31.08.2010
Filed under: Religion & Kirchen — Britta Baas @ 21:27
Drei Durchgänge brauchte es, bis die Neufassung der Leitlinien stand: Die katholischen Bischöfe Deutschlands haben endlich ihr aktuelles Papier zum Umgang mit sexueller Gewalt in der Kirche veröffentlicht. Viel gewonnen ist nicht: Weder sind alle Bischöfe verpflichtet, einheitlich zu handeln, noch fällt ein klares Wort über die Entschädigung der Opfer.
Bischof Stephan Ackermann gibt sich am Nachmittag des 31. August alle Mühe, das interne Verhandlungsergebnis der Bischöfe positiv zu verkaufen. Bei der Pressekonferenz in Trier spricht er ruhig und entgegenkommend, geht auf jede Frage freundlich und diplomatisch ein. Der Mann beherrscht sein Handwerk als Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz im Umgang mit dem heiklen Thema. Nur einmal wird er emotional. Auf die Frage, ob sich denn alle Bischöfe an die neuen Leitlinien halten würden, kommt ein emphatischer Ruf: »Selbstverständlich!« Und unter kühner Uminterpretation der deutschen Grammatik setzt der Bischof nach: »Das ist ein Indikativ!«
Was Ackermann dmit klarstellt, sagt mehr als tausend Worte: Dieser Mann wünscht sich sehnlichst, dass alle Bischöfe an einem Strang ziehen. Und weil sie das nicht tun, liest sich Ackermanns Ausruf als Appell nach innen: Reißt euch zusammen, damit wir vorwärts kommen! Dass sein Ausruf nicht wirklich etwas darüber sagt, wie die einzelnen Bischöfe im Detail mit den Leitlinien verfahren, macht er später deutlich. Nochmals kommt eine Journalistenfrage: »Sind die Leitlinien verbindlich?« Und Ackermann antwortet: »Wir halten uns daran – im Rahmen des Rechts der Kirche.«
Das Recht der Kirche aber besagt, dass jeder Diözesanbischof in seinem kirchlichen Zuständigkeitsgebiet zwar dem Jurisdiktionsprimat des Papstes unterworfen ist, ansonsten aber fast unbeschränkte Lehr- und Leitungsvollmacht hat. Wie er die Leitlinien auslegt und welche Handlungen daraus für ihn folgen, lässt sich dehnbar interpretieren. Und wie, um das noch einmal sicherzustellen, wird in vielen Punkten der neuen Leitlinien auf die Machtfülle des Diözesanbischofs verwiesen. Er ist es, der den Beraterstab zum Vorgehen gegen sexuellen Missbrauch zusammenstellt. Er ist es, der Rom informiert oder auch nicht. Er ist es, der über konkrete Hilfen für die Opfer entscheidet. Er ist es, der letztlich den Kopf dafür hinhält, ob ein Fall an die Staatsanwaltschaft weitergegeben wird oder nicht (immerhin wollen die Bischöfe künftig so oft als irgend möglich ihre Fälle an die Staatsanwaltschaft weiterleiten, allerdings mit Ausnahmen). Und er ist es auch, der auf der Basis forensisch-psychiatrischer Einschätzungen über die kirchliche Zukunft eines Täters das Urteil fällt.
Am schmerzlichsten aber an den neuen Leitlinien, die die revisionsbedürftige Fassung vom September 2002 ersetzen, ist, dass die deutschen Bischöfe sich nicht dazu durchringen konnten, über finanzielle Entschädigungen auch nur ein konkretes Wort zu verlieren. Auch danach wird Ackermann in der Pressekonferenz gefragt. Und er verweist auf den Runden Tisch in Berlin: Da nehme die Kirche teil, dort werde man zusammen mit anderen betroffenen Institutionen nach einer gemeinsamen, einvernehmlichen Lösung suchen. Mit anderen Worten: Jeder wartet auf jeden, niemand geht voran. Die deutschen Bischöfe scheinen einem alten Kinderspiel zu frönen: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren.
Und wer sich zuallererst bewegt hat, steht ja auch schon fest: Es waren die Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche, die handelten, indem sie ihre Not öffentlich machten. Wollen die Bischöfe diese Opfer weiter in der Verliererrolle halten? Vielen Bischöfen ist diese Konstellation bewusst – und sie ist ihnen peinlich, davon kann man getrost ausgehen. Doch peinlich hin oder her: Noch schwieriger scheint es zu sein, die zahlenmäßig wenigen Hardliner in der Bischofskonferenz eines Besseren zu belehren. Wäre das gelungen, sähe die revidierte Fassung der Leitlinien anders aus: klarer, mutiger, weniger dehnbar.
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Britta Baas ist Redakteurin von Publik-Forum.
Quellenhinweis: www.publik-forum.de/blog
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