netzwerkB 9.10.2010

von Amos Ruth

Es sind eine Reihe von Kommentaren zu meinem Text „Der Runde Tisch und die Wut“ veröffentlicht worden, genau so wie zum Artikel „Netzwerk Opfer von Gewalt in Kirchen“.

Inwieweit das NetzwerkB mit der Einschränkung auf die Opfer von Gewalt in Kirchen´ seinem Anspruch nachkommt, sei ganz bewusst hier nicht zum Thema gemacht. Sehr wohl aber ist Thema die darin zum Ausdruck kommende Einschränkung auf die Kirche – genauer – auf Kleriker als Täter von Missbrauch. Ich habe in meinem Text „Der Runde Tisch und die Wut“ die Wirkzusammenhänge zu analysieren versucht, nach denen sich säkulare Träger einschließlich des Staates Handlungsvorgaben und deren Legitimation von der Kirche entleihen, sich somit der eigenverantwortlichen Handlung einerseits entziehen, andererseits auch des eigenständigen Legitimationserfordernisses ihrer Handlungen entledigen. Somit liegt es nahe, den Leihgeber in den Blick zu nehmen, nicht aber das Geliehene selbst noch den Leihenden. Dabei ist mir durchaus bewusst, das die Beschränkung einer Gruppe auf Mitglieder mit dem Merkmal `Opfer von Gewalt in Kirche´ ein anderes ist als die bewusste Fokussierung des Handelns dieser Gruppe auf Kirche.

Die von mir vorgelegte Analyse stellt wie alle anderen vorher mögliche Wirkungszusammenhänge dar. Die Darstellung mag falsch sein. Sie wird aber nicht dadurch falsch, dass sie als falsch behauptet wird (noch übrigens dadurch, dass sie nicht verstanden wird). Sie wird noch weniger falsch durch das Totschlagargument des `Nicht in der Materie steckens´, das so wenig inhaltsvoll und wertig ist wie eine leere Menge. Von keinem chemischen Analytiker wird verlangt, dass er Teil der Lösung ist, die er analysiert. Im Gegenteil, wäre er Teil der Lösung, so wäre er nicht in der Lage, sie zu analysieren, ein Phänomen übrigens, das der Physik vor bisher ungelöste Herausforderungen stellt; Stichwort Quantenmechanik. Das Beispiel des Chemikers führt aber weiter, bedeutet doch das Finden eines Stoffes X in der Lösung nicht, dass dieser Chemiker oder ein anderer in dieser Lösung nicht einen oder mehrere weitere Stoffe finden kann. Noch weniger bedeutet es, dass die Lösung nicht Stoffe enthalten kann, die kein Chemiker findet. Auf unser Problem übertragen: Eine Analyse mag falsch sein, sie wird aber weder falsch durch die Behauptung ihrer Falschheit noch durch eine anders geartete Analyse derselben Situation. Eine Analyse kann nur durch Beweis ihrer Unwahrheit als falsch gezeigt werden.

Analyse ersetzt weder die Definition des Ziels eines Handelns noch den Zweck des Zieles noch die Mittel zum Zweck. Allerdings ist Analyse unabdingbar, die geeigneten Mittel zum Zweck zu finden, setzt doch jedes Mittel zum Zweck an der gegebenen Ausgangslage an. Ziel der Analyse ist es daher, diese Ausgangslage zu bestimmen, von der entscheidende Teile die soziologischen und argumentativen Strukturen des Gegenübers sind. Ich bin überhaupt nicht in der Lage, diese Strukturen vollständig und mit Anspruch auf Richtigkeit zu bestimmen, ich will es nicht und erhebe auch nicht den Anspruch. Sehr wohl aber möchte ich klarmachen, dass Handlungen des Gegenübers bedacht und verstanden werden können mit der Konsequenz, dieses Verständnis zur Basis eigenen Handelns machen zu können, aber nicht zu müssen. Das Verständnis als solches ist aus meiner Sicht ein Ziel an sich, nämlich des Zieles des Erhaltes des Selbstwertes. (Wer hat nicht das Wort vom lieben Gott gehört, der wolle, was geschieht. Wer hat sich nicht schuldig gefühlt, wenn er das Wollen Gottes mit seinem Empfinden nicht in Einklang zu bringen vermochte). Es ermöglicht aber auch die Formulierung eigenständigen Wollens und Handelns, dass sich eventuelle Schwächen des Gegenübers gezielt zu Nutze macht – sowohl des eigenen Handelns auch dessen, der für eine Gruppe handelt.

Eine stellvertretend handelnde Person bedarf ihrerseits der Legitimation gleich in zweifacher Hinsicht. Sie bedarf der rationalen, auch logischen Fundamentierung ihres Handelns. Es bedarf jedoch auch einer emotionalen Fundamentierung ihres Handelns, die ich durch die vielen Berichte des Geschehen gelegt sehe, einerlei, ob mit wütendem, frustriertem, aggressivem, resigniertem, traurigem oder trauerndem Einschlag. Ich habe diese Berichte als irrational bezeichnet. Das allein deshalb, weil sie eben nicht eine kalt-rationalem Kalkül folgen und auch nicht folgen können. Wären sie es, hätten sie ihre Glaubwürdigkeit verloren. Aber: so notwendig die Berichte für die Fundamentierung von Handeln sind, sie ersetzen nicht die Handlung selbst – sei es die eigene oder die stellvertretende. Das Handeln aber bedarf der Erkenntnis möglichst vieler Facetten dessen, woran Handlung ansetzt. Solche Facetten aufzuzeigen, ist mein Anliegen. Ich kann nicht alle Facetten erkennen. Ich kann weder garantieren, die entscheidenden Facetten zu erkennen noch weiß ich um die Richtigkeit des Beschriebenen. Liege ich falsch, weisen Sie es (mir) auf. Erkennen Sie anderes, so berichten Sie: Wir profitieren alle, und sei es nur durch ein (besseres) Verstehen dessen, was geschieht.