hpd 2.12.2010
BERLIN. (hpd) Unter dem Motto „Verschweigen, Vertuschen und Verdrängen hat ein Ende“ legte der runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ gestern in Berlin seinen zweibändigen Zwischenbericht vor.
Wie schon bei der letzten Pressekonferenz Ende September erwähnt wird an folgenden Punkten gearbeitet: Gesetzesentwurf, die Verjährungsfrist im Zivilrecht von 3 auf 30 Jahre zu erhöhen, Mehrfachvernehmungen bei kindlichen Opfern zu vermeiden, die Nebenklagerechte zu verbessern, Standards einzurichten in Institutionen, die mit Kindern arbeiten, ein erweitertes Führungszeugnis für hauptamtliche Mitarbeiter in ebensolchen Institutionen zu verlangen, Weiterbildungen für Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe zu initiieren.
Die juristische Arbeitsgruppe veröffentlichte außerdem einen Entwurf für Leitlinien zur Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden, in dem sie keine Anzeigepflicht sondern eine Selbstverpflichtung der betroffenen Institutionen vorschlägt. Damit scheint die Justizministerin vor der katholischen Kirche eingeknickt zu sein, die sich in ihren neuen Leitlinien standhaft weigert, eine generelle Anzeigepflicht zuzusichern.
Eine Strafrechtsänderung im Bezug auf sexuellen Missbrauch von Kindern wird erst bei der nächsten Sitzung des Runden Tischs im Januar diskutiert. Ebenfalls aufgeschoben wurde die Diskussion um die Entschädigung der Betroffenen, was einigermaßen erstaunlich ist, da bei der letzten Pressekonferenz schon relativ konkret von einem Fond der katholischen Kirche die Rede war.
Die unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs Dr. Christine Bergmann teilte auf Nachfrage mit, dass eine permanente Anlaufstelle für Betroffene auf Bundes- oder Landesebene gefordert wird. Interessant ist, dass Dr. Bergmann von „Betroffenen“ spricht, die drei Ministerinnen Prof. Dr. Schavan, Dr.Schröder und Frau Leutheusser-Schnarrenberger hingegen stets von „Opfern“, wohl eine Frage des Blickwinkels.
Anfang November gab es im Rahmen des Runden Tischs eine „Anhörung“ von Betroffenen. Eine „Maßnahme zur Wahrung des Scheins“ meinten die Betroffenen der Organisation Netzwerk B. Sie protestierten erneut, da nach wie vor keine Betroffenen als vollwertige Mitglieder an den Runden Tisch eingeladen sind. Bei klirrender Kälte harrten sie mit einem Transparent „Ihr runder Tisch ohne Betroffene ist ein Irrweg!“ vor der Pressekonferenz aus und verteilten an die Journalisten eine Pressemitteilung, in der u. a. gefragt wird: „Mit welchem Recht sitzen Vertreter einer Organisation (katholische Kirche), deren Interesse bislang ausschließlich der Täterschutz war, am runden Tisch, während diejenigen, denen durch diese Vertuschung unsägliches Leid widerfahren ist, davon ausgeschlossen werden?“
Zuletzt ging es in der Pressekonferenz um die sog. „Einrede der Verjährung“, also dem Recht auf die Verjährung zu pochen. Familienministerin Schröder dazu: „Ich könnte mir vorstellen, dass auch die katholische Kirche auf die Einhaltung der Verjährung verzichtet“. Sie forderte damit alle, die sich des sexuellen Kindesmissbrauchs schuldig gemacht haben auf, das Recht zur Einrede der Verjährung nicht in Anspruch zu nehmen. Ein frommer Wunsch? Ob der moralische Appell fruchtet ist fraglich und doch zu wünschen. Fraglich ist auch, ob das „Verschweigen, Vertuschen und Verdrängen“ wirklich ein Ende hat, wenn den Täterinstitutionen so viel Wunschdenken und Vertrauen entgegengebracht wird. Den zweibändigen Zwischenbericht gilt es nun genau zu analysieren.
Katharina Micada
Step by step wird auch die Verjährung für die Straftat sexueller missbrauch fallen….
Mord verjährt nicht. Aber bis der Begriff „Seelenmord“ in unserer Gesellschaft nachfühlbar ist wird es noch etwas dauern. Mein persönlicher Masochismus geht nicht soweit, dass ich bereit bin meine kreativen potentiale einzusetzen, wenn ich damit immer noch weiter die Täter unterstützen würde. Da mache ich lieber dicht und warte gelassen ab….
Das, was alles unter der Spitze des Eisberges liegt kann nur mit einem entsprechenden Gesetz in den Griff bekommen werden.
Je zügiger wir in unserem eigenen Land mit Vorbild vorrangehen, desto schneller werden die Kinder auf der ganzen Welt unter Schutz gestellt.
Es kann einfach nicht sein, dass noch länger geduldet wird, dass den Sadisten die Möglichkeiten gegeben werden, sich mit „Karrieren“ von ihrer Sucht abzulenken. Dann kann immer wieder auf Neue ein „Mythos“ entstehen mit der Gefahr einer blinden Gefolgschaft.
Fromme Wünsche an Kirchenleute müssen schon an die ganz große Glocke gehängt werden …
Wer aber hört bei dem Geklingel vom Humboldt-Carré eigentlich den Hilfeschrei abertausender Geschändeter aus familiären Kreisen – sollen die alle am Ende ihr Recht beim OEG einklagen?
Gerade die Kriegs- und Nachkriegsjahrgänge stehen im Schatten einer ‚Heiligen Kirche‘, die allzu eilfertig damals Absolutionen erteilte, ohne sich um die geschundenen Kinder zu kümmern – warum? warum? warum?
Ein großes DANKE SCHÖN an alle diejenigen, die bei klirrender Kälte ausgeharrt haben, um unser aller Interessen zu vertreten. HERZLICHEN DANK!
Danke auch an alle diejenigen, die nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass die weitaus größere Zahl der Betroffenen Opfer von Sexualstraftaten innerhalb der Familie sind und deshalb das beständige Schielen auf einen Entschädigungsfond, in den die Kirche(n) einzahlen, zu kurz greift (und wieder einen Großteil der Fälle/Betroffenen tabuisiert).
Hallo Petra,
das der Entschädigungsfond eingerichtet werden muss, dürfte für alle Betroffene klar und deutlich sein.
Ich, als Opfer, habe nie danach geschaut, wer nun mehr oder weniger missbraucht wurde, oder, ob der Missbrauch in einer kirchlichen oder staatlichen Einrichtung vollzogen wurde! All dies ist eigentlich Unerheblich. Es zählt der Fakt, wo immer der Missbrauch stattgefunden hat, muss angeklagt,verurteilt und Wiedergutmachung geleistet werden. Missbrauch ist nicht zur persönlichen Bereicherung geeignet, dafür wiegen diese Schandtaten zu schwer und hat bei vielen die Seele durchlöchert.
Ich gebe Dir in einem Recht, wenn man von einem mittleren bis schweren Missbrauch begutachten müsste, dann ist der Missbrauch durch eigene Familienmitglieder, als eine sehr schwere Straftat einzustufen.
Doch in allen Fällen, ob Kirche,Staat,Familie ist das Vertrauen dazu benutzt worden, aber auch die Abhängigkeit in der sich jedes Missbrauchsopfer befindet bzw. befunden hat.
Kein Heimkind hat sich in den 50er-70er Jahren an irgendjemand wenden können, so wie es heute der Fall ist. Es gab keine Opferverbände, geschweige denn kirchliche oder staatliche Anlaufstellen. Jahrzehnte waren wir gezwungen, alles mit uns selber auzumachen und zu tragen.
Gottseidank gibt es heute bei sofort bekannten Missbräuchen und schweren Erlebnissen (siehe Loveparade Duisburg) Notfallseelsorger und fachärztliche Betreuung vor Ort.
Es kommt also nicht so sehr darauf an, wo die meisten Missbräuche stattfinden, sondern das sie leider stattgefunden haben und noch heute stattfinden. Unser aller Ziel muss also sein, dies für immer und ewig zu verhindern.
Gerichte dürfen einen Dieb wegen einpaar Euro nicht härter bestrafen, als einen Missbrauchstäter/In. Ansonsten gerät unsere Gesellschaft in eine sozial-moralische Schieflage. Wenn der Wert des Geldes höher eingeschätzt wird, als das Kindeswohl, dann haben auch Gerichte nicht ihre Hausaufgaben gemacht und ihr Eid als Richter ist kein Pfifferling wert.
Ein Pädophiler, welcher seine krankhaften Neigungen erkennt, sollte wie bei einer erkannten Erkältung einen Arzt aufsuchen und nicht erst, wenn er vor Gericht steht.
L.G. Uwe
Hallo Uwe,
das unterschreibe ich voll und ganz!
Meine Bemerkung bezog sich auf diesen Satz im Artikel: „Ebenfalls aufgeschoben wurde die Diskussion um die Entschädigung der Betroffenen, was einigermaßen erstaunlich ist, da bei der letzten Pressekonferenz schon relativ konkret von einem Fond der katholischen Kirche die Rede war.“, den man so oder so ähnlich ja immer wieder von offizieller Seite liest und hört.
Klar ist uns Betroffenen schon längst klar (ich gehe jedenfalls ebenfalls davon aus), dass keine Unterschiede gemacht werden dürfen. Aber die vielen Nichtbetroffenen, die mit der Thematik nicht so vertraut sind, lesen eben leider ständig so einen Quatsch, bzw. so eine Engführung der Thematik.
Deshalb eben bin ich dankbar um alle diejenigen – Betroffenen und Nichtbetroffenen – die immer wieder dieser Engführung entgegentreten.
Schöne Grüße
hi,
Ich hätte schon sehr lange für meine Kinder und mich eine Entschädigung dringend nötig gehabt zum Überleben. Stattdessen spielten sie ihr Spiel weiter auf „Teufel komm raus“.
Ich weiss nun, warum es solange dauerte, bis ich sehen konnte……
Ich wollte denen die letzte Chance nicht nehmen, soweit ging meine bedingungslose Liebe…
Es ist gut, dass nun personal besser sensibilisiert wird und früher interveniert wird. Aber wie gestern aus Köln zu hören war, bestehen ja immer noch grosse hemmungen bei 10.000 Fällen jährlich, abzuwägen, ob man intervenieren soll oder nicht bei einem Verdacht,…..man könnte ja auch eine Familie zerstören. Das spiegelt auch die Meinung von einzelnen in der Gesellschaft wieder.
Frau Enders von Zartbitter betonte, dass sie den Eindruck immer wieder hat, dass Mitarbeiter die Realität, die Schwere des Verbrechens ,ausblenden, weil sie nicht damit umgehen können, ja,…..es selber garnicht fassen können. Ich hoffe nur, dass wirklich „Weglaufhäuser“ entstehen, denn die werden in naher Zukunft dringend benötigt.Alle professionellen sollten mit Vorbild vorangehen und der Gesellschaft zeigen, wie es funktioniert, „offen“ mit der Gewalt umzugehen.
Ich für meinen Teil bin froh, nicht im Kreise derer zu sitzen, die sich gegenseitig darin bestätigen, das ja „alles garnicht so schlimm“ ist und jeder sein Päckchen zu tragen hat,….und und und.Zwar bin ich alleine, aber nicht einsam,…..diese schlimmen erdrückenden Gefühle unter vielen dennoch einsam zu sein,…die sind futsch und dafür bin ich sehr sehr dankbar,……komme was wolle.
Diese innere Freihiet wünsche ich allen Menschen, aber wir können das nicht erzwingen, da muss jeder für sich selber dahinter kommen.
Vielleicht ist immer noch nicht ganz klar, was ich meine?
Also: Ich bin voll und ganz für eine Entschädigung/einen Entschädigungsfonds für alle Betroffenen. Ich bin außerdem dafür, dass in diesen Fonds nicht nur die Kirche(n), sondern auch der Staat (der jahrzehntelang nichts unternommen hat, obwohl das „Phänomen“ sexueller Missbrauch an Kindern in Familien, in Heimen, in Internaten, Kirchen, etc. schon lange bekannt ist!) sowie Täter (sofern man ihrer habhaft wird) und täterschützende Vereinigungen einzahlen müssen.
Was ich ankreide, ist die sprachliche Engführung: „Fond der katholischen Kirche“ oder „Entschädigungsfonds, in den (nur) die Kirche einzahlen soll“. Das führt in der Öffentlichkeit zu dem schiefen Bild „hauptsächlich sind es Kirchenopfer“ und zu der Annahme, dass, wenn die Kirche einen Fonds einrichtet, alle Betroffenen „versorgt“ sind (was aber selbstverständlich bei einem „Fond der katholischen Kirche“ ganz sicher nicht der Fall sein würde!) und somit endlich mal Ruhe geben sollen…
@ Uwe
Der Staat ist für die seit Beginn der BRD gewissermaßen „gewollte“ Schieflage zuständig. Verantwortlich sind die Nebelwerfer von damals und die, die sie zur Verstärkung bekanntlich sich selbst heranzogen – der Ungeist von heute entstammt kranken, kriminellen Hirnen aus grauer Zeit vorher. Zum Glück dürfen wir heute nicht nur unverhältnismäßige Gerichtsurteile beklagen, wir dürfen auch Zusatzausbildung für Juristen, Pädagogen, Mediziner fordern. Zwecks Umsetzung werden wir allerdings ganz nah DRAN bleiben müssen – das ist unser Part. Notfalls werden wir uns um Mediatoren kümmern müssen, die unsere „Sprache“ den mehr oder weniger abgehobenen Experten übersetzen können …
Tatsächlich sehe ich Gefahr im Verzug, wenn jetzt nicht die „Glanzstücke“ von Kirchenleuten, Schulen und Vereinen in Relation zur Ausweglosigkeit verschwiegener, weil überschonter Familien-Verhältnisse gesetzt werden.
Warum werden nicht längst alle Scheinwerfer darauf gerichtet: ‚Familie‘ sieht der Staat heilig – Kinder kann keiner schützen – WIE DAS?
Kann es sein, dass im Rechtsstaat sich eine Art „Gewohnheitsrecht“ für Täter klammheimlich eingeschlichen hat?