Kabinettsbeschluss über Verjährungsfristen ist eine Nebelkerze / Deutsche Kinderhilfe fordert Abschaffung der Verjährungsfristen bei sexuellem Missbrauch!

Deutsche Kinderhilfe e.V.

(Verbandspresse, 23.03.2011 16:41)

(Berlin) – „Der heute (23. März 2011) vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzesentwurf der Justizministerin, erweckt nur den Eindruck einer Rechtsverbesserung für die Opfer sexuellen Missbrauchs“, erklärte heute (23. März 2011) der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Georg Ehrmann in Berlin. „Die vermeintliche Verlängerung der zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche stellt für den Großteil der Opfer keine Verbesserung ihrer derzeitigen Rechtsposition dar. Denn bereits nach geltender Rechtslage verjährt schwerer sexueller Missbrauch erst nach 30 Jahren und nicht, wie auch heute wieder behauptet, nach drei Jahren. Eine Verlängerung auf 30 Jahre betrifft nur Fälle von einfacher sexualisierter Gewalt. Nur für diese Opfergruppe würde eine Verbesserung eintreten – also wird jetzt eine reine Nebelkerze aus dem Justizministerium geworfen.“

Die zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche müssen in einem Zivilprozess geltend gemacht werden, in denen Opfer und Täter als gleichberechtigte Parteien gegeneinander antreten. Das Zivilrecht kennt keinen Opferschutz und keine Videoaussagen. Es besteht das sogenannte Parteienprinzip, eine große Belastung für Betroffene. Die aktuellen Fälle in Einrichtungen der Kirche oder der Odenwaldschule belegen zudem, dass Betroffene häufig länger als 30 Jahre benötigen, um sich ihrer schweren Traumatisierung bewusst zu werden. Eine Gesellschaft, die sie häufig schon bei der Begehung der Taten allein gelassen hat, gibt ihnen nun, wo sie es endlich schaffen, ihren Missbrauch aufzuarbeiten, das fatale Signal, dass im Interesse der Täter und des sogenannten Rechtsfriedens eine Verfolgung ihrer zivilrechtlichen Ansprüche nicht mehr möglich ist. Dies führt häufig zu einer weiteren Traumatisierung.

Wenn also eine Verbesserung seitens der Ministerin gewünscht ist, dann muss die Verjährungsfrist vollständig abgeschafft werden. Das fordert die Deutsche Kinderhilfe seit Jahren.

Etwas anderes ist die für die Betroffenen viel wichtigere Frage der strafrechtlichen Verjährungsfristen. Hier führt die Staatsanwaltschaft das Verfahren, hier bestehen spezielle Opferrechte: In Deutschland verjähren NS-Verbrechen und Mord zu Recht nie. Bei diesen Taten rechtfertigt der Rechtsfrieden keine Verjährung.

Gleiches sollte für Taten gelten, unter denen die Betroffenen ihr Leben lang leiden und über die aufgrund ihrer Besonderheit erst in vielen Fällen nach Ablauf der Verjährungsfristen überhaupt gesprochen werden kann.

Denn wenn die Politik schon mit ihrer Weigerung, die 30-jährigen Verjährungsfristen im Zivilrecht abzuschaffen, ein fatales Signal aussendet, gilt dies erst Recht für die kurzen Verjährungsfristen im Strafrecht, die zwischen fünf und 20 Jahren liegen. Nicht einer der noch lebenden Täter an der Odenwaldschule oder im Canisius-Kolleg konnte strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden – ein erschreckendes Bild für einen Rechtsstaat und ein fatales Signal an die Betroffenen.

In der Schweiz wurden aufgrund eines Volksbegehrens die strafrechtlichen Verjährungsfristen abgeschafft. In Deutschland richtet sich die Politik bei ihrer Entscheidung nicht nach dem Willen der Bevölkerung. Das belegt eine Umfrage der Deutschen Kinderhilfe, die von TNS Infratest Politikforschung durchgeführt wurde. Demzufolge sprechen sich 87 Prozent der Bevölkerung für eine Abschaffung der strafrechtlichen Verjährungsfristen aus.

„Der heutige (23. März 2011) Gesetzentwurf setzt leider konsequent den von der Politik eingeschlagenen Weg fort, durch runde Tische und Symbolakte den Druck aus der Debatte um die Opfer sexuellen Missbrauchs zu nehmen“, so Georg Ehrmann.

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