Tages Anzeiger 21.07.2010

Von Bruno Kaufmann, Stockholm. Aktualisiert um 04:00 Uhr

Nach Feierabend verwandelte er sich jeweils zum Sexualverbrecher: Der schwedische Ex-Polizeichef steht vor Gericht.
Tagsüber trat der heute 64 Jahre alte Familienvater Göran Lindberg als Vorzeigepolizist auf. Im Auftrag der Stockholmer Regierung nahm er an internationalen Kongressen gegen die Gewalt an Frauen teil. Nach Dienstschluss mutierte der frühere Rektor der Stockholmer Polizeihochschule jedoch zum Monster, das sich an jungen Frauen verging und in der schwedischen Hauptstadt ein geheimes Sexnetzwerk betrieb. Gestern musste sich Lindberg vor dem Amtsgericht in Södertörn südlich von Stockholm die Schlussplädoyers in seinem Fall anhören: Den ehemaligen Polizeistar erwartet eine lange Gefängnisstrafe.

Keine Gnade bei Sexualverbrechen

Wenn es um Fragen der Gleichberechtigung und von Sex unter Zwangsbedingungen geht, versteht Schweden keinen Spass. Nicht nur ist die Gleichstellung von Mann und Frau seit Jahrzehnten wichtiges Staatsziel, seit mehr als zehn Jahren ist auch die Prostitution verboten und wird Sex mit Minderjährigen mit hohen Strafen belegt. In diesem Umfeld machte Göran Lindberg beruflich Karriere: Schon als kleiner Beamter in der Stockholmer Vorstadt Huddinge sprach er sich für die Förderung von Polizistinnen aus, später als Polizeichef in Uppsala und Leiter der nationalen Polizeiausbildung nahm er pointiert Stellung gegen jegliche Diskriminierung. Schliesslich ernannte ihn die sozialdemokratische Regierung zum Delegierten für Fragen sexueller Gewalt gegen Frauen; eine Rolle, die Lindberg an UNO-Tagungen laut Kollegen «mit grosser Glaubwürdigkeit» wahrnahm und so dazu beitrug, das progressive Image Schwedens in der Welt zu stärken.

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