netzwerkB 5.10.2010

von Amos Ruth

Immer wieder wird von Betroffenen mehr oder weniger emotional, mit mehr oder weniger versteckter Wut die Struktur des `Runden Tisches´ beklagt. Immer wieder wird auch eine Veränderung dieser Struktur verlangt dadurch, das Betroffene unmittelbar am `Runden Tisch´ Platz finden wollen. Immer wieder wird auch beklagt, dass über Missbrauchte, aber nicht mit Ihnen gesprochen wird. Ich möchte im Folgenden versuchen – mehr kann und will ich nicht, und das auch nur als Anstoß zum Bedenken, nicht mir Anspruch auf Wahrheit – die Grundlagen des Denkens und des Handelns der Teilnehmer am Runden Tisch zu finden und darzulegen. Der Übersichtlichkeit und der notwendigen Kürze wegen teile ich die Teilnehmer im Folgenden ein in eine kirchliche, ecclesiale und in eine säkular-profane Gruppe, wohl wissend um die damit verbundene, im Detail sicher ungerechtfertigte Vereinfachung der Dinge.

Betroffene fordern so intensiv die Beteiligung am Runden Tisch wie sie die verschiedenen Vorschläge, Gedanken und Impulse für das notwendige Handeln, hier insbesondere die Beiträge zur Entschädigungsfrage durchweg ablehnen. Durchweg allen Beiträgen und Äußerungen von Betroffenen ist ein Kennzeichen gemeinsam: Sie sind emotional, damit auch irrational. Die in den Beiträgen gestellten Forderungen und Vorstellungen entsprechen der Gefühlslage des einzelnen Betroffenen und sind nur in ihr fundiert. Da eine Gefühlslage jedoch eine einer Person originäre, für keine andere Person identisch geltende und mögliche ist, entsteht ein Chor, der so groß wie dissonant ist. Daran ist weder etwas schlechtes, noch weniger ist daran etwas falsch; im Gegenteil entspricht es genau der Situation der Betroffenen selbst und bildet es damit authentisch ab. Dennoch ist die Situation in fataler Weise folgenreich.

Am Runden Tisch sitzen Menschen, die als Vertreter einer Institution, die jede einer der beiden oben definierten Gruppen zugeordnet ist, den in der jeweiligen Institution geltenden bürokratisch-technokratischen Denkstruktur unterworfen ist und ihr zu entsprechen hat. Die Denkstruktur einer Institution ist notwendig eine rationale. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Emotionen der handelnden Personen so weit wie möglich, im Idealfall vollständig unterdrückt werden müssen, um so überhaupt eine Handlung der Institution, d.h. aller Personen innerhalb dieser Institution zu ermöglichen. Das Einbringen von Emotionen durch welche Person auch immer und damit einer nur dieser Person eigentümlichen Denkweise stellt diese Person notwendig als Individualität dar – und disqualifiziert sie so als handelnden Teil einer Institution.

Die Betroffenen / Missbrauchten selbst sind aber eben nicht rational, sondern als Individuen irrational-emotional sprechend und handelnd. Das hat einerseits zur Folge, dass sie als Teilnehmer am Runden Tisch – eben durch ihre Emotionalität – disqualifiziert sind. Dennoch können die Missbrauchten nicht aus einem Runden Tisch ausgeblendet werden, der sich mit dem Geschehen von Missbrauch und dessen Folgen befasst. Das bedeutet, dass die irrationalen Aussagen der Betroffenen in eine Form gebracht werden müssen, die den Anforderungen der Verhandlungen der Teilnehmer des Runden Tisches entspricht: Die irrational-emotionalen Aussagen müssen rationalisiert werden. An dieser Stelle tritt die `Unabhängige Beauftragte´ auf. Sie bildet das Relais zwischen dem irrational-emotionalen missbrauchten Individuum und der (zumindest sich selbst als so betrachtenden) rationalen Ebene der über Missbrauch Handelnden. Die Transformation irrational-emotionaler Aussagen zu rational-empirischen Daten erfolgt durch begleitende Forschung, die ihrerseits auf die Datenerhebung des Relais basiert. Der Zwischenbericht vom 14.09.2010 zeigt den Vorgang der Transformation sehr schön auf. Hier ist auch der Grund zu finden für die Bereitstellung von Mitteln zur Forschung an den Missbrauchten, wenn auch nicht für ihre Höhe, die in keinem Verhältnis steht zur für die Missbrauchten selbst zur Verfügung gestellten oder auch nur in den Raum gestellten Beträge. Von hier aus ist es auch möglich, das für den 10.11.2010 angesetzte Gespräche zwischen `Unabhängiger Beauftragten´ und Missbrauchten einzuordnen. Die Unabhängige Beauftragte hat irrationale, aber rationalisierbare Aussagen einzuholen, die dann als Daten in die Verhandlungen am Runden Tisch eingebracht werden können und müssen. Das Einbringen kann allerdings nur durch die Unabhängige Beauftragte erfolgen, kann sie doch rational-empirisch sprechen, eine Eigenschaft, die jedem Missbrauchten, eben weil er missbraucht ist, notwendig abgeht.

Die Transformation Aussagen in Daten durch die `Unabhängige Beauftragte´ hat die Konsequenz, dass diese als einzige Institution in der Lage ist, rational über die irrationalen Aussagen der Missbrauchten zu sprechen und zu handeln. Sie ist damit in logischer Konsequenz aus Sicht beteiligter Institutionen die einzig legitimierte, weil einzig vorhandene Institution, die Missbrauchte überhaupt auf geforderter, d.h. rationaler Ebene zu vertreten in der Lage ist. Daraus ergeben sich rational drei Konklusionen:

  1. Die Missbrauchten sind am Runden Tisch vertreten.
  2. Die Missbrauchten sind am Runden Tisch vertreten auf die einzig mögliche Art und Weise deshalb, weil nur diese eine überhaupt vorhanden ist.
  3. Die Missbrauchten sind vertreten ausschließlich aufgrund des Handelns der Rationalen selbst, denn sie sind es, die die Transformation von emotionaler Aussagen in rational-empirische Daten ermöglicht haben.

Die Missbrauchten sind folglich zu Dank verpflichtet, ihr ständiges Murren ist Undankbarkeit in Reinform. Damit aber auch: Die Forderungen nach Beteiligung der Missbrauchten am Runden Tisch gehen aus Sicht der Rationalen ins Leere. Einerseits, weil diese doch vertreten sind. Andererseits, weil sie den an Teilnehmer des Runden Tisches gestellten Anforderungen, eben der Rationalität, nicht entsprechen. Eine Tatsache, die sie gerade durch ihre immer wiederholten Forderungen und das damit offenkundig gemacht Unverständnis für den Charakter des Runden Tisches in schönster Weise dokumentieren.

Werfen wir einen Blick auf die Merkmale der Gruppen am Runden Tisch und ihre Beziehungen zueinander. Es nehmen, so die Sprachregelung, alle interessierten gesellschaftlichen Gruppen teil. Diese Aussage ist in sich natürlich falsch, nehmen doch nicht Gruppen teil, sondern Personen, die als Vertreter von Gruppen von allen Anderen Teilnehmern akzeptiert werden. (Sie ist auch falsch, weil nicht alle gesellschaftlichen Gruppen teilnehmen). Alle Personen sind somit durch die von Ihnen vertretenen Gruppen legitimiert und nur durch sie. Andererseits sind sie dem Statut der Gruppe verpflichtet und an dieses gebunden, wollen sie Aussagen / Zusagen machen, die die Mitglieder der vertretenen Gruppe binden. Alle Statuten der profanen Gruppe sind notwendig basiert auf der profanen Verfassung des säkularen Staates. Dagegen ist die ecclesiale Gruppe basiert auf dem Kirchenrecht, dass die Nutzung der Strukturen profanen Rechts zulässt, soweit es nicht dem kirchlichen Recht widerspricht oder den Interessen von Kirche entgegentritt, die Nutzung aber auch dann keineswegs erzwingt, soweit profanes Recht mit dem Kirchenrecht kompatibel ist. Die ecclesiale Gruppe hat damit einen wesentlich größeren Spielraum als die profan basierte Gruppe, insofern sie in einen Argumentationsbereich ausweichen kann, der der profanen Gruppe nicht zugänglich ist, während der Argumentationsbereich der profanen Gruppe der ecclesialen Gruppe ebenfalls in voller Ausdehnung ebenfalls zur Verfügung steht. Beiden gemeinsam ist hingegen ihre Stellung zu den Missbrauchten: Sie sehen sich emotional als über diese stehend einerseits, sie sprechen folgerichtig – im Sinne des Wortes – über die Missbrauchten.

Ziel des Runden Tisches ist es, eine Regelung zum Umgang mit dem Geschehen des Missbrauchs, eingeschlossen die Missbrauchten, zu finden: das Ziel ist die Setzung von Recht. Eine solche Rechtssetzung ist am Runden Tisch ohne Probleme möglich, solange das gesetzte Recht nur für die gültig sein soll, die es setzen, einschließlich derjenigen, die von Ihnen gemäß den jeweils geltenden Statuten vertreten werden. Die `Unabhängige Beauftragte´ ist hierin durchaus mit einzubeziehen, erhebt sie doch den – von den Teilnehmern am Runden Tisch anerkannten – Anspruch, für die Gruppe der Missbrauchten zu sprechen. Ihre Zustimmung zur Rechtssetzung sollte daher die Missbrauchten binden in gleicher Form, wie es die Mitglieder vertretener Gruppen am Runden Tisch bindet. Die Bindung wird jedoch erst durch das Vorhandensein von beidem erreicht: der Zustimmung des Vertreters zum gesetzten Recht und der Satzung der Gruppe. Letzteres fehlt jedoch der Unabhängigen Beauftragten, deren Votum somit keinerlei Bindungswirkung erzielen kann.

Die Rechtssetzung ist somit auf andere Weise zu legitimieren, soll die Bindung an die erfolgte Setzung als gegeben behauptet werden können. Zwei Wege sind möglich. Der erste ist der demokratische Weg, in dem die Zustimmung der von der beabsichtigten Rechtssetzung Betroffenen eingeholt wird. Damit kommen die Missbrauchten wiederum ins Spiel mit der konkreten Folge, dass die rationale Rechtssetzung dem irrationalen Urteil des Missbrauchten ausgesetzt wird: Der ganze Aufwand zum Ausschluss der Irrationalität wäre für die Katz. Bleibt der zweite Weg: die Legitimierung von `oben´, die Legitimierung durch die Berufung auf ein Höchstes, Unfehlbares: die Berufung auf Gott. Diese Legitimierung ist allerdings nur möglich durch die dieser Anrufung Mächtigen, die nach Lehre und Selbstverständnis von Kirche notwendig Priester sind und damit Teil eben dieser klerikalen Kirche. Die ecclesiale Gruppe handelt somit auf zweifacher Ebene, wenn sie einerseits Vertragspartner für profane Rechtssetzung ist, andererseits diese Rechtssetzung selbst durch Anrufung Gottes und die nur ihnen verständliche Art und Weise der Erkenntnis der Zustimmung dieses Gottes zum Vertrag legitimieren. Da die Legitimation der Rechtssetzung des Runden Tisches und damit der Runde Tisch selbst damit vollständig abhängig ist von der Kirche, kommt dieser eine absolute Vorrangstellung zu. Diese ist keineswegs nur theoretischer Natur, findet sich doch in der Pressemitteilung der DBK vom 30.09.2010 dazu eine Formulierung, die praktischer Ausfluss dieser Machtposition ist. Dort wird ausgeführt, dass die Festlegung eines Betrages zur Anerkennung des Leides der Missbrauchten am Runden Tisch erfolgen solle – `wenn möglich in Übereinstimmung mit den anderen Runden Tisch vertretenen Organisationen´. Im Klartext: Kirche hätte schon gern die Übereinstimmung mit anderen Organisationen, benötigt sie aber nicht. Sie allein vermag Recht zu setzen, weil sie allein über die Legitimierungsmittel verfügt, wenn nicht der Weg der Befragung der Irrationalen beschritten werden soll oder kann. Dabei wird geflissentlich die Irrationalität der eigenen Legitimationsform übersehen, die sogar noch weiter geht wie die Irrationalität der Missbrauchten. Diese ist immerhin noch als in der Person begründete weltimmanent, währen die Irrationalität der Kirche ihre Basis in der Transzendenz findet.

Die Legitimation durch `von oben´, durch ein transzendentes Wesen – Gott – setzt die Unterwerfung der Verpflichteten unter diese Art von Legitimation voraus. Die christlichen Laien sind per Kirchenrecht zur Unterwerfung verpflichtet, nichtchristliche Laien haben als Person der Macht von Kirche nichts entgegenzusetzen und werden so zur Unterwerfung mangels Optionen gezwungen. Bleibt die Frage, warum die profanen Organisationen die Unterwerfung unter Machtstellung der Kirche offenbar klaglos vollziehen. Die mögliche Antwort: sie profitieren, schließen sie sich doch dem von Kirche gesetztem Recht an, setzen es für ihren eigenen Bereich in Kraft. Das von Kirche bestimmte Recht ist notwendig durch Kirchenrecht bestimmt. Weil Kirche gemäß Kirchenrecht keine Verantwortung für eigene Handlungen gegenüber dem Laien übernehmen kann, ist folglich keinerlei Verantwortungsübernahme darin enthalten. Übernimmt eine säkulare Organisation dieses Recht, übernimmt sie Verantwortung in gleichem Maße wie Kirche: nämlich keine. Zudem hat diese Konstruktion für jede säkulare Organisation den unschätzbaren Vorteil, von ihr selbst nicht verantwortet werden zu müssen, stammt es doch von einem anderen, noch dazu in göttlicher Vollmacht Handelnden. Die so in das profane übernommene Rechtsbestimmung erhält somit faktisch die Qualität des Unantastbaren, das ihm als originär profanes Recht unmöglich zukommen und vermittelt werden könnte.

In der Summe erweist die Strukturanalyse des Runden Tisches die bewusste und gezielte Disqualifikation der Missbrauchten. Das Nichtverstehen der Disqualifikationsmechanismus wird zum Beweis der Berechtigung der Disqualifikation selbst. Weiter erweist sich der Runde Tisch als für die Kirche letztlich unnötig; sie handelt ohnehin in eigener, irrational begründeter und damit nach eigener Logik disqualifizierter Vollmacht so, wie sie handeln will. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Runde Tisch als Übertragung von Machtmitteln der Kirche auf säkulare Organisationen, die diesen originär nicht zugänglich sind und die ihnen auch nicht zukommen. Letztlich leiht Kirche ihre Machtmittel aus zum Schaden der Missbrauchten. Gleichzeitig schafft sie damit Schuldverpflichtungen säkularer Organisationen einschließlich des Staates ihr gegenüber, die sie nicht zögern wird, bei Gelegenheit zu ihrem eigenen Vorteil auszuspielen, zum Beispiel bei der Sicherung der ihr zufließenden Finanzmittel des Staates. Letztlich wird nicht nur über die Missbrauchten verhandelt, sondern diese werden Mittel zum Zweck eigener Machterhaltung und Ausweitung degradiert.

Mein Anliegen ist es, mögliche Denk- und Handlungsstrukturen der Beteiligten am Runden Tisch sichtbar zu machen. Die mehr oder weniger wütend geforderten Antworten auf die Forderungen der Missbrauchten bleiben aus. Diese Antworten müssen aber ausbleiben dann, wenn gerade die Nichtantwort Teil des strategischen Denkens des Gegenübers ist. Dieses als möglich aufzuzeigen habe ich oben versucht. Dieses zu erkennen, so hoffe ich, ermöglicht den Erhalt der Selbstachtung dadurch, die Schuld an der Situation nicht bei sich selbst zu suchen, sondern stattdessen die eigene Emotion als gerechtfertigt auch und gerade dann zu erkennen, wenn sie vom Gegenüber als disqualifizierendes Moment genutzt wird.