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tagesschau.de 13.12.2010 Kommentar

Von Claus Heinrich, SWR, ARD-Hauptstadtstudio

Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach – so kommentierte einer der Opfervertreter die Ergebnisse des Runden Tischs Heimerziehung desillusioniert. Gerade mal 120 Millionen Euro wollen Bund, Länder und Kirchen zusammenkratzen, um die noch lebenden Opfer postfaschistischer Erziehungsmethoden in den Heimen der jungen Bundesrepublik zu entschädigen.

120 Millionen Euro – das ist in der Summe nicht wenig, aber bedeutet für den Einzelnen im Schnitt auch nur ein paar tausend Euro. Und das für oft jahrelange Qualen, sexuellen Missbrauch und Zwang zur Arbeit, den man aber um Gottes Willen nicht Zwangsarbeit nennen soll. Angeblich um keine unziemlichen Vergleiche mit den Zwangsarbeitern während der Nazizeit zu ziehen. In Wahrheit aber, um den Rechtsstaat Bundesrepublik nicht in Verruf zu bringen.

Es gab kein Rechtsbewusstsein

All das, was die rund 800.000 angeblich schwer erziehbaren Kinder und Jugendlichen bis in die 70er Jahre hinein an Demütigungen, Schlägen und Schlimmerem in den Heimen von Staat und Kirche erleiden mussten, das war vor allem deshalb kein verfolgtes Unrecht, weil es kein entsprechendes Rechtsbewusstsein gab. Die hinterbliebenen und – wie man damals sagte: verwahrlosten – Nachkriegskinder waren eben nur eine Last für die aufstrebende Wirtschaftswundergesellschaft.

Man fand nichts dabei, sie das auch spüren zu lassen. Verwahrlost waren also nicht die Kinder, sondern die Moral der verantwortlichen Erzieher, Heimleiter, Bürokraten in Staat und Klerus. Die Bundesrepublik war lange Zeit ein mangelhafter und unreifer Rechtsstaat, dem es an Demokraten mangelte. So sagte es heute die Vorsitzende des Runden Tisches, die ehemalige Grünen-Politikerin Antje Volmer wohl zu Recht.

Deutsche Justiz und Täter werden geschont

Das Bedürfnis der Opfer nach Anerkennung des begangenen Unrechts und nach ein wenig Geld für eine schwierige Kindheit sind heute mit einem dicken Schlussstrich bezahlt worden. Denn es soll keine nachträgliche rechtliche Einzelfallprüfung geben, angeblich um die Opfer nicht weiter zu traumatisieren – aber wohl eher um die deutsche Justiz und die Täter und Täterinstitutionen zu schonen.

Manche Opfer fühlen sich durch den Druck am Runden Tisch ein zweites Mal gedemütigt und erpresst. Die ohnehin wenigen Vertreter der Opfer sahen sich einer Übermacht professioneller Vertreter der Täterinstitutionen gegenüber. Sie wollten nicht mit leeren Händen aus den ungleichen Verhandlungen kommen. Deshalb haben sie dem unbefriedigenden Ergebnis zugestimmt.

Das ist verständlich. Denn wie gesagt: Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Aber ein gutes Omen für vergleichbare Verfahren, etwa für den Runden Tisch zum Thema sexuellen Missbrauch, ist das nicht.

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SPIEGEL ONLINE 13.12.2010

„Da müssen wir uns schämen“

Von Peter Wensierski

Mit 120 Millionen Euro aus einem Hilfsfonds sollen Hunderttausende Menschen entschädigt werden, die als Kinder in Heimen misshandelt wurden. Die Opfer sind verbittert: Es könnte noch Jahre dauern, bis die Summen ausgezahlt werden – für viele kommt das Geld bereits zu spät….

…Die Gefühlslage unter den Ex-Heimkindern, die beim dramatischen Ringen um die letzte Fassung des Abschlussberichts am Runden Tisch mit dabei waren, schwankte, wie ein Beteiligter sagt, „zwischen Nötigung und Erpressung“….

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