Berlin Die Empörung über die Fälle sexuellen Missbrauchs an Jesuiten-Schulen richtet sich besonders gegen die Täter aus dem Umfeld der katholischen Kirche. „Der eigentliche Skandal aber sind die Verjährungsfristen im Straf- und im Zivilrecht“, sagen ehemalige Missbrauchsopfer wie Norbert Denef (60).

Während in Berlin Katho­liken für die Miss­brauch­sop­fer beten, fordern Betrof­fene Genug­tuung. Sie fordern vehe­ment, dass sexu­eller Miss­brauch nicht ver­jähren darf.

Sie garantierten auch den jetzt bekannt gewordenen Tätern vermutlich wieder Straffreiheit und bewahrten sie vor Entschädigungszahlungen. Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) plädiert daher für eine Verlängerung der Verjährungsfristen.

Der Priester, der 1958 den neunjährigen Denef missbrauchte, war ein Freund der Familie, ebenso wie der Chorleiter, der sich 1965 dem jungen Norbert unsittlich genähert hat. 450 000 Euro fordert er von seinen Peinigern. Aber die Taten waren längst verjährt, als sie ihm überhaupt erst wieder ins Bewusstsein kamen. „Das Geld kann nicht heilen, was ich erlitten habe und noch erleide“, sagt Denef. Auch die Last, die seine Familie durch ihn zu tragen hatte, lasse sich mit Geld nicht wiedergutmachen. Aber: „Eine Verurteilung der Täter und das Schmerzensgeld hätten zumindest die Anerkennung meines Leids durch die Gesellschaft ausgedrückt.“

Missbrauchsopfer tun sich nicht nur aus Scham schwer, das an ihnen begangene Verbrechen öffentlich zu machen, sagt Denef. Warum sollten sie, wenn sie endlich in der Lage sind, über den Missbrauch zu sprechen, an die Öffentlichkeit gehen? Hilfe durch die Justiz hätten sie kaum zu erwarten, weil die Tat meistens verjährt ist.

Das Bistum Limburg hatte Denef 25 000 Euro „Schweigegeld“ – wie er es nennt – für den Missbrauch gezahlt, was nur einen Teil der Kosten für Therapien und Klinikaufenthalte gedeckt habe. Papst Johannes Paul II. „ermutigte“ ihn in einem Schreiben, „den allmächtigen Gott um seinen starken Beistand für innere Heilung und um die Kraft der Vergebung zu bitten“.

Denef hat nicht vergeben. Er kämpft für die Abschaffung der Verjährungsfristen bei sexuellen Straftaten im Zivilrecht. Schadenersatzansprüche verjähren nach drei bis maximal zehn Jahren. 2006 reichte Denef beim Bundestag eine Petition ein. 14 752 Befürworter hatten sie mitunterzeichnet. Die Eingabe wurde aber 2008 abgelehnt. „Paragraf 78 Strafgesetzbuch sieht für sämtliche Straftaten – mit Ausnahme von Mord – die Verfolgungsverjährung vor, welche die Ahndung der Straftaten ausschließt“, heißt es in der Ablehnung. Ausnahmen seien „nur aus besonders schwerwiegenden kriminalpolitischen Gründen“ zulässig. Vor fast genau einem Jahr, am 24. Februar 2009, reichte Denef deshalb beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Beschwerde gegen die Bundesrepublik ein.

Monika Frommel, Direktorin des Instituts für Sanktionsrecht und Kriminologie an der Kieler Christian-Albrechts-Universität, hält die Verjährungsfrist bei Missbrauch indes für angemessen. Sie plädiert dafür, Schadenersatzklagen gegen Institutionen zu erleichtern, wenn diese sich fahrlässig verhalten, etwa Missbrauch decken und Verdächtige lediglich versetzen. Derartige Verstöße gegen Aufsichtspflichten beträfen nicht nur die katholische Kirche, sondern grundsätzlich alle Träger und Einrichtungen, in denen Kinder, Jugendliche und Behinderte betreut werden.

Ingrid Jennert

Quelle:

http://rhein-zeitung.de/on/10/02/19/rztt/t/rzo675696.html