundgefühl ist eine permanent präsente und dominante „Grundscham“. Ein Betroffener fühlt sich „aus sich heraus“ minderwertig und meint sich seiner selber schämen zu müssen. Diese Symptomatik hat mich einen Großteil meines Lebens sehr nachhaltig begleitet und in ausgeprägter Weise belastet. Es ist sicher unschwer nachzuvollziehen,
dass eine solche Grundeinstellung zu sich selber – bis hin zu einer ggf. auch unbewusst empfundenen „Opfer- identität“ – für eine selbstbewusste, offene und selbstsichere Begegnung mit anderen Menschen ein massives Handicap darstellt.

Mit meiner Schilderung geht es mir auch darum, die verstörend hohe Dunkelziffer körperlichen und sexuellen Missbrauchs von Kindern in den fünfziger und sechziger Jahren durch Geistliche gerade in ländlichen Gebieten aufhellen zu helfen und dafür zu sorgen, dass das Leid und das Trauma der oben aufgeführten Kinder aktiv und offensiv zur Sprache gebracht werden. Die damals Gepeinigten sollen auf diese Weise in einem Mindestmass Genugtuung erfahren und ermuntert werden, Unterstützung bei der Bewältigung ihrer traumatischen Erlebnisse einzufordern.

Ich will überdies einen Beitrag dazu leisten, dass die Verjährungsfrist für diese abscheulichen Verbrechen zumindest für
Zivilprozesse signifikant verlängert wird.

Meinen Fall habe ich letztes Jahr Herrn Bischof Dr. Ackermann geschildert und eine erste Reaktion erhalten (Kenntnisnahme und Bedauern nebst Information über Weiterleitung an das den Domkapitular des Erzbistums Freiburg im Breisgau, Herrn Dr. Eugen Maier).

Von ihm erhielt ich daraufhin eine E-Mail mit dem Ausdruck persönlichen Bedauerns und der Zusage, die Berufsbiographie des Vikars Heinz Körner, der seinerzeit für seine Exzesse an körperlicher und sexueller Gewalt in der ganzen Gegend bekannt und berüchtigt war, zu untersuchen.

Ende 2010 erhielt ich von Herrn Domkapitular Dr. Maier eine weitere E-Mail mit der Mitteilung, meine Schilderung des Missbrauchs durch Vikar Körner sei glaubhaft.

Kurz vor Ostern 2011 erhielt ich vom Ordinariat Freiburg zwei Dokumente:

mit der Bitte, diese Dokumente ausgefüllt bem Ordinariat einzureichen.

Ich habe nicht vor, diesem Ansinnen nachzukommen sondern denke über eine eigene Forderung an die Katholische Kirche nach, welche über dieses „Angebot“ von 5.000,– Euro (was kann damit „wieder gut“ gemacht werden??!!) signifikant hinausreicht…

gez. Eugen Schlatter

Mein Name ist Eugen Schlatter, von Beruf Dipl. Ing. (FH) der Informationstechnik, inzwischen in Rente, wohnhaft in Würzburger Ring 33/4, 91056 Erlangen