Kinderschänder kann man nicht hart genug bestrafen – so die vorherrschende Meinung in der Bevölkerung. Eine Initiative will nun das Gesetz verschärfen. Doch sie geht selbst Opferhilfeorganisationen zu weit.
Norbert Sommer (Name geändert) war ausser sich: «Ich wollte ihn totschlagen.» Der 42-jährige Solothurner spricht von einem früheren Arbeitskollegen. Dabei kannten sich die beiden gut – der Kollege war zugleich Götti von Sommers Sohn. Dass er auch der Schänder seiner Tochter Sabine war, hatte ihm diese im April des vergangenen Jahres erzählt. «Ich wollte in meiner Wut sofort zu ihm hinfahren. Meine Frau überzeugte mich aber, dass ich besser bei der Polizei Anzeige erstatten sollte», sagt Sommer.
Nach der Anzeige nahm der staatliche Strafverfolgungsapparat seine Arbeit auf – Einvernahmen und Videobefragungen, Anwaltstermine folgten. Am Ende der Strafuntersuchung dann der Schock: Das Verfahren wurde eingestellt. Die sexuellen Handlungen mit dem Kind hätten, so formulierte es die Solothurner Staatsanwaltschaft im Februar lapidar, «nicht rechtsgenügend erhärtet werden können». Jetzt begegnet die elfjährige Sabine jenem Mann, der sie nach ihren Angaben geküsst, im Schambereich angefasst und ihr sein nacktes Glied gezeigt hat, regelmässig in den Strassen ihres gemeinsamen Wohnorts. «Sie kann nicht begreifen, wie so etwas möglich ist», erzählt ihr Vater.
Dass Verfahren im Zusammenhang mit Kindsmissbrauch für die Beschuldigten keine oder nur geringfügige strafrechtliche Konsequenzen haben, sorgt in der Bevölkerung immer wieder für Empörung. Zuletzt etwa im Kanton Thurgau. Dort verurteilte das Bezirksgericht Arbon einen ehemaligen Sekundarlehrer zu 16 Monaten Zuchthaus bedingt. Der Pädagoge hatte drei seiner Schüler wiederholt sexuell missbraucht. Auch das Bezirksgericht Zürich beliess es beim Urteil gegen den ehemaligen Datenschutzbeauftragten der Stadt Zürich bei einer bedingten Strafe. Zwölf Monate lautete das Verdikt gegen den Mann, der mehrfache sexuelle Handlungen mit Kindern zugegeben hatte.
Am liebsten die Todesstrafe
Repräsentativ sind solch milde Urteile für Pädokriminelle nicht – so zumindest lautet die Auskunft aus Justizkreisen. «Die Urteile sind seit den spektakulären Fällen Ende der neunziger Jahre» – etwa jenem von Babyquäler René Osterwalder – «klar härter geworden», heisst es bei der Zürcher Staatsanwaltschaft. Wird aber ein Ausreisser nach unten bekannt, macht sich in den Leserbriefspalten Unmut breit. «Ich habe eine riesengrosse Wut im Bauch! Wie lange noch werden kleine Kinder und Frauen sexuell misshandelt, vergewaltigt und geschlagen?», kommentierte eine Leserbriefschreiberin das Urteil des Bezirksgerichts Horgen ZH. Die dortigen Richter hatten das Verschulden eines Primarlehrers zwar für schwer befunden – er hatte zwölf Schülerinnen im Alter von neun bis dreizehn Jahren missbraucht -, die unbedingte Gefängnisstrafe von zwei Jahren aber zugunsten einer Therapie aufgehoben.
Kindsmissbrauch bewegt die Bevölkerung wie kaum ein anderes Verbrechen. Auf dem Internetportal yousay.ch etwa äussert sich der ungeschminkte Volkszorn. Die Kastrierung von Tätern wird gefordert, die Einführung der Todesstrafe – wobei die Hinrichtungen nach den Vorstellungen von Benutzer «TX 1000» öffentlich sein sollten. «Papa Hegel» wiederum möchte Kinderschänder mittels Tätowierung auf der Stirn brandmarken.
«Pädophilie entspricht nicht der gesellschaftlichen Norm. Der primäre Wunsch, Sex mit Kindern zu haben, ist immer abgelehnt worden», sagt Frank Urbaniok, Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes beim Justizvollzug des Kantons Zürich. Unschuld und Wehrlosigkeit der Kinder wecken Beschützerinstinkte. Umso grösser ist die Welle der Empörung, wenn diesen Instinkten zuwidergehandelt wird. Zusätzlich angeheizt wird die Stimmung durch die Verbreitung von Zahlen zum Ausmass, denen mitunter Plausibilität oder Seriosität fehlt (siehe Nebenartikel «Sexueller Missbrauch: Eine Frage der Definition»).
«Möchte es gern mit dir treiben»
Es ist eine Ironie der modernen Technik, dass ausgerechnet das Internet, in dem Wutentbrannte gegen Kindsmissbrauch mobil machen, zum bevorzugten Tummelplatz von Pädophilen geworden ist. Danièle Bersier, Sprecherin des Bundesamts für Polizei, spricht von einer «Besorgnis erregenden Tendenz». Immer mehr pädophil veranlagte Menschen würden versuchen, via Internet-Chats Kinder zu treffen. «Das Angebot an kinderpornografischen Inhalten im Internet ist hoch und leicht verfügbar. Das ist gefährlich, denn Personen können dadurch auf den Geschmack kommen und an eine Tathandlung herangeführt werden», sagt Frank Urbaniok. Unverblümt kommen die Täter in den Chats zur Sache: «Möchte es gern mit dir treiben», schrieb etwa der Pädokriminelle «Eduard» an «Marco», der sein Alter mit 14 angegeben hatte. Doch «Marco» war ein verdeckter Ermittler, und «Eduard» wurde wegen versuchter sexueller Handlungen mit Kindern zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt – bedingt.
Den bedingten Vollzug gesteht das schweizerische Strafrecht Ersttätern mit einer Strafe unter 18 Monaten zu, sofern ihnen eine gute Prognose gestellt wird. Dies mag ein Grund sein für die in der Bevölkerung vorherrschende Meinung, dass die Täter zu milde bestraft werden. Kommt hinzu: Viele der Taten sind zum Zeitpunkt ihrer Beurteilung bereits verjährt. Bei sexuellen Gewalttaten an Kindern unter zehn Jahren kann der Täter nach heutiger Gesetzgebung ab dem vollendeten 25. Altersjahr des Opfers strafrechtlich nicht mehr belangt werden. Missbrauch an älteren Kindern verjährt generell nach 15 Jahren.
«Diese Regelung schützt die Täter und nimmt auf die Situation der Opfer keine Rücksicht», ärgert sich Ruth Ziltener, Vizepräsidentin der Kinderschutzorganisation Marche Blanche. Sexueller Missbrauch finde meist innerhalb der Familie oder im Beziehungsumfeld statt, so Ziltener. Die Betroffenen würden das Geschehene deshalb oft während Jahren, mitunter gar Jahrzehnten mit sich tragen, ehe sie sich überhaupt jemandem anvertrauen könnten (siehe Artikel zum Thema «Opfer: ‹Ich konnte mit niemandem reden›»). Der Schritt, den Peiniger anzuzeigen, brauche dann nochmals seine Zeit – doch diese sei nicht vorhanden. «Wegen der kurzen Verjährungsfrist kommen viele Täter ungeschoren davon», kritisiert Ziltener. «Das ist ein Hohn für die Opfer, die ein Leben lang leiden.»
Dem will Marche Blanche mit einer radikalen Forderung den Riegel schieben: Pädokriminelle Straftaten sollen in der Schweiz künftig unverjährbar sein, so verlangt es eine im März eingereichte Initiative. Das trifft den Puls des Volkes. Obwohl die 2001 in Genf von besorgten Eltern gegründete Bürgerbewegung bislang praktisch nur in der Romandie bekannt ist, kamen für das Begehren problemlos 116000 Unterschriften zusammen. «So einfach haben sich die Leute noch nie von einem politischen Vorstoss überzeugen lassen», sagt Vizepräsidentin Ziltener, die als CVP-Lokalpolitikerin im Kanton St. Gallen häufig Unterschriften sammelt.
Zur Abstimmung gelangt die eidgenössische Volksinitiative «für die Unverjährbarkeit pornografischer Straftaten an Kindern» frühestens in zwei, eher erst in vier Jahren. Doch schon heute ist absehbar, dass sie eine emotionale Diskussion auslösen wird, in der das Vergeltungsbedürfnis im Vordergrund steht. Ruth Ziltener betont deshalb: «Die Bestrafung der Täter ist nicht unser Hauptanliegen.» Vielmehr gehe es den Initianten darum, dass sich die Opfer zu Wort melden und Anzeige erstatten könnten, wenn sie dazu bereit seien – ohne Zeitdruck durch das Gesetz. «Das ist eine Frage der Gerechtigkeit», sagt die vierfache Mutter.
Genug vom «Kuschelkurs»
Bei Marche Blanche, gebildet aus lauter Freiwilligen, stellt man sich auf einen einsamen Kampf ein. Ausser Sympathiebekundungen durch einzelne Exponenten steht die offizielle Politik weitgehend abseits. «Dafür haben wir das Volk im Rücken», gibt sich Ruth Ziltener gelassen. Sie beruft sich dabei auf die im Februar 2004 an der Urne gutgeheissene Verwahrungsinitiative, die die lebenslange Wegsperrung von besonders gefährlichen Straftätern anstrebt. Die Parallelen sind in der Tat frappant: Die Verwahrungsinitiative wurde ebenfalls von privaten Initiantinnen – gemieden von Parteien, belächelt von Fachleuten – im Alleingang zum Erfolg geführt, genährt von der Stimmung in der Bevölkerung, die den vermeintlichen Kuschelkurs satt hat. Und auch jetzt wird die Lösung des Problems in einer Verschärfung des Strafrechts gesehen. Wie sehr das aktuelle Unverjährbarkeitsbegehren von diesem Geist geprägt ist, zeigt eine «mathematische Logik» im Argumentarium von Marche Blanche: Je mehr Täter bis an ihr Lebensende verfolgt werden könnten, so die Gründerin Christine Bussat, umso weniger Opfer gebe es.
Derart einfache Rezepte rufen Kritiker auf den Plan. Juristen anerkennen zwar den Wunsch nach einem besseren Schutz der Kinder, doch erachten sie die Initiative als untaugliches Mittel dafür. Bereits schon die Formulierung des Volksbegehrens wird bemängelt: «Die Verfolgung sexueller oder pornografischer Straftaten an Kindern vor der Pubertät und die Strafe für solche Taten sind unverjährbar.» «Pubertät» jedoch, moniert unter anderem der Zürcher Strafrechtsprofessor Christian Schwarzenegger, sei juristisch kein trennscharfer Begriff. Zudem würden zwei Straftatbestände in unzulässiger Weise vermischt: sexuelle Handlungen mit Kindern und Kinderpornografie. «Die Bestimmungen im Strafgesetzbuch zur Pornografie sollen die Gesellschaft schützen, jene zu sexuellen Handlungen mit Kindern aber die Kinder selbst», so Schwarzenegger.
Die Annahme der Initiative hätte für das schweizerische Strafrecht weitreichende Folgen – viel weitreichendere, als die Verwahrungsinitiative haben wird. «Erhält das Volksbegehren an der Urne eine Mehrheit, gerät die Verjährung generell für alle Straftaten unter Druck», sagt der Lausanner Kriminologe Martin Killias. Sein Argument: Schwerstverbrechen wie Mord würden verjähren, sexuelle Handlungen mit Kindern aber nicht. Das wäre laut Killias höchst stossend. «In einem solchen Strafgesetzbuch würden die Proportionen überhaupt nicht mehr stimmen», findet auch Christian Schwarzenegger. Ausserdem schwinden die Aufklärungschancen, je weiter ein Verbrechen zurückliegt. Schwieriger wird gleichzeitig aber auch der Nachweis von entlastenden Tatsachen. «Die Aufhebung der Verjährung wird eine Welle von Fehlurteilen auslösen», prophezeit Killias.
Täter werden meist nicht angezeigt
Vom Beweisnotstand bei weit zurückliegenden Straftaten tangiert ist allerdings nicht nur die Rechtsprechung. Andrea Burgener Woeffray, Präsidentin von Kinderschutz Schweiz, verweist auf mögliche Auswirkungen für die Opfer der sexuellen Ausbeutung. «Wenn ein Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt werden muss, erlebt das Opfer erneut das Gefühl der Machtlosigkeit gegenüber dem Täter – es steht ein zweites Mal als Opfer da», sagt sie. Aus Gründen der Verhältnismässigkeit geht dem Kinderschutz der Wegfall der Verjährungsfrist zu weit – eine Verlängerung der Fristen «muss aber diskutiert werden». Andrea Burgener Woeffray regt die Einsetzung einer Expertengruppe an, die neben den rechtlichen Aspekten auch Fragen der Begleitung und der Therapie im Einzelfall einschliesst. Denn: «Die Verarbeitung von sexueller Ausbeutung ist wohl das Individuellste, das es gibt.»
Das weiss niemand besser als die Verantwortlichen der Opferhilfestellen. Sogar dort wird die Marche-Blanche-Initiative, obwohl «im Namen der Opfer» propagiert, kontrovers aufgenommen. Die Frage stellt sich: Inwieweit ist es überhaupt im Sinn von Betroffenen, dass ihre Missbrauchsgeschichte auch noch juristisch aufgearbeitet wird? «Entscheidend ist der Antrieb, der dahinter steht», sagt Regula Schwager, Psychologin bei der Zürcher Beratungsstelle Castagna. Reine Rachemotive würden kaum die erhoffte Genugtuung bringen. Wenn der Gang ins Strafverfahren Gewaltopfern hingegen helfe, aus ihrem Gefühl der Machtlosigkeit auszubrechen, sei die Anzeigeerstattung ein wichtiges Mittel. Für unabdingbar hält Schwager eine «deutliche Verlängerung» der Verjährungsfrist, die überdies erst ab der Volljährigkeit der Opfer beginnen dürfe. «Das wäre ein Schritt von der Täter- zur Opferorientierung. Da herrscht bei uns ein enormer Handlungsbedarf.»
Die Erfahrung der Beratungsstellen zeigt, dass innerhalb der gesetzten Fristen nur eine Minderheit von Personen, die in ihrer Kindheit ausgebeutet wurden, gegen ihren damaligen Peiniger eine Strafverfolgung auslöst: Angst, Abhängigkeiten und unvollendete Verarbeitungsprozesse fallen oft zu stark ins Gewicht. «In den mir bekannten Fällen erstattet vielleicht jedes zehnte Opfer Anzeige», schätzt Verena Müller vom Selbsthilfeverein gegen sexuellen Missbrauch (GSM). Dem Verein ist es ein Anliegen, aus der Sicht von Betroffenen die versteckten Folgen von pädosexueller Gewalt zu thematisieren.
Dass den Tätern weniger Schlupflöcher geboten werden, um ihrer «gerechten Strafe» zu entgehen, ist für Verena Müller ein vordringliches Ziel. Und Teil des Heilungsprozesses für die Opfer, wie in einem Lied zum Ausdruck kommt, das ein Vereinsmitglied aus eigener Betroffenheit komponiert hat: «Vergangnes ist gut verdaut / aus meiner Mitte bricht Licht / Liebe dringt unter meine Haut / Täter vor nem Gericht.»
Quelle:
http://www.beobachter.ch/justiz-behoerde/artikel/kindsmissbrauch_die-grosse-wut-des-volkes/
Aus der Fülle dieser teils Mut machenden (Initiative Marche Blanche, andere erwähnte Opferhilfestellen), teils ernüchternden Informationen möchte ich fürs Erste folgende Zitate von Christian Schwarzenegger hervorheben – SO denken JuristInnen, PolitikerInnen, TherapeutInnen, „Fachleute“, Nichtfachleute, und viele mehr:
Zitat: „Zudem würden zwei Straftatbestände in unzulässiger Weise vermischt: sexuelle Handlungen mit Kindern und Kinderpornografie.“
– „Kinderpornografie“ IST „sexuelle Handlungen mit Kindern“!!!!!!!!!! Und diese Aussage ein typisches Beispiel für die Auswirkungen von bagatellisierendem Sprachgebrauch: dieser benennt (wie Monika Gerstendörfer in ihrem Buch „Der verlorene Kampf um die Wörter“ darstellt) nicht wirklich, was genau mit dem Opfer geschieht und worin genau die Tat besteht. Bei „Kinderpornografie“ beispielsweise wird nichts gespielt (wie von SchauspielerInnen in Pornos), sondern schlicht sexualisierte Folter an Kindern durchgeführt, dazu noch gefilmt und anschließend mit gutem Gewinn vermarktet.
Zitat: „Schwerstverbrechen wie Mord würden verjähren, sexuelle Handlungen mit Kindern aber nicht.“
– Auch diese Aussage macht deutlich, wie DRINGEND notwendig eine Diskussion über die LEBENSLANGEN FOLGEN von erlebter sexualisierter Gewalt in der Kindheit ist!!! „Sexuelle Handlungen mit Kindern“ sind SeelenMORD (siehe Ursula Wirtz u.a.). Und daher ist es absolut gerechtfertigt, dass sie entsprechend geahndet werden.
Mal abgesehen davon, das Mord meines Wissens nach nie verjährt…???
Zitat: „Schwieriger wird gleichzeitig aber auch der Nachweis von entlastenden Tatsachen.“
– Welche „entlastenden Tatsachen“??? WAS kann zur „Entlastung“ eines Täters WIRKLICH Gültigkeit haben??
Geistige Behinderung? Okay – ist aber bei der überwiegenden Zahl der Täter nicht diagnostiziert (auch nicht wahrscheinlich, auch wenn man es sarkastischerweise gerne unterstellen möchte).
„Schwere Kindheit“? Okay – aber das gibt NIEMANDEM das Recht, anderen Menschen Schaden zuzufügen, deshalb hat auch jemand mit einer „schweren Kindheit“ für Rechtsbrüche, Gewaltanwendung etc. die Verantwortung zu übernehmen!
Von so abstrusen „entlastenden Tatsachen“ wie „Partnerin hat sich verweigert“, „Kind hat verführt“, „Kind hat sich nicht gewehrt“, „Kind brauchte Liebe“ usw. will ich auf dieser Seite gar nicht anfangen.
Allein diese drei Zitate zeigen aber, wie weit entfernt die „Welt da draußen“ noch von den Tatsachen, von den TATSÄCHLICH AN KINDERN AUSGEÜBTEN GEWALTHANDLUNGEN und ihren lebenslangen Folgen ist.
Sie zeigen – wie schon gesagt – wie dringend notwendig es ist, die WAHRHEIT über sexualisierte Gewalt an Kindern und ihre Folgen an die Öffentlichkeit zu bringen!
Und was daraus auch wieder einmal deutlich wird: Mit dem Vorwurf, wir Überlebenden wollten nur „Rache“ üben, werden wieder einmal die Rollen verdreht und sollen wieder einmal den Überlebenden die Münder verschlossen werden.
WIR sollen diejenigen mit den „niedrigen Instinkten“ (Rachebedürfnis) sein, an UNS wird (implizit) die Forderung gestellt, nicht „so“ zu sein.
Was für ein verqueres Denken herrscht nur in unserem Land (und nicht nur hier)???
Es ist verboten, Kinder mittels sexueller Handlungen und Gewalt zur Befriedigung eigener Macht- und Triebbedürfnisse zu benutzen. Dagegen wird hier in diesem Land landauf, landab verstoßen, aber es gibt keinerlei ernsthafter Bemühungen, das Recht von Kindern auf Schutz vor solcherlei Handlungen, bzw. die Bestrafung von Tätern durchzusetzen.
Dagegen wird Überlebenden vorgehalten, sie würden „nur“ persönliche „Rache“ üben, wenn sie GERECHTIGKEIT laut einfordern.
Schon mal was von „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gehört??
DAS ist GERECHTIGKEIT.
Das ist NICHT „Rache“ – wird aber leider viel zu häufig damit gleichgesetzt.
Ich will ja fürs „Auge“ nicht ein Bein oder gar das Leben. Ich will fürs Auge ein Auge.
Im Übertragenen Sinn: Dass mein Leben so schwer beschädigt wurde, teilweise bestimmte UNWIDERRUFLICHE genetische (!!!), neuronale (!!!), immunologische (!!!), psychische (!!!), soziale (!!!), finanzielle (!!!) UND körperliche (!!!) Folgen für mich hat, RECHTFERTIGT EINEN GERECHTEN AUSGLEICH.
Auch nach unseren Gesetzen.
Und damit das überhaupt mal „da draußen“ verstanden wird, müssen wir die Kommunikation über die FOLGEN von sexualisierter Gewalt gegen Kinder in JEDE RICHTUNG aufnehmen!
Und uns nicht mehr beschämen lassen als „bloß Rache verüben Wollende“.
Und uns auch nicht mehr von irgendwelchen so genannten „Fachleuten“, ob Rechtsverdreher oder Psychotherapiebenötiger (mit „Psychotherapiebenötiger“ meine ich PsychotherapeutInnen, die die Psychotherapie als berufliches Gerippe benötigen, um mit ihren eigenen Problemen klarzukommen) damit beiseite schieben lassen, dass sie uns unterstellen, wir wären zu beschränkt, um das „ganze Rechtliche“ zu überblicken, wir könnten nicht erkennen, welche „unabsehbare Folgen für das gesamte Rechtssystem“ unsere Forderung nach einer Abschaffung der Verjährungsfrist für pädosexuelle Gewalttäter hätte.
Es ist genau andersherum: IHR überblickt nicht, was es wirklich bedeutet, Überlebende von sexualisierter Gewalt in der Kindheit zu sein!
Aber das werden wir ändern.
Hallo Petra,
stimme Dir in allem was Du geschrieben hast zu.
Die Initiative stammt aus der Schweiz, auch dort verjährt Mord nicht.
Was mir aber immer klarer wird, je länger und intensiver ich mich mit dem Thema „sexuelle Misshandlung“ beschäftige ist, dass es derart eng mit „Sexualität und Gesellschaft“ verwoben ist, dass man immer dann, wenn man konfrontiert oder dafür sorgt, dass Wahrheit statt Mythos verbreitet wird, auch ganz nah an der alltäglichen Verdrängung, Verfälschung und den vielen Lebenslügen dran ist, die dem Thema „Sexualität“ zusammen hängen.
Ein Beispiel: Ich erinnere mich, dass in meiner Kindheit (Mitte 70er Jahre) über einige spektakuläre Fälle von Kindesmissbrauch und Kindermorden sehr emotional in den Medien berichtet wurde und ich weiß noch ganz genau, dass die Erwachsenen in meinem Umfeld die Todesstrafe für „solche“ forderten.
Was mir damals schon eigenartig vorkam, war, dass die, die am lautesten schrieen dieselben waren, die mir und anderen Mädchen und Jungen gegenüber anzüglich und übergriffig agierten und z.B. entweder Gewalt gegen ihre Partnerinnen ausübten oder eben – als Frauen – von Gewalt – sicherlich auch sexueller – betroffen waren.
Das habe ich dann nach und nach rausgekriegt.
Die ganzen emotionalen „Über-Reaktionen dienen eigentlich nur der Gefühlsregulation von Menschen, die mit den Widersprüchen in ihrem Leben, was ihre Sexualität angeht, nicht umgehen können und die sexuelle, gesellschaftliche Realität leugnen.
Wer das mal testen will – im Freundeskreis zu einer Diskussion anregen: Gibt es eine typisch männliche und typisch weibliche Sexualität? Was ist ein „richtiger Mann”, was eine „richtige Frau“ tut’s auch schon.
Oder – persönlicher: Bist Du schon mal sexuell bedrängt worden, bzw. was wäre für Dich sexuelle Nötigung?
Spannend was da so alles an Meinungen zusammenkommt und wie viele Widersprüche sich ergeben.
Kaum einer will wahrhaben, dass sexuelle Übergriffe, Gewalt und Misshandlung ganz nah an ihm dran sind, in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft und eigentlich ein fester Bestandteil unserer sexuellen Kultur sind – wenn auch ein besonders unguter.
Vielleicht werden einige an eigene, „pädophilie“ Impulse oder Taten erinnert, die verdrängt werden müssen, oder daran, dass man „eigentlich“ „dazu“ (nämlich Sex) gar keine Lust mehr hat und sich „genötigt“ fühlt vom Partner – aber zu feige ist, Konsequenzen zu ziehen ?
Oder – diesen Partner, der im Keller heimlich Pornos guckt in Verdacht hat, dass da auch „Kinderpornos“ und „Gewaltpornos“ dabei sind – und nun im Unschluss ist, ob man ihn zur Rede stellt? Wo man doch das Haus noch abbezahlen muss und man doch drei Kinder hat und überhaupt?
Schon im allernächsten Umfeld ist soviel Zivilcourage gefordert, wenn man tatsächlich mit offenen Augen durch die Welt geht (u.a. was das Thema Sexualität angeht), dass die meisten Menschen da wohl überfordert sind.
Denn das betrifft ja nicht „irgendein Kind“ sondern sie selbst. Dann wird’s unter Umständen richtig unbequem.
Insofern kann ich die Kritik an solchen Bürgerinitiativen auch nachvollziehen.
Denke, mit der Einstellung „erstmal vor der eigenen Tür kehren“ kann man auch viel ausrichten.
Im besten Falle führen diese Initiativen dazu, dass mehr Leute über sich, ihre Sexualität und Gewalt in ihrem näheren Umfeld nachdenken.
Grüße von
Angelika Oetken, Berlin
Sehr geehrter Herr Denef,
Ihnen und Ihren Mitstreitern kann man nur dankbar sein, so mutig auf dem Kirchentag aufgetreten zu sein. Als jemand der in Gewaltfragen mit Kirche ganz besondere Erfahrungen (nicht als Opfer aber im Engagement gegen Gewalt an Kindern und Jugendlichen) gemacht hat und diese vor ca. 20 Jahren thematisiert hat in:
„Kirche eine gefährliche Institution für Menschen guten Willens“
Ihnen lasse ich eine Stellungnahme an Bischof Ackermann zugehen.
Normalerweise verwende ich Stellungnahmen außer an den Adressaten nicht – in Ihrem Fall (der schäbigen Behandlung auf dem Kirchentag) ist dies aber mehr als berechtigt.
An Bischof Ackermann
Anmerkungen zum Britta Baas- Tagebuchbericht Kirchentag 2010 in Publik Forum.
1. Ökumene ligth in München ist noch sehr wohlwollend und mild charakterisiert, der Verfasser würde eher sagen der Kirchentag 2010 hat eher das Prädikat: „gewogen und zu leicht befunden“, verdient.
Allein die Tatsache, dass Missbrauchsopfer, besonders auch Herrn Denef in Halle C1, nicht zu Wort gelassen wurde zeigt, alle offiziell kirchlichen Foren und Worte, besonders auch die „fromm emotionalisierten Schuldbekenntnisse“, sind das Papier nicht wert, auf welches sie verfasst wurden und werden.
Im Voraus – mit hohem moralischen Pathos- festzulegen, „man wolle die Opfer vor sich selbst schützen“, zeugt von einem beispiellosen Zynismus und der berüchtigten „Mitleids- Bosheit“ der Kirchen die unerträglich ist.
Im Ernstfall zeigt sich „in Kirche“ immer wieder: archaischer Corpsgeist in der Führung und Untertanen-Beflissenheit vieler Gläubige in den Gemeinden und der Hierarchie, die schweißt mühe- und nahtlos „Progressive“ und Konservative zusammen.
Aber genau das ist das Problem. „Unter die Räder gekommene“ Opfer in der Kirche haben -im Gegensatz zu Menschen der Gesellschaft- kaum Chancen aus „Tälern der Tränen“ zu kommen.
Die Entsprechenden Gleichnisse Jesu helfen seit 2000 Jahren eben nicht -allenfalls in seltenen Fällen- zur Einsicht und zu samaritischem Handeln.
Damit will ich Ihre Bemühungen-in Sachen sexueller Missbrauch nicht gering schätzen. Was aber auch Sie, wie die anderen Podiumsmitglieder mit Herrn Denef gemacht haben, war alles andere als richtig, menschlich angemessen, oder vertretbar, zumal Sie ihr Versprechen gebrochen haben Herr Denef könnte am Podiumsgespräch teilhaben.
Sie und die anderen Podiumsmitglieder haben Herrn Denef und alle anderen Missbrauchsopfer ein weiteres mal zutiefst verletzt und gedemütigt.
Der gemäß Kirchentagsberichten „rauschende Beifall hätte nicht Herrn Mertes oder Ihnen gebührt, sondern Herrn Denef. Auch Sie und die Vorfeldregie haben ihn statt dessen „abdrängen“ lassen.
Es wäre das Mindeste gewesen wenn Sie als Bischof, auch die anderen Teilnehmer, Herrn Denef per Handschlag begrüßt und als Geste christlicher Verbundenheit auch mal in den Arm genommen hätten – so er das von „Kirchlichen“ noch ertragen kann.
Auch das Publikum hätte mit Beifall heilen können, in erster Linie für Herrn Denef, in zweiter Linie vielleicht für Pater Mertes. Aber genau dies geschah nicht.
Statt dessen wurden die levitischen Deformationen und Unsensibilitäten die die Kirchen in 2000 Jahren in die Seelen der Gläubigen eingeflanzt haben auch hier grausam sichtbar.
Mit freundlichem Gruß
Wilhelm Krämer
PS: Sehr geehrter Herr Denef, wenn sie den Erfahrungsbericht Kirche… wünschen lassen Sie mir Ihre E-Mail Adresse zukommen.