RP ONLINE 15.05.2010
Eine hochemotionale Debatte um die Missbrauchskrise erlebte der Kirchentag gestern. Bei der Veranstaltung „Nichts gesehen, nichts gehört, nichts gesagt? Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche“ gab es sogar Pfiffe gegen den Trierer Bischof Stephan Ackermann, den Beauftragten der Bischofskonferenz für die Aufarbeitung des Skandals. Ackermann sagte, zwei Beiträge zu Beginn der Diskussion hätten ihn „erschrocken“. Die Missbrauchsopfer seien „aus dem Blick geraten“ zugunsten einer Debatte um kirchenpolitische Reformen. Das quittierte ein Teil der rund 5500 Zuhörer mit Pfiffen, „Buh“- und „Pfui“-Rufen.
Anlass des Streits waren die Eingangsvorträge. Einer kam von dem Berliner Jesuiten Klaus Mertes, der im Januar die Lawine des Missbrauchsskandals mit ins Rollen gebracht hatte, als er die Öffentlichkeit über Fälle an seiner Schule, dem Canisius-Kolleg, informierte. Mertes mahnte tiefgreifende Reformen an. Der „Personenkult“ der katholischen Kirche mache sie anfälliger für Missbrauch.
Der Theologe Wunibald Müller forderte ein Ende des Pflichtzölibats und die Zulassung von Frauen zum Priesteramt. Beides wäre eine „wesentliche Bereicherung“: „Was nur halb ist, würde ganz werden.“ Die Kirche müsse auch die „Tabuisierung“ von Homosexualität beenden, weil sonst das Risiko weiter steige, dass sexuell unreife Kandidaten vermehrt in den Priesterberuf drängten, um sich der Auseinandersetzung mit ihren Neigungen zu entziehen. Sowohl Mertes als auch Müller erhielten starken Beifall. Ackermann sagte, Machtmissbrauch gebe es überall. Er räumte aber ein, der öffentliche Druck sei richtig gewesen. Die Kirche müsse eine „bessere Debattenkultur“ schaffen.
Bereits während Mertes‘ Rede war es zu einem Eklat gekommen, als Norbert Denef, Sprecher des Netzwerks Betroffener von sexualisierter Gewalt und selbst als Kind von Geistlichen missbraucht, auf das Podium zustürmte, dem Jesuiten lautstark „Lügentheater“ vorwarf und vergeblich den Abbruch der Veranstaltung forderte. Mertes solle „abtreten“, weil nicht er den Skandal öffentlich gemacht habe, sondern die Opfer selbst.
Immer wieder wurde die gezielte und geschickte Manipulation der geladenen Kirchenmänner an dieser Podiumsdiskussion erkennbar, mit der sie vom eigentlichen Thema ablenken möchten: Nämlich die der schonungslosen Aufklärung aller Fälle innerhalb der Kirche verübter sex. Gewalt gegenüber Schutzbefohlenen. Sie ignorieren weiterhin das in Deutschland gültige staatlichen Gesetz, und nehmen sich nach wie vor heraus, selbst darüber zu befinden, wann und ob sie „Fälle“ der Staatsanwaltschaft übergeben. Sie ingnorieren weiterhin Betroffene und diskutieren „über ihre Köpfe hinweg“. Dies hat Norbert sehr anschaulich und gezielt durch seinen durchdachten „Auftritt“ anschaulich werden lassen. Er als Stellvertreter Betroffener steht unterhalb des Podestes, die zum Podium geladenen Gäste diskutieren über seinen Kopf hinweg!
Dieses Bild hat sich in der Öffentlichkeit durch die von ihm organisierten Fernsehteams wirkungsvoll und sehr bezeichnend eingeprägt. Ein Betroffener kämpft für Rechte, und läuft der Gefahr, von der Polizei aus einer für alle zugänglichen Podiumsdiskussion gewaltsam entfernt zu werden, weil Verantwortliche nach wie vor nicht den Mut haben, ihre Verantwortung mit allen Konsequenzen auf sich zu nehmen.
Hr. Mertens, der wiederholt auf sein Lügenmärchen „Primus der Aufklärungskampagne“ hingewiesen wird, stottert sich durch Worthülsen, um letztendlich vor Millionen von Zuschauern gestehen zu müssen, dass Opfer den Enthüllungstsunamie ins Rollen gebracht haben, und nicht er!
Dies wiederholte Norbert auch während der Podiumsdiskussion in der TU. Es geht ihm nicht um Bloßstellung Hr. Mertens, sondern um die Wahrheit, die wir der Öffentlichkeit und den mutigen Opfer schuldig sind!
Danke lieber Norbert, dass du erneut den Betroffenen ein Gesicht gegeben hast durch diesen „Auftritt“ :-).
Sarah M.
Dieser Artikel spricht für sich, ebenso die zahlreichen Kommentare!
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,694787,00.html