Meine Geschichte ist nicht nur durch Gewalt von Erziehungsberechtigten in
der Schule, dem Kinderheim oder der Lahrstelle geprägt, sondern auch von
Machtmissbrauch der Behörden. Ich bin ein Nachkomme von Arbeitssklaven des
Dritten Reiches. Im postnational-sozialistischem Nachkriegs-Deutschland
war das normal. Vielleicht gerade in Bayern und der Stadt der Bewegung.
Ziemlich früh war ich über das Verhalten der deutschen Besatzungsmacht in
Polen und der Sowjetunion, von meinen Eltern aufgeklärt. Somit habe ich
eine sehr vorsichtige Haltung gegenüber den Lehrkräften eingenommen. Eine
Vertrauensbasis hatte sich nie ermöglicht. Zumal mein Vater an den
Folgeerkrankungen der Misshandlung durch die Gestapo, sieben Jahre nach
Kriegsende verstorben ist. Meine Mutter konnte mir nie richtig bei den
Schulaufgaben helfen, denn sie keine schulische Ausbildung in der
deutschen Sprache. Da sie selbst jedoch eine hübsche Erscheinung war,
stellten ihr die männlichen Vorgesetzten ihres Arbeitsbetriebes (Agfa),
selbst bis in unsere Wohnung nach. Ich hatte als Siebenjähriger einmal
meiner Mutter mit einer kleinen Axt, zum Spalten von Holzschindeln, um
damit Feuer zu machen, beigestanden. Der Nachbar, schraubte uns sämtliche
Glühbirnen aus allen Lampen, so dass in unserer Zweizimmerwohnung nur noch
eine Funsel in jedem Zimmer brannte. Er betrat unsere Wohnung einfach,
weil er glaubte wir wären Untermenschen. Als ich älter wurde ließ ich
solche Unverschämtheiten natürlich nicht mehr gefallen. Den Nachbar hatte
ich mit dem Schürhacken geschlagen, weil er mir mein Fahrrad versteckt
hatte. In der Schule (Volksschule in der Rotbuchenstraße, Mün-chen) wehrte
ich mich, auch gegenüber von Lehrkräften, gegen die damals üblichen
„Watschen“ und dem „Ohrenziehen“ mit Fußtritten. Einem Lehrer (Herrn
Lehmann) trat ich das Gebiss kaputt, bei der Aktion –er tat das nicht nur
bei mir- den kleinen Schüler auf die obere Tafelkante zu setzen und den
ganzen Tafelrahmen ruckartig nach oben zu schieben, so dass der Schüler,
um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und von einer Höhe über zwei Meter
herunter zu fallen, sich an der Tafel festkrallte. Dabei aber seine
Aufmerksamkeit so in Beschlag genommen war dass er erst, nachdem er sich
gewaltig den Kopf am Plafond angeschlagen hatte, von der Tafel herunter
fiel. Ich selber wurde unter diesen Zuständen zu einem Raufer, der sich
nichts gefallen ließ. Selbst der Stadtpfarrer jener Zeit (Pfarrei Heilige
Familie, München) sagte mir, Man habe vergessen meinen Vater rechtzeitig
zu vergasen. Der Lehrer der Dritten Klasse (Sölch war sein Name), entzog
mir meine Schulspeisung –damals für eine Mark die Woche, täglich eine
Semmel und eine 0,33er-Flasche Kakao- die meine Mutter bezahlt hatte, und
gab sie einem deutschen Schüler, weil ich im Deutschschreiben Fehler
machte. Die Lehrerin Frau Koydl, bezeichnete mich einen vor den
Mitschülern als Bastard und Bestie. Klar dass sich dann das Jugendamt um
mich kümmerte, nachdem mein Vater verstorben war. Und so kam ich in das
Leoheim nach Bad Aibling. Betrieben wurde dieses Haus durch das
„Seraphische Liebeswerk“. Ich verbrachte dort die Zeit von 1956 bis 1959.
Wir hatten einen weltlichen Lehrer (Korbinian Laböck) und eine Erzieherin
(Nonne) Frau Arnfieda (weltlicher Name Karg). Sie war der Teufel in der
Kutte. Bei den geringsten Verfehlungen gab es grundsätzlich Schläge gegen
den Kopf, aber mit der Faust. Wir nannten das Kopfnüsse. Die trafen aber
nicht immer die Schädeldecke, sonder auch das Gesicht. Ich wurde mal so am
Ohr getroffen, dass ich wochenlang schmerzhaften Ausfluss aus dem linken
Ohr hatte. Heute habe ich gegen den Klerus nur einfach Verachtung. Wir
mussten zum Kartoffelklauben aufs Feld. Natürlich fingen wir lieber
Feldmäuse als der Arbeit nach zu gehen. Dafür setzte es dann Prügel mit
dem Rohrstock. Die so genannten „Tatzen“, sechs Stück auf jede Hand wurden
nicht auf die ausgestreckte Handfläche verabreicht sonder auf Finger und
zwar auf die Oberseite. Dazu dann irgend eine verblödete Strafarbeit wie
Sätze: Beim Kartoffelklauben darf ich keine Mäuse fangen. Und das dann 100
Mal in Schönschrift. Natürlich war so eine „Erzieherin“ mit knapp 60
Jungen im Alter von 11 bis 14 Jahren über den ganzen Tag, und das über
das ganze Jahr, ohne freien Tag überfordert. Das aber liegt an der Ordens-
und Jugendamtsverwaltung. D.h. Die Erziehungsweise war vom Staat und der
Kirch so ausgelegt. Herrenmensch – Untermensch, Obrigkeit – Volk, Lehrer –
Schüler, Lehrherr – Lehrling, Beamter – Bürger, Militär – Zivilist,
Polizei – Verdächtigter, Stellvertreter Gottes (welchem auch immer) –
Gottesfürchtiger, Regierung – Wahlvieh, Industrie – Zulieferer, FDP –
Hartz IV-Empfänger usw. Ich war keine zwei Monate im Lehrbetrieb (Hotel
Bayerischer Hof, München) und da gab es jede Menge Prominente aus der
High Society aber aus dem Klerus. Es war die Zeit des Eucharistischen
Weltkongresses oder der Vorarbeit / Nacharbeit dessen. Im ersten Lehrjahr
arbeitet man als Page. Mit zwei Gepäckstücken in den Händen fuhr ich ur
Rezeption, als mich ein so ein Geistlicher in lila eingesäumter Kutte mich
plötzlich abzuknutschen versucht. Ich trat gleich fest gegen dessen
Schienbeine, worauf sich die Gestalt sofort nach dem Öffnen der Lifttüre
entfernte. Ich nahm die Koffer auf und rannte zur Rezeption und meldete
das den Chefportiers (Baumann und Stoss). Natürlich insistierte auch meine
Mutter um den „unbekannten“ Herrn anzuzeigen. Und da begab sich dann eine
Geschichte, die dem Lehrherrn gut ins Konzept passte. Es wurde der Koffer
eines Gastes aufgebrochen und eine Uhr und ein Fotoapparat entwendet.
Obwohl ich zum Zeitpunkt des Diebstahls nicht im Dienst war, stellte mich
der Hoteldirektor (Karl-Heinz Dietrich) mit der Feststellung: „Deutsche
Jungs stehlen nicht!“ unter Verdacht und wurde in die Ettstraße
(Polizeipräsidium, Zimmer 345 oder 445), München) verbracht um einem
zweitägigem Verhör unterzogen zu werden. Die Nacht verbrachte ich in der
Zelle mit Kriminellen. Meine Mutter wurde weder vom Lehrherren (Falk
Volkardt) noch von dessen Stellvertreter –eben der oben erwähnte
Hoteldirektor) noch von der Polizeibehörde über mein Verbleiben
benachrichtigt. Trotz Misshandlungen (Watschen und Faustschläge gegen das
Gesicht) hatte ich nichts zugegeben. Erst nachdem meine Mutter nach der
Arbeit im Lehrbetrieb erschien, erfuhr sie wo ich mich befand. Die darauf
folgenden Wochen warenvoller Misstrauen gegen mich geprägt. In der
Berufschule (am Simon-Knoll-Platz, München) den Mitschülern und den
Lehrkräften (besonders dem Fachlehrer Bublat) die mich bezüglich des
Verdachtes immer wieder Erniedrigten. Man beschuldigt ja nicht erst heute
die Polen des (Auto-) Diebstahls. Menschen polnischer Abstammung gelten ja
schon seit der Kaiserzeit als Menschen zweiter Klasse in diesem Land. Auch
im katholischen „Freizeitheim“ das sich unweit des Hotels befand, wurde
ich von dem dortigen Kaplan bedrängt, endlich die Tat zu zu geben, das
würde mir die Seele erleichtern. Nachdem ich nun schon die Kündigung des
Lehrvertrages in Händen hatte, meldete sich bei mir die Klassenlehrerin,
Frau Dr. Anna Klara Huber, der Berufschule und meldete den Diebstahl als
aufgeklärt. Ich sei unschuldig. Der Fall trug sich folgend ab: Zu jener
Zeit schickten die Reisenden ihr Gepäck via Bahn voraus. Bei besagtem
Koffer handelte es sich um ein Gepäckstück eines Herrn Dr. Schwab. Der
Hausdiener, der diesen Koffer vom Bahnhof holen sollte, war nicht bereit,
so wie er vermutete, einem Mitpagen mit dem Namen Dieter Schwab, den
Koffer abzuholen und sagte dem Mitlehrling, er möge doch seine Bagage
selbst abholen. Der Blödheit eines Hausels, der die Abkürzung Dr. (Doktor)
für die Abkürzung von Dieter hält, des im Nachkriegdeutschlands immer noch
vorhandenem Rassismus, der Achtung, die man einem pädophilien Kleriker
mehr entgegen bringt, zählen mehr als die viel gerühmte deutsche
Korrektheit. Wiederum verlor weder die Polizei, noch der Lehrherr ein Wort
zu dieser Angelegenheit. Der Nazi (Karl-Heinz Dietrich) allerdings sagte
mir dieser Vorgesetzte: An Stelle des tatsächlichen Täters hätte ich mich
nicht anders verhalten.
In meinem Leben habe ich noch viele, viele Erfahrungen der Entwürdigung
erfahren in diesem Land, das die Heimat meiner Eltern zerstört hat. Ihr
Leben ruiniert, deren Freiheit geraubt und versklavt um sie dann in der
Zeit der Demokratie wieder zu „Untermenschen zu stempeln mit dem
politischem Status „Heimatloser Ausländer“. Genau dieser Staat und seine
ehemalige Naziindustrie bestimmt wer, wann, vielleicht mit wie viel Geld
entschädigt wird. Genauso wird es mit den Kirchen und Trägern der
Kindererziehung und Bildung sein.
Man möchte mit Gewalt dagegen angehen. Nur es würde wieder Gewalt daraus
entstehen. Also ist das Fazit. Die Täter kommen immer besser davon als die
Opfer. Es ist Zeit den Kirchen die Macht zu nehmen. Das heißt aber auch
das Geld zu nehmen und in Zukunft auch nicht mehr zur Verfügung zu
stellen. Die Kleriker sollen arbeiten wie die Allgemeinheit auch. Und wem
die Kirche was wert ist, der soll dafür aus seiner Kasse zahlen. Es kann
nicht sein, dass die Kirchen immer noch aus dem Packt mit dem Bösen
profitieren. Das Concordat muss endlich abgeschafft werden!
Waldemar Tscheremschynsky
Sehr geehrter Herr Tscheremschynsky,
Vielen Dank, daß Sie Teile Ihrer Lebensgeschichte hier eingestellt haben. Als ich vorhin von Ihren Erlebnissen las, gingen mir zwei Dinge sofort durch den Kopf:
– „diese Welt kennst Du“
und
– „was hatte der Mann schon als Junge für ein Rückgrat“
Die Welt, die Sie aus der Perspektive des „Opfers“ (Sie haben sich zwar jeglichen Opferungsversuchen effektiv widersetzt, aber ein passenderer Begriff fällt mir derzeit nicht ein) beschreiben, war die, in der ein Großteil meiner Vorfahren in der Rolle der TäterInnen lebte. Weit über die Zeit des Faschismus hinaus.
Gewalt, Verachtung und menschenverachtende Hierarchien dienten dazu, ein Trugbild von der eigenen „wertvollen“ Existenz aufrechtzuerhalten.
In meiner Erinnerung (Jahrgang 1964) gab es nur wenige Menschen, die nicht von dieser Einstellung geprägt waren. Die sind mir aber besonders positiv in Erinnerung geblieben.
Das zweite bezieht sich darauf, daß ich als Kind häufig angegriffen und gedemütigt wurde (schon allein eine chronische Erkrankung stempelte mich zur potentiellen Außenseiterin) , mich aber nie getraut habe, mich offen zu wehren. Auch von Seiten meiner Umgebung (Eltern, Großmutter) bekam ich höchstens zusätzlichen Druck, Beschwichtigungen bzw. verächtliche Bemerkungen.
Erst als ich das familiäre Milieu verlassen konnte (Besuch einer höheren Schule, dann Wegzug ins großstädtische Milieu) und bessere Vorbilder und Lebensbedingungen fand, habe ich begonnen, meine defensive Haltung durch mehr Klarheit und Grenzsetzung zu ersetzen.
Da war ich aber längst erwachsen.
Insofern erkenne ich Ihren Mut sehr an. Zumal Sie als Kind mit schwerer Körperverletzung bei Widerstand rechnen mußten. Prügel bekam ich auch, aber nur von meinen Eltern und bevor die Gewalt zu sehr eskalierte, schritt meine Großmutter ein.
Zu Ihrem Thema „Es ist Zeit, den Kirchen die Macht zu nehmen“:
Am vergangenen Freitag erschien in der taz ein Interview mit Hans Küng mit dem Titel „Wir leben in einer Wende“.
Ich zitiere daraus :
„taz: Eine Hierarchie, die etwas einsieht, gibt es nicht
Küng: Der Unterschied zur Kirche ist aber, dass in Wirtschaft und Politik eine Ablösung der Spitze möglich ist. Ein Konzern, der rote Zahlen schreibt – da kommt der Vorstandsvorsitzende rasch weg. Bei uns haben wir schon längst rote Zahlen, man hat sie aber verheimlicht. Im Grunde hätten da die Bischöfe und der Papst schon längst sich überlegen müssen: Wie soll es mit der Kirche weitergehen? Es ist eben kein demokratisches Korrektiv da. “
Das einzige Korrektiv ist meiner Meinung nach die Summe derjenigen Gläubigen, die den aus undemokratischen Zeiten stammenden Gehorsam und die abhängige, unmündige Grundhaltung ablegen und handeln.
Angelika Oetken, Berlin
Hallo, waren sie im Leoheim in Bad Aub3 denn die bane Namen, von Herrn laböck und Schwester Annafrieda, komnen mir sehr bekannt vor. Denn ich war selber in dieser Einrichtung