Von Antje Hildebrand
Norbert Denef wurde als Kind von einem Geistlichen sexuell missbraucht. Ein Gespräch über Schweigen, Verjährung und Entschädigung
Berlin – Als Kind wurde Nobert Denef (60) jahrelang von einem katholischen Pfarrer und einem Organisten im sächsischen Delitzsch missbraucht. Im Gegensatz zu den meisten Opfern hatte er Beweise. Damit konnte er die katholische Kirche drängen, ihn finanziell für seinen Leidensweg zu entschädigen – hierzulande wohl ein einmaliger Fall. Denef kämpft nun für die Abschaffung der Verjährungsfrist im Zivilrecht, damit die Opfer auch Jahre später Ersatzansprüche geltend machen können. Von der Diskussion über Konsequenzen aus dem Skandal am Berliner Canisius-Kolleg, die jetzt auch die deutsche Bischofskonferenz auf ihre Tagesordnung gesetzt hat, verspricht er sich Auftrieb.
DIE WELT: Herr Denef, Sie konnten erst 35 Jahre später nach Ihrem sexuellen Missbrauch öffentlich darüber sprechen. Wundert es Sie, dass der Rektor des katholischen Canisius-Kollegs in Berlin ehemalige Schüler erst jetzt über Missbrauchsfälle aus den Siebzigerjahren informiert hat?
Norbert Denef: Nein, dieses Schema ist typisch. Erst versucht man, diese Fälle zu verschweigen und zu vertuschen. Man geht erst nach draußen, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht. Dann tut man so, als wäre man um Aufklärung bemüht.
DIE WELT: Immerhin ist die Kirche jetzt von sich aus an die Öffentlichkeit getreten. Ein mutiger Schritt?
Denef: Nein, mutig war, dass die Opfer schon vor Jahren versucht haben, etwas zu bewegen. Ich verstehe nicht, warum die Schulleitung erst jetzt darauf reagiert hat.
DIE WELT: Es heißt, die Opfer hätten um Diskretion gebeten.
Denef: Das ist doch Theater. Erst reagiert man nicht. Dann schiebt man die Schuld auch noch den Opfern zu: Die wollten ja nicht öffentlich darüber reden … So versucht man, sich reinzuwaschen.
DIE WELT: Sie unterstellen den Verantwortlichen, sie hätten auf Zeit gespielt?
Denef: Ja, die Verjährungsfrist für eine Anklage wegen sexuellen Missbrauchs läuft nach zehn Jahren ab.
DIE WELT: Warum haben Sie selber 35 Jahre gewartet, bevor sie den Pfarrer mit seinen Taten konfrontiert haben?
Denef: Wer so etwas erlebt hat, spaltet die Erinnerung daran ab, um nicht jedes Mal wieder den Schmerz erleben zu müssen, der damit verbunden ist. Hirnforscher können diesen Prozess sogar neurochemisch erklären: Es fehlen bestimmte Verbindungen im Hirn, die lösen dieses Schweigen aus.
DIE WELT: Sie haben auch als Kind mit niemandem darüber gesprochen?
Denef: Nein, man hätte mir die Zunge abschneiden können, ich hätte nicht geredet.
DIE WELT: Weil der Pfarrer Sie unter Druck gesetzt hat?
Denef: Nein, Täter, die ihre Opfer einschüchtern, sind eher die Ausnahme. Das haben die nicht nötig. Das Kind ist von ihnen abhängig.
DIE WELT: Ist Ihnen schon als Zehnjähriger bewusst gewesen, dass der Pfarrer Ihre Abhängigkeit auf perfide Weise ausnutzt?
Denef: Nein, aber ich habe immer das Gefühl gehabt, dass da irgendwas nicht richtig ist.
DIE WELT: Im Schutz der Kirche müssen sie nicht einmal strafrechtliche Konsequenzen befürchten. Oder sind die Täter verurteilt worden?
Denef: Nein, der Pfarrer wurde einige Male strafversetzt. Der Organist wurde prunkvoll in den Ruhestand verabschiedet. Er genießt nach wie vor hohes Ansehen.
DIE WELT: Haben sie Ihre Taten bereut?
Denef: Nein, der Pfarrer war sich keiner Schuld bewusst. Als ich ihn zur Rede gestellt habe, hat er gesagt, das sei doch alles nicht so schlimm gewesen.
DIE WELT: Sie sind hierzulande das erste Missbrauchsopfer, von dem man weiß, dass es finanziell entschädigt wurde. Das Bistum Magdeburg hat Ihnen 25 000 Euro gezahlt. Wie haben Sie das geschafft?
Denef: Indem ich dafür gesorgt habe, dass mir beide Täter ihr Geständnis schriftlich gegeben haben. Ich hatte Glück, dass mir ein Mitarbeiter der Kirche Einblick in die Personalakten gegeben hat. Damit konnte ich die Amtskirche, das Bistum Magdeburg, unter Druck setzen. In den Akten stand, dass meine Geschichte kein Einzelfall war. Mit den Geständnissen habe ich die Erstattung meiner Therapiekosten und eine Wiedergutmachung von 450 000 Euro gefordert.
DIE WELT: Die Kirche hat Ihnen 25 000 Euro unter der Bedingung gezahlt, dass Sie öffentlich schweigen. Wie hat sie reagiert, als 2007 Ihr Buch „Ich wurde sexuell missbraucht“ erschien?
Denef: Gar nicht. Allerdings hatte ich nach zähem Ringen erreicht, dass sie die Schweigeklausel vorher zurückgenommen hat.
DIE WELT: Haben Sie dem Papst auch ein Exemplar geschickt?
Denef: Nein. Ich habe ihn um Hilfe gebeten, dass er etwas gegen den Bischof von Magdeburg unternimmt, weil dieser versucht hatte, mich wieder zum Schweigen zu zwingen. Er hat mir persönlich geantwortet, dass er mein Anliegen in sein Gebet hineingenommen habe und mich ermutige, den Allmächtigen Gott um die Kraft der Vergebung zu bitten. Nach diesem Schreiben habe ich versucht, mir das Leben zu nehmen. Weiter zu klagen, dazu fehlte mir die Kraft. Ich gehe meinen Weg lieber in der Öffentlichkeit weiter. Kaum waren die 25 000 Euro auf meinem Konto, habe ich den „Spiegel“ informiert.
Quelle:
http://www.welt.de/vermischtes/article6256785/Der-Pfarrer-war-sich-keiner-Schuld-bewusst.html
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