DERWESTEN

Freispruch nach Vorwurf des sexuellen Missbrauchs : Aussagen des angeblichen Opfers nicht ausreichend

Iserlohn, 09.02.2010, Jennifer Katz

Iserlohn. Mit einem Freispruch endete am Amtsgericht der Prozess gegen einen 29-Jährigen, dem vorgeworfen wurde, seine Cousine in den 90er-Jahren mehrfach brutal vergewaltigt zu haben. Die Aussagen der heute 26-Jährigen erschienen Staatsanwaltschaft und Gutachterin „wie auswendig gelernt“.

„Wir stehen hier vor einem Dilemma für die Justiz, mit dem vor allem die Opfer leben müssen”, erklärte Richter Heinz-Wilhelm Vaupel, nachdem er das Urteil gesprochen hatte. Freispruch lautete es für den Iserlohner, der bereits wegen anderer Delikte vor Gericht stand und sich nun wegen des sexuellen Missbrauchs seiner Cousine verantworten musste (wir berichteten).

Das angebliche Opfer war erst zehn Jahre alt, als die erste Vergewaltigung stattgefunden haben soll. Weitere Fälle wurden für die Zeit zwischen 1995 und ’98 angegeben. Erst 2002 offenbarte sich die junge Frau. Sie hatte sich auf Anraten ihrer Lehrerin dann in eine Therapie begeben und ihre Missbrauchserfahrungen in einer Art Buch niedergeschrieben. Die Texte, die Aussagen bei der Polizei und bei einer Gutachterin glichen sich bis aufs Wort. „Wie auswendig gelernt. In meiner langen Karriere habe ich noch nie so eine konstante Aussage gehört”, so die Gutachterin in ihrer abschließenden Beurteilung.

Weil keinerlei Beweise – ärztliche Gutachten unmittelbar nach den angeblichen Vergewaltigungen oder Spuren an der Kleidung, die die Eltern des Mädchen hätten entdecken können – vorhanden gewesen sind, stand im Verfahren Aussage gegen Aussage. Der Bundesgerichtshof legt für derartige Fälle strenge Kriterien fest. Dazu zählt unter anderem die Konstanz in der Aussage – jedoch erschien diese den Beteiligten zu stringent, eben „wie auswendig gelernt”. Ein weiteres Kriterium ist das Detailwissen, worüber die Zeugin durchaus verfügt. Die Gutachterin sprach es ihr aber durch die lange Zeit zwischen Taten und Anklage sowie ihres geringen Lebensalters zum Tatzeitpunkt ab. „Sie weiß genau, worauf es ankommt, hat Bücher zum Thema gelesen. Sie manipuliert und sie taktiert”, so die Gutachterin.

Dass die 26-Jährige unter posttraumatischen Belastungsstörungen leidet, stand für Gutachterin, Staatsanwaltschaft und Richter außer Frage. Neben den angeblich sieben Fällen von Vergewaltigungen brutalster Art durch ihren Cousin, der in seiner Jugend als entwicklungsverzögert und aggressiv galt, gab sie an, bereits im Alter von fünf Jahren über mehrere Monate von einem Nachbarn missbraucht worden zu sein. Dieser Täter wurde in der Vergangenheit rechtskräftig verurteilt. Ihre Mutter habe damals eine Ausbildung absolviert, der Vater habe entweder vor dem PC gesessen oder getrunken. Ihren Cousin will sie gemocht haben, bis zu jenem Tag, als er mit seiner Mutter zu Besuch gekommen war.

In der Vernehmung am Dienstag schilderte die Studentin der sozialen Arbeit die einzelnen Missbrauchsfälle, die sie vor ihrer Familie verheimlicht haben will, weil sie sich „geschämt und schuldig gefühlt habe”. Viele Jahre, so die Zeugin, hätte sie die Übergriffe aus ihrem Gedächtnis verbannt. „Ich wusste nur: Da war was.” Dagegen sei der Missbrauch durch den Nachbarn immer präsent gewesen. Erst eine Art De´jà-vu-Erlebnis habe sie auf ihren Cousin als Täter gebracht. Zur Anzeige kamen die Fälle erst vor drei Jahren, als sich die junge Frau das Leben nehmen wollte. „Hätte meine Mutter sich bei der Polizei nicht verplappert, wäre es bis heute nicht so weit gekommen”, erklärte sie.

Im Rahmen ihrer Therapie beschäftigte sich die Zeugin intensiv mit der Missbrauchs-Thematik, sodass ihr die Gutachterin eine „Fülle deliktspezifischen Wissens” attestierte. Das, die Konstanz der Aussage sowie der lange Zeitraum veranlassten Staatsanwaltschaft und Richter dazu, den Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten” gelten zu lassen. Ob der Freigesprochene unschuldig ist oder nicht – ein juristisches Dilemma, mit dem nun das angebliche Opfer leben muss.

Quelle:

http://www.derwesten.de/staedte/iserlohn/Aussagen-des-angeblichen-Opfers-nicht-ausreichend-id2525821.html