Gestern ging in Münster in Westfalen eine große Bistumsveranstaltung zum Thema „Missbrauch“ zuende. Eingeladen hatte Bischof Felix Genn rund 500 Priester, Diakone und Pastoralreferenten. Über eine Flut eingegangener Meldungen berichtete Pfarrer Dr. Hans Döink aus Coesfeld, Leiter der Missbrauchskommission des Bistums Münster.
„Es geht den Opfern zumeist nicht um Entschädigungszahlungen“, zitierten heute morgen alle großen Tageszeitungen im gesamten Bistumsgebiet den Kommissionssprecher. Sondern vielmehr um darüber reden zu können, Anerkennung durch die Täter und Prävention für die Zukunft. Deshalb seien strukturelle Veränderungen in der Kirche unumgänglich, so das Resumee.
Wem als betroffenes Opfer bei diesen Worten Bauchschmerzen kommen, der empfindet dies nicht zu Unrecht. Denn diese immer wieder in der Presse zitierte Aussage, dass die meisten Opfer keine Entschädigungszahlung wollten, kann so nicht unkommentiert bleiben. Zwar ist es durchaus glaubhaft, dass viele der Opfer dies so auch zum Ausdruck gebracht haben. Die Frage stellt sich jedoch, warum?
Ein Grund kann sein, dass es bei einigen Betroffenen auch so ist. Also dass es durchaus einige Opfer gibt, denen es wirtschaftlich gut geht und die auf finanzielle Hilfe und Kostenübernahme für die Therapie gar nicht angewiesen sind. Wenn jedoch in den Berichten über die Missbrauchsmeldungen immer wieder von „furchtbaren Lebensbiographien“ mit Ausbildungsabbrüchen und gescheiterten Berufswegen die Rede ist, dann dürfte die Zahl derjenigen Opfer, die einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil erlitten haben, eher die Mehrzahl sein. Und bei denen ist die Not nun mal da! Die benötigen eben doch Gelder für Therapien und Linderung ihrer existenziellen Not.
Ein zweiter Grund erscheint da viel plausibler – nämlich, dass die meisten Opfer sich gar nicht mehr trauen, eine Entschädigungsforderung überhaupt nur anzusprechen. Denn wer von den ohnehin schon schwer mit dem Selbstbewußtsein kämpfenden Betroffenen will sich schon der öffentlichen Vorverurteilung aussetzen, dass es ihr oder ihm „ja nur um Geld“ ginge? Und dazu trägt gerade diese unisono verbreitete Meldung bei, die man allerorten von Bistumssprechern hört. Ausgerechnet von denjenigen, denen ein „Verzicht“ auf Entschädigungszahlungen am meisten gelegen wäre. Durch solch eine öffentliche Meinungsbildung werden die Opfer ja gerade dazu gedrängt, sich dieser vorgebildeten Meinung anzuschließen und auf ihre Rechte zu verzichten. Damit setzen diejenigen, die das Leid eigentlich lindern sollten, dieses im Grunde genommen fort. Ganz sicher unbeabsichtigt, aber das sollte in Zukunft aufhören, indem hierzu einfach gar nicht mehr verlautbart wird, um nicht Opfer weiter in diese ungewollte Verzichtsrolle zu drängen!
Natürlich gibt es auch die Befürchtung unter den Betroffenen, dass eine Entschädigungszahlung möglicherweise die Bedeutsamkeit und Schwere des Leids auf eine geldwerte Summe reduzieren könne. Und wer als Opfer will schon sein teils lebenslanges Leid durch einen Judaslohn als „abgegolten“ wissen? Doch das wäre es nicht! Eine Entschädigungszahlung lindert nicht nur die angerichtete Not und hilft deren Folgen leichter ertragen zu können. Sondern erst die tätige Reue läßt ein Bedauern glaubwürdig werden. Was nützen Vergebungsbitten, wenn man die verletzten Opfer weiterhin ihrer Not überlässt?
Wir Betroffenen sollten uns nicht weiter von der öffentlich proklamierten und teils künstlich erzeugten Meinungsvorbildung von berechtigten Forderungen abbringen lassen. Wer wirklich gut versorgt ist und weder für die Therapien, noch für erlittene wirtschaftliche Nachteile einen Ausgleich benötigt, kann das Geld ja einem Opferfonds für diejenigen spenden, die deswegen am Boden liegen und deren Leid sich fortsetzt durch den Generalverzicht einiger Opfer, der von den Zahlungspflichtigen so überaus gerne aufgegriffen wird. Es ist keinesweges eine Relativierung des eigenen Leids, wenn Opfer sagen, dass sie sich spätere Entschädigungsforderungen zumindest vorbehalten. Man sollte da nicht voreilig drauf verzichten – nur weil die öffentliche Meinung erfolgreich Schuldgefühlfallen aufgestellt hat.
(Traumatisiert@wolke7.net)
In dem krassesten mir bekannten Fall sagte der Mainzer Kardinal Lehmann der Kirchenzeitung „Glaube und Leben“:
Obiger Text ist ein Ausschnitt aus meinem Blog-Post „Leitlinien: Pervertierung der Opferbelange„.
Siehe auch „Missbrauchsopfer: „Die tun nichts, die wollen nur reden“.
Eine solche Interpretation, wie sie von Kardinal Lehman zitiert wird, ist in Münster allerdings nicht erkennbar. Ganz im Gegenteil – ich glaube es dem Bistumssprecher auf´s Wort, dass er diese Erfahrungen mit Missbrauchsopfern gemacht hat. Deswegen soll der Beitrag lediglich zum Nachdenken anregen, nicht vorschnell Verzichtserklärungen abzugeben, die vielleicht bei späterer Betrachtung anders gesehen werden. (Traumatisiert@wolke7.net)
Wie hat man denn in Sachen Entschaedigungszahlungen im Hinblick
auf Holocaust-Opfer entschieden? Hat man da etwa auch auf Verzichtserklaerungen seitens der Opfer gedraengt, um die Schwere der Verbrechen nicht mit Geldsummen abzuwiegen?
Nein, Entschaedigungs-Zahlungungen sind doch eher als EINES von vielen notwendigen in Sache n Opferentschaedigung zu sehen.
So wie oben seitens der Bistumsveranstaltung argumentiert wurde, ist es wieder einmal ein Versuch, Betroffenen auf recht preiswerte Art und Weise abzuspeisen. Opfer werden somit erneut in eine Opferrolle gezwaengt, indem sie auf moeglichst viel verzichten sollen, so wie bei vielen Betroffenen die innere Haltung sowieso schon vorherrscht.
Der Vorschlag einer solchen Versichtserklaerung auf finanzielle Entschaedigung finde ich pesoenlich ziemlich dreist und voellig daneben.
Frage an die Verantwortlichen:
Wovon sollen Opfer denn wuerdevoll ueberleben koennen, sofern keine Unterstuetzung aus Verwandten oder Bekanntenkreisen gegeben ist?
Das scheint diesen Personen aus dem Bistum ganz offensichtlich egal zu sein. Betroffene wuerden somit als Bettler abgestempelt.
Ich denke ganz einfach, was bei Holocaustopfern moeglich war , sollten mindestens ebenso bei Missbrauchsopfern moeglich sein.
Finanzielle Entschaedigung darf garnicht in Frage gestellt werden, sondern ist als ein Muss anzusehen.
Hallo Hubert
Du sprichst vielen aus dem Herzen, denn ich denke auch so, das eine Entschädigung für Missbrauchsopfer dringend notwendig ist. Solange der Staat und die Kirche nicht in der Lage ist die Täter zu bestrafen, mus er eben zahlen bis Sie es lernen.
By mona
Nun ja die krankenkassenbeiträge werden dann immer höher für jeden kleinen Mann .
Richtig entschädigen kann man es ja gar nicht .
Aber wir brauchen geld für die ganzen Behandlungen und Hilfestellungen .
Wenn wir keinen zum reden bekommen ( verarbeiten )
dann gibt es Körperliche beschwerden .
Die dann auch sehr teuer werden . Denn der Körper meldet sich in irgenteiner Form .
Ich denke auch das die es dann so lernen müssen , das die Opfer den Krankenkassen viel kosten , wenn die den Tätern weiter freien lauf lassen .
Als Opfer sich durchsetzen für seine rechte und Bedürfnisse , ist als Opfer gar nicht durchzustehen .
Ich denke das ein Opfer einen an die Seite bekommen sollten , die sich für das Opfer einsetzen , und sich für die belange einsetzen .
Aber das kostet dem Opfer wieder Geld , also geht das ja auch wieder nicht .
Und eine Fähige Person abzubekommen die einen Versteht und sich nicht über einen hinwegsetzt , ist auch nicht immer gewärhleistet.
Die uns versteht und richtig drauf reagiert .
Mir wude Später gesagt , von meiner Betreuerin , das ich ja alles selber machen könnte , habe ich ja auch im Elternhaus gelernt alles machen zu müssen .
Doch die Energie die es einem kostet ! ….
Vor allem hatte Sie wichtige Sachen wie das OEG nie gemacht ……
Mfg
larissa
Im Grunde zahlt die gesamte Bevölkerung ja sowieso schon Unmengen von Geldsummen für Missbrauchsopfer – allerdings in indirekter Form.
Das heißt, daß denen garnicht bewußt ist, wieviel dafür bereits schon ausgegeben wird, inclusive aller Folgekosten, welche sich aus dem Thema Missbrauch ergeben.
Es macht doch viel mehr Sinn, wenn der Bevölkerung auch direkt bewußt wird, wieviel denn die Missbrauchsopfer nun tatsächlich kosten.
Betroffene brauchen finanzielle Unterstützung – das darf überhaupt keine Frage mehr sein – es ist schlichtweg eine Frechheit, etwas anderes zu behaupten.
Und wenn diese Unterstützung nun endlich gesetzlich geregelt wäre, so ließen sich die tatsächlichen Kosten , welche sich aus Missbrauchsfällen ergeben, auch viel realistischer ermitteln.
Und dann hätte auch Jeder ein viel größeres Interesse daran, daß dieser Mist endlich aufhört, und bereits bekannte Missbrauchs-Fälle würden dann auch nicht mehr so oft vertuscht.
So wie es momentan läuft, kommen die Geldsummen für Therapien usw. aus großen Staats-Töpfen, wo keiner die Ausgaben direkt mitbekommt – siehe z.B. Krankenkassengelder. Somit wird die verheehrende Auswirkung durch Missbrauch inclusive der finanziellen Belastung verschleiert.
Eine neue Regelung dahingehend ist mehr als überfällig.
Kein einziges Opfer sollte zudem für Therapien mit Missbrauchsthematik selbst aufkommen müssen. So eine Regelung darf aber auch nicht zum Geldsegen für Therapeuten ausarten, was dann zu Lasten der Therapie-Qualität gehen würde.
Aber wir haben ja sehr gut bezahlte Politiker in unserem Land, welche in der Lage sein sollten, so eine NeuRegelung auf die Reihe zu bekommen 😉
Und das hoffentlich nicht erst in 10 Jahren oder länger!
@ Hubert
Genau DAS, lieber Hubert, habe ich nun schon mehrfach an die Bundesmissbrauchsbeauftragte geschrieben!
Und ich sehe das GENAUSO wie du: Das muss offengelegt werden, wie sehr die Solidargemeinschaft (aus Krankenkassenbeitragszahler/innen, Steuerzahler/innen, Rentenversicherungsbeitragszahler/innen, etc. ) BEREITS HEUTE (und eigentlich schon IMMER) für die – PERVERSE und EGOISTISCHE – Bedürfnisbefriedigung (nach Macht, sexueller Erregung, „Spaß“, Komplexverdrängung und/oder -kompensation, etc.) der STRAFTÄTER bezahlt.
DAS wäre EIN relativ einfacher Weg zur Aufklärung der breiten Masse sowohl über den Tatbestand der (bisher verdeckt ablaufenden) Straftaten an sich und ihr tatsächliches Ausmaß ebenso wie über die massiven und verheerenden Folgen solcherart früher Traumatisierungen.
Und so traurig das ist: Ich glaube auch, dass über „den Geldbeutel“ (also über die Erkenntnis, welche enormen Kosten die Täter der Gemeinschaft auflasten) mehr Engagement zur Eindämmung, bzw. Verhinderung von sexueller Gewalt an Kindern erreicht werden könnte, als „nur“ über den Schmerz der Opfer. Leider.
Diese Offenlegung der Kosten würde zudem deutlich machen, WER eigentlich die WAHREN KostenVERURSACHER sind: nämlich nicht die Opfer/Überlebenden!! Nein, es sind die STRAFTÄTER, die auf Kosten der Solidarkassen ihre egoistischen Bedürfnisse ausleben.
Bislang sind es doch die Opfer/Überlebenden, die sich vor jedem Sachbearbeiter, jeder Ärztin, jeder sonstigen Person dafür rechtfertigen müssen, warum sie nicht mehr arbeiten können und/oder krank sind, und deshalb der Solidargemeinschaft zur Last fallen müssen.
Die Verdrehung der Täter-Opfer-Rollen muss aufgehoben werden!
Über die Offenlegung der Folgekosten dieser Straftaten würde das fast „automatisch“ geschehen. Plötzlich wären vermutlich weit mehr Menschen daran interessiert, dass das endlich aufhört, als „nur“ ein paar Betroffene.
PS: Die Gefahr, dass sich angesichts der politischen Ankündigung nach „mehr Therapieangeboten“ die Therapeut/innenszene jetzt schon reihenweise die Hände reibt, habe ich ebenfalls in einem meiner Schreiben an die „Runder-Tisch-Sitzerinnen“ aufgezeigt. Wir Betroffenen WISSEN, wie WENIG fachlich Qualifizierte es in diesem Bereich gibt. Mehr Geld bereit zu stellen bedeutet eben nicht immer automatisch auch mehr Hilfe für uns Traumatisierte.
PS II: Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin natürlich SEHR für Entschädigungs-/Schadensausgleichszahlungen für uns Betroffene! Wir haben ja schließlich TATSÄCHLICH den Schaden!!!
Ich sorge mich aber, dass die Betroffenen wieder leer ausgehen oder billigst und mit empörend-banalen Erklärungen abgespeist werden, während die händereibenden Therapeut/innen unkritisch und unhinterfragt das Geld in den Rachen geschmissen bekommen.
Lieber Hubert,
Du schreibst „Unmengen von Geldsummen für Missbrauchsopfer – allerdings in indirekter Form.“ Sicher meinst Du das nicht so, wie Du es schreibst.
Es sind unsre Gelder die in fremde Taschen fließen.Es gibt viele Institutionen, die ohne qualifiziertes Personal, „TraumaTherapien“ anbieten und daran sehr gut verdienen. Niemand kontrolliert das. Dieser Betrug ist legal. Es ist „U N S E R“ Geld das in Psychosomatische Kliniken fließt, die über kein qualifiziertes Personal verfügen und legalisierten Abrechnungsbetrug betreiben. Kriminell wird es da, wo kontra indizierte Therapieverfahren und Medikamente eingesetzt werden.
* Familienaufstellungen sind für Traumatisierte absolut schädlich!
* Es gibt kein wirksames Schmerzmittel gegen Trauma-Folgeschmerzen, trotz dessen wird uns das verschrieben und wir müssen dieses widerliche Zeug in großen Mengen schlucken, weil es und dreckig geht.
Hubert weiter schreibst Du: „Und dann hätte auch Jeder (der zahlenden Bevölkerung ) ein viel größeres Interesse daran, daß dieser Mist endlich aufhört, und bereits bekannte Missbrauchs-Fälle würden dann auch nicht mehr so oft vertuscht.“
Ich denk das mal laut:“Hallo Bevölkerung, die Massenvergewaltigungen an Kinder kosten euch so richtig Geld, macht was dann spart ihr viel Geld.“ Ich weiß, dass du das nicht so meinst, dann schreib sowas nicht.
Wer zahlt hier? Wir zahlen bis zu unserem bitteren Ende, das weißt Du auch. Die wegschauende Bevölkerung muß noch mehr und nicht weniger zahlen, weil das Geld vorn und hinten nicht reicht, für das was dringend notwendig ist.
„Traumatisiert“ hat den finanziellen Aspekt wirklich gut dargestellt, dass ich erst jetzt kapiere, warum es so wichtig ist, nicht auf Geldforderungen zu verzichten. (Danke Dir!)
Zur Gleichsetzung von „Mißbrauch“ und Holocaust…………..
Da verschlägt es mir die Sprache
@Richard Till
Ich meinte es schon genauso, wie ich es geschrieben habe.
Allerdings vielleicht nicht so, wie du es verstanden hast.
Darin mag eventuell ein Unterschied liegen, woraus sich für dich wohl ein Missverständnis ergibt.
Man sollte den Großteil der Bevölkerung gerade in der heutigen Zeit schon richtig einschätzen. Der finanzielle Spareffekt hat für diese eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, nicht zuletzt für die Politiker.
Und für die Überzeugungsarbeit sollte dieser finanzielle Aspekt keinesfalls außer Acht gelassen werden.
Allein mit dem moralischen Aspekt lassen sich leider nur wenige übezeugen, noch weniger zu etwas bewegen, sofern sie nicht selbst davon betroffen sind.
Zum Vergleich Missbrauch und Holocaust gibt es durchaus Parallelen.
Aber das Thema wurde hier bereits ausgiebig diskutiert und ich will da nun nicht näher drauf eingehen. Dazu gibt es die auch Suchfunktion.
Hubert