Bettina Wulff
Bundespräsidialamt
Spreeweg 1
10557 Berlin

Fax: (030) 20 00-19 99

Sehr geehrte Frau Wulff,

den Medien entnahmen wir, dass Sie sich noch nicht für eine bestimmte Aufgabe in Ihrer Position als „First Lady“ festgelegt haben.

Wir möchten heute einen Vorschlag an Sie herantragen.

Das Schweigen über Gewalt an Kindern wird auch in unserem Land immer mehr gebrochen. Das ist endlich eine sehr positive Entwicklung!

Allerdings zeigt sich in den letzten Monaten auch, wie die Verbrechen in Familien und anderen Institutionen erst durch Vertuschen, Wegschauen und Schweigen über Jahrzehnte das bekannte, gleichsam epidemische Ausmaß erreichen konnten.

Dem „Netzwerk Betroffener von sexualisierter Gewalt“ wird zunehmend von „verjährten“ Leid-Erfahrungen berichtet, die für das Opfer selbst nie verjähren und die bleibende Schäden in ihrem Leben hinterlassen haben.

Es sind Schäden, die sich nie allein auf die direkt betroffene Person verheerend auswirken, sondern auch (wie etwa allgemein von PTBS bei Kriegsveteranen und Nazi-Opfern bekannt) in ihre Familien getragen werden, mindestens also eine nächste Generation weiter belasten.

Eine juristische Verjährung dürfte unter diesem Aspekt nicht sein!

Die Problematik müsste die gesamte Gesellschaft interessieren!

Kosten für Erkrankungen, Verdienstausfälle bis hin zu Erwerbsunfähigkeit und der Entstehung eines „Prekariats“ sind dann nicht mehr ’nur‘ Privatangelegenheit.

Sehr treffend formulierte ein Bürger in unserem Forum in diesen Tagen: „Sexualisierte oder sexuelle Gewalt ist eine sehr ernste Sache, bei der Betroffene oft eher beschämt als wütend sind und sich daher meist mit ihrem Schmerz zurückziehen.“

Mit solch ausgeprägten komplexen posttraumatischen Belastungsstörungen sind nach unserer Einschätzung Gesundheitswesen, Arbeitsmarkt, soziales Zusammenleben, Bildungswesen, Familienstrukturen und Finanzwesen – sowie die damit befassten Ministerien und Finanztöpfe betroffen.

Besteht womöglich auch ein Zusammenhang zu der jüngst berichteten steigenden Zahl von Suiziden unter Jugendlichen?

Wie groß muss ihnen ihre Ausweglosigkeit erscheinen?

Wie kalt müssen sie das Klima dieser Gesellschaft empfinden?

Wie überfordert müssen sie ihre Eltern, wie gestresst ihre Lehrer, wie gleichgültig ihre Nachbarn, ihre Freunde, ihre Bekannten erlebt haben?

Es ist an der Zeit, nicht nur ‚von unten‘ her Wünsche anzumelden!

Von allen Seiten, d.h. auch von der Spitze des Gemeinwesens her, muss alles getan werden, diesen Trend bei Kindern und Jugendlichen umzudrehen.

Sie brauchen Perspektiven!

Sie brauchen politische Aufmerksamkeit!

Überlebende sexualisierter Gewalt aber – die vielfach bitter Enttäuschten, Verletzten, Vereinsamten – bedürfen dringend der Rehabilitation, um ihre Zukunft in Würde verbringen zu dürfen.

Wissenschaftliche Forschungsergebnisse haben längst die Auswirkungen und die möglichen Folgen der genannten Traumatisierungen nachgewiesen.

Wir stellen uns vor, Sie, Frau Wulff, könnten uns in unserem Plan unterstützen, einen Entschädigungs-Fonds zur Linderung des enormen Gesprächs-, bzw.Therapie-Bedarfs für alle Betroffenen zu gründen.

Wir denken an einen „Topf“, in den alle Bürger und auch alle gesellschaftlich involvierten Institutionen ihrem derzeitigen Vermögen gemäß einzahlen und daraus Hilfsstrukturen finanzieren. Beispielsweise statt Kirchensteuer investieren alle in einen „Zukunftsfonds für notleidende Kinder“.

Wir glauben, Sie können z.B. als Schirmherrin eines solchen Fonds für Gewalt-Opfer zum äußeren Frieden in der Bevölkerung und zum inneren Frieden der Leidtragenden mit sich selbst und mit dieser Gesellschaft beitragen.

Es braucht jetzt sehr schnell den „Ruck in der Gesellschaft“, der mit dem Rehabilitieren der Alt-Betroffenen und mit Prävention die Weichen für eine menschenwürdige Zukunft setzt.

Wir dürfen auf Ihre Unterstützung unseres gesamt-gesellschaftlichen Anliegens zählen und erwarten gern ihre Antwort.

Im Auftrag von netzwerkB

freundliche Grüße

Hildegard Verhees

PS: Das Schreiben wird zeitgleich veröffentlicht unter: www.netzwerkB.org