„Ihr musstet das alles erleben, da werden wir – die nicht davon betroffen sind es wohl aushalten, uns das Leid wenigstens anzuhören.“

Mit dieser Aussage hat sie den Nagel auf den Kopf getroffen.
Denn genau da liegt meist das Problem, dass die Gesellschaft kaum bereit ist, mit uns Betroffenen das Leid zu teilen, uns zuzuhören, sich ein Bild davon zu machen, was es eigentlich heißt sex. missbraucht zu werden.
Der Begriff ist ein Abstrakt, und wird es auch bleiben, wenn sich diesbezüglich nichts ändert. Das ist eine der Ursachen, warum so viele Betroffene, obwohl sie dank einer Therapie ihre Horrorgeschichten vor Jahren schon hochgeholt haben, immer noch schweigen… um nicht erneut das Gefühl haben zu müssen, dass sie mit ihrer Geschichte unerwünscht sind. Sie sollen weiter schweigen, Niemandem zur Last fallen, um die heile Welt nicht zu stören.
Dieses Verhalten züchtet eine Wegschaugesellschaft.
Obwohl genug Verdachtsmomente auch heute noch sichtbar und spürbar sind, wollen die meisten diese unangenehme Realität nicht sehen! Es könnte ja anstrengend werden und Konsequenzen nach sich ziehen, womöglich noch Arbeit und Umstände machen.
Dank der zumeist geäußerten Reaktionen Nichtbetroffener haben wir, die Betroffenen das Gefühl, dass uns – sobald wir Details erzählen, erneut subtil vermittelt wird, wie ekelig und widerlich das sei,  und wir somit eine Zumutung für andere mit unserer Geschichte darstellen. So wird das Abstrakt „sex. Missbrauch“ immer ein nicht vorstellbares Konstrukt bleiben,!
Wie praktisch für viele Nichtbetroffene! So können sie das Thema getrost wieder von sich schieben.
Ein Nichtbetroffener kann sich gar nicht vorstellen, was der Begriff „sex. Missbrauch“ in der Realität für die betroffenen Kinder bedeutet, und wozu Menschen (ich würde sie eher Bestien nennen) fähig sind.
Vielleicht sind wir Betroffene gegenüber den Nichtbetroffenen zu behutsam und fahren unbewusst die selbe Schiene  – um Außenstehende zu schonen. Aber dadurch wird der Begriff „sex. Missbrauch“ weiterhin realitätsfern bleiben und für den „Rest der Welt“ nicht nachvollziehbar.
Vielleicht sollten wir Betroffene zukünftig keine Rücksicht mehr nehmen auf die Befindlichkeit Nichtbetroffener zu Gunsten der schonungslosen Begriffsrealisierung, damit auch der Letzte in unserem Lande kapiert, das sex. Missbrauch nicht einfach nur ein Wort ist, sondern grauenhafte Taten beinhaltet und immer noch heute mitten unter uns, in einer zivilisierten Gesellschaft stattfindet!
Nur so kann sich die Bevölkerung  ein Bild machen von einer Welt machen, die ihnen bisher immer noch unvorstellbar erscheint. Aber diese Welt ist eben nun mal Realität, für die es gilt, sich nicht mehr blind zu verschließen.
Wir, die Betroffenen haben das Recht, unserem Umfeld zumuten, dass sie ihre eigene Befindlichkeit (wie Ekel, Nichtwahrhaben wollen, dass so etwas möglich ist) zurück stellen um unserer, der Betroffenen Willen.
Tja, was soll ich sagen? Willkommen in der Welt der Betroffenen, für uns ist es nicht nur eine „Befindlichkeit“, sondern am eigenen Leib erlittener Horror.
Es ist nun mal ein Teil von uns, den man nicht permanent verleugnen kann. Es ist ein prägender und sehr lange dominierender Teil (während der Trauma – Aufarbeitung) unserer Person, unserer Biographie!
Möge es uns gelingen, allen die Augen zu öffnen, damit sie sehen, dass nicht jeder das Glück einer unbescholtenen Kindheit angedeiht wurde und ist, und das dies mitten in einem zivilisierten Land auch noch heute Alltag ist. Jeder 7. Junge und jedes 3. Mädchen wird sex. misshandelt.
Sex. Missbrauch ist nicht nur ein abstrakter Begriff, sondern heißt übersetzt: extreme Gewalt, Perversität, Demütigung, schwerste Verletzungen und Seelenmord.
20 % der missbrauchten Kinder begehen im Erwachsenenalter Selbstmord, weil sie diese Realität, die ihr ganzes Leben bestimmt, und ihre Seele zerstörte, nicht mehr ertragen und die Täterbotschaften bis ins hohe Alter in sich tragen, die da heißen, du bist ein Stück Scheiße, du bist zu nichts anderem wert, du hast es verdient, dass man dich tretet, schlägt und benützt, dass man an dir Wut und Gewalt ausübt. Du bist lediglich ein Benützungsgegenstand, den wir wegschmeißen, wenn du nicht mehr zu gebrauchen bist!
Diese eingebrannten Täterbotschaften wieder loszuwerden, ist Schwerstarbeit für jeden Betroffenen. Deshalb ist es umso wichtiger, Menschen im Umfeld zu haben, die dir das Gegenteil zeigen, die dich tragen, ertragen in einer Zeit, wo es dem Betroffenen schwer fällt, sich selbst zu ertragen, zu überleben.
Darum wird auch oft der Begriff „Überlebende“ verwendet, da es höchstens 80 % „überleben“, und sich nicht das Leben nehmen.

Es wird Zeit, dass wir den all jene Nichtbetroffenen unser Leid zumuten, die sich immer noch unter einer Schutzglocke des Nicht – Wahr – Haben – Wollens befinden, um alles Üble von sich fern zu halten. Sie wissen nichts, weil sie die andere Seite des Ständig – Hab – Acht – Leben eines Betroffenen nicht kennen!

Vielen, vielen Dank allen Betroffenen und Nichtbetroffenen, die den Mut haben, diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Sarah M.