sueddeutsche.de 01.05.2011

Von M. Drobinski, Rom
Es grenzt an ein Wunder, mit welcher Eile Papst Johannes Paul II. höhere Weihen zuteil werden. Nie ist ein Mensch so schnell seliggesprochen worden. Der charismatische Pole hat die Kirche deutlich verändert, doch war er nicht unumstritten.

Nur wenig ist verblasst von der Erinnerung. Da waren die Stunden der ärztlichen Sachstandsmeldungen, die Kameras, die jene zwei erleuchteten Fenster über den Vatikanmauern in den Blick nahmen. Dort oben ging Karol Wojtyla, Papst Johannes Paul II., nach langem Leiden aus dem Leben; er starb am Abend des 2. April 2005. Da war der Pilgerstrom zum toten Papst, zwei Millionen Menschen sollen es gewesen sein. Schließlich die Beerdigung. Der einfache Holzsarg, darauf eine Bibel, in der der Wind blätterte, in den Straßen Hunderttausende Gläubige, die Transparente zeigten: „Santo Subito“ – sprecht ihn sofort heilig, den toten Papst!

Sechs Jahre und 29 Tage ist es an diesem Sonntag her, dass Johannes Paul II. starb. An diesem Sonntag wird Papst Benedikt XVI. seinen Vorgänger seligsprechen; die Heiligsprechung dürfte nur eine Frage von kurzer Zeit sein. Noch nie in der neueren Kirchengeschichte hat die katholische Kirche einen Menschen so schnell zu den Ehren der Altäre erhoben, nicht einmal Mutter Teresa. Und selten hat die katholische Kirche den Willen des Kirchenvolks so schnell erfüllt.

Es sei trotz der Eile alles streng nach Vorschrift gegangen, betont die Seligsprechungskommission im Vatikan, die sonst in jahrzehntelanger Kleinarbeit prüft, ob der Kandidat ein Leben führte, das einem Heiligen gemäß war, und ob es tatsächlich das vorgeschriebene Wunder gegeben hat.

Lediglich die Fristen für das Verfahren seien verkürzt worden, heißt es, weil der Papst aus Polen „zu Lebzeiten, beim Tod und nach dem Tod“ im „Ruf der Heiligkeit“ gestanden habe. Im Januar bestätigte Benedikt XVI. auch das Wunder: Die französische Nonne Marie Simon-Pierre soll von Parkinson geheilt worden sein, nachdem sie Johannes Paul II. um Fürsprache angerufen hatte.

Seitdem ist der Weg zur Seligsprechung frei: Von Sonntag an wird Johannes Paul II. offiziell in der Diözese Rom und in Polen verehrt – die Verehrung der gesamten Weltkirche steht erst Heiligen zu. Der Leichnam des neuen Seligen wird einen neuen Platz in der Basilika finden.

Nichts fehlt im Arsenal der Heiligkeit

So ist alles bereit für die große und schöne Feier am 1. Mai, bei der sogar in einem wertvollen Schrein eine Ampulle mit dem Blut des toten Papstes als Reliquie gezeigt werden soll – nichts fehlt im Arsenal der Heiligkeit. Die katholische Kirche kann sich als glaubensstarke Weltkirche präsentieren, mit Gläubigen, die nicht zweifeln, wie es so viele in den Monaten des Missbrauchsskandals taten. Die Kritik am Eiltempo und an der Seligsprechung überhaupt wird die Feier auch nicht trüben können. Kaum jemand bestreitet, dass Johannes Paul II. in den 26 Jahren seines Pontifikats die Kirche und die Welt verändert hat. Er beflügelte die Befreiungsbewegung in seiner Heimat, am Ende war der Glaube stärker als der kommunistische Ostblock. Er entschuldigte sich im Jahr 2000 für die Sünden, die im Namen der Kirche an Juden, Muslimen und vermeintlichen Ketzern begangen wurden; er setzte sich bis über die Grenzen seiner Kraft hinaus für Frieden und Gerechtigkeit ein. Er war ein tieffrommer Mann, der in den Jahren seiner Krankheit als Leidender ein beeindruckendes Zeugnis seines Glaubens gab.

Aber er war auch jener Papst, der, so charismatisch und medienwirksam-modern er auftrat, hart gegen kritische Theologen vorging, der erklärte, dass für alle Zeiten eine Frau nicht zur Priesterin geweiht werden soll; ebenso fest stand sein Nein zu künstlichen Verhütungsmitteln. Für seine Anhänger hat er dadurch die Kirche vor Irrwegen bewahrt. Für viele Katholiken ist er aber zum Inbegriff einer starren Kirche geworden, die keine Antworten mehr auf viele Lebensfragen ihrer Gläubigen hat.

Vor allem aber ist der Missbrauchsskandal auch sein Skandal. Es war Johannes Paul II., der den Wiener Kardinal Hans Hermann Groer einsetzte, der Jungen sexuell missbraucht haben soll. Und es war der Papst aus Polen, der, allen Gerüchten zum Trotz, seine Hand über Marcial Marciel hielt, den Gründer der „Legionäre Christi“, der als Priester mehrere Kinder zeugte – und auch Kindern sexuelle Gewalt antat.

Und so gibt es Menschen, für die dieser 1. Mai kein besonders glücklicher Tag ist. „Nicht nur für mich persönlich, sondern weltweit für viele Opfer ist diese Seligsprechung Salz in ihre tiefen, noch immer frischen Wunden“, sagte Norbert Denef, Vorsitzender des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt, der Zeit. Der Theologe Hans Küng, der 1979 die Lehrbefugnis verlor, sagte der Frankfurter Rundschau, der Papst habe „ein autoritäres Lehramt ausgeübt“ und „die Menschenrechte von Frauen und Theologen unterdrückt“; bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs habe er „komplett versagt“.

Eine Initiative von Katholiken fordert gar, statt Johannes Paul II. Oscar Romero seligzusprechen, jenen Bischof aus El Salvador, den im Februar 1980 eine Todesschwadron ermordete, weil er zu sehr den Armen beistand. Einer der Mit-Initiatoren ist Heiner Geißler. Doch sein „Santo Subito“-Ruf wird wohl kaum so schnell erhört werden.

Weiter lesen…