ZEIT ONLINE 24.11.2010
Von Tiefscharf 23.11.2010
Erstaunliches erreicht den Christenmenschen und auch den Rest der verdutzten Welt in den letzten Tagen aus dem Vatikan seitens des heiligen Vaters. Kondome, immer schon – in Kombination mit der Schwangerschaftsverhütung – ein Reizwort innerhalb der katholischen Kirche, möchte Papst Benedikt nicht mehr als absolut verboten ansehen. Schon will man jubeln und ihm, wie der Gesamtheit der katholischen Kirche, eine gewisse Einsicht bescheinigen – doch weit gefehlt: Im Endergebnis strebt er lediglich einem neuen Höhepunkt der Bigotterie und des Fanatismus entgegen. Nicht, was er tut, ist entscheidend – was er unterlässt, ist es.
„Der Papst führt in seinen Antworten [aktuelle Buchveröffentlichung] den Umfang des sexuellen Missbrauchs auf eine seit den 60er Jahren veränderte Mentalität auch in der Kirche zurück, die nicht mehr an das Böse an sich, sondern eher an mehr oder weniger gute Handlungen geglaubt hat.“ (Quelle: Tageszeitung)
Aha: Früher war also mal wieder alles besser.
Die Wahrheit ist: Was sich seit den 1960er Jahren vor allem in der Kirche verändert hat, ist der Umgang mit dem Thema sexueller Missbrauch und mit den Tätern.
Vertuschen und Verheimlichen war nämlich nicht schon immer die übliche Reaktion des Klerus auf sexuelles Fehlverhalten seiner Mitglieder. Was es allerdings schon immer gab, waren Kirchenangehörige, die sich einen Dreck um die Regeln scherten – die innerkirchlichen, aber auch die gesetzlichen.
In einem Papier aus der Gregorianischen Zeit (1073 bis 1085) heißt es:
„A cleric or monk who seduces youths or young boys or ist found kissing or in any other impure situations is to be publicly flogged and lose his tonsure. When his hair has been shorn, his face is to be foully besmeared with spit an he is to be bound in iron chains. For six months he will languish in prison-like confinement and on three days of each week shall fast on barley bread in the evening. After this he will spend another six months under the custodial care of a spiritual elder, remaining in an segregated cell, giving himself to manual work an prayer, subject to vigils and prayers. He may go for walks but always under the custodial care of two spiritual brethren, and he shall never again associate with youths in private conversation nor in counseling them.“ (Doyle, Sipe, Wall „Sex, Priests, and Secret Codes“, 2006)
Öffentlich auspeitschen, kahlrasieren, das Gesicht vollständig mit Speichel beschmieren und in eiserne Ketten legen. Sechs Monate lang in einer gefängnisähnlichen Unterkunft schmachten und an drei Tagen in der Woche bei Gerstenbrot fasten. Danach weitere sechs Monate unter der Obhut eines spirituellen Führers, immer noch abgesondert in einer Einzelzelle, bei Arbeit und Gebet, der Aufsicht und dem Gebet unterworfen. Ausgänge unter der Obhut von spirituellen Brüdern sind möglich, und er darf nie wieder mit Kindern und Jugendlichen Umgang haben, weder privat noch als Berater.