Ich bin heute 57 Jahre alt und war im Alter von 5 Jahren Missbrauchsopfer. Meine Geschichte hat nur indirekt mit der Kirche zu tun. Aber sie zeigt sehr deutlich, dass „1 und 1“ zusammenkommt bei Missbrauch…
Ich schreibe sie auf:
Ich kam 1953 fast gelähmt zur Welt. Der Abtreibungsversuch meiner Mutter war schiefgegangen und hatte bei mir „lediglich“ die Rückenmuskulatur verletzt.
Wie es damals üblich war, lag ich knapp 3 Jahre festgebunden im Gipsbett, im Einzelzimmer, allein.
Meine Mutter hasste mich. Das wurde mir schnell klar an dem eisigen Wintertag, als ich im Stahlkorsett aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Keine halbe Stunde später setzte sie mich auf die Strasse, in den Schnee.
Ich kannte keinen Schnee, keine anderen Kinder. Ich war auf nichts vorbereitet – nicht auf den abgrundtiefen Hass meiner Mutter,
nicht auf die Hänseleien der Kinder in Bezug auf den Krüppel, nicht auf die Ablehnung der Umgebung, die mit mir nichts anfangen konnte… ich lernte, mich unsichtbar zu machen…meine Verzweiflung mit mir selbst abzumachen, stark zu sein…
Das änderte sich plötzlich, als ich 4 Jahre alt war. Der Nachbarstocher, ein Jahr jünger als ich, tat ich leid. Sie bot mir ihre Freundschaft an. Ich war seelig. Eine richtige Familie, die zusammenhielt! Vater, Mutter, Oma, Opa….
Ich begann, zu ihr rüberzulaufen, wenn meine Mutter mich mal wieder auf`s Grausigste gequält hatte und mir, wie üblich, den Tod wünschte. Dort war ich willkommen. Der Garten war ein Paradies für Kinder, die Mutter nett, der liebe Opa schubste uns Kinder auf der Schaukel an, zog uns auf seinen Schoss, streichelte uns liebevoll, erzählte Geschichten…alles normal, alles im Rahmen.
An einem heissen Augusttag, ich war inzwischen 5 Jahre alt, klingelte ich mal wieder bei der Nachbarstochter. Der Opa öffnete. Es war niemand da, nur er. Er bot mir an, im Garten auf meine Freundin zu warten. Das tat ich. Er stubste mich auf der Schaukel an, wie sonst auch. Ich war glücklich.
Doch plötzlich versetzte er mir einen üblen Stoss. Ich fiel von der Schaukel und schlug mit dem Kopf auf. Es tat höllisch weh – doch mein Entsetzen war noch schmerzhafter. Bevor ich überhaupt wusste, wie mir geschah, hob er mich hoch und setzte sich mir mir auf eine verborgene Gartenbank. Einen Moment lang streichelte er mich tröstend, dann öffnete er plötzlich seine Hose. Ich wollte weg, begann zu schreien – doch er umklammerte mich mit Gewalt, drückte mir die Hand auf den Mund,
kniff mich, bis mir wieder die Tränen liefen. Wutschnaubende Geräusche in Bezug auf mein Wehren kamen, böse Drohungen…
und dann zog er mir mein Höschen aus, missbrauchte mich. Ich hatte Todesangst, Schmerz, Panik, Entsetzen, Ekel, Abwehr..
Danach verhöhnte er mich: „Na los, geh doch zu Deiner Mami und sag ihr das! Niemand wird Dir glauben.Deine Mutter will Dich nur loswerden. Du bist krank, jeder weiss das. Ich sorge dafür, dass Du in die Klappsmühle kommst! Jeder, weiss, was mit Dir los ist! Na los, geh doch!“ Und so weiter, bösartige, üble Verhöhnungen.
Ich ergriff mein blutiges Höschen und rannte weg, nur weg…. verkroch mich…
Dennoch vertraute ich mich ein paar Wochen später der Nachbarstocher an. Sie war meine Freundin, zu ihr hatte ich Vertrauen…
Der Rest ist schnell erzählt. Ich verlor sie, wurde geschnitten, beschimpft, beleidigt, galt als psychisch krank, Kind mit dreckiger Phantasie, usw. Meine Mutter erfuhr davon und sagte, von ihr aus könne er mich töten. Und wenn ich nicht freiwillig wieder rüberginge, würde sie mich hinprügeln…
Seltsamerweise verstarb dieser Mann zwei Monate nach dem Missbrauch, aus heiterem Himmel. So kam ich um das „Hingeprügeltwerden“ rum… doch ich galt als psychisch krank, und das blieb. Denn ein Mann der Kirche – er war kirchlich sehr engagiert – tut sowas nicht…niemals…das habe ich mir eingebildet…
Nein, habe ich nicht! Doch ich lernte, zu schweigen. Erst viele Jahre später sprach ich in Therapie mit meinem Psychologen über mein Leben. Erstmals auch über den Missbrauch. Ich wurde mit allem fertig – doch die Angst vor Nähe, vor Sex, blieb mein Leben lang. Ich konnte ihn nur mit irrsinniger Liebe zu einem Mann unter Schmerzen ertragen. Und immer tauchte dieser Mann vor meinem inneren Auge auf, ich hörte seine wütende Stimme, roch ihn…es ist ein Trauma, das bleibt!
Liebe Grüsse, Anja
…….Liebe Anja….ich kenne Deine Träume,Geruch,Gedanken,Schauer…..
Heut vor genau !Jahr trieb mich meine Vergangenheit zum Suizidversuch,der mich „erlösen“sollte von alldem…..Heut aber bin ich Stärker und Glücklich,MEINEN 2. Geburtstag genießen zu dürfen.Ich bin froh,meine Traumatherapie Erfolgreich hinter mich gebracht haben zu können,denn genau diese veränderte mein ganzes Leben..Wie Du kannte ich Jahrelang weder Schnee,noch andere Dinge…es war Tot! Mit meiner Reha kam alldiese Dinge langsam zurück…es ist wie eine Neugeburt,wie ein Kleines Kind,was diese Wunder zum ersten mal für sich entdeckt…Was ich dir damit sagen mag…Egal wie stark Dich dies noch beeinflusst,Bitte gib NIE auf..glaub an Dich,an Deine Werte..Gern helfe ich Dir,erzähle dir über meine Schritte aus dieser Hölle zu entkommen…Ich begann vorher allein,die Therapie vollendete erst meine Stärke..Es sind die Menschen,die Du brauchst um diesen Weg zu schaffen..Menschen die an Dich glauben,die Dir die Kraft,Wärme,Hoffnung,Hand und vorallem Geborgenheit bieten/geben,wo andere entweder losgelassen,Zweifeln oder weggeschaut haben,als Du sie brauchtest bzw. wolltest…Wir sind da,hier..Wir sind Gleichgesinnte,jeder mit seiner eigenen Erfahrung,aber alle mit gleichen Träumen,Hoffnung,Stärke und Schwäche…
Du hast den Weg hierher gefunden…dazu gehört auch viel Kraft und Mut..und Stärke..ich weiß dies,denn auch ich war mal am Anfang…nun leite ich einen eignen Verein für Überlebende in Sachsen..und bin Landesbeauftragte hier für Sachsen..und es stärkt,jeden einzelnen Mutigen hier zu lesen und erleben,denn sich zu Öffnen,zu Kämpfen……….dies ist Stärke,die wir uns allein geben und damit Wertvoller als alle Täter bleiben.lg.
Liebe Peggy…
da laufen mir die Tränen! Du hast so liebevoll geschrieben…
ich danke Dir!
Ich würde gern der Gruppe beitreten, die Du leitest…Du machst soviel Mut,
ich freue mich für Dich!
Ganz liebe Grüsse, Anja
Hallo Anja, ..siehst Du was ich meine, mit „unserer Stärke“??? Du fühltest gleich..wie ich bei Dir..und bei allen anderen Gleichgesinnten…Wir empfinden Freude,gleiches Leid,Schmerz…und es tut verdammt gut einen Platz und Ort zu finden/bekommen,wo auch wir Willkommen,geliebt,ge & beachtet,verstanden,Glaubhaft und aufgefangen sind…Mein Sohn,der ebensfalls Überlebender ist und ich haben für uns eine „Geheiminsel“ erschaffen,unseren Ort für Schutz,Krafttankstelle,Oase der Seele,unser Schneckenhaus..-nur wir entscheiden,wer,was und wie diese „Peter Pan“Welt besuchen oder erleben darf..In unserer Prozeßzeit,die sehr hart und Langwierig war verzogen wir uns oft dorthin..Als ich Susi,Norbert und all diese Gleichgesinnten und Vorallem Idole kennenlernte kamen wir aus unserem Schneckenhaus,fingen an unsere Insel auf´s Festland zu bauen..Sie hat nun Boden,wir legten einen Graben herum,aber mit Brücken..Derzeit sind wir mit der „Innenarchitektur“beschäftigt,laden uns ab und zu Gäste ein,freuen uns über angebotene Hilfe ohne unser Zeptor aus der Hand zu reichen-Sicher bekämpfen auch wir noch Eindringlinge,aber wir erkennen sie mittlerweile und jede Abwehr macht unsere Insel sicherer,schöner,einmaliger ;O).. Ich bin überzeugt,das Du diesen Sinn blind verstehst,ohne das wir uns je trafen…;)
Gern bist Du Willkommen bei uns.Aus welcher Ecke bist Du denn?Am Besten Du setzt Dich mit Norbert in Verbindung oder sendest mir eine Nachricht an unsere Hotmail für Sachsen?Vergiss niemals,Du bist nicht allein-vertraue mir,es gibt wirklich Engel ohne Flügel..hier triffst Du ganz viele ;)..Bis bald.glg.
Liebe Anja,
deine Geschichte hat viele, viele Ähnlichkeiten mit der Geschichte meiner Schwester und mir. Ich finde es gut und mutig von dir, das du hier geschrieben hast.
Heike