morgenweb.de 28.09.2010
Urteil: Bürstädter wegen sexuellen Missbrauchs „gerade noch so“ zu Bewährungsstrafe verurteilt
Bergstraße. „Sexueller Missbrauch ist kein Kavaliersdelikt. Es ist Mord an der Kinderseele“. Rechtsanwältin Angela Gräf, die die als Nebenklägerin auftretende Mutter des Missbrauchopfers vertrat, sprach gestern im Prozess gegen einen 44- Jährigen aus Bürstadt von den seelischen Schäden des Kindes und den Folgen, die auch sieben Jahre nach den Taten gegenwärtig sind und die heute 17-Jährige vermutlich ein Leben lang begleiten. Zum Zeitpunkt der Übergriffe war sie zwischen zehn und zwölf Jahre alt. Bis zum heutigen Tag leidet das Opfer unter Schlafstörungen, Angstattacken und hat nach wie vor erhebliche psychische Probleme.
Der Vorsitzende der Jugendschutzkammer am Landgericht Darmstadt, Richter Jens Aßling, sah es ähnlich: „Ihre Tochter leidet noch immer, und es ist fraglich, ob sie jemals darüber hinwegkommt“, richtete er in der Urteilsbegründung das Wort an den gelernten Metzger, der „schwere Schuld auf sich geladen hat“. Die Kammer verurteilte den als Chemikant tätigen Angeklagten wegen schweren Missbrauchs an seiner leiblichen Tochter und sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Das Gericht setzte die Strafe „gerade noch so“ zur Bewährung aus. „Es ist uns nicht leicht gefallen“, erklärte Aßling dazu.
Strafmildernd habe man die lange zurückliegende Tatzeit, vermutlich in den Jahren zwischen 2003 und 2005, das Teilgeständnis des Bürstädters und dessen Selbstanzeige gewertet. Letztere sei allerdings erst „haarscharf vor der Entdeckung der sexuellen Übergriffe“ erfolgt. Der 44-Jährige, der während des Prozesses immer wieder in Tränen ausbrach, muss eine Geldbuße in Höhe von 3000 Euro an den Verein „Wildwasser“ in Darmstadt zahlen.
„Ich bereue, was ich gemacht habe, bis an das Ende meines Lebens“, sagte der von Weinkrämpfen geschüttelte Angeklagte während seiner Aussage. Das Motiv sei ihm nach wie vor ein Rätsel. „Ich habe meiner Tochter das Herz gebrochen.“ Er hoffe, dass sie ihm irgendwann verzeihe.
Nur die Spitze des Eisbergs
Die Kammer sah es nach dem Geständnis des Bürstädters und der Vernehmung des Opfers – die unter Ausschluss der Öffentlichkeit und in Abwesenheit des Angeklagten stattfand – als erwiesen an, dass das Kind von seinem leiblichen Vater in dessen Wohnung in Bürstadt sexuell missbraucht wurde. Sowohl der Kammer, als auch Staatsanwältin Nicole Hilbrecht und Nebenklägervertreterin Angela Gräf war klar, dass es sich bei den angeklagten zwei Übergriffen lediglich um die Spitze eines Eisbergs handelte. Tatsächlich hat sich der Vater nach Angaben seiner Tochter etwa ein Jahr lang bis zu zwölf Mal an ihr vergriffen. Dabei soll sich die Intensität der Taten von Mal zu Mal gesteigert haben.
Zum sexuellen Missbrauch kam es, als der Angeklagte getrennt von seiner Ehefrau und den drei Kindern in einer eigenen Wohnung lebte und seine Tochter ihn dort an den Wochenenden besuchte. Erst im vergangenen Jahr vertraute sich das Opfer der Mutter an. Nachdem die Tochter ihren Vater vor dem Familiengericht, das über Sorgerecht und Namensänderung beschied, schwer beschuldigte und dieser mit einer Strafanzeige rechnen musste, stellte er sich wenig später bei der Polizei. Staatsanwältin Hilbrecht, die eine Gefängnisstrafe von zweieinhalb Jahre beantragte, hielt dem Bürstädter dessen „emotionalen Tiefpunkt“ zum Zeitpunkt der Trennung und Scheidung von seiner Ehefrau zugute. Eine Rückfallgefahr sei wenig wahrscheinlich.
Nebenklägervertreterin Angela Gräf kreidete dem Angeklagten den großen Vertrauensbruch an, den er an seiner Tochter begangen hat. Dieser habe mit dem Missbrauch an seinem Kind ein „absolutes Tabu“ gebrochen. „Er schämt sich unglaublich“, erklärte Verteidiger Robert Kari (Lampertheim) im Namen seines Mandanten. Dieser wisse, dass er „schwere Schuld auf sich geladen hat und dafür bestraft werden muss“. Obwohl er sein Kind beschädigt habe, habe er das „Leben und die Seele“ nicht total zerstört. Der Angeklagte, dem Kari eine gute Sozialprognose prophezeite, sei auch dadurch bestraft, dass er in seiner Firma als „Kinderschänder“ verschrien sei und gemobbt werde. Der Verteidiger plädierte für eine Strafaussetzung zur Bewährung. Damit sei sichergestellt, dass der Bürstädter weiterhin in der Lage sei, Unterhalt für seine Kinder zu zahlen.
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