Norbert Denef wurde als Kind jahrelang von einem Pfarrer missbraucht. Im stern.de-Interview erzählt er, wie die Kirche versuchte, ihn zum Schweigen zu bringen.
Norbert Denef Norbert Denef wurde in den 50er und 60er Jahren von einem katholischen Pfarrer und einem weiteren Kirchenangestellten missbraucht. Jahrelang musste er für die Anerkennung seines Leids durch die Kirche kämpfen. Über sein Schicksal hat Denef ein Buch geschrieben. Weitere Infos auf seiner Homepage: http://norbert.denef.com/.
Herr Denef, hat das Vertuschen von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche Methode?
Zumindest herrscht in der Kirche ein System des Schweigens. Über sexualisierte Gewalt spricht man nicht, und die Opfer werden nicht anerkannt. Die Kirche handelt erst, wenn sie gar nicht mehr anders kann.
In Berlin hat allerdings als erster der Rektor des Canisius-Kollegs von den Missbrauchsfällen gesprochen.
Aber auch nur, weil die Kirche mit dem Rücken zur Wand stand. Was für ein Hohn, dass jetzt der Rektor gefeiert wird – jahrelang hat er geschwiegen. Vielleicht ist er ja jetzt ein guter Krisenmanager, aber er hat zu lange gewartet.
Der Rektor hatte schon früher von Missbrauchsfällen gehört, sagt aber, die Opfer hätten ihn um Diskretion gebeten.
Das ist verlogen. Was hat denn der Rektor in der Zwischenzeit gemacht, außer Däumchen drehen? Ich denke, er war heilfroh, dass es beim Schweigen blieb. Und damit macht man die Opfer ein zweites Mal zu Opfern, mit dem Tenor: „Sie sind selbst Schuld, dass nichts geschehen ist. Hätten ja sagen können, bitte macht etwas.“
Warum brechen die Opfer oft erst nach vielen Jahren ihr Schweigen, wenn überhaupt?
Man idealisiert die Täter. Nur so kann man als Opfer überleben, nur so kann man den Seelenmord verdrängen. Es war für mich das Schwierigste zu verstehen, warum ich da mitgemacht habe. Es plagen einen auch immer Schuldgefühle. Als ich plante, mein Schweigen zu brechen, habe ich mich wie ein Selbstmordattentäter gefühlt, der sich unter die Menschen wirft und die Bombe zündet.
Sie mussten jahrelang darum kämpfen, dass die Kirche Ihr Leid anerkennt. Was war in dieser Zeit für Sie das Schlimmste?
Ein Brief von Papst Johannes Paul II. Ich hatte ihn um Hilfe angefleht, ich hatte ihm gesagt, dass die Kirche mich zwingen wollte, weiter zu schweigen. Als Antwort kam, er würde dafür beten, dass ich wieder Kraft für Vergebung fände.
Mit anderen Worten: Für Ihre Seelenqualen seien Sie selbst mitverantwortlich?
Der Papst redete mir weitere Schuldgefühle ein. Das zieht bei Katholiken ja normalerweise immer. Hätte es auch bei mir bis zum Schluss perfekt funktioniert, würden wir heute nicht mehr reden. Dann hätte ich mich umgebracht.
Hatten Sie den Eindruck, dass man in Ihrer Gemeinde damals ahnte, dass der Pfarrer sich an Kindern vergeht?
Alle haben es gewusst. Erst als zuviel getuschelt wurde, versetzte man den Pfarrer. Aber es wurde weiter geschwiegen. Als ich meinen Fall 2005 aufdeckte, wurde ich in der Gemeinde massiv angefeindet. Die verdrängen das weiter, wollen es bis heute nicht wahrhaben. Selbst andere Opfer giften mich an.
Hat sich in den Kirchen irgendetwas zum Positiven verändert, was den Umgang mit Kindermissbrauch angeht?
Nein, gar nichts, heute ist es immer noch so schlimm wie vor 40 Jahren. Was sich geändert hat, ist, dass immer mehr Opfer an die Öffentlichkeit gehen und kleine Erdbeben auslösen. Aber nach einer Weile wird es wieder ruhig, und genau darauf setzt die Kirche.
Was muss unternommen werden, damit es künftig weniger Missbrauchsfälle in der Kirche gibt?
Für sexuellen Missbrauch sollte es zivilrechtlich keine Verjährung mehr geben. Die Opfer leiden durch die Taten lebenslang. Diese Schäden müssen anerkannt werden, und dafür muss es Wiedergutmachungszahlungen geben, ohne Wenn und Aber. Das muss richtig Geld kosten. Die Bistümer müssen wie in den USA pleite gehen, damit sie mal endlich dem Thema Aufmerksamkeit schenken.
Interview: Sönke Wiese
Quelle:
Nicht nur in der katholischen Kirche wird missbraucht oder besser misshandelt. Die Innere Mission kennt das Problem ebenfalls nicht. Alle frommen Leute wissen, was da lief, weil nichts geschehen ist, noch laufen wird, wissen aber von nichts. Die Brüder Diakone und Schwestern Diakonissen kämpfen ja aufopferungsvoll gegen die Seele, den Körper und den Geist. Da kann man nicht immer rücksichtsvoll den Opfern gegenüber sein und Täter sind Sünder, denen Jesus verziehen hat, da können Menschen nicht verurteilen. -Kotz-
Zitat:
Ein Brief von Papst Johannes Paul II. Ich hatte ihn um Hilfe angefleht, ich hatte ihm gesagt, dass die Kirche mich zwingen wollte, weiter zu schweigen. Als Antwort kam, er würde dafür beten, „““dass ich wieder Kraft für Vergebung fände.“““
Also bei allem guten Willen. Aber irgendwo hat Vergebung doch wohl auch seine Grenzen.
Wenn man alles Vergeben würde, so hätte Vergebung doch gar kein Wertmaßstab mehr. So nach dem Motto:
„Jemand kann sich alles erlauben, es wird ja sowieso vergeben.“
Gerade wenn Vergebung noch an Wert behalten soll, muss es auch dafür gewisse Grenzen geben.
Und dass die Grenzen bei diesem Sachverhalt ja wohl bei weitem überschritten sind, sollte klar sein.
Wenn Betroffene versuchen, damit weiterzuleben, dann ist das schon viel, finde ich.
Aber ein Verzeihen muss da wirklich nicht kommen, schon gar nicht sollte es erwartet werden.
Und wenn, dann auch nur in Verbindung mit erfolgter, angemessener Ausgleichsentschädigung.
Wenn der Papst gesagt hätte, er wünsche ihm eine gerechte Form der Wiedergutmachung, dann wäre das sicher hilfreicher gewesen.
Stattdessen belastet der Papst weiterhin, indem er sagt, dass ein Opfer die ganze Belastung des Schweigens weiter auf sich laden soll und sogar noch Vergeben soll.
Nein, also bei dieser Angelegenheit darf das einfach nicht wahr sein. Ich versteh das nicht….. unglaublich!
Hubert
Und ich finde alle Opfer sollten ein Recht auf die bestmöglichste kostenfreie Therapieform haben, die zur Zeit möglich ist. Es müssen genügend wirklich qualifizierte Therapieplätze geschaffen werden.
Beispiel: Seit 25 Jahren suche ich nach einem guten Therapeuten – viele sind einfach grottenschlecht und verleugnerisch. Aber: Wenn man als Opfer die Wahl hätte, sich bundesweit nach einen guten Therapeuten umzugucken, wäre es eine Hoffnung. Aber: Ich habe zu wenig Einkommen, um durch die Republik zu tingeln, um einen Therapeuten zu suchen / finden. Opfer müssen von Seiten des Staates / der Krankenkassen aus einem Fond schöpfen können, um die Fahrtkosten + Behandlungskosten tragen zu können. Wenn Therapie durch geringes Einkommen scheitert, ist dieses, aus meiner Sicht, eine weitere Menschenrechtsverletzung! Eine Spirale, die nicht zu durchbrechen scheint!
Ich frage mich nur, wie viele hunderte von Jahren noch vergehen müssen, bevor die Kirche endlich für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen wird. Es gibt keine schlimmeren Verbrecher wie die Katholische Kirche. Egal in welchem Jahrhundert wir waren, die Kirche hat immer schon gemordet, gefoltert und missbraucht. Ich frage mich wie lange das noch so weiter gehen wird. Wann endlich mal jemand dem ein Ende setzt.
@Nicole
Missbrauch passiert meist dort, wo Täter sich am sichersten fühlen und es kaum jemand vermuten würde. Und in unserem Staat können sich Täter nach 15 Jahren meist besonders sicher fühlen.
Das ist leider momentan noch Stand der Dinge. Die Opfer haben Lebenslänglich, die Täter laut Gesetz nur 15 Jahre des Bangens. Danach sind die innerlich wirklich frei. Das muss man sich nur mal so klar machen.
Außenstehende erkennen diesen Sachverhalt leider nur zu selten.
Aber es gibt dazu auch verständnisvolle Politiker, wie z.B. in der Schweiz. Dort sieht man auch keine Probleme mit einer riesigen Klageflut seitens der Betroffenen.
Es ist also offensichtlich umsetzbar, die Aufhebung der Verjährungsfrist.
Es war ja ein Hauptargument unserer Verantwortlichen aus der Politik, daß man mit der Klagewelle nicht klar kommen würde, und aus diesem Grund die Verjährungsfrist aufrecht erhalten wollte.
Mich würde auch mal interessieren, ob in der Schweiz tatsächlich die Klagen drastisch angestiegen sind seit Aufhebung der Verjährungsfrist.