Zeigen Sie echten Willen zur Aufklärung!
Sehr geehrter Herr Fürst,
sehr geehrter Offizialatsrat Rheus,
Sie haben mir in einem Schreiben vom 10. März 2010 mitgeteilt, meine Vorwürfe gegen den damaligen Gemeindepfarrer von Unterboihingen gälten als „im Vorfeld entkräftet“ (Als so eingestuft tritt er in den Statistiken auf, die u.a. dem „Spiegel“ zur Verfügung gestellt wurden).
Sie sprechen des Weiteren in Ihrem Brief von „Vorwürfen, die vage bleiben“ und stellen fest, ich hätte meine Angaben nicht ergänzt. Diesbezüglich möchte ich Sie daran erinnern, dass Sie den Fall im August 2005 als erledigt und geschlossen ablegten und keinerlei Bereitschaft zeigten, weitere Informationen meinerseits zu verwerten.
Darf ich Sie an meine Vorwürfe erinnern, die sehr konkret sind, und die ich bereits 2004 so darlegte: Der Pfarrer Gebhard N. hat mich nach Kommunionsvorbereitungen im Gemeindezentrum in einen halb abgedunkelten Raum mitgenommen, wo er meine Genitalien streichelte, mich mit dem Finger penetrierte, und sein erigiertes Glied präsentierte; die Erinnerungen an das, was des Weiteren in diesem Raum geschah sind wegen des ausgelösten Entsetzens ausgelöscht. Aber das, was ich hier darstelle, ist doch wohl konkret genug?
Sie wiesen meine Aussagen mit dem Hinweis zurück, Pfarrer N. habe Kommunionsunterricht nur in der Schule gegeben und vormittags. Es habe im Gemeindezentrum lediglich Bastelgruppen oder dergleichen für die Kommunionsvorbereitung gegeben, die von Müttern abgehalten wurden.
Sie haben drei Menschen befragt, um den Vorwürfen nachzugehen, und alle drei halte ich für befangen: Als Ersten den Pfarrer N. selbst. Als Zweiten zitieren Sie den Pfarrgemeinderat Fischer mit der Aussage, er könne sich das von Pfarrer N. nicht vorstellen.
Lieber Herr Rheuss, lieber Herr Fürst, das ist ja gerade das Problem bei dieser Art von Verbrechen, dass sich die Menschen das auf gar keine Fall vorstellen MÖCHTEN. Schon gar nicht vom Geistlichen, dem sie sich anvertraut haben. Diese Art von Aussagen („kann ich mir nicht vorstellen; so ein netter Mann“) haben seine Nachbarn, mit Verlaub, auch über den Österreicher Fritzl gemacht, der in ihrer unmittelbaren Nähe jahrelang seine Tochter gefangen hielt.
Der Nachfolger von Pfarrer N. wird mit einer ähnlichen Aussage zitiert – offenbar haben sich ihm keine Opfer von N. offenbart. Würden Sie das denn erwarten? Ich sehe sonst keinen Grund, ihn zu befragen, er war ja zum Zeitpunkt der Verbrechen nicht in der Gemeinde. Aber glauben Sie denn im Ernst, ein Mensch, der von einem Pfarrer sexuelle Gewalt erfuhr, geht wieder zu einem Pfarrer, um sich darüber anzuvertrauen?! Ist eine solche offenkundig schlechte Arbeits-Hypothese die Folge von Naivität, von Nachlässigkeit oder von Berechnung?
Ich hatte Ihnen interessantere Zeugen genannt: Meine Mitkommunikanten, die mich als „Pfarrers Liebling“ hänselten. Auch wäre es nicht schwierig gewesen festzustellen, dass Pfarrer N. sehr wohl im Gemeindezentrum auftauchte, wenn diese Vorbereitungsgruppen stattfanden – man hätte nur die Mütter befragen müssen, die diese leiteten. Der Weg von seiner Wohnung zum Gemeindezentrum ist kurz genug.
Auf diese Idee kamen Sie nicht, warum auch immer.
Nun muss ich in Ihrem letzten Schreiben lesen, ich behaupte lediglich, dass es „sehr gut so gewesen sein könnte“. Herr Rheuss, diesen Satz reissen Sie aus dem Zusammenhang, um meine Anklagen abzuschwächen. Ich schrieb, dass Sie und Herr Fürst davon ausgehen müssen, dass es sehr wohl so gewesen sein könnte, um Ihnen zu verdeutlichen, dass eine Spur Mitgefühls zu zeigen Ihnen wohl angestanden hätte.
Stattdessen unternahmen Sie alles, um meine Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen – sei es durch die These, mir seien die Erinnerungen erst im Lauf einer Psychotherapie gekommen, sei es durch Ihren Hinweis darauf, dass der Kommunionsunterricht gar nicht in der Schule stattfand, die dem Gemeindezentrum gegenüber lag – obwohl ich das niemals behauptete; ich habe diese Schule gar nicht besucht.
Sie schrieben mir auch, Sie könnten Pfarrer N. nicht verurteilen.
Sie fragten gar nicht, ob es mir darum ging. Sie waren so beschäftigt damit, Ihren Mitarbeiter und Ihren Ruf zu schützen, dass Sie nicht in der Lage waren, nach meinen Bedürfnissen auch nur zu fragen.
Mir geht nicht um das Verurteilen, sondern um eine sorgfältige Recherche, die diesen Namen verdient. Mir geht es nach wie vor auch darum, dass Sie Ihren seelsorgerischen Verpflichtungen nachkommen: In dieser Gemeinde wurden Mädchen aufs brutalste misshandelt (denn ich war sicher nicht Pfarrer N.s einziges Opfer) und tragen davon Behinderungen fürs ganze Leben. Sie tragen sie allein oder mit ihren Nächsten – und keiner der Verantwortlichen tut etwas, um sie zu entlasten.
Wie kann es angehen, dass der aktuelle Pfarrer, der ja befragt wurde, also Kenntnis hatte von meiner Not, nicht auf mich zugehen konnte, und sei es, um mir Seelsorge anzubieten. Wäre ein echtes Interesse an Aufklärung da gewesen, hätte er nicht Kontakt zu mir aufnehmen müssen, um Näheres zu erfahren?
Ich bin nicht einmal darauf hingewiesen worden, dass es eine Anlaufstelle für sexuellen Missbrauch gibt – und in der Tat hätten mir ihre Mitglieder wenig helfen können, da sie zum Großteil Juristen sind, die selbstverständlich für die Erzdiözese arbeiten.
Ich kann nur hoffen, dass die neuesten Entwicklungen die Haltung Ihrer Kirche dahingehend ändern, dass wirklich Aufklärung angestrebt wird, wenn wieder Verdachtsfälle auftauchen. Und dass es um die Bedürfnisse der Betroffenen geht und nicht um die der Institution.
Mit freundlichem Gruß,
Astrid
Lange habe ich gerätselt, warum echtes, ehrliches Bemühen um Aufklärung von sexueller Gewalt so selten ist.
Gestern habe ich auf der homepage des Vereins „gegen-missbrauche e.V.“ im Zusammenhang mit „rituellem Missbrauch“ endlich eine plausible Antwort gefunden.
Zitat:
„Und drittens will die Gesellschaft als ganzes nicht wahrhaben, daß ihre Normen und Gesetze so eklatant und extrem verletzt werden; so entsteht die gesellschaftliche Verleugnung des Problems“
Ein Kernthema und ein grundlegender Anspruch der Institution „Katholische Kirche“ ist das Einhalten strenger moralischer Regeln und der Gehorsam.
Im Falle eines sexuellen Übergriffs auf Kinder durch Geistliche sind diese beiden Ansprüche im Kern doppelt gebrochen (der Priester „sündigt“ als Katholik und als Amtsinhaber) und noch dazu bricht der Täter weltliches Recht.
Die gesamte Schwäche und Machtlosigkeit der Institution Kirche und ihrer Führer wird dadurch offenbar.
Offiziell darf es sowas natürlich nicht geben. Die entsprechenden Amtsinhaber sind schließlich von Gott eingesetzt und der ist allmächtig.
Das sollen jedenfalls die Untergebenen glauben.
Ein Kirchenverantwortlicher der zugibt, daß in seinem Machtbereich Kinder von Geistlichen sexuell missbraucht werden, erklärt seine institutionelle Impotenz.
In unserer Kultur ist „Impotenz“ eines Machthabers – physisch oder im übertragenen Sinne – undenkbar – er erklärt sich damit „machtlos“ und somit „ungeeignet“.
Ich habe gerade einen Namen dafür kreiert – das „Berlusconi-Syndrom“. Denn immer wenn in Italien irgendwer Silvio Berlusconi an den Karren fährt und damit zeigt, daß auch der seine Machtgrenzen hat, dann veröffentlichen die Medien, die ihm gehören irgendeine „Blondiesexgeschichte“ über ihn, um zu beweisen, daß „Silvio“ trotz seiner nicht unbedingt gesunden Statur und seines fortgeschrittenen Alters potent ist und damit die wichtigste Voraussetzung fürs Regieren erfüllt. Jedenfalls nach Meinung von Silvio.
Putin macht das im übrigen auch – aber der läßt sich mit entblößtem Oberkörper auf einem Pferd ablichten oder bei der Jagd.
Das kommt in Russland besser an als „Blondies“.
Diese Tatsache sollten wir bei der Entwicklung von Strategien gegenüber den Verantwortlichen berücksichtigen.
Sie fühlen sich so, wie sie sind – schwach, überfordert und machtlos. Und wollen auf gar keinen Fall daran erinnert werden.
Deshalb ist es ganz wichtig, daß sie so oft wie möglich daran erinnert werden und so viele Menschen wie möglich die Hintergründe erfahren.
Danke Astrid, daß Du diesen Brief geschrieben und veröffentlicht hast.
Angelika Oetken, Berlin
Ja, Astrid beschreibt hier ein Methodik, welche bis zum heutigen Tage angewendet wird, falls die Beweislast nicht zu erdrückend wird.
Neuestes Beispiel, diesmal aus der Schweiz:
http://www.suedostschweiz.ch/newsticker/index.cfm?id=35934&newsRegion=10
Darf ich offene Briefe übernehmen und zwecks noch grösserer Tiefenwirkung auch in meiner unter einer gesonderten Rubrik und mit Linkhinweis pubizieren?
Danke für eine Antwort.
walteranamur
Liebe Frau Astrid,
es macht mich betroffen, was Sie von der Kirche erleiden mussten und wie diese zum Schweigen bringen will.
Ich habe deshalb diesen Brief an den Bischof geschrieben:
„Sehr geehrter Herr Bischof Dr. Gebhard Fürst!
Ich bin dankbar für Ihre entschiedenen Worte vom 18. März 2010, die ich zitiere: „Ich habe in der Diözese Rottenburg-Stuttgart alle gebotenen Vorkehrungen getroffen, um jeden Verdachtsfall aufzuarbeiten, die Schuldigen zu bestrafen und den Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.“
Ich bitte Sie daher den gemeldeten Missbrauchfall von Frau Astrid durch Pfarrer Gebhard N. in der Gemeinde Unterboihingen nochmals aufzugreifen und Frau Astrid persönlich oder durch eine qualifizierte Persönlichkeit anzuhören.
Meine Bitte bezieht sich auf ein Schreiben von Frau Astrid an Sie, das ich Ihnen in Kopie beifüge.
Ich möchte auch Papst Benedikts Worte vom Samstag an die Opfer zitieren:
„Ihr habt schmerzlich gelitten und das tut mir aufrichtig leid. Ich weiß, dass nichts das Unrecht ungeschehen machen kann, dass Ihr erlitten habt. Euer Vertrauen wurde verraten und Eure Würde wurde verletzt. Viele von Euch haben erfahren, dass keiner zugehört hat, als ihr den Mut hattet auszusprechen, was Euch passiert ist. …“
Ich bitte Sie, Frau Astrid zuzuhören, was sie zu sagen hat.“
Mit herzlichen Grüßen
Hans-Martin
Liebe Astrid,
bei Ihrem Bericht packt mich ein unglaublicher Zorn. Wo ist der eiserne Besen, um diesen Stall auszumisten? Was unternimmt der Beauftragte Bischof Ackermann, um die Herrschaften zur Verantwortung zu ziehen, die Ihnen erneut und jahrelang weitere seelische Verletzungen zugefügt haben?
Ihre „freundlichen Grüße“ am Ende des Briefes sollten den Adressaten um die Ohren fliegen. Von Henryk M. Broder kann man lernen, dass man einen Brief auch mit „grußlos“ unterzeichnen kann.
Ich wünsche Ihnen viel, viel Kraft und Tapferkeit. Ich bin sicher, dass Sie am Ende Erfolg haben werden im Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit.
Mit herzlichen Grüßen
ellen w.