Experten schätzen, dass es unter deutschen Priestern Hunderte Triebtäter gibt. Warum kommt es in der katholischen Kirche so oft zum Kindesmissbrauch? Der Zölibat ist eines von vielen Problemen. Von Sönke Wiese
Tausende Missbrauchsopfer in Irland, über 100 rechtskräftig verurteilte Priester in Australien und mehr als 10.000 Klagen in den USA: Weltweit stürzen Kinderschänder die katholische Kirche in eine immer schwerere Krise. Erst im Dezember 2009 sind in Irland über 300 weitere Fälle von Kindesmissbrauch bekannt geworden. In Deutschland konnten die Gemeinden sexuelle Übergriffe, wenn sie überhaupt bekannt geworden waren, meist als Einzeltaten herunterspielen.
Seit dem Skandal am Berliner Canisius-Kolleg funktioniert das nicht mehr. Jahrelang missbrauchten die bisher drei bekannten Täter ihre Schüler; nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg, St. Blasien, Hannover, Göttingen und im Ausland. 30 Opfer haben sich schon gemeldet. „Das ist erst die Spitze des Eisbergs“, fürchtet Klaus Mertes, Rektor des Jesuiten-Kollegs.
„Wie ein Selbstmordattentäter“
Denn die meisten Taten werden aus Scham und Angst niemals angezeigt. „Man idealisiert die Täter“, sagte Norbert Denef im Interview mit stern.de. In seiner Kindheit war er jahrelang von einem Priester vergewaltigt worden. Viele Opfer sexuellen Missbrauchs fühlen sich lebenslang mitschuldig. Als Denef 30 Jahre später plante, das Schweigen zu brechen, kam er sich vor „wie ein Selbstmordattentäter“. Die meisten Opfer versuchen, das traumatische Geschehen zu verdrängen. Experten gehen von einer enorm hohen Dunkelziffer aus, auch in Deutschland dürften schon tausende Kinder in der Obhut von Geistlichen vergewaltigt worden sein.
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Quelle:
http://www.stern.de/panorama/missbrauch-in-der-kirche-die-herde-der-schwarzen-schafe-1541307.html
Lieber Norbert,
ich fände es gut und wichtig, wenn du bei deinen aktuellen zahlreichen Kontakten zu MedienvertreterInnen deutlich machen würdest, dass die Gruppe der von Priestern (bzw. sonstigen kirchlichen Angehörigen) sexuell misshandelten Kinder nur ein (kleiner) Teil der tagtäglich vorkommenden sexualisierten Gewalt gegenüber Kindern ist, und dass die Zahl derer, die innerhalb ihrer Familie von ihren Vätern, Stiefvätern, Großvätern, Onkeln, Brüder,… sexuell misshandelt werden weitaus die Mehrzahl ist.
Damit wäre nämlich auch das dämliche Gerede und Geschreibe vom „Triebstau“ oder „gestörten Triebtäter“ vom Tisch: Väter, Stiefväter, Großväter, Onkel haben nämlich zumeist ganz „normalen“ sexuellen Umgang mit erwachsenen Frauen UND misshandeln nebenher DENNOCH ihre Töchter, Stieftöchter, Enkelinnen und Nichten!!
Das allein zeigt, dass es nicht um („gestörte“) Sexualität, sondern um das Bedürfnis nach Macht und Machtausübung geht.
Und dass Mütter, Großmütter, Tanten, aber auch andere Geistliche in den Institutionen der Kirche oder andere Vereinsmitglieder in den Vereinen schweigen, ist ebenfalls ein deutliches Indiz für die vorhandenen Machtstrukturen.
Allein mit dem Hinweis auf die weitaus größere Opfergruppe könnte deutlich gemacht werden, dass es sich bei sexualisierter Kindesmisshandlung um KINDESMISSHANDLUNG und eben nicht um (gestörte Formen von) Sexualität handelt.
Und daran ändern auch die in den Medien ständig wiederholten Begriffe vom „Triebtäter“, vom „zölibatären Notstau“ oder von den „Pädophilen“ oder „Homosexuellen“, die sich die Kirche bewusst als Umfeld für ihre „gestörte Sexualität“ suchen, nichts.
Es tut einfach weh (im Kopf) und ist ein deutliches Zeichen von Ahnungslosigkeit, wenn der Stern titelt „…dass es unter deutschen Priestern Hunderte Triebtäter gibt. Warum kommt es in der katholischen Kirche so oft zum Kindesmissbrauch? Der Zölibat ist eines von vielen Problemen.“
Dass du denen Interview gibst, finde ich gut und wichtig. Aber wenn du nicht auf eine differenziertere Betrachtung und eine differenzierteren Umgang mit Begriffen und „Mythen“ hinweist, gibst du mit deinen Auftritten/Interviews (weil sie neben solchen „Triebstau“-Berichten stehen) diesen falsch hergestellten Zusammenhängen quasi den „offiziellen Segen“. Ich weiß, dass das absolut nicht deine Intention ist, aber ich weise darauf hin, dass SO Wahrnehmung funktioniert.
Die Medien sind nicht an uns Opfern interessiert. Die Medien sind an ihrer Auflage bzw. Einschaltquote interessiert.
Natürlich fragen sie dich deshalb nur die Sachen, die Aufmerksamkeit versprechen – und die funktioniert über ganz niedere Instinkte, leider. Kasse wird gemacht mit Worten wie „Triebtäter“, „Sex-Skandal“, „Pädo-Priester“, etc.
Natürlich wollen die den Sachverhalt nicht differenzierter sehen – denn sie wissen, so weit lesen die wenigsten, hören die wenigsten zu.
Aber ich finde, es ist unsere Aufgabe als Überlebende, das nicht einfach hinzunehmen. WIR müssen – meiner Meinung nach – darauf bestehen, dass differenzierter hingeschaut wird. Schon allein wegen der zahllosen Mädchen und Jungen, die JETZT GERADE noch immer der Gewalt ihrer Misshandler ausgesetzt sind.
Wir dürfen nicht hinnehmen, dass scheinbare „Expertinnen“ wie Annegret Laakmann von „Wir sind Kirche“ oder Uta Ranke-Heinemann oder dieser Dr. Beier von der Charité oder wer auch immer sich jetzt berufen fühlt, sein eigenes Marketing auf dem Rücken dieser Opfer zu betreiben, diese Themen besetzen und dann solchen Stuss verbreiten.
Liebe Petra und auch lieber Norbert und alle anderen,
ich versuche jetzt noch einmal, hier Stellung zu nehmen. Mehrere meiner Postings sind aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen hier nicht veröffentlicht worden, das letzte war das von gestern oder vorgestern an Willi Schewski (sorry, hab‘ den Namen nicht mehr ganz im Kopf). Vielleicht stecken technische Probleme dahinter, falls nicht, dürfen mir persönliche Probleme gern mitgeteilt werden.
Nun zur Sache: Ich möchte mich wieder einmal Petras Worten komplett anschließen. Ich habe in den letzten Tagen das Gefühl, dass sich alles zu sehr auf die Kirchenmänner und deren angeblich zölibatär-begründetem Unvermögen, Sexualität in „geordnetem“ Umfang auszuleben, bezieht. Klar, Priester XY ist natürlich mit dem Papst im Rücken viel interessanter als Onkel WZ oder Stiefvater AB, für die Opfer ist es jedoch völlig gleichgültig, wer sich hinter dem Schänder verbirgt. Das darf nicht vergessen werden. Der Missbrauch durch einen Priester ist nicht besser und nicht schlechter als der, den ein Anonymus vollzieht, wenn man so ein Vergehen überhaupt irgendwie anders als grausam benoten kann.
Ich denke auch, dass die Mehrzahl der Missbräuche in der guten Stube passiert und nicht in der Kirche. Die Sensationslust wird aber eher in der Kirche geschürt, während in der guten Stube fleißig weiter geschändet und Seelenmord betrieben wird.
Trotzdem ist es gut, dass es diese Seite gibt und dass überhaupt alles zu Sprache kommen kann!
Immer wieder betroffene Grüße,
Elke
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Hallo Elke,
offensichtlich liegt ein technisches Problem vor, denn alle e-Mail die ich an Dich gesendet habe sind mit Fehlermeldung wieder zurückgekommen. Wenn ich Kommentare nicht frei schalte, teile ich das grundsätzlich mit und auch den Grund dafür.
Vorschlag; sende mir doch mal eine e-Mail und wenn Du nicht unmittelbar eine Rückmeldung von mir bekommst, dann könnte es vielleicht an Deinem Sytem liegen. Oder ruf mich einfach an wir sprechen darüber, 04503 892782
Freundliche Grüße
Norbert Denef
Diesen Brief habe ich soeben an Herrn Wiese (Stern) geschickt (darf kopiert und an andere Medien – hoffentlich zahlreich – verschickt werden! Liebe Grüße Petra):
Sehr geehrter Herr Wiese,
Sie sind leider nicht der Einzige in der Medienlandschaft, der die aktuell bekannt gewordenen Fälle von sexueller Kindesmisshandlung innerhalb der katholischen Kirche in einen direkten Zusammenhang mit dem Zölibat bzw. einem darin scheinbar begründeten „Triebstau“ bringt.
Lassen Sie mich als Betroffene von jahrelanger sexueller Kindesmisshandlung sagen: Sie liegen damit (wie viele Ihrer KollegInnen) komplett falsch!
Die Gruppe der von Priestern (bzw. sonstigen kirchlichen Angehörigen) sexuell misshandelten Kinder sind nur ein (kleiner) Teil der tagtäglich von sexualisierter Gewalt betroffenen Kinder. Die Zahl derer, die innerhalb ihrer Familie von ihren Vätern, Stiefvätern, Großvätern, Onkeln, Brüdern,… sexuell misshandelt werden, ist weitaus die Mehrzahl.
Väter, Stiefväter, Großväter, Onkel haben – das ist zwischenzeitlich gut erforscht – zumeist ganz “normalen” und regelmäßigen sexuellen Umgang mit erwachsenen Frauen UND misshandeln nebenher DENNOCH ihre Töchter, Stieftöchter, Enkelinnen und Nichten.
Es tut einfach weh (im Kopf) und ist ein deutliches Zeichen von Ahnungslosigkeit, wenn der Stern titelt “…dass es unter deutschen Priestern Hunderte Triebtäter gibt. Warum kommt es in der katholischen Kirche so oft zum Kindesmissbrauch? Der Zölibat ist eines von vielen Problemen.”
Nein, es hat mit dem Zölibat überhaupt nichts zu tun. Die größte Gruppe der Täter (die innerfamiliären Täter) lebt nicht zölibatär.
Denn sexuelle Kindesmisshandlung hat nichts mit („gestörter“) Sexualität zu tun, sondern mit Gewalt. Der Antrieb für sexuelle Kindesmisshandlung ist auch nicht der Sexualtrieb, sondern der Machttrieb.
„Dass der Täter Sexualiät und Gewalt miteinander verknüpft, bedeutet nicht, dass beides auch zusammengehört“, schreibt Monika Gerstendörfer in dem speziell für alle Medienmenschen extrem empfehlenswerten Buch „Der verlorene Kampf um die Wörter“.
Und dass Mütter, Großmütter, Tanten, aber auch – wie im Fall „Canisius-Kolleg“ – andere Geistliche in den Institutionen der Kirche oder andere Vereinsmitglieder in den Vereinen schweigen, ist ebenfalls ein deutliches Indiz dafür, dass es um Machtstrukturen und Angst vor Sanktionen innerhalb dieser Machtstrukturen geht.
Sexuelle Kindesmisshandlung wird auch nicht von einzelnen „gestörten“ „Triebtätern“ ausgeübt, sondern von „ganz normalen Männern“ (in der überwiegenden Mehrheit), die durch diese Taten ihr inneres Macht- bzw. Ohnmachtempfinden kompensieren.
Allein wenn Sie und Ihre KollegInnen endlich beginnen würden, die Taten bei ihrem wahren Namen zu nennen, wäre den Opfern und uns Überlebenden solcherart Gewalt schon sehr geholfen.
Das, was im „Canisius-Kolleg“ geschehen ist, ist sexuelle Kindesmisshandlung. Kein „sexueller Missbrauch“ (oder kennen Sie „sexuellen Gebrauch von Kindern“ als erlaubtes, „normales“ Verhalten gegenüber Kindern???), auch kein „Sex-Skandal“ oder gar „Kinderliebe“ (Pädophilie)!
Würden Sie uns Ihre Kollegen diese (sexualisierte) Form von Kindesmisshandlung stets als das benennen, was es ist, nämlich KINDESMISSHANDLUNG, würde allein durch das Verwenden der korrekten Bezeichnung vielen Ihrer Leserinnen und Leser bewusst, dass es sich um Gewalttaten handelt. Nicht um „entgleistes Schmusen“ oder „Ausweichverhalten, weil die Ehefrau sich verweigerte“.
Dass es in der katholischen Kirche GENAUSO vorkommt, wie in Familien oder Sportvereinen hat mit den hierarchischen Strukturen dieser Institutionen und innerhalb des Geschlechterverhältnisses zu tun.
Es hat mit einem problematischen Männerbild (im Falle der familiären Täter), bzw. einem problematischen Menschenbild (im Falle der kirchlichen Täter) zu tun, das prädestiniert dazu ist, an der normalen Realität (sowohl als männliches Wesen als auch als „Gutmensch“) zu scheitern.
Je labiler ein (späterer) Täter ist, und je häufiger er sich als „Versager“ gegenüber diesem imaginären Ideal erlebt, desto stärker wird der Druck, diese Versagensgefühle zu kompensieren. Manche müssen dann als Abteilungsleiter Untergebene quälen, manche sich einen Ferrari kaufen. Und manche müssen es eben über sexualisierte Handlungen kompensieren. Um sich dabei aber nicht erneut der Gefahr eines Versagens (z. B. durch Abweisung) auszusetzen – was dem männlichen Ego weiter schaden würde -, nutzen sie ihre Macht als Erwachsene gegenüber Kindern und misshandeln diese.
Das Ziel ist jedoch nicht „sexuelle Erleichterung“, sondern Kompensation von Versagens- und Unterlegenheitserlebnissen und somit einzig und allein die Stabilisierung des eigenen Egos. Unter bewusstem Einsatz der Macht, bzw. Ausnutzung des Machtgefälles. In der Kirche ebenso wie in der Familie.
Vielleicht sollten Sie und Ihre KollegInnen sich öfters mal mit den wahren ExpertInnen – den Überlebenden (und zwar nicht nur von innerkirchlicher sexueller Kindesmisshandlung) unterhalten, statt mit selbsternannten scheinbaren “Expertinnen” wie Annegret Laakmann von “Wir sind Kirche” oder Uta Ranke-Heinemann oder wer auch immer sich jetzt berufen fühlt, sein persönliches Marketing auf dem Rücken der Opfer zu betreiben.