morgenweb 5.06.2010
Von Michaela Roßner
Als Regisseur Jan Schmitt vor drei Jahren damit begann, seine schwierige Familiengeschichte zu verarbeiten, war das Thema sexueller Missbrauch noch kaum in der Öffentlichkeit präsent. Nun liefert die feinsinnige Produktion, die Heidelberg-Bezüge hat, einen Diskussionsbeitrag, der aktueller nicht sein könnte. Der sensible Dokumentarfilm „Wenn einer von uns stirbt, geh‘ ich nach Paris“ eröffnet eine Reihe zum Thema „Missbrauch im Film“, in der bis Anfang Juli im „Gloria“-Kino drei ganz unterschiedliche Beiträge zu sehen sein werden. Das Besondere: In Kooperation mit der Citypastoral Jesuitenkirche und dem Verein Frauennotruf gibt es nach jeder Vorführung eine Diskussion mit Regisseur oder Kirchenvertretern.
Suizid der Mutter
„Jede Familie hat ein Geheimnis, in meiner ist es der rätselhafte Tod unserer Mutter“, erzählt Schmitt. Elf Jahre nach dem Suizid seiner Mama werde es „Zeit, aufzuräumen“, begründet der TV-Journalist, der in Wiesbaden und Berlin lebt, seinen Film. „Die Vergangenheit ist nicht vergangen, solange wir schweigen“, ergänzt der 40-Jährige. Anhand von Tagebüchern hat er das Leben seiner Mutter rekonstruiert und ist dabei auf schreckliche Kindheitserinnerungen gestoßen. Ohne über großen Etat zu verfügen, gewann Schmitt die Schauspieler Suzanne von Borsody und August Diehl als Sprecherin. Meret Becker singt Lieder der Popgruppe Element of Crime. Der Missbrauch geht bei Schmitt von einem Jesuitenpater aus, der durch Deutschland gezogen sein soll und dem Schmitts Mutter in Heidelberg begegnete. Musste die katholische Altstadtgemeinde der Jesuitenkirche lange überlegen, ob sie – dennoch oder gerade deswegen – als Mitveranstalter der Filmreihe auftritt? „Das Thema ist da, wir müssen uns ihm stellen“, berichtet Pastoralreferent Hermann Bunse. Im nächsten Atemzug verstärkt er diese Aussage noch: „Jedes Verstecken wäre die falsche Strategie.“
Seit die Veröffentlichungen über Fälle sexualisierter Gewalt Schlagzeilen machten, gebe es „kaum eine Veranstaltung, bei der das Thema nicht präsent ist“, berichtet Bunse von Gesprächen mit großer Emotionalität unter Kollegen, in Männergruppe oder Pfarrgemeinderat – auch vor dem Hintergrund, dass nach und nach Vorwürfe auch gegen Seelsorger in der Region formuliert werden.
„Wir möchten Gelegenheit geben, ins Gespräch zu kommen“, begründet Renate Kraus vom Verein Frauennotruf die Beteiligung. Mitglied Angelika Treibel wird die sich anschließenden Diskussionen moderieren. Statt des Begriffs „Missbrauch“ verwenden Opfer-Vertreter lieber „sexualisierte Gewalt“. Denn: „Sexualität wird bei solchen Straftaten als Waffe benutzt“, erklärt Kraus. Kinder seien zudem keine „Sache“, die man ge- oder missbrauchen könne – wie Alkohol oder Drogen.
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