FR-online.de 11.02.2010

Pädophilie gibt es auch außerhalb der katholischen Kirche. Die aber ist eine moralische Instanz. Wenn die Fälle sexuellen Missbrauchs nicht aufgeklärt werden, gerät sie ins Wanken.

Von Christian Schlüter

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel“ Die Kirche weiß um die Verführbarkeit von Menschen. Sie weiß um die Schwächen und Verfehlungen der Menschen; auf diesem Wissen ruht ein nicht geringer Teil ihrer Heilslehre. Doch all dieses Wissen bewahrt sie nicht davor, selber der Versuchung zu erliegen. Kirchengeschichte ist immer auch Kriminalgeschichte. Die jüngsten Missbrauchsfälle in jesuitischen Schulen scheinen das zu bestätigen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein neuer Fall öffentlich wird, in dem katholische Männer sich an Kindern oder Jugendlichen sexuell vergangen haben; es melden sich immer mehr Opfer, zum Teil nach jahrzehntelangem Schweigen, nach einer für uns behütet Aufgewachsenen nur schwer vorstellbaren Zeit des Leidens.

Vor diesem Hintergrund liegt es mehr als nahe, nicht von bedauerlichen Einzelfällen, sondern von systematischem Missbrauch zu sprechen. Nahe liegt insofern auch die Frage, ob der Missbrauch nicht vor allem als eine Folge der in der römisch-katholischen Kirche vorherrschenden, zumal repressiven Sexualmoral anzusehen ist: Sie mag auf die Leibfeindlichkeit in den antiken Anfängen zurückgehen und sich über den Zölibat bis zu den gegenwärtigen, mitunter erratisch anmutenden Lehrmeinungen fortsetzen, was zum Beispiel die Themen Homosexualität oder Schwangerschaftsverhütung angeht. Die Frage lautet also, ob sich, was seit jeher unterdrückt wird, nicht in der Pädophilie jesuitischer Priester von heute nur wieder ein Ventil geschaffen hat.

Zur Beantwortung dieser entscheidenden Frage sollten wir festhalten, dass Pädophilie und Päderastie auch dort in beträchtlichem Maße verbreitet sind, wo die Kirche weit weg ist: in Familie, Schule, Sportverein Vollkommen legal verdienen Reisebüros und Fluggesellschaften an Sextouristen, die ihrer pädophilen Neigung in Thailand nachgehen. Wir haben es insofern nicht mit einem „katholischen“ Thema zu tun. Das zu behaupten, würde von einem Problem ablenken, das nicht allein ein konfessionelles, sondern ein allgemein gesellschaftliches ist. Und genau das könnte uns ein Anlass sein, nach dem repressiven Charakter unserer ach so sexuell befreiten Gesellschaft zu fragen.

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Quelle:

http://www.fr-online.de/in_und_ausland/politik/meinung/2296597_Macht-Zwang-und-Moral.html