Kann man Traumatisierungen durch sexualisierte Gewalt in der Kindheit unbeschadet überstehen?

Wir Betroffenen sagen Nein!

Die Lehrmeinung der Klinischen Psychologie sieht das anders:

“Die unmittelbaren Auswirkungen von sexuellem Missbrauch auf ein Kind sind sehr unterschiedlich. Bei fast der Hälfte der Betroffenen scheint sich der Übergriff nicht negativ auszuwirken (Kuehnle, 1998).”

Zitiert nach: Davidson – Neale – Hautzinger (2007): 
Klinische Psychologie Seite 511 f. Weinheim BelzPVU. ISBN 978-3-621-27614-6

Und die Nervenärztin und Psychoanalytikerin Luise Reddemann  hat in einer Talk-Show gesagt:

“Also es gibt Forschung die sagt, ungefähr 50 % der Trauma-Opfer wollen verdrängen und tun’s auch und fahr’n damit gut und die andere Hälfte will eben nicht verdrängen, will sich auseinandersetzen und dann ist es auch gut.”
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Ein Bericht von Petra Forberger

„Eine Myriade an Reaktionen“

In der Fachliteratur kursieren Aussagen wie „Bei fast der Hälfte der Betroffenen scheint sich der Übergriff nicht negativ auszuwirken“. Es ist also an der Zeit, sich mit diesen Zahlen und den dahinter stehenden Blickwinkeln eingehender zu beschäftigen.

Die US-amerikanische Psychologin Dr. Kathryn Kuehnle erforscht seit vielen Jahren das Thema sexueller Kindesmisshandlung und seine Folgen. In den Veröffentlichungen „Child Sexual Abuse Evaluations: The Scientist-Practioner Model“ (1998 in Behavioral Science & the Law) und „Child sexual abuse evaluations“ (2002 in A.M. Goldstein & I.B. Weiner Comprehensive handbook of psychology, 11. Ausgabe) stellt sie ihre Erkenntnisse ausführlich dar.

Deutlich wird, dass es in Kuehnles Untersuchungen zunächst einmal um die Personengruppe der von sexueller Misshandlung betroffenen Kinder geht. Wenn in diesem Zusammenhang also von „Folgen“ (oder eben nicht) gesprochen wird, dann geht es zunächst um Symptome, die ein Kind eventuell als Folge von erlebter sexueller Gewalt relativ zeitnah zeigen könnte. Es geht also NICHT um die Frage eventueller Spätfolgen, die sich oftmals erst im Erwachsenenalter zeigen.

Weiter zeigt sich, dass die Forschungsergebnisse von Dr. Kuehnle teilweise bereits überholt sind: Kuehnle will festgestellt haben (bzw. beruft sich wiederum auf Forschungsergebnisse anderer), dass Säuglinge und Kinder im Vorschulalter aufgrund ihrer kognitiven Begrenzungen und ihrem Unvermögen, die Bedeutung einer sexuellen Handlung zu begreifen, ein geringeres Risiko als ältere Kinder hätten, sexuelle Viktimisierung als traumatisch zu erfahren (Kuehnle 1996). Bei älteren Kindern, die die Bedeutung der sexuellen Handlung begreifen könnten, sei die Ausbildung von Folgen abhängig von den bis dahin entwickelten Haltungen und Einstellungen.

Hier möchte ich auf die gerade in jüngster Zeit veröffentlichten Ergebnisse aus der Hirn- und Traumaforschung hinweisen, die biophysiologische Zusammenhänge von frühen Stresserfahrungen mit späteren Erkrankungen aufzeigen. Unter anderem haben mehrere ForscherInnen vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München in einer Studie junge Mäuse hohem emotionalem Stress ausgesetzt. Der DNA-Test zeigte später, dass den Mäusen chemische Markierungen, so genannte Methylgruppen, in einem regulatorischen Abschnitt des Vasopressin-Gens fehlten, die gewöhnlich die Produktion des Eiweißmoleküls Vasopressin im Gehirn hemmen. In Folge wurde dieses Stresshormon ständig weiter produziert, was sowohl Emotionen, Gedächtnis als auch den Antrieb der Tierchen störte. Die Mäuse kamen ihr ganzes Leben lang kaum mit Stresssituationen zurecht. Florian Holsboer, Direktor am Max-Planck-Institut in München: „Früh erlittene schwere Belastung kann die Entwicklung krankmachender Prozesse einleiten, die sich später in Angsterkrankungen und Depressionen manifestieren“ (Spengler, Holsboer et al. „Dynamic DNA methylation programs persistent adverse effects of early-life stress”, Nature Neuroscience, 11/2009).

Ich denke, da zeigt sich sehr deutlich, welche Fortschritte die Traumaforschung allein innerhalb der letzten zehn Jahre gemacht hat, und dass daher Forschungsergebnisse, die zehn Jahre und älter sind, besonders kritisch hinterfragt werden müssen!

Zu den direkten bzw. zeitnahen Folgen von sexuellen Misshandlungen in der Kindheit (denn nur die waren Gegenstand ihrer Forschungen) stellt Kuehnle fest: „Die Sicht auf sexuelle Misshandlung als eine Art Trigger, der im Kind einen internen Prozess auslöst, der sich in vorhersagbaren Verhaltensweisen und emotionalen Symptomen zeigt, hat keine empirisch erforschte Begründung. Sexuelle Misshandlung führt nicht zur Entwicklung eines Syndroms mit bestimmten Symptomen, sondern ist eher ein Vorkommnis („live event“) oder eine Serie von Vorkommnissen, das ein weites Feld an Verhaltensweisen beim kindlichen Opfer produziert. Das Vorkommen von sexueller Misshandlung interagiert mit einer komplexen Fülle von Faktoren inklusive der Persönlichkeit des Kindes, der Interpretation des Ereignisses durch das Kind selbst und durch seine Familie, sowie der Charakteristik der sexuellen Misshandlung. Das Zusammenwirken von sexueller Ausbeutung und dieser Fülle von Faktoren produziert eher eine Myriade an Reaktionen als bestimmte feste Verhaltensweisen und emotionale Symptome bei allen Kindern.“ (Kuehnle zit. Kendall-Tacket, Williams, & Finckelhor 1993)

DAS HEISST: Es gibt nach Ansicht von Kuehnle KEINE VORAUSSAGBAREN, klar definierbaren Folgen von Traumatisierungen durch sexualisierte Gewalt, sondern eher eine Vielfalt an Reaktionen und Symptomen, je nach Individualität und Persönlichkeit des Kindes, je nach Familienstruktur und Reaktionen der Umwelt auf das Ereignis, und vor allem je nach Schwere und Charakteristik der Übergriffe.

Zu den Faktoren, die Einfluss auf die Entwicklung von Folgen, ihre Art und Stärke, haben, zählen laut Kuehnle und Kollegen unter anderem (alles Zitate aus den Kuehnle-Papieren):

Mannarino et al. (1994) berichteten über zunehmende Symptomatik inklusive größerer Angst und depressiver Symptome bei sexuell misshandelten Kindern, die sich getrennt von Gleichaltrigen fühlen, die zu erhöhter Selbstbeschuldigung bei negativen Erlebnissen neigen, die geringere Glaubwürdigkeit empfinden sowie über geringes Selbstvertrauen verfügen.

Wolfe et al. (1989) fand heraus, das kindliche Opfer, die glaubten, dass sie erneut misshandelt werden könnten, vermehrt negative Auswirkung und mehr verhaltensmäßige Symptome zeigten als Opfer, die diese Angst nicht haben.

Übereinstimmend mit Forschungsergebnissen bezüglich der biologischen Folgen von langanhaltendem Stress, zeigen Kinder, die mehrfache Formen von Misshandlung erfahren haben, psychobiologische Folgen inklusive dysreguliertes Cortisol, erhöhte Katecholamin-Werte, und Anzeichen für immunologische Probleme (Tickett & Putnam, 1998).

Andere Forscher haben herausgefunden, dass Kinder, die von den eigenen Vätern (sexuell) misshandelt wurden, und deren Misshandlungserfahrungen Geschlechtsverkehr und körperliche Gewalt mit einschließen, langfristig die schlechtesten Aussichten haben (Browne & Finkelhor 1986, Wyatt & Newcomb 1990).

Familiäre Unterstützung ist ein starker Schutzfaktor vor den Konsequenzen einer sexuellen Misshandlung. Der Level der Überlastung, der psychologischen Symptomatik und der Geschwindigkeit der Gesundung des kindlichen Opfers sind abhängig von der elterlichen Unterstützung (Runyan et al. 1988).

Untersuchungen von Friedrich et al. (1988) ergaben, dass familiäre Konflikte und mangelnde elterliche Unterstützung größere Wahrscheinlichkeitsfaktoren für emotionale und verhaltensmäßige Probleme bei sexuell misshandelten Kindern sind, als es die einzelnen Misshandlungen selbst sind.

Robustes Beweismaterial zeigt, dass je größer die Selbstbeschuldigungen und negativen Wahrnehmungen des Kindes sind, desto größer ist das Risiko, dass sich langfristige negative Folgen entwickeln (Mannarino, Cohen & Berman 1994).

Eine Auswertung von 45 Studien durch Kendall-Tacket et al. (1993) ergab, dass sexuell misshandelte Kinder mehr emotionale und verhaltensmäßige Symptome zeigen als nicht sexuell misshandelte Kinder. Dennoch, so Kuehnle, zeigen sexuell misshandelte Kinder keine höheren Symptommuster oder Vorkommnisse von PTSD als körperlich misshandelte Kinder und nichtgequälte psychiatrisch hospitalisierte Kinder. (D. h. es gibt Kuehnles Ansicht nach KEINE Unterschiede für die unterschiedlichen Misshandlungsformen; sie sagt damit NICHT, dass sexuell und anders misshandelte Kinder KEINE Symptommuster und/oder PTSD entwickeln!!)

Kinder, die mehrfache Formen von Misshandlung (z. B. körperliche und sexuelle Misshandlung) erfahren, zeigen ein erhöhtes Risiko für langfristige psychologische Probleme verglichen mit Kindern, die nur eine Form von Misshandlung erfahren haben (Shipman, Rossman, & West 1999).

Das heißt, ob und welche Folgen Traumatisierung durch sexuelle Gewalt zeitigt, ist abhängig davon, wie verbunden sich ein Kind mit anderen fühlt, wie sehr es in seinem bisherigen Leben positive und stabilisierende (Selbst)Erfahrungen machen konnte und wie stark es darauf vertrauen kann, dass ihm geglaubt wird. Es ist abhängig davon, in welches Familienklima das Kind hineingeboren wurde, bzw. in welchem es aufwächst. Es ist außerdem abhängig davon, ob die Erfahrung von sexueller Gewalt einmalig ist und bleibt, oder ob das Kind erneute Übergriffe erwarten muss (und erlebt). Einer der ausschlaggebendsten Faktoren für die Entwicklung von Folgestörungen ebenso wie für die Bewältigung einer solchen Erfahrung ist demnach das Verhalten der direkten Umgebung, insbesondere der Eltern.

Wenn man nun weiß, dass sexuelle Misshandlung von Kindern überwiegend im direkten Nahbereich, häufig innerhalb der Familie, stattfindet, bzw. von Menschen, die dem Kind und/oder der Familie nahe stehen, erfolgt, muss man nicht weit denken können, um die hohe Gefährdung für langfristige Folgen zu erkennen. Meiner Erfahrung nach ist das Vorkommen von sexueller Gewalt im Nahbereich ja bereits ein Indiz dafür, dass hier keine gesunden, unterstützenden, stärkenden, hilfreichen familiäre Strukturen vorhanden sind, sondern dass im Gegenteil dieses (auch erweiterte) familiäre System bereits krank ist. Ebenso bedeutet die Tatsache, dass sexuelle Misshandlung von Kindern häufig im sozialen Nahraum von dem Kind nahestehenden Personen erfolgt, dass die überwiegende Zahl dieser Kinder in der „Erwartung“ leben muss, dass es nicht bei einem einmaligen Erlebniss bleibt. Sexuelle Misshandler sind Wiederholungstäter, das ist bekannt, und sie sichern sich ja gerade deshalb den „Zugriff“ auf ein nahestehendes, abhängiges, isoliertes Kind, um ihn dauerhaft gestalten zu können.

Also was sagen uns diese Erkenntnisse im erweiterten Umkehrschluss? Antwort: Die Wahrscheinlichkeit, Folgestörungen zu entwickeln, sind – wenn man genau hinsehen will und das Gesamtbild erfasst – „systemimmanent“, gründen also auf Faktoren, die bereits Teil der Misshandlungs-Konstellation sind. Insofern ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Folgestörungen kommt, geradezu erschreckend hoch.

Und das legen meiner Ansicht nach selbst die (veralteten) Zahlen von Kendall-Tacket et al. (1993), auf die sich Kuehnle (und vielleicht auch Reddemann) beziehen, nahe:

Kuehnle schreibt: „Obwohl durch sexuelle Misshandlung traumatisierte Kinder Probleme aufweisen können, die ihre Überforderung wiederspiegeln, wie beispielsweise Angst vor Dunkelheit, Trennungsängste, Anhänglichkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Schlafstörungen, sind nicht alle sexuell misshandelten Kinder traumatisiert oder überfordert („distressed“) durch sexuelle Erlebnisse („sexual events“). In ihrer Auswertung von 45 Studien fanden Kendall-Tacket et al. (1993) heraus, dass der Prozentsatz von sexuell misshandelten Kindern ohne Symptomatik zwischen 21 % bis 49 % liegt.“

Und weiter: „Obwohl Kendall-Tacket und ihre Kollegen (1993) herausfanden, dass sexuell misshandelte Kinder mehr psychologische Symptome entwickeln als Kinder, die nicht-sexuell misshandelt wurden, gab es kein Symptom, das von der Mehrheit der Opfer entwickelt wurde.“

„Zudem“, so Kuehnle, „unterschieden sich sexuell misshandelten Kindern nicht von anderen Kindern, die fachliche psychologische Hilfe („mental health services“) wegen verhaltensmäßiger, emotionaler oder sozialer Probleme in Anspruch nahmen, mit Ausnahme von sexuellen Verhaltensweisen, die häufiger von sexuell misshandelten Kindern gezeigt wurden.“

Anmerkung 1:
 Zunächst einmal muss festgestellt werden, dass diese Prozentangabe ERHEBLICH VARIABLER ist, als sie u.a. von Kuehnle und Reddemann verwandt wird (sofern sich beide auf diese Ergebnisse berufen). Daraus den Schluss zu ziehen, dass „etwa die Hälfte keine Symptomatik entwickelt“, ist meiner Ansicht nach grob fahrlässig und wahrheitsverzerrend. Richtiger wäre, zu sagen, dass ein Viertel bis die Hälfte aller sexuell misshandelten Kinder MÖGLICHERWEISE keine Symptome zeigen. Der umgekehrte Blick hierauf würde aber ebenso bedeuten, dass 51 % bis 79 % (also fast 80 Prozent!!!) eine Symptomatik entwickeln. Übersetzt: AUF JEDEN FALL die Hälfte (!!!) bis DREI VIERTEL aller sexuell misshandelten Kinder zeigen Symptome.

Anmerkung 2: 
Aufgrund der Ausführungen von Kuehnle (in ihren beiden Texten) und ihrer zitierten KollegInnen muss selbst diese Prozentangabe vorsichtig gelesen werden!! Wenn Kendall-Tacket et al. bei der Auswertung von 45 Studien feststellen, dass ein bestimmter variierender Prozentsatz keine Symptome zeigt, heißt das noch lange nicht, dass es keine FOLGEN hat, Traumatisierung durch sexuelle Gewalt zu erleben, bzw. erlebt zu haben.

Zudem wird in den Ausführungen (und vermutlich nicht nur da) der Begriff „Symptome“, bzw. „Symptomatik“ sehr widersprüchlich und teilweise irreführend verwendet. So geht es beispielsweise häufig nur um die Abgrenzung, ob sexuelle Misshandlung andere oder zusätzliche Symptome hervorruft als „normale“ Misshandlung. Das heißt, es ist klar, dass Misshandlung Folgen hat, es ist nur unklar, ob sich Folgen sexueller Misshandlung davon unterscheiden.

Oder es werden Störungen aufgezählt wie Angst vor Dunkelheit oder Schlafstörungen, die, weil sie auch OHNE sexuelle Misshandlung vorkommen können, nicht als Symptom für sexuelle Misshandlung gezählt werden (aber dennoch Folge von sexualisierter Gewalt sein können!).

Oder Symptome gelten deshalb nicht als Folgen von sexueller Misshandlung, weil sie nicht bei der Mehrheit der Opfer feststellbar sind. Dabei schreibt Kuehnle doch selbst, dass es gerade NICHT möglich ist, voraussagbare, klar definierbaren Folgen von Traumatisierungen durch sexualisierte Gewalt festzulegen, WEIL sexuelle Gewalt – je nach Individualität und Persönlichkeit des Kindes, Familienstruktur und Reaktionen der Umwelt, Schwere und Charakteristik der Übergriffe – eine Vielfalt an Reaktionen und Symptomen zur Folge hat!

Und zur Erhebung von Symptomen das Auftauchen von sexuell misshandelten Kindern in irgendwelchen öffentlichen Institutionen („mental health services“) heranzuziehen, zeugt entweder von größtmöglicher Naivität oder grober Fahrlässigkeit. GERADE DORT tauchen sexuell misshandelte Kinder als allerletztes, bzw. am seltensten auf!!! Oben gemachte Ausführungen zur Tätersituation im Nahbereich erklären dies (und Betroffene-ExpertInnen wissen das auch genau!!).

Ein letztes zum Thema „Symptome“: Solange beispielsweise Verschweigen (ein typisches „Symptom“ bei sexuell misshandelten Kindern aufgrund von Schweigegeboten, Todesdrohungen, Scham und Schuldgefühlen des Opfers, samt Zweifeln an der elterlichen Unterstützung und eigener Glaubwürdigkeit) oder andere Formen der Angstsprache NICHT als Symptome erkannt werden, sind sämtliche Aussagen über „Folgen“, „Symptome“ oder „Symptomabstinenz“ nur mäßig relevant!

Resümee:

Ich denke, worum es Kuehnle geht (oder ging), war, eine Art wissenschaftlich basierten „Leitfaden“ für professionelle Untersuchende zu entwickeln, nach dem bei Verdacht auf sexueller Misshandlung vorzugehen ist. Dieser „Leitfaden“ – das von ihr so genannte „Scientist-Practioner Model“ – soll anhand von vorgegebenen Leitlinien sicherstellen, dass die untersuchende Person keine voreiligen und unangemessenen Rückschlüsse und Zusammenhänge herstellt zwischen einer einzelnen Reaktion und dem tatsächlichen Vorkommen einer sexuellen Misshandlung.

Dazu hat sie auf einer wissenschaftlichen Ebene versucht, Anzeichen („Symptome“) zu identifizieren, die, wenn sie von Kindern gezeigt werden, eindeutig einen Rückschluss auf sexuelle Misshandlungen zulassen.

Ihre Untersuchungen haben ergeben, dass das nicht möglich ist. Kuehnle hat festgestellt, dass sexuelle Misshandlung nicht (automatisch) zur Entwicklung eines Syndroms mit bestimmten Symptomen führt, sondern eher ein Lebensereignis ist, das ein weites Feld an Verhaltensweisen beim kindlichen Opfer produziert. Diese Verhaltensweisen – in der Folge von sexuellen Misshandlungen! – stehen in direktem Zusammenhang mit einer komplexen Fülle von individuellen, persönlichen, sozialen und tatcharakteristischen Faktoren. Wenn also sexuelle Gewalt UND diese Fülle von Faktoren zusammenkommen, entstehen laut Kuehnle „eher eine Myriade an Reaktionen als bestimmte feste Verhaltensweisen und emotionale Symptome“.

Und sie stellte in ihrem 2002 veröffentlichten Text „Child sexual abuse evaluations“ fest: „Das Überleben von Erinnerungen durch langanhaltende Verdrängung („Ablagerung“), der Einfluss der traumatischen Erinnerungen auf späteres Verhalten sowie die erneute Rückkehr der Erinnerungen und ihre Auswirkungen müssen weiter untersucht werden.“

Petra Forberger, 04.02. 2010