(Auszug aus einem Interview mit dem ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt Delitzsch, Heinz Bieniek)

„Ich hatte noch ein paar Dinge zu verarbeiten“

Sie sind römisch-katholisch. Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrem Leben?

Der Glaube ist doch etwas sehr intimes. Atheisten glauben bekanntlich auch an was. Ich bezeichne mich als praktizierenden Katholiken. Damit will ich ausdrücken, dass ich mich der katholischen Kirche zugehörig fühle und mich zur christlichen Botschaft bekenne. Das heißt aber nicht, dass ich Dogmatismus gut finde. Ich war ja mal auf dem Weg zum Priestertum. Ich habe diesen Weg aus zweierlei Gründen verlassen. Zum einen wegen des Zölibats, zum anderen wegen der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen. Ich habe damit nach wie vor meine Schwierigkeiten.

Vor genau vier Jahren machte der ehemalige Delitzscher Norbert Denef mit seinem Geständnis deutschlandweit betroffen, er sei als Jugendlicher von einem früheren Vikar der Mariengemeinde sexuell missbraucht worden. Sie gehörten schon damals dieser Gemeinde an. Wussten Sie um die Neigungen von Alfons Kamphusmann?

Fast alle in der katholischen Gemeinde von damals haben gewusst, dass die plötzliche Versetzung, des ohne Zweifel sehr beliebten Vikars Kamphusmann, in ein anderes Bistum schwerwiegende Gründe haben musste. Dass es in Wahrheit eine Strafversetzung war, konnte sich jeder Insider an den fünf Fingern einer Hand abzählen. Und fast alle, die Mitte der Sechzigerjahre zur Gemeinde gehörten, ahnten, dass dies etwas mit gewissen Neigungen des Menschen Alfons Kamphusmann zu tun hatte.

Norbert Denef wurde nach seiner Offenbarung – fast 40 Jahre nach den Taten – von vielen massiv angefeindet, erfuhr von einigen Delitzschern mit ähnlichem Schicksal aber auch moralische Unterstützung. Was haben Sie damals gedacht?

In meiner Funktion als Oberbürgermeister, von dem bekannt war, dass er Katholik ist, bin ich zu den Vorfällen nie befragt worden. Und ich muss gestehen, ich war Anfang 2006 heilfroh, ich betone heilfroh, darüber. Das hatte nicht zuletzt auch etwas damit zu tun, das einer von Norbert Denefs Brüdern damals mein Stellvertreter war.

Dann muss diese Frage jetzt erst recht gestellt werden.

Ich habe Norbert Denefs Buch „Ich wurde sexuell missbraucht“ gelesen. Ich kann mir vor dem Hintergrund dessen, was ich eben gesagt habe, vorstellen, dass es so oder ähnlich gelaufen ist. Vielleicht hat er übertrieben, aber gelogen hat er nicht.

War die Reaktion, ihn als Nestbeschmutzer zu betiteln angemessen?

Ich denke nein. Ich habe im Gespräch mit anderen Opfern und mit nicht gerade unbedeutenden Amtsträgern der katholischen Kirche in unserem Lande festgestellt, dass sie wie Norbert Denef der Meinung waren, dass die Gemeinde diesen Teil Ihrer Geschichte dringend aufarbeiten müsse. Ich weiß nicht, wie das hätte laufen, wer das hätte initiieren sollen. Eine Entschuldigung und ein klärendes Hirtenwort durch den Bischof von Magdeburg und eine Geste der Versöhnung seitens der Gemeinde wären vielleicht angemessen gewesen.

Interview: Dominic Welters

Quelle: Leipziger Volkszeitung, Ausgabe Delitzsch/Eilenburg 16.01.2010

Leserbriefe – Reaktionen:

http://norbert.denef.com/2010/01/22/bieniek-auserungen-zum-fall-denef-%e2%80%93-reaktionen/