Bamberg: Missbrauchsvorwürfe
Die Lieblinge des Priesters
29.07.2009
Von Matthias Drobinski
„Nichts als schöne Worte“: Ein Jahr nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe gegen einen Bamberger Domkapitular leiden die Opfer weiter – und ärgern sich über das Verhalten der Kirche.
Der Abend, an dem für Tom Wagner die Vergangenheit wieder zur Gegenwart wurde, ist jetzt ein gutes Jahr her. Anfang Juni 2008 klingelte das Telefon, ein Mann stellte sich vor. „Wir kennen uns nicht“, sagte der Mann, „aber sie stehen auf der Liste der Opfer, Ihre Aussage könnte wichtig für uns sein.“
Georg Beirer heiße er, sagte der Mann. Er sei Psychotherapeut und Beauftragter des Erzbistums Bamberg für Fälle von sexuellem Missbrauch.
Geistlicher soll Zöglinge vor 20 Jahren missbraucht haben
Vier Wochen später war der Fall öffentlich: Otto Münkemer, Domkapitular und Personalchef in Bamberg, soll als Leiter des Internats Ottonianum vor 20 Jahren Zöglinge missbraucht haben. Noch nie hat sich in Deutschland ein so hochrangiger Kirchenmann diesem Verdacht ausgesetzt gesehen. Erzbischof Ludwig Schick suspendierte Münkemer umgehend und schrieb einen Brief an die Mitarbeiter des Bistums: „Wir werden alles tun, um zu heilen und zu helfen.“ Die Bamberger Staatsanwaltschaft ermittelte.
Seitdem hat sich die Geschichte wieder im Leben von Tom Wagner festgekrallt, der in Wahrheit anders heißt. Über Jahre hinweg war er einer der „Lieblinge“ des Schulleiters, der sich um seine Zöglinge sehr kümmern konnte, manchen aber näherkam, als es sich gehörte. Wagner ist ein gestandener Mann, Sozialpädagoge, verheiratet, Kinder.
Doch das Telefonat, sagt er, „traf mich wie ein Schlag“. Die Schreckensstarre war wieder da, die stets kam, wenn Münkemer mit ihm über die Berufung zum Priester reden wollte und immer näher rückte, ihn berührte, an Schulter, Knie – und Geschlecht. Er wollte weglaufen und blieb, wollte schreien und schwieg, ausgeliefert der bedrängenden, einseitigen Zuneigung, die in Eifersucht umschlug, als er sich in ein Mädchen verliebte.
Zwei Schüler aus dieser Zeit haben sich umgebracht. Warum, wird nie zu klären sein, doch die Verwandten glauben, dass es da einen Zusammenhang gibt.
Seit einem Jahr ist auch die Wut wieder da. Auf den Mann und die Vergangenheit – aber auch auf das Erzbistum Bamberg und die Gegenwart, bei Wagner und bei den anderen sieben auf der Liste von Beauftragten Georg Beirer. „Nach außen gibt es schöne Worte, doch tatsächlich passiert nichts, das empfinden wir als demütigend“, sagt Wagner. Den Missbrauchsbeauftragten will er ausdrücklich ausnehmen, „Beirer hat sich sehr gekümmert“.
Die Grenzen seien aber immer erreicht gewesen, wenn es um Geld ging: Gerne hätte Wagner eine Therapie begonnen, doch Beirer konnte keine Hilfe zusagen. Also rief Wagner im Oktober 2008 Generalvikar Georg Kestel an, der ihn, so die Erinnerung, anschnauzte: Wieso er erst jetzt damit komme, ob ihm bewusst sei, was er da angerichtet habe, ob er eine Existenz vernichten wolle, und überhaupt gebe es nichts, bevor die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht abgeschlossen seien.
Nur halbherzige Entschuldigungen
„Auf einmal war ich nicht Opfer, sondern Täter“, sagt Wagner. Mitte Mai, nach einigen Aufforderungen, hat sich der Generalvikar dann per E-Mail halbherzig entschuldigt: „Sollte ich Ihre Empfindungen verletzt haben, so tut es mir leid.“
Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Bamberg ihre Ermittlungen abgeschlossen – die Taten sind verjährt. Aber, so sagte Oberstaatsanwalt Joseph Düsel im Januar, „es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass den Zeugen nicht zu glauben wäre“.
»Nach außen gibt es schöne Worte, doch tatsächlich passiert nichts, das empfinden wir als demütigend.«
Eines der Opfer
Der Domkapitular war kurz in einem Kloster, nun wohnt er wieder in seiner Dienstwohnung. Einigen Zöglingen hat er Briefe geschrieben: Er habe sie, wenn überhaupt, nur berührt, weil ihm auch „die gesundheitliche Sorge für die Ottonianer“ übertragen gewesen sei. Ordinariats-Insider berichten, dass man den Fall in zunehmend mildem Licht sehe: Die Fälle seien doch minderschwer. Münkemer hat Verbündete, sein Stellvertreter in der Personalabteilung war auch sein Stellvertreter im Ottonianum – er sagt, dass er von einem Missbrauchs nichts mitbekommen habe.
Erzbischof trifft sich mit den Opfern
Das Erzbistum Bamberg betont, dass es keine Pläne gebe, Münkemer irgendwo einzusetzen. Bei der endgültigen Aufklärung des Falls werde auch „die mögliche Unterstützung der Betroffenen thematisiert werden“, wie eine Sprecherin des Bistums sagt. Auf den Wunsch der Bamberger hin habe die Glaubenskongregation nun das Erzbistum München mit dem innerkirchlichen Verfahren beauftragt, um den Verdacht der Voreingenommenheit zu vermeiden.
Und immerhin: Erzbischof Schick hat sich mit den Opfern getroffen. Ein schwieriges Gespräch, erinnert sich Wagner. Die verletzten Kinder in den Männern machten ihrem Zorn Luft. Am Ende hat Schick Bedauern geäußert. Dann gingen sie in die Kapelle, das Vaterunser beten. „Ich konnte nicht mitbeten“, sagt Tom Wagner.
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