Frankfurter Rundschau 30.05.2010
Von Grete Götze
Ein Tisch und ein Stuhl stehen auf der Bühne. Mehr Requisiten braucht dieser Doppelabend im Frankfurter Autorentheater nicht. Denn es geht nur darum, dass die drei Protagonisten das eine loswerden: Sie wurden missbraucht. Alle erhoffen sich, durch dieses Geständnis wieder Herr ihrer selbst zu werden.
Basierend auf dem kürzlich im Spiegel veröffentlichten Bericht des Frankfurter Schriftstellers Bodo Kirchhoff und der Dramatisierung des autobiografischen Berichts von Norbert Denef versuchen die Schauspieler des Autorentheaters stellvertretend, sich von der Last freizustrampeln. Die Geständnisse passen gut auf die Off-Off-Bühne der Brotfabrik, weil der Zuschauer in diesem kleinen schwarzen Raum keine Möglichkeit hat, sich dieser intimen Situation zu entziehen.
„Sprachloses Kind“ hat Kirchhoff seinen Text genannt. Und dem Autorentheater bei der Erstaufführung freie Hand gelassen. Das Ensemble wollte aber gar nichts anderes daraus machen. Der Text spricht für sich: Der Ich-Erzähler wurde als Zwölfjähriger auf einer evangelischen Internatsschule missbraucht – und fühlt sich seither als „sprachloses Kind mit Schwanz“. Missbrauch, so formuliert es der Text für all die anderen Opfer und ihre Familien, hinterlässt ein „Sprachloch“.
Ihm versucht die Schauspielerin Sandra Baumeister durch einen Befreiungstanz zu entgegnen. Sie krümmt sich zusammen, wiegt sich wie ein Kind hin und her, das sich selbst beruhigen will. Ihr Tanz ist die Zäsur zum zweiten Teil: In „Alles muss raus“ bereitet sich ein Mann darauf vor, seiner Familie zu offenbaren, dass er missbraucht wurde. Auch er kämpft darum, nicht ins Sprachloch zu fallen.
Immer wieder versuchen die Schauspieler, mit diesen zwei Tatsachen umzugehen: Bodo Kirchhoff wurde als Internatsschüler von seinem Religionslehrer missbraucht. Norbert Denef wurde als Messdiener von einem Priester und einem Organisten missbraucht. Umso tragischer hört sich der fünfte Satz aus Schuberts Deutscher Messe an, den Viktor Vössing in der Mitte des Abends in seiner schlichten, eingängigen Melodie singt: „Heilig, heilig, heilig, heilig ist der Herr. Heilig, heilig, heilig, heilig ist nur Er.“
Dass im Autorentheater nach jeder Vorstellung Brot und Wein gereicht wird, wirkt an diesem Abend(-Mahl) bedrückend. Ensemblemitglied Norbert Saßmannshausen schlägt vor, „die Fenster zu öffnen, damit ein bisschen Abendluft hereinkommt“. Gute Idee.
…………..gefällt mir,klingt sehr wahr………..;), so traurig es ist
Man hätte allen „Zuschauern“ nach der Vorstellung einen Zettel mit der Unterschriftensammlung für die Beschwerde am Europäischen Gerichtshof für die Petition „Aufhebung der Verjährungsfrist“ und einen Spendenzettel in die Hand drücken sollen. Wer nach solch einer „Veranstaltung“ noch unberührt bleibt….
Sarah M.
Eine sehr eindrucksvolle Vorstellung. Was mich schon seit Jahren bedrückt ist die Tatsache, dass der allmächtige, allwissende und allweise heilige Herr ( oder ist hier die 3-Einigkeit Vater-Sohn-Heiliger Geist beteiligt ) von derartigen Schweinereien Kenntnis hat und der nach Ansicht seiner Gläubigen die Macht dazu hat, diese zu unterbinden. Die Frage ist nur, amüsiert sich der allerheiligste alte Herr mit der gesamten 3-Einigkeit lediglich an den unzüchtigen Handlungen seiner Diener an den Kindern, dann ist es ganz einfach unterlassene Hilfeleistung für die armen Kinder, die auf Erden strafbar ist.
Vielen Dank fürs Lesen
W.Müller
… und zum Heulen ist es für ein unschuldig-sich-schuldig-g’schämig- fühlendes Kind , wenn der eigene Vater, der Täter, mit solch Heiligen Gesängen lautstark sich selbst als heilig-heilig vor seiner trauten Familie inszenieren konnte …