„Es waren die schlimmsten Jahre“
Missbrauchsopfer Denef kritisiert katholische Kirche und fordert Aufhebung der Verjährungsfrist
Norbert Denef im Gespräch mit Katrin Heise
Missbrauchsopfer Norbert Denef glaubt nicht an eine Aufklärung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. Von der heute beginnenden Deutschen Bischofskonferenz, die auch über die Missbrauchsfälle berät, erwarte er „im Prinzip nichts“.
Katrin Heise: Das Schweigen muss gebrochen werden, das schrieb vor vier Wochen der Leiter des Berliner Canisius-Kollegs, ein ehemaliger Schüler der von Jesuiten geleiteten Schule. Gemeint war das Schweigen über sexuellen Missbrauch und seitdem melden sich immer mehr Opfer. Es geht weit über die Berliner Schule hinaus. Am Ende der letzten Woche war von 115 Personen die Rede. Auch aus einem Kinderheim der Salesianer sind jetzt Fälle von Missbrauch bekannt geworden.
Wie sich derartige Erniedrigungen und sexueller Missbrauch auf das weitere Leben auswirken, davon werden wir gleich hören. Norbert Denef ist als Jugendlicher von einem Priester missbraucht worden. Das war nicht in Berlin, das war in der Nähe von Leipzig, Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre war das. Claudia van Laak schildert uns, was Norbert Denef erlebt hat.
Beitrag
Ein Bericht war das von Claudia van Laak. Und jetzt spreche ich mit Norbert Denef persönlich. Ich grüße Sie, Herr Denef!
Norbert Denef: Hallo, guten Morgen!
Heise: Sie wurden als Kind und Jugendlicher missbraucht. Sie konnten sich damals niemandem anvertrauen, Sie haben jahrzehntelang geschwiegen und verdrängt. Aber wie hat sich das Erlebte in dieser Zeit trotzdem ausgewirkt bei Ihnen, wie hat das untergründig Ihr Leben bestimmt?
Denef: Ich habe 35 Jahre geschwiegen und in der Zeit – bei mir war das nicht ganz verdrängt – in der Zeit habe ich jeden Tag und Nacht daran gedacht, immer wenn bei bestimmten Gerüchen oder gar bei Geräuschen war ich sofort immer wieder drin in dieser Szene, in diesen Missbrauchsgeschehen.
Und bis ich dann halt nicht mehr konnte, das war mit 40, wo ich dann ja zusammengebrochen bin. Und dort habe ich das erste Buch gelesen und dort ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, in welcher Glocke, in welchen Mauern ich gefangen war.
Heise: Sie haben ein Buch gelesen, wo es um Missbrauch ging und wo da sich eröffnet hat, auch dass Sie nicht der Einzige waren?
Denef: Nein, das ist nicht ganz richtig. Das erste Buch, was ich gelesen habe, das war ein Psychobuch, da habe ich erst mal gelesen, dass es doch anderen Menschen vielleicht auch so geht und nicht nur mir allein, das habe ich bis dahin gedacht.
Und dann sind noch mal drei Jahre vergangen, bis ich das erste Missbrauchsbuch in die Hand genommen habe. Dieses in die Hand zu nehmen, das war für mich unvorstellbar. Unvorstellbar, überhaupt mit jemandem irgendwann mal darüber zu sprechen, weil die Abspaltung, die – Frau Wirtz spricht von einem Seelenmord – die hält das gefangen.
Und so kann man sich auch vorstellen, dass es eben Jahrzehnte dauert, dass man nicht darüber sprechen kann. Und der Gesetzgeber zwingt die Opfer wieder zum Schweigen, und das ist aus meiner Sicht ein Verbrechen.
Heise: Das heißt, Sie haben auch damals richtig lernen müssen, also Sie haben ja gesagt, Sie haben zwar das Erlebte immer wieder schon alleine durch Gerüche oder so immer wieder erleben müssen. Aber haben Sie sich tatsächlich auch eingestehen können und sagen können, was Sie da erlebt haben, was mit Ihnen passiert ist?
Denef: Nein, das hat noch mal viele, viele Jahre gedauert. Also erst mal habe ich dann also ein Jahr halt geübt an diesem Satz: Ich wurde sexuell missbraucht. Da habe ich ein Jahr vor dem Spiegel gestanden, immer heimlich geübt, um das dann 1993 im Familienkreis aussprechen zu können.
Und dann sind noch viele, viele Jahre halt vergangen, um, ja um dann letztendlich den ersten Täter beim Bistum Limburg anzuzeigen. Das war von 93 bis 96, erst da war ich in der Lage dazu, den anzuzeigen. Und dann erst 2003 war ich dazu in der Lage, den zweiten Täter anzuzeigen. Übrigens war die Meldung nicht ganz richtig, ich habe von beiden Tätern ein schriftliches Eingeständnis im Beisein einer Justiziarin vom Bistum Limburg.
Heise: Und trotzdem haben sie aber nicht wirklich mit Ihnen gesprochen, oder haben sich diese Männer später mit Ihnen auseinandergesetzt?
Denef: Nein, überhaupt nicht. Gesprochen hat also bis heute mit mir keiner. Nach dem Familientreffen 93 wurde ich ausgegrenzt bis zum heutigen Tag von meiner Herkunftsfamilie. Und der Bischof von Magdeburg, der letztendlich dann halt den Fall, halt weil die Taten da stattgefunden haben, mit dem ich dann zwei Jahre gekämpft habe mit Anwalt wegen der Schweigeklausel, der mich ja wieder zum Schweigen zwingen wollte zwei Jahre lang, und gesprochen hat er bis heute kein einziges Wort, sondern hat seinen Anwalt geschickt, seinen Anwalt auf mich gehetzt.
Und es waren die schlimmsten Jahre, die schlimmsten zwei Jahre meines Lebens, wo auch dann der Papst noch, wo ich den Papst um Hilfe angefleht habe, Hilfe, bitte hilf mir, der Bischof von Magdeburg will mich zum Schweigen zwingen, und dann nach einem halben Jahr hat er mir geantwortet, Papst Pius II, in einem persönlichen Schreiben, dass ich doch wieder vergeben soll. Das war die Antwort. Daraufhin wollte ich mir das Leben nehmen.
Heise: Das heißt, Sie sind immer wieder mit der Tat konfrontiert worden auch schon alleine aus diesem Schweigegebot heraus, das Ihnen irgendwie auferlegt worden ist, obwohl 2002 die katholische Kirche ja Leitsätze sich gegeben hat, wo sie aufarbeiten will. Daran haben …
Denef: Ja, daran …
Heise: Davon haben Sie nichts gemerkt?
Denef: Ja, daran können Sie erkennen, an meinem Beispiel lässt sich gut erkennen, dass dieses Ganze, diese Leitlinien nichts weiter als Papier sind. Und der Umgang mit den Opfern überhaupt kein Interesse hat. Das heißt, wie gesagt, bis heute hat keiner bei mir angerufen, niemand mit mir gesprochen, sondern hat ganz im Gegenteil noch in den letzten Jahren, seitdem ich in der Öffentlichkeit bin, habe ich von der Kirche noch zweimal eine Klageandrohung gekriegt, wenn ich nicht halt weiter schweige und einen offenen Brief, den ich da halt, um das alles öffentlich zu machen, an die Kirche in Delitzsch geheftet habe. Seitdem werde ich massiv unter Druck gesetzt. Das ist die Reaktion bis heute, bis auf den heutigen Tag.
Heise: Norbert Denef spricht im Deutschlandradio Kultur über seine Erfahrung mit der katholischen Kirche, nachdem er als Jugendlicher von Kirchenmännern missbraucht wurde. Sie haben gesagt, Herr Denef, dass auch Ihre eigene Familie, – Ihre Herkunftsfamilie, nicht Ihre jetzige Familie, nicht Ihre Frau, Ihre Kinder, aber Ihre Herkunftsfamilie – nicht damit umgehen konnte, weil die Verbindung zur Kirche damals auch so nahe war und weil man es wahrscheinlich auch selber nicht gemerkt hat. Was kann eigentlich in einem Fall wie Ihrem wirklich helfen? Was hätte, wie hätte Hilfe wirklich aussehen können?
Denef: Das ist ein gesellschaftliches Problem, das kann man jetzt nicht nur so auf die Kirche beziehen, auch nur nicht auf die Familie. Das ist überall so, das ist generell so, dass da geschwiegen wird. Und der Staat, der unterstützt dieses Schweigen, indem er die Opfer zum Schweigen zwingt und die Täter schützt, indem er sagt, es ist eine Verjährungsfrist, und wenn dann die Verjährungsfrist abgelaufen ist, musst du deinen Mund halten.
Und das ist aus meiner Sicht ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Deshalb habe ich eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof eingereicht über die Bundesrepublik Deutschland.
Heise: Was macht eigentlich die momentane Diskussion, was machen die vielen Menschen, die sich jetzt anonym oder auch nicht anonym melden, die Ähnliches erlebt haben wie Sie, was macht das mit Ihnen?
Denef: Ja, das ist aus meiner Sicht ja nur die Spitze des Eisberges, denn die, die jetzt sprechen können, reden können, die gehören ausgezeichnet. Nicht der Rektor da in Berlin. Der hat, das ist manipuliert ist das, der hat es nicht verdient, da jetzt als Aufklärer hingestellt zu werden. Die, die das Schweigen brechen, das sind die wirklichen Aufklärer.
Und das sind, das ist die Ausnahme. Sie können davon ausgehen, dass eine unglaublich hohe Zahl weiterhin schweigt, weil sie können nicht reden. Sie kriegen das nicht über die Lippen, zu sagen: Ich wurde sexuell missbraucht. Sie können also erkennen, dass viele Berühmte, auch halt in Politikerkreisen – das weiß man von diesen Eliteschulen -, die können es nicht sagen. Wenn jetzt aus einer, wenn ein Politiker sagen würde, ich auch, der müsste befürchten, auch ausgegrenzt zu werden. So ist unser System aufgebaut.
Heise: Was erwarten Sie eigentlich von der Bischofskonferenz heute oder was erwarten Sie heute konkret?
Denef: Also, ich bin realistisch, ich erwarte im Prinzip nichts. Weil, das wird so weitergehen wie bisher. Wenn die Medien aufhören, darüber zu berichten, dann wird sich nicht viel verändern, das erwarte, das ist so real.
Ich fordere von der Bischofskonferenz, wenn sie wirklich was tut, wenn sie ehrlich was tut, dass sie sich dafür einsetzt, dass die Aufhebung der Verjährungsfrist stattfindet. Das wäre ein wirkliches Bekenntnis. Alles andere wären Lippenbekenntnisse.
Heise: Sie waren mal Messdiener. Sind Sie eigentlich noch in der Kirche, können Sie sich damit noch auseinandersetzen?
Denef: Nein, um mich auseinandersetzen zu können, bin ich vor einigen Jahren im Zuge meiner Aufarbeitung bin ich ausgetreten ohne Wut und ohne Hass, einfach weil ich das Gefühl hatte, ich brauchte diesen Abstand, das von außen zu sehen, was passierte, was ist da mit mir passiert.
Und dann, daraus ist halt mein Weg entstanden, aber ich habe weder Hass noch irgendwie Wut. Ich kann jeden akzeptieren, der glaubt, wie auch immer, in welche Richtung. Ich kann nur nicht akzeptieren, wenn man andere Menschen dazu zwingt oder zu sagen, das ist der richtige Glaube und das musst du glauben, wenn du das nicht glaubst, kommst du in die Hölle. Und das kann ich nicht akzeptieren.
Heise: Sagt Norbert Denef, der nach langem Schweigen seit einigen Jahren mit seinen Erfahrungen des Missbrauchs an die Öffentlichkeit tritt und gegen die Verjährung kämpft. An eine wirkliche Aufarbeitung der katholischen Kirche glaubt er allerdings nicht. Herr Denef, ich danke Ihnen recht herzlich für das Gespräch.
Denef: Danke.
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