Offener Brief

Sehr geehrte Damen und Herren des Vorstandes des Katholikenrates des Bistums Osnabrück!

Ich schreibe diesen Text unter einem Pseudonym. Der Grund ist notwendiger Selbstschutz einerseits, noch mehr aber der unabdingliche Schutz meiner Familie. Ich bitte daher, die Geheimhaltung der Identität zu akzeptieren, verbinde dieses aber mit dem Hinweis, dass Herr Paul meine Identität kennt. Er erhält dieses Schreiben zur Kenntnis, verbunden mit der Bitte, die Kenntnis der Identität gegebenenfalls zu bestätigen, aber nicht offen zu legen (Herr Paul erhält das Schreiben auf postalischem Weg und daher später als Sie selbst; ich bitte, diesen Sachverhalt bei Rückfragen an Herrn Paul zu berücksichtigen).

Seit September 2010 ist der Gedanke eines Bußgottesdienstes im Raum, in dem der Bischof für den sexuellen Missbrauch an Jugendlichen und Kindern um Vergebung bitten wolle. Jetzt ist der Termin festgesetzt auf den 28. 11.2010. Ich wende mich an Sie, weil Sie sich im September des Jahres 2010 mit dem Thema „sexueller Missbrauch“ beschäftigt haben. Auch hat der Bischof offenbar ihren Kreis gewählt, um den Termin des Bußgottesdienstes bekannt zu geben. Ich gehe daher davon aus, dass Sie über die Gedanken, die zum Entschluss zu diesem Bußgottesdienst geführt haben, bestens informiert sind und somit einem Menschen, der im übertragenen Sinne ratlos vor diesem Bußgottesdienst steht, dessen Fragen zu beantworten in der Lage sind. Ob Sie Willens sind, ist eine andere Frage. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich vom Nicht-Wollen ausgehe.

Ich beginne mit der Frage: Wen will der Bischof um Vergebung bitten? Die Bitte um Vergebung muss, soll sie eine sinnvolle sein, einen Adressaten haben, also einen Gebetenen, der einerseits das Potential der Vergebung hat, dem andererseits die Entscheidung über Vergebung zukommt. Ein Adressat der Bitte ist im Text aber nicht genannt. Die Entscheidung zur Vergebung kommt doch, wenn um Vergebung von Missbrauch gebeten wird, vor allen anderen, wenn nicht sogar ausschließlich, dem oder den Missbrauchten selbst zu. Sie werden im Text allerdings mit keinem Wort erwähnt, geschweige denn zur Feier ausdrücklich eingeladen. So bleibt als zweiter Adressat der Vergebungsbitte des Bischofs die Gemeinschaft der Laien, die am Bußgottesdienst teilnehmen. Aber: Was sollen Sie vergeben? Den Missbrauch können Sie nicht vergeben, die Entscheidung darüber kommt Ihnen nicht zu. Folglich können Sie nur den Umgang mit dem Missbrauch durch die Bistumsspitze vergeben. Von einer solchen Bitte des Bischofs ist in der Ankündigung allerdings nicht die Rede. Wer soll also wem was vergeben? Welche Taten, welche Notwendigkeiten auf Seiten des Bittenden, welche Rechte auf Seiten der Gebetenen legitimieren die gewählte Konstruktion?

Warum bittet überhaupt der Bischof um Vergebung? Hat er sich persönlich Schuld zukommen lassen in der Art, um die er um Vergebung bitten will? Hat er also selbst missbraucht? Nicht einmal ich nehme eine solche Schuld an, ich kann mir eine solche Schuld auch nicht vorstellen, will es auch nicht und habe dazu auch keinerlei Veranlassung. Das entledigt ihn nicht der Frage, sondern fordert sie umso eindringlicher, warum er persönlich um Vergebung bittet. Oder bittet er gar nicht als Person um Vergebung, sondern als Bischof. Der Text des Kirchenboten weist in diese Richtung. Aber als Bischof spricht er für seine Kirche, für seine Gemeinde, konkret für die am Bußgottesdienst teilnehmenden Laien. Für Sie richtet er die Vergebungsbitte – an wen? An den oder die Missbrauchten? Eine solche Konstruktion ist nicht sehr glaubwürdig, gehörte dazu doch die ausdrückliche Einladung von Missbrauchten als Adressaten der Bitte. Die Einladung wäre möglich gewesen, sie ist dennoch nicht erfolgt. Wer also wird um Vergebung gebeten? Gott selbst? Aber: Ist der Priester, der Bischof nicht in einem Gottesdienst – und ein Bußgottesdienst ist ein Gottesdienst – der `Stellvertreter´ Gottes in diesem Gottesdienst? Richtet die Gemeinschaft der Laien ihre Vergebungsbitte dann nicht tatsächlich an den Bischof, der in Vollmacht Gottes dieser Bitte entspricht und vergibt – oder auch nicht? (Ob die Vollmacht besteht, sei hier nicht zum Thema gemacht). Dann aber: Wo ist die Wahrhaftigkeit in den Aussagen des Bischofs, wenn der Wortlauf der Ankündigung dem bedeuteten Inhalt kontradiktorisch ist? Auch dieses noch: Ist eine solche Bitte an `Gott´ nicht in Wahrheit eine im Sinne der alltäglichen Bedeutung des Wortes `billige´ Bitte, die nichts kostet außer ein bisschen gewolltes und wohl auch erhofftes öffentliches Aufsehen?
Dennoch, auch wenn die Einladung an missbrauchte Personen nicht ausgesprochen ist, so ist sie dennoch nicht ausdrücklich ausgeladen. Nimmt sie aber teil, dann als Laie. Damit findet sie sich unter denen wieder, die um Vergebung bitten, die Schuld auf sich geladen haben (sollen). Sie ist also schuldig, weil sie missbraucht wurde? Spätestens hier erweist sich doch die Konstruktion des Bußgottesdienstes als unzulässig (ich möchte das Wort `absurd´ vermeiden).

Das führt unmittelbar zur nächsten Frage: Warum, für welche Taten sollen die Laien um Vergebung bitten, wenn ausdrücklicher Gegenstand der Vergebungsbitte der Missbrauch von Jugendlichen und Kindern sein soll? Haben Sie alle Kinder und Jugendliche missbraucht? Worin besteht Ihre Schuld, die doch ausdrücklich keine Kollektivschuld ist? Aber die Negation der Kollektivschuld bedeutet nicht die Negation einer Schuld selbst, im Gegenteil. Die Negation der Kollektivschuld verweist die Schuld in den individuellen Bereich einer jeden Person, eines jeden Laien, die dann manifest wird, wenn die Person in die Position des um Vergebung Bittenden gesetzt wird – wie es im Bußgottesdienst (möglicherweise, siehe oben) geschieht. Haben die Laien also nicht im Kollektiv missbraucht, sondern einzeln, jeder für sich, aber eben: jeder für sich? Wenn nicht, wofür sollen sie um Vergebung bitten in Sachen Missbrauch? Ist der Hinweis im Text des Kirchenboten die Antwort? „Gleichwohl müsse sich Kirche nach wie vor fragen, wo sie Täter geschützt und Opfer übersehen habe“. Ist hier also die Gemeinschaft der Laien „Kirche“, nicht mehr aber die Institution, die doch sonst viel eher und viel früher unter dem Begriff `Kirche´ verstanden wird? Dann aber: Warum wird eine Kollektivschuld ausdrücklich bestritten, wo sich doch offenbar eine Gemeinschaft schuldig gemacht hat – und eben nicht der Einzelne? Wenn aber die Personengemeinschaft des Klerus, die die Institution Kirche bildet, Schuld auf sich geladen hat durch Schutz des Täters und `übersehen´ des / der Opfer: Warum sollen dann die Laien den Bischof als Spitze der (Regional-)Kirche um Vergebung bitten? Ist nicht dann die genaue Umkehrung der Kommunikationsrichtung geboten – womit sich der Kreis schließt?

`Schuld´ kann gemäß dem Kirchenbotentext im Schutz der Täter und im `übersehen´ der Opfer verortet werden. Ist es wirklich möglich, die Opfer zu `übersehen´? `Übersehen´ enthält ein Element des Ungewollten, des Nicht-Beabsichtigten; „Ich habe dich übersehen, ich habe es nicht gewollt, es tut mir leid“, so könnte die Sprechweise lauten. Aber: Ist ein solches `Übersehen´ wirklich möglich? Ist es nicht für jeden unabdingbar zu erkennen: Wo es einen Missbrauchenden gibt, gibt es notwendig mindestens einen Missbrauchten? Ist es wirklich glaubwürdig sagen, „Ich habe den Missbrauchenden geschützt, habe aber übersehen, dass es Missbrauchte geben muss“? Die Antwort lautet: Ja. Es ist möglich unter den Bedingungen der Systemtheorie, wenn das System `Missbrauchender´ beobachtet wird und damit gleichzeitig die Entscheidung fällt, den Missbrauchten nicht zu beobachten. Der Missbrauchte wird zur Umwelt des Systems, ist nicht mehr zu ihm gehörig und damit in der Beobachtung des System `Missbrauchender´ nicht mehr beobachtbar. Aber: Die Entscheidung zur Beobachtung des Systems `Missbrauchender´ ist eine Entscheidung, die auch anders hätte getroffen werden können. Der Missbrauchte wird nicht aus Missgeschick `übersehen´, sondern bewusst und gewollt unsichtbar gemacht. Der Begriff des `Übersehens´ verharmlost, verwischt das tatsächliche Geschehen, die Rede erweist sich so als unwahrhaftig. Bei all dem: Welche Schuld trifft den einzelnen Laien? Hat etwa jeder Laie bewusst die systemtheoretische Entscheidung getroffen und so Schuld auf sich geladen, für die er um Vergebung bitten müsste oder zumindest sollte? Doch wohl kaum!

Bei allem: Wo bleibt der einfachste Weg, der diesem ganzen Aufwand doch notwendig zumindest vorausgehen sollte allein aus Respekt vor der Missbrauchten. Wo bleibt die persönliche, direkte Bitte der Verantwortlichen, des Bischofs an die Missbrauchten um Vergebung, vorgetragen unter vier oder sechs Augen, die nur diese Bitte ist; die nicht vorgetragen wird, um Gegenstand groß angelegter Berichte oder Pressekonferenzen zu sein – und nur deshalb? Umgekehrt: Wenn die Verantwortlichen, der Bischof den Missbrauchten den Ihnen zukommenden Respekt verweigert: Mit welchem Recht geht er davon aus, dass diese, noch dazu notwendig alle, der Feier des Bußgottesdienstes dem ihm (vielleicht) zukommenden Respekt zollen?

Amos Ruth