rhein:raum – Bonner Magazin 19.02,2010
Sexueller Missbrauch am Aloisiuskolleg
von Petra Forberger
Anlässlich der aktuellen öffentlichen Diskussion um Vorwürfe sexuellen Missbrauchs am Aloisiuskolleg in Bonn wendeten sich mehr als 500 ehemalige Schüler und Schülereltern in einem offenen Brief an die Leitung, das Kollegium und die Schülerschaft des Aloisiuskollegs sowie an den Provinzial des Jesuitenordens.
Die Adressaten dieses Schreibens sind also die Leitung, das Kollegium und die Schülerschaft des Bonner Aloisiuskollegs sowie der Provinzial des Jesuitenordens. Nicht die ehemals von sexualisierten Übergriffen betroffenen Schüler.
Wie schön. Die „Anständigen“ bestätigen den „Anständigen“ „anständig“ zu sein.
Ich als Überlebende von sexualisierter Kindesmisshandlung möchte einmal erleben, dass sich 500 Leute hinter mich stellen und mir ihre Verbundenheit ausdrücken!
Dieser Brief ist ein offener Schlag ins Gesicht aller Opfer. 500 Menschen distanzieren sich von den Opfern, die teilweise schlimmstes Leid mit lebenslangen Folgen erfahren haben, und solidarisieren sich mit denjenigen, in deren Umfeld die Taten offensichtlich geschehen konnten. Und noch schlimmer: sie machen die Opfer zu „Tätern“, indem sie sie auf subtile aber dennoch eindeutige Weise als „Nestbeschmutzer“ brandmarken.
Sie tun das auf die gleiche versteckte und unterschwellige Art, die wir Betroffenen schon so viele Jahre kennen: Man blicke, so erfährt man von den Unterzeichnern, „auf eine unbeschwerte, prägende und motivierende Schulzeit zurück, für die sie dem Aloisiuskolleg, dem Jesuitenorden und den dort tätigen Lehrern und Erziehern besonders dankbar sind.“
Mit scheinbar schönen Worten wird hier eine unsichtbare Grenze gezogen zu denjenigen, deren Schulzeit am Aloisiuskolleg weniger „unbeschwert“ war und die daher keine „Dankbarkeit“ (sondern wohl eher Wut) empfinden können. Es schließen sich die „Dankbaren“ zusammen und grenzen die „Undankbaren“ aus.
Sie signalisieren den Opfern damit, nicht „richtig“ zu liegen, die Erlebnisse „falsch“ zu interpretieren – denn wie sonst könnten sie angesichts dieser „tollen“ Schule keine „Dankbarkeit“ empfinden und sich nicht an eine „unbeschwerte“ Schulzeit erinnern?! Ja, wird sich unterschwellig empört, wie können sie es überhaupt wagen, eine so „tolle“ Schule mit ihren Anschuldigungen so in den Dreck zu ziehen?
Und noch viel schlimmer: Mit ihrem Schreiben, gerichtet an Leitung, Kollegium und Schülerschaft des Bonner Aloisiuskollegs sowie den Provinzial des Jesuitenordens, signalisieren sie den Opfern, nicht wert zu sein, sich mit ihnen zu solidarisieren.
Sie signalisieren den Opfern, dass sie schuld seien, dass der „nachhaltig an das Gute glaubende“ „Jesuit, Seelsorger, Mentor und Erzieher Pater Theo Schneider SJ“ sein Amt niedergelegt hat.
Der Zweck dahinter ist klar: Bei den „Nestbeschmutzern“ sollen erneut Schamgefühle und negative Selbstbezichtigungen geschürt werden, die den Opfern schon so viele Jahre die Münder verschlossen haben. Nach Willen der „Anständigen“ sollen sie die auch weiterhin geschlossen halten.
Dieser Brief bezichtigt darüber hinaus (wenn auch versteckt) die Opfer der Lüge, bzw. stellt ihre Glaubwürdigkeit in Frage: schließlich hat am Aloisius-Kolleg, so erfährt man, „stets eine Atmosphäre der Offenheit“ geherrscht. Es kann also gar nicht sein, dass irgendetwas unbemerkt geblieben ist, genauso wenig wie es sein kann – bei so viel „Offenheit“ und hochgehaltenen „Werten“ -, dass irgendwelche Taten hätten vertuscht werden sollten.
Wie immer werden nicht diejenigen gebrandmarkt, die durch ihr schändliches Verhalten die (scheinbare) Ordnung unterlaufen und diskreditiert haben, sondern diejenigen, die diese Verletzungen der (scheinbaren) Ordnung öffentlich machen. So machen die Unterzeichner mit ihrem Schreiben auch klar, wen sie für die eigentlichen Schuldigen halten:
Am Aloisius-Kolleg, so erfährt man, wurde zu „selbstverantwortlichem und verantwortungsbewusstem Handeln“ angeleitet. Davon ausgehend, dass hier die Schüler gemeint sind (die Lehrer werden wohl keine „Anleitung“ erfahren haben), heißt das, dass die Unterzeichner des Schreibens ein Umfeld konstruieren, in dem die Schüler „selbstverantwortlich“ handeln konnten.
Von den mehr als 500 ehemaligen Schülern und Schülereltern wird also unterstellt, dass der Schüler, der in „sexuelle Handlungen“ (wie ja sexualisierte Gewalt von vielen gesehen wird) verstrickt war, in irgendeiner Weise auch damit einverstanden war. Schließlich konnte er ja „selbstverantwortlich“ zustimmen oder ablehnen.
Ähnliches geschieht durch die Behauptung, die Schüler seien zu „verantwortungsbewusstem Handeln“ angeleitet worden: Auch hier wird wieder eine Welt konstruiert, in der Schülern (Kindern) scheinbar dieselbe Verantwortung in einer Lehrer-Schüler-Beziehung zugeschrieben wird wie einem Lehrer (Erwachsenen). Damit wird der Erwachsene, der aufgrund der klaren Machtverhältnisse die alleinige Verantwortung für sein Handeln gegenüber einem Kind trägt, entlastet und dem Kind eine Mitverantwortung zugeschoben.
Das ist die in unserer Gesellschaft übliche Art, wie diejenigen, die – bewusst oder unbewusst – wegsehen, nichts wissen wollen oder wenn sie etwas wissen, nichts tun wollen, damit umgehen. Sie müssen die Wahrheit abwehren indem sie die Verhältnisse auf den Kopf stellen. Sie tun das, um SICH SELBST zu schützen, ihre eigene selbstgebastelte „Heile Welt“. Und das ist auch der Grund, warum sich so, so viele – trotz ihrer sicherlich empfundenen Abscheu gegenüber den Taten – lieber mit den Tätern solidarisieren, lieber die Taten verharmlosen und den Opfern Mitschuld und Mitverantwortung zuzuschreiben versuchen. Weil sie sich ihre eigene Vorstellung von der „Heilen Welt“ nicht kaputt machen lassen wollen.
Da werden die „hohen Werte“ an der Schule und die Person des Rektors im Besonderen über den Klee gelobt, um nur ja den schönen hellen Schein aufrecht zu erhalten. Doch besonders da, wo viel Licht ist, ist bekanntlich auch viel Schatten: Am Bonner Aloisiuskolleg hingen laut den Schilderungen eines Betroffenen „in den Gängen der Mensa und des Schlosses massenweise und jahrelang „künstlerische“ Schwarz-weiß-Fotos mit nackten Jünglingen im Sonnenuntergang, selbst fotografiert.“
Heute will keiner etwas bemerkt haben, und selbstverständlich hat das bei keinem etwas „mit weggucken oder bagatellisieren zu tun“. Nacktfotos von Jünglingen – ist doch völlig „normal“ an einer „offenen“, von katholischen Patres geleiteten Einrichtung.
Wie war das nochmal? Ah ja: „Werte und Erziehungsideale des Aloisiuskollegs als katholische Schule“. Welche „Werte“, welches „Erziehungsideal“ stand wohl hinter den „massenweise künstlerischen Schwarz-weiß-Fotos mit nackten Jünglingen“ in den Gängen der Mensa und des Schlosses?
Der Zeuge schildert auch Szenen, in denen Schüler des Öfteren nackt mit einem Wasserschlauch von einem bestimmten Pater „abgespritzt“ wurden, im Sommer auch nackt im Park hinter dem Schloss. Auch der jetzt zurückgetretene Rektor des Aloisiuskollegs, Pater Theo Schneider, sei dabei gewesen – „als junger Frater schon die rechte Hand von Pater S.“, so der Zeuge.
Ich will hier nichts unterstellen und nicht vorverurteilen: ich war nicht dabei. Aber ich habe selbst nicht nur einmal erlebt, wie Dinge, die mir als Kind als „komisch“ aufgefallen sind, von Erwachsenen als „normal“ und „offen“ (im Sinne von liberal) beschwichtigt wurden. Durch Aussagen, viel mehr aber noch durch ihr Verhalten (wie z.B. als Erwachsene UND als Patres Nacktfotos an den Wänden einer KATHOLISCHEN SCHULE als etwas nicht Bemerkenswertes zu übergehen).
Wieso ist es eigentlich für Außenstehende (und als das bezeichnen sich die Nichtbemerker ja schließlich) so schwierig, nachzuvollziehen, dass GERADE diese das Kind umgebende Widersprüchlichkeit der gepredigten Normen der Erwachsenen zu den tatsächlichen Handlungen der Erwachsenen (Beispiel: die Kirche predigt strenge sexuelle Normen und in den Gängen hängen Nacktfotos) die innere Welt des Kindes aufs Tiefste beschädigen und verwirren?
Wieso fällt auch heute den 500 Unterzeichnern nicht auf, welche Grundhaltung bei ALLEN Patres und Lehrern des Aloisiuskollegs geherrscht haben muss, um diese Nacktfotos an den Wänden und das Abspritzen nackter Schüler im Park „normal“ zu finden?? Allein diese beiden Beispiele zeigen doch, dass die Regeln und Normen am Aloisiuskolleg bereits weitab von dem waren, was sich Außenstehende unter einem katholischen Internatsbetrieb vorstellen.
Dass innerhalb eines so dysfunktionalen, entgleisten Systems keiner mehr bemerkt, wenn Menschenrechte verletzt, Grenzen massiv überschritten werden, kann doch niemanden wirklich wundern. Diesen BETEILIGTEN und MITKONSTRUKTEUREN dieses entgleisten Systems jetzt deshalb die Absolution zu erteilen, und stattdessen die Kinder in die Mitverantwortung zu zerren, ist einfach nur schäbig und menschlich niedrig.
Natürlich haben sie „nichts bemerkt“. Man kann nicht etwas bemerken, das innerhalb des eigenen Weltkonstrukts „normal“ und „in Ordnung“ ist!
Deshalb muss es auch niemanden verwundern, dass die Unterzeichner es am Ende des Schreibens nicht versäumen, „ausdrücklich“ (!) darauf hinzuweisen, dass sie „während und nach ihrer Zeit als Schüler weder sexuelle Gewalt noch Missbrauch am Aloisiuskolleg erlebt haben“. Zumal viele „sexuelle Gewalt“ und „Missbrauch“ einzig und allein mit ausgeführtem Geschlechtsverkehr assoziieren. Bilder von nackten Jünglingen an den Wänden als eine in einer Knabenschule von den Patres „abgesegnete“ Handlung werden als „normal“ abgespeichert. Dass es die Botschaft eines dysfunktionalen, gestörten Systems ist, können die Kinder nicht erkennen, da ihnen dazu noch die nötigen Relationen fehlen.
So wird sich am Ende mit der Aussage, selbst keine sexuelle Gewalt am Aloisiuskolleg erlebt zu haben, nochmals von den Opfern distanziert, und ihr Zeugnis nochmals herabgewürdigt: 500 die „ausdrücklich keine sexuelle Gewalt erlebt haben“ gegen 2 (oder 5 oder 10 am Aloisius-Kolleg), die – weil nicht „selbstverantwortlich“ und „verantwortungsbewusst“ genug – in „sowas“ verwickelt waren.
Und offenbar sind die Unterzeichner entschlossen, ihre Blindheit gegenüber den dysfunktionalen Strukturen weiter beizubehalten: „Viele von den Unterzeichnern geben dem dadurch nachhaltig Ausdruck, dass sie ihre eigenen Kinder in die Obhut des Kollegs gegeben haben und geben.“
Um die Reputation der Schule, des (Ex)Rektors, der Lehrer/innen und Schulangehörigen, sich selbst als „sauberes Nicht-Missbrauchsopfer“ zu retten und zu bewahren, werden die eigenen Kinder weiterhin einem gestörten System ausgeliefert.
Es wird nicht überlegt, wie man Kinder zukünftig schützen kann, wie man Täter und Taten früher entdecken und verhindern kann, wie es überhaupt zu solchen jahrelangen Übergriffen kommen kann, ohne dass etwas bemerkt wird – nein, es wird weiterhin weggesehen, sich selbst belogen, sich weiter beim „Heile-Welt-Demonstrieren“ geholfen.
Und es werden weiterhin diejenigen ins Aus gedrängt und mit Schmutz beworfen, die sowieso schon genug Leid zu tragen haben.
Quelle:
http://rheinraum-online.de/2010/02/19/sexueller-missbrauch-am-aloisiuskolleg/
Super Artikel!
Die kollektive „Traumablindheit“ lässt grüßen!
Ich finde diesen ewigen gesellschaftlichen Kreisverkehr einfach nur zum Kotzen!
Nochmal: „Traumata werden sowohl auf Opfer- wie auf Täterseite von Generation zu Generation weitergegeben.“
Niemand in unserer Gesellschaft ist frei davon !
Die Traumaweitergabe erfolgt seit Anbeginn der Menschheit….
Wo sind die Sehenden?
ELVIRA
Hallo Petra,
wunderbar, dass du deinen Kommentar der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt hast und dadurch Denkprozesse in so manch oberflächlich Urteilenden anregst. Hier im Forum finde ich oft wertvolle Beiträge, deren Inhalt veröffentlicht werden sollte, auch außerhalb dieser Seite.
Danke für Deinen Mut und Danke in unserem Namen aller!!!
Sarah M.
Warum sich so viele von uns Opfern erst so viele Jahre später an die Öffentlichkeit wagen, fragen jetzt viele. Das ist sicher das, was für jemanden, der mit solcherart Erlebnisse nicht konfrontiert war, am schwierigsten nachzuvollziehen ist.
Das hat zu tun mit dem Unvorstellbaren der Ereignisse selbst, mit persönlichen und gesellschaftlichen Tabus, die ALLEN die Wahrnehmung verzerren und die Außenstehende tatsächlich blind machen können für die Doppeldeutigkeit von Vorkommnissen.
Das hat damit zu tun, dass man als Kind mit solcherart Erlebnissen Erwachsenen nicht mehr als Vertrauenspersonen wahrnimmt, sondern als potenziell gefährlich.
Das hat damit zu tun, dass man einem Kind, das solcherart Vorwürfe gegen einen Geistlichen oder den eigenen Vater erheben würde, nicht glauben würde, ja, dass man es als eine Art “Gotteslästerung” abgewehren würde.
Das hat damit zu tun, dass bei solcherart sexualisierter Kindesmisshandlungen meist lediglich zwei Personen – ein Erwachsener, ein Kind – anwesend sind, und der Erwachsene häufig über ausgeprägte manipulative Fähigkeiten (schließlich gelingt es ihm ja auch, sein gesamtes Umfeld zu täuschen) verfügt.
Das hat damit zu tun, dass der Körper eines jeden Menschen über ein eigentlich hervorragendes Instrument, nämlich die Fähigkeit zur Abspaltung von traumatischen Erfahrungen, die das (kindliche) Gehirn überfordern, verfügt.
“Ein Ereignis, das die normale Stresstoleranz eines Menschen übersteigt, löst in seinem Gehirn einen automatischen Fragmentierungsprozess der Wahrnehmung aus. Das Geschehen wird nicht mehr ganz wahrgenommen. Dieser Prozess ist nicht beeinflussbar”, erläutert der Traumaforscher Horst Kraemer.
“Wenn ein Ereignis vom betroffenen Menschen so erlebt wird, dass seine gewohnten Handlungs- und Bewältigungsstrategien aussichtslos sind, bzw. nicht anwendbar sind und – damit einhergehend – eine Erschütterung des Selbstbildes und des Weltbildes erfolgt, erlebt er einen Stress besonderer Art und Stärke: den traumatischen Stress”, ergänzt Kraemer.
Und weiter: “Dabei sind nicht die Dramatik und das Spektakuläre verantwortlich dafür, ob und wie stark eine Situation traumatisierende Wirkung erzeugt, sondern die subjektiv erlebte Bedrohung und der subjektiv erlebte Zusammenbruch des Grundsicherungsempfindens, die im Inneren des Menschen entscheiden, ob und wie stark ein Ereignis traumatischen Stress erzeugt und damit den Traumakreislauf erzeugt, ohne dass der Betroffene dies zu steuern imstande wäre.”
Diese Abspaltungen bleiben oft über Jahre bestehen, ja, man weiß heute, dass das Gehirn schon sehr bald nach diesen Abspaltungsprozessen beginnt, sich “darum herum” zu organisieren. Das heißt, es richtet sich – um mit dem Überstress irgendwie weiterleben zu können – mit den Fragmentierungen ein. Sie bleiben aber weiter bestehen, werden durch neue Stresserfahrungen, die aufgrund der bestehenden Fragmentierungen nicht mehr richtig verarbeitet werden können, vertieft und belasten den Menschen sein ganzes weiteres Leben lang.
Es handelt sich also nicht um bewusste “Verdrängung”, wie häufig von Unwissenden unterstellt wird. Es ist vielmehr so, dass diese Erinnerungen häufig entweder (aufgrund der Fragmentierungen) nicht spontan abrufbar sind, oder aber dass das Kind (oder später der Erwachsene) aufgrund der starken gesellschaftlichen Tabuisierungen, Idealisierungen und Abwehrhaltungen selbst Schwierigkeiten hat, über etwas zu sprechen, das so stark tabuisiert ist, eine Sprache für etwas zu finden, das kollektiv verschwiegen wird. Oder dass es einfach nicht darauf vertrauen kann, das es Gehör findet, dass ihm geglaubt wird, und vor allem, dass es zukünftig geschützt wird.
Auch wenn wir Opfer erwachsen sind, erleben wir doch tagtäglich, wie in unserer Gesellschaft – nicht nur die Kirchen/kirchlichen Institutionen haben jahrelang ihre Energie eher auf das Vertuschen und Verschweigen gelenkt, als auf die Aufdeckung der Taten – mit solcherart Vorkommnissen und vor allem mit den betroffenen Opfern umgegangen wird:
Wir werden – häufig aus Unkenntnis der wahren Hintergründe – infrage gestellt (”Warum nicht schon früher gewehrt?” Warum nicht schon früher etwas gesagt?”), für die Botschaften, die wir bringen, als “Familienzerstörer/innen”, “Nestbeschmutzer/innen”, “sich-wichtig-machen-Wollende” diffamiert.
Unsere Glaubwürdigkeit wird untergraben, es wird gefragt, ob wir uns auch “richtig gewehrt” hätten oder nicht vielleicht doch “Spaß” daran gehabt hätten? Uns werden niedere Motive wie Rache oder Neid unterstellt, und damit wird ausgeblendet, dass wir Opfer aufgrund unserer zerstörten Kindheit und der daraus resultierenden Folgen für unser gesamtes (auch weiteres) Leben einen Anspruch auf Gerechtigkeit und Rehabilitation haben.
Für uns schreibt niemand einen Offenen Brief, für uns stehen nicht 500 (oder gar mehr) Menschen auf und stellen sich eindeutig hinter uns. An uns klebt immer noch der Schmutz, in den uns die Täter mit IHREN gestörten und abartigen Handlungen hineingezogen haben.
Sicher, ich war nicht am Aloisiuskolleg in Bonn. Aber ich kann nachempfinden, was es bedeutet unschuldig “lebenslänglich” bekommen zu haben. Und wie schmerzlich es ist, sich für die Folgen daraus auch als Erwachsene ständig rechtfertigen und abschätzig behandeln lassen zu müssen.
Ich will kein Mitleid. Darum geht es für uns Überlebende nicht. Wir wollen, dass das Unrecht, das an uns getan wurde, zur Kenntnis genommen wird.
Dass wir Unterstützung erhalten, wo sich die Folgen unserer Erlebnisse auf unsere Gesundheit, unsere Berufsfähigkeit, unsere Möglichkeiten für unseren eigenen Unterhalt angemessen zu sorgen, ausgewirkt haben.
Dass wir uns nicht mehr verstecken müssen mit unserer Geschichte, dass sie bei anderen nicht mehr Abwehr, sondern Mitgefühl und Verständnis auslöst. Und ja: natürlich wollen wir auch, dass diejenigen, die uns unser Leben zerstört haben, zur Rechenschaft gezogen werden.
Doch es wäre nicht nur für unsere persönliche Heilung wichtig, dass sich Menschen hinter uns stellen, sich für unsere Geschichten interessieren, uns heute endlich zuhören wollen.
Unserer ganzen Gesellschaft täte es gut, wenn endlich das WISSEN (nicht die Mythen und Vorurteile!) darüber, was sexualisierte Gewalt wirklich ist, wer die Täter wirklich sind, wie sie vor aller Augen unbemerkt vorgehen können, welche Folgen diese Taten für das ganze Leben der Betroffenen – aber auch die Gemeinschaft!! – haben, ernstgenommen würde.
Warum bezweifelt die Mehrheit der Bevölkerung die Tatsache einer Teilamnesie ausschließlich dann, wenn sie durch schweren sex. Missbrauch hervor gerufen wurde? Jedes traumatische Erlebniss, das eine solche Amnesie auslöst, wird flächendeckend wahrgenommen und keineswegs in Frage gestellt.
Beispiele: Erleiden Personen durch einen schweren Verkehrsunfall, Zugunglück oder Flugzeugabsturz eine Amnesie, würde keiner auf die Idee kommen, diese in Frage zu stellen? Warum aber bei schweren sex. missbrauchstraumatisierten Opfern??? Weil es immer noch ein tabuisiertes Thema ist??? Weil es so schrecklich ist, dass man es auch als Nichtbetroffener nicht glauben kann und will??? Weil dadurch der Glaube an das Gute im Menschen erschüttert wird??? Im Sinne von: Nein, ein Pfarrer macht soetwas nicht.. oder dein eigener Vater, der nette Mann von nebenan, niemals!!!
Wie soll ein kleines Mädchen, ein Junge damit umgehen, dem dies passiert ist, wenn die meisten außenstehende Erwachsene damit überfordert sind, diesem Grauen Glauben zu schenken???
Und das ist die Erklärung! Man muss es abspalten, damit das Leben weiterhin einigermaßen erträglich bleibt.
Wollen deshalb soviele dem Geschehen und den Opfern nicht glauben? Zum Erhalt Ihrer heilen Welt???
Liebe Sarah M.
ja, zum Erhalt Ihrer „heilen Welt“ und zuviele sind selber Opfer geworden, ohne es jemals bemerkt zu haben. Sie leben in der Illusion, es könne vielleicht doch „Liebe“ gewesen sein. Die Beziehung zu ihrem Missbraucher war etwas ganz Besonderes, wahre LIEBE eben. Der „heilige“ Missbraucher muss „GOTT“ dienen, er ist zu höherem berufen… Oft ist es auch eine Identifizierung mit der Position des Täters. Ein heiliger Mann/Frau Gottes teilt mit mir ein „besonderes Geheimnis“ also bin ich etwas ganz „Besonderes“….
Und die Tatsache das Missbrauch ein kollektives Problem ist. 25 % ist eine realistische Zahl.
Elvira
Liebe Petra
Was ich wirklich nicht verstehen kann ist, dass die Eltern nicht sofort ihre Kinder von dieser Schule genommen haben. Noch unverständlicher, dass Eltern, die selbst diese Schule besucht haben ihre Kinder da hinschicken. Darum ist dieser öffentlcher Brief so perfide, weil er die Kinder und die Eltern instrumentalisiert. Welches Kind will glauben, dass es von den Eltern in die Hölle geschickt wurde.
Wir, das Schweizer Volk haben 2008 an der Urne beschlossen – keine Verjährung bei Kindsmissbrauch.
Liebe Elvira,
Zitat: „Sie leben in der Illusion, es könne vielleicht doch “Liebe” gewesen sein. Die Beziehung zu ihrem Missbraucher war etwas ganz Besonderes, wahre LIEBE eben.“
Es ist sicher auch grauenvoll, als Erwachsene von einem Erwachsenen in einer Abhängigkeitssituation, wie die von Patient zu Therapeut, schamlos ausgenützt und „missbraucht“ zu werden. Hier ist tatsächlich, wie du hier schreibst, die Vermischung zw. erhoffter Erwiderung von Hingezogenheit und Aufblicken auf den sog. „HELFER“ vermehrt gegeben.
Wird ein Kind von einem vermeintlich lieben Onkel, Vater, Pfarrer usw. sex. missbraucht, löst dies nicht beim Opfer die von dir oben beschriebene Gefühle aus. Im Gegenteil, sein Leben stagniert abrupt, das Opfer verfällt in eine Ohnmachtsstarre und seine Seele stirbt mit diesem Moment.
Hier werden zwei Dinge vermischt, die man aber sehr genau trennen muss!!!
Liebe Grüße
Sarah
Ich versuche gerade, mich in das Befinden der Täter, der Mitwisser und der Vertuscher hineinzuversetzen – was mir außerordentlich schwer fällt.
Bei diesem Versuch tauchen bei mir sofort grundlegende Fragen auf, die ich für mich in dieser Rolle nicht beantworten könnte:
Wie kann z.B. ein Jesuit, dem doch vom Ordensgründer Ignatius von Loyola die tägliche Gewissenserforschung aufgetragen ist, seine schändlichen Taten mit reinem Gewissen immer wieder vor Gott tragen?
Wie kann der Täter. Jesuit Pater S., der 1991 seine Taten gestanden hat, jetzt mit sich und mit Gott im Reinen sein, wenn er Opfer lebenslänglich geschädigt hat?
Wie können Ordensobere, Bischöfe, Priester oder sonstige Mitwisser nach den Ereignissen in Amerika und Irland noch im Glauben sein, derartige Vergehen würden sich hier in Deutschland länger vertuschen lassen?
In der vorösterlichen Zeit wird viel von Umkehr und Buße tun gepredigt, allen voran Papst Benedikt XVI..
Ich stelle mir gerade vor, dies würden wirklich alle Täter und Mitwisser ohne Ausnahme ganz ehrlich, ernsthaft und konkret tun:
Sie würden gestehen:
Ich habe ein schweres Verbrechen auf mich geladen.
Ich bitte die Opfer um Entschuldigung für all das Leid, was ich ihnen angetan habe.
Ich möchte alles tun, um meine Vergehen, soweit es jetzt noch möglich ist, wieder gut zu machen.
Ich bereue zutiefst und nehme die Schuld und alle daraus folgenden Konsequenzen auf mich.
In meiner Vorstellung taucht nun ein Bild auf, in dem sich lange Schlangen von umkehrwilligen Sündern vor den Gerichten bilden, die dann sehr lange mit der Aufarbeitung und Finden eines gerechten Urteils beschäftigt sein würden.
Demzufolge würden dann auch viele Institutionen, denen Kinder anvertraut sind, einschließlich der gesamten Kirche, ausgedünnt sein und unter akutem Personalmangel zu leiden haben.
Wäre das dann endlich der Beginn, die männerorientierten Machtstrukturen in entsprechenden Institutionen und in der katholischen Kirche zu ändern und auch Frauen in höhere Ämter zuzulassen? Öffnung zum Priesteramt für Frauen? Abschaffung des Pflichtzölibats?
Denn, wie ein wichtiger Diskussionsbeitrag vom Bayrischen Rundfunk sehr deutlich herausstellt, wäre jahrelange Vertuschung bei Mitwirkung von Frauen in den Führungsspitzen nicht möglich.
http://www.br-online.de/bayern2/iq-wissenschaft-und-forschung/paedophilie-kindesmissbrauch-bettina-klenke-ID1266226178106.xml und http://download.br-
online.de/imperia/md/audio/podcast/import/2010_02/2010_02_25_17_25_06_podcast_iq_paedophilie_25210_a.mp3
Ich frage mich, wie würden sich die Täter und Mitwisser fühlen, wenn sie direkt mit den Opfern, ihren Taten und deren schmerzvollen Folgen konfrontiert würden? Könnten sie es aushalten bei so viel Leid, das sie anderen zugefügt haben?
Müssten sie dann nicht vor Scham und Schmerz in den Boden versinken?
Nur der Mut der Betroffenen, das jahrelange Schweigen zu durchbrechen und in die Öffentlichkeit zu gehen, kann dazu beitragen, die Aufhebung der Verjährungsfrist zu erreichen und die radikale Offenlegung aller Gewaltfälle zu erzwingen.
Mein Dank gilt allen, die diesen Mut und die Kraft dazu aufbringen.
Als Historikerin von Berufs wegen möchte ich einmal folgendes zu Bedenken geben: die Tatsache des sexuellen Missbrauchs und der Gewalt gegen Kinder hat auch eine geschichtliche Dimension, die im 20. Jahrhundert in erster Linie mit der Kriegs- und Nachkriegszeit in Deutschland zusammenhängt und von da an durch die Generationen „weitertransportiert“ wurde. Wenn man einmal bedenkt, in welch traumatisierten Zustand sich eine ganze Nation nach Kriegsende befand, für die Bombenangriffe, Kriegserlebnisse, Massenvergewltigungen usw. zum Alltag gehörten und über die einfach nur geschwiegen wurde im Sinne der „Unfähigkeit (oder Unmöglichkeit auf Grund der politischen Schuldzuweisung) zum Trauern“, dann kann einem nicht nur ganz beklommen werden, sondern auch ansatzweise klar, dass und wie sich diese verdrängten Traumata dann doch äußerten: in der Wiederholung an den eigenen Kindern. Ich denke, dass die derzeit diskutierten Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche gar nicht soviel über die katholische Kirche selbst aussagen, wie gemeinhin proklamiert wird, sondern eher eine Spitze des Eisberges dieser gesamten Gesellschaft darstellen. Nachgewiesenermaßen sind es die abgeschotteten und von außen kaum kontrollierten Vereine, Institutionen und Gruppen, die hierarchische Machtstrukturen aufbauen, die wiederum Kindesmisshandlungen (oder auch Gewalt gegenüber von Erwachsenen, die stark von der Gemeinschaft oder deren Führern abhängig sind) zumindest theoretisch deutlich erleichtern im Gegensatz zu Gruppen, die einer größeren sozialen Kontrolle unterworfen sind. Katholische Schulen und Internate, überhaupt Internate, bieten sich in ihrer hermetisch abgeriegelten Welt da natürlich an. Religiöse Verbrämung setzt dem Ganzen dann noch die perfide Krone auf, ist aber nicht der Auslöser der Übergriffigkeiten. Ich habe schon lange den Eindruck, dass unsere heutige Gesellschaft auf einem dünnen Seil über einem Abgrund balanciert, in den die wenigsten – und von denen eigentlich nur die „Betroffenen“, die versuchen, ihr Leid aufzuarbeiten – blicken: den Abgrund der „guten alten Tradition“ des Misshandelns von Kindern in physischer und psychischer Hinsicht, oft eben ausgeführt von ehemalig misshandelten Kindern.
Danke Gerlinde!
das sind sehr brauchbare interessante Überlegungen.
Toller Bericht!
besonders:
„Ich denke, dass die derzeit diskutierten Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche gar nicht soviel über die katholische Kirche selbst aussagen, wie gemeinhin proklamiert wird, sondern eher eine Spitze des Eisberges dieser gesamten Gesellschaft darstellen“
„Nachgewiesenermaßen sind es die abgeschotteten und von außen kaum kontrollierten Vereine, Institutionen und Gruppen, die hierarchische Machtstrukturen aufbauen, die wiederum Kindesmisshandlungen (oder auch Gewalt gegenüber von Erwachsenen, die stark von der Gemeinschaft oder deren Führern abhängig sind)“
Das sind sehr gute Ansätze!…bin voll und ganz derselben Meinung!
Daraus wird deutlich, daß das alles ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und es folglich auch so gesehen und gehandhabt werden muß.
Und so müsste auch die ganze Gesellschaft die Betroffenen angemessen unterstützen und auch entschädigen.
Erst, wenn JEDER in der Gesellschaft für diese Opfer aufkommen muss, hat auch JEDER ein wirkliches Interesse daran, dieses Unwesen abzustellen.
Und erst dann wäre die Interessengruppe auch groß genug, damit endlich effektiv und schnell etwas erreicht wird!
Ich denke nicht, dass erlebtes Unrecht einen dazu zwingt, Erlittenes Leid auf andere Menschen insb. Schutzbefohlene zu übertragen. Der Tat steht das Gewissen vor und es gibt etliche Anlaufstellen, wo man mit seinem eigenen unverarbeiteten Leid Hilfe holen kann. Es darf niemals Rechtfertigung dafür sein, anderen Menschen ebenfalls Leid anzutun. Es darf evtl. für Ärzte ein Hinweis darauf sein, wie ein Mensch sexualisiert oder traumatisiert wurde, aber es darf nicht so ausgelegt werden, dass die Tat zwangsläufig ist, die das frühere Opfer seinem späteren Opfer zufügt. Diese Gewaltspirale muss unbedingt unterbrochen werden, und das Mitleid sollte sich zunächst auf das Opfer erstrecken und den Täter stoppen und den Gerichten überlassen werden, wie die Strafe ausfällt, und kein weichspülender Schongang, weil es sich um Personen des öffentlichen Lebens handelt. Gerade diese haben eine Vorbildfunktion zu erfüllen, und gerade diese haben ebenso wie alle anderen Menschen die Pflicht, Schutzbefohlene zu schützen und nicht zu schädigen.
@Sabine F.
danke Sabine, bin ganz ihrer Meinung.
@Sabine
Prinzipiell bin ich absolut Deiner Meinung, nur sehe ich das, was Du einforderst, nicht in der Realität unserer Gesellschaft. Manche Leute haben eben kein „Gewissen“, Gerichte verurteilen viel zu lax (oder verjähren gleich ganz) in Bezug auf Gewalt gegen Kinder, die Prävention ist viel zu bürokratisch kompliziert, die sogenannte „Privatsphäre“ in vielen Fällen viel zu heilig, um eingreifen zu können usw. Mit einem „das muss aber so und so sein“ ist da meiner Meinung nach noch gar nichts verändert. Ich frage mich, woher dieser Umstand kommt, dass eben gar nichts gut ist, was das Thema Gewalt gegen Kinder in unserer Gesellschaft anbelangt und sehe da geschichtliche Marksteine, die nach meinem Dafürhalten die kausale Verkettung ganz stark bedingen (der Krieg und die Nachkriegszeit sind ganz massive Faktoren der Verschlimmerung von Zuständen, die vorher schon nicht rosig waren). Im übrigen haben Erklärungen für mich überhaupt nichts mit Ent-Schuldigungen zu tun: Gewalt ent-schuligen kann nur ein Opfer, sonst überhaupt niemand. Aber die Tatsache, dass wir es bei Kindesmissbrauch und Gewalt gegen Kinder mit einem viel größeren Komplex zu tun haben, als das jetzt in den Medien thematisiert wird, nämlich mit einer Form von struktureller Gewalt, die in unserer Gesellschaft angelegt ist, läßt mich sehr gut verstehen (aber nicht entschuldigen!), warum hier soviel und so oft nichts bemerkt wird. Hubert hat mir vollkommen aus der Seele gesprochen: solange nicht erkannt wird, dass es sich hier NICHT um ein Problem von ein paar Sadisten, Perversen oder der katholischen Kirche handelt, sitzen wir in hundert Jahren noch genauso da, nur mit einer Menge mehr Suiziden im Jugend- und Erwachsennalter und mehr Verzweifelten in den Psychiatrien, Gefängnissen oder im „normalen“ Leben.
Aber was kann man nun tun, um, wie Hubert es sagt, dahin zu kommen, dass sich JEDER als verantwortlich und in dieses System involviert versteht? Oder aber zumindest mit zur Verantwortung gezogen wird und für die Betroffenen aufkommen muss? Ich glaube, da kommt noch ein langer Weg auf uns zu, der nur dadurch schneller bewältigt werden kann, indem in erster Linie immer wieder Betroffene und Opfer ihr Schweigen brechen und sich mitteilen und in zweiter Linie Aufklärung über die gesamtgesellschaftliche und historisch gewachsene Relevanz des ganzen Problems betrieben wird. Es ist ja schon mal ein netter Umstand – sorry, das ist jetzt ziemlich sarkastisch gemeint – dass nun auch mal jemand aus der oberen Riege wie Frau Schavan entsetzt feststellt, dass es hier ja doch um ein Problem größeren Ausmaßes geht…Ich erinnere mich noch gut an eine ganze Welle von Zeitschriftenbeiträgen (z.B. im SPIEGEL) vor so ungefähr 5, 6 Jahren, als es Mode war, die Aussagen von Opfern sexueller Gewalt im Kindesalter so anzuzweifeln und als ödipale Phantasien oder ähnliches hinzustellen, wie es in derselben vernichtenden Art schon Freud selbst getan hat, dass einem entweder das Schreien oder Heulen ankommen konnte. Da wurden Gutachter bei Gerichten zitiert, die meinten , 80% der Anzeigen seien frei erfunden, um Aufmerksamkeit zu erregen. Unter solchen Bedingungen redet natürlich Keine/r mehr, vor allem aber signalisiert die Gesellschaft mit solchen Botschaften „Och, jetzt wirds uns doch bissel viel mit dem dauernden Gequatsche – man kanns schon nicht mehr hören wer alles geprügelt, vergewaltigt und sonstwas wurde! Und jeder redet sich inzwischen mit seiner schlimmen Kindheit heraus! Wo bleibt denn da noch Moral (und Gewissen!)?!“ Damit ist der Abgrund wieder chic verschleiert. Aber wieviel Menschen eine wirklich schlimme Kindheit hatten (und ich rede hier nicht von Kindheitstraumata ala „Meine Schwester hat mir zu Weihnachten meine Lieblingsschokolade geklaut!“) und davon gezeichnet sind, bleibt eben weiter im Dunklen. Und genau das müßte unbedingt ans Licht! Wir sind so ein statistikbegeistertes Land – worüber es einfach keine Zahlen gibt sind die von Menschen, die in ihrer Kindheit psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt waren. Woran das wohl liegt?
In den letzten beiden Jahren hat die Aufarbeitung der Geschichte der diakonischen Einrichtungen (auch wieder abgeschottete Institutionen,noch dazu in den meisten Fällen christlich) und der Kinderheime in den 1950er bis 1970er Jahren begonnen. Und was kommt zum Vorschein: Schläge, Qualen, Erziehungsmaßnahmen, die nichts anderes als Folterungen darstellen. Upps: hätten wir gar nicht gedacht. In den letzten Tagen kam ans Licht, dass, während die katholischen Priester in ihren Schulen ihre Zöglinge (was für ein Begriff!) misshandelten und ihnen ihre Perversionen aufzwangen, zeitgleich dasselbe in „Reformschulen“ passierte und sogar – vereinzelt – bis jetzt kann man es wohl noch nicht anders sagen – auch die Stars der 68er praktizierten. Jo mei, sin die denn alle meschugge? Da wird man kaum widersprechen können! Mit politischer, religiöser, weltanschaulicher, moralischer Ausrichtung der Täter scheint es jedenfalls nichts zu tun zu haben. Anfang der 1980er Jahre steckt der Österreicher Fritzl (auch so ein Kriegskind) seine Tochter in sein kleines irres Privatreich unter der Erde, wo sie die nächsten 20 Jahre samt ihren Kindern dahinvegetiert. Upps, vollkommen irre, aber hat keiner mitgekriegt, weder bei den Behörden, noch von den Mitbewohnern im oberen Teil des Appartments. Wieviel brauchen wir denn noch um zu kapieren, dass das alles kein Zufall ist, dass das zwar individuelle Verbrechen sind, aber alles System hat, alles Bestandteile einer gesellschaftlichen Mentalität???? Und damit muss endlich aufgeräumt werden!
Ich suche Mitschüler des Klosterseminars der Augustiner in Würzburg, die wie ich, misshandelt und eventuell missbraucht wurden.
Meine Erfahrungen beziehen sich auf die Jahre 1962 bis 1964.
Die Leitung des Ordens will auf der Webseite der Augustiner ebenfalls eine Suchanzeige starten.
Bitte meldet euch!