Ein Judo-Trainer aus Bayern hat Buben und Mädchen jahrelang sexuell missbraucht. Gestern schickte ihn das Passauer Landgericht hinter Gitter. Dass es überhaupt zu dem Urteil kam, ist vor allem einem 13-jährigen Buben zu verdanken, der sich der Polizei anvertraute.
PASSAU – Unter der Dusche seifte er sie ein und fasste ihnen zwischen die Beine. Er schlief mit ihnen in einem Bett, er begrapschte sie. Über mehr als 15 Jahren verging sich Judo-Lehrer Wolfgang D. an acht Buben und einem Mädchen zwischen neun und 15 Jahren. Kinder aus seinem familiären Umfeld, vor allem aber Buben, die zu seinem Judotraining kamen. Am Donnerstag räumte der Pädophile das Verbrechen ein. Alles sei wahr, „leider Gottes.“
Das Landgericht Passau verurteilte Wolfgang D. zu sechs Jahren und neun Monaten Haft. Außerdem muss er zu einer Therapie in einer psychiatrischen Einrichtung. Wegen 221 Fällen von sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen. Nur die „Spitze eines Eisberges“ sei zur Anklage gekommen, sagte der Richter und sprach von „Mord an Kinderseelen“.
Seine Opfer fand Wolfgang D. beim 1. Judoclub Passau, dessen Vorstand war er zehn Jahre lang. Bei Wettkämpfen, Zeltlagern und Trainingseinheiten begrapschte er Kinder, häufig unter der Dusche – unter dem Vorwand, ihnen Hygiene lehren zu wollen. Bereits im Sommer 2008 wurde D. wegen sexuellen Missbrauchs zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Damals war der 140-Kilo-Mann noch so dreist, Berufung einzulegen.
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe hatte der Passauer Judoclubs Fehler eingeräumt. „Wir müssen uns vielleicht vorwerfen lassen, dass wir zu gutgläubig waren und bis zuletzt immer an seine Unschuld geglaubt haben“, sagte die Zweite Vorsitzende Steffi Dallmeier im August 2009.
Es war am Ende vor allem dem Mut des 13-jährigen Siegfried (Name geändert) zu verdanken, dass der Kinderschänder überführt werden konnte. Dass der Judo-Lehrer die Zuneigung des Kindes und acht anderer ausgenutzt hatte, kam jedoch erst spät heraus. Während des Berufungsprozess drängte der Kinderschänder sogar noch Siegfrieds Mutter Barbara Zeilinger (39, Name geändert) ihn zu entlasten. Man versuche ihn zu verleumden.
„Er wollte den Ersatzvater für meinen Buben spielen“, erzählt Barbara Zeilinger über das Verhältnis ihres Jungen zu Wolfgang D. Vor anderthalb Jahren lernte sie den Informatiker kennen, schnell waren sie per Du. Siegfried empfand große Zuneigung zu dem wuchtigen Mann. „Er half meinem Sohn bei den Hausaufgaben“, berichtet die Mutter, „er trainierte ihn gut in Judo.“ Der Bub wurde in seiner Altersklasse Dritter bei den Süddeutschen Meisterschaften.
Doch im April 2009 klagt Siegfried nach dem Judo-Training immer häufiger über Kopf- und Bauchschmerzen. Die Mutter erzählt beiläufig ihrem Scheidungsanwalt Sebastian Kahlert davon. Kahlert drängt die Mutter, zur Polizei zu gehen. Wenige Stunden später sitzt sie mit Siegfried bei der Kripo. Vier Tage später verhaften die Beamten Wolfgang D. Der zieht daraufhin seine Berufung zurück.
Heute weiß die Mutter, dass Wolfgang D. vieles inszenierte, um Siegfried ungestört nahe zu sein. Vor Judo-Wettkämpfen sollte der Bub bei ihm zuhause schlafen, damit er ihn nicht abholen müsse. In der gebuchten Pension hatte er plötzlich „vergessen“, für die Mutter und ihre beiden Kinder ein Dreibettzimmer zu bestellen – „Der Junge kann doch bei mir schlafen.“
Auch in einem anderen Fall erschlich sich der Informatiker das Vertrauen einer alleinerziehenden Mutter. Er befummelte deren Sohn und Tochter, beide jünger als 14 Jahre, in ihren Betten. „Es war mir klar, dass sie sich nur schlafend stellten. Es war ein Versteckspiel vor mir selbst“, erklärte Wolfgang D. vor Gericht. Er selbst sei sexuell nicht erregt gewesen: „Für mich war es ein klinischer Vorgang.“ Zuvor hatte er der Kripo erzählt, er habe den Kindern „schöne Gefühle schenken und „Gutes tun“ wollen. Einige seiner Opfer verließen vor den gemeinsamen Duschen das Training, „damit mich der Wolfgang nicht erwischt.“ Nicht alle Jungen konnten so entwischen. Eine Nebenklägerin berichtete von einem Opfer, dass in 100 Fällen missbraucht wurde und nun psychologisch behandelt werden muss.
Der 13-Jährige Siegfried, der mit seiner Aussage Wolfgang D. überführte, war beim Prozess dabei. „Es hilft ihm bei der Aufarbeitung“, glaubt der Anwalt Sebastian Kahlert. Siegfrieds Mutter hofft jetzt, „dass keine dunklen Stellen in Siegfrieds Seele bleiben“.
Quelle:
Hallo,
was ich – neben vielen anderen Infos in diesem Artikel – besonders schlimm finde:
Die Anonymität des 13jährigen, der so mutig war, stellvertretend für die anderen Opfer zu klagen und beim Prozess dabei zu sein, ist nicht gewahrt.
Es ist leicht herauszufinden, welcher 13jährige in Passau lebt und „Dritter bei den Süddeutschen Meisterschaften im Judo“ wurde.
Darf die Zeitung solche Details, die klare Rückschlüsse auf die Identität zulassen veröffentlichen?
„Siegfrieds“ Mutter scheint zu naiv, um zu verstehen, was da eventuell auf ihren Sohn zukommt. Jedenfalls der Anwalt scheint etwas mehr Ahnung zu haben.
Ein 13jähriger kann noch nicht überblicken, was solche intimen Infos für sein weiteres Leben bedeuten. Vor allem kann er sich nicht wirklich gegen Versuche wehren, ihn in den Medien oder im Sportverein zu instrumentalisieren und dann anschließend fallen zulassen, wenn man ihn nicht mehr „braucht“. Wenn nämlich „Gras über die Sache gewachsen ist“.
Und ihn dann evtl. wegen „der Sache damals“ auszugrenzen.
Dann bleibt dem nur noch auszuwandern – was sowieso manchmal das Beste ist. Aber das ist meine persönliche Meinung über die „Provinz“.
Der Sportclub bekommt morgen von mir eine Nachricht. Die Leute dort im Vorstand haben vollkommen verantwortungslos gehandelt – dann sollen sie jetzt jedenfalls „Siegfried“ helfen, sich gegen die Medien zu wehren.
In solchen Städten wie Passau gibt es immer einen „Honoratiorenklüngel“. Die können das.
Grüße von
Angelika Oetken, Berlin
Hallo Angelika,
ich verstehe deinen Kommentar nicht. Der Anwalt ist der Meinung, dass der Vorgang dem Jungen bei der Aufarbeitung hilft. Die Mutter, die du als naiv darstellst, fürchtet sich davor, dass ihr Junge Schaden genommen hat und hofft, dass es nicht so ist.
Warum soll der Junge sich verstecken, warum soll er sich evtl. schuldig fühlen. Warum soll er flüchten?
Genau dieses Muster hat der Junge mit seiner Mutter durchbrochen.
Und genau dies ist heilsam für ihn.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der größte Teil der Gesellschaft mittlerweile ganz genau weiß, dass den Jungen keine Schuld trifft. Absolut keine. Er ist ein Kind.
Warum soll man dem Jungen so ambivalente Botschaften übermitteln. Damit schadet man ihm nur.
Das hatten wir alles schon. Wir schreiben aber jetzt das Jahr 2010. Die Evolution lässt sich nicht aufhalten.
Elvira
Hallo Elvira,
hast Du Dir den Artikel in der „Abendzeitung“ (siehe link auf original) mal angesehen?
Mach das ruhig mal, danach verstehst Du meine Einstellung zu dem Fall vielleicht besser.
Aufschlussreich und sympathisch der Artikel vom 19.8.2009 dazu in der „Passauer Neue Presse“ (www.pnp.de).
Lesenswert.
Ich wollte dem Sportverein, in dem Wolfgang D. 10 Jahre als Vorstand und Trainer sein Unwesen treiben konnte, eine Mail senden und den jetzigen Vorstand bitten, ein Auge auf „Siegfried“ zu haben und ihn zu begleiten.
Ich habe leider den Eindruck, dass die Erwachsenen in „Siegfrieds“ Umfeld derzeit noch zu „blind“ sind – bis auf den Anwalt.
Leider befindet sich die Website des Sportclubs „derzeit in Wartung“. Zufall ?
Behalte das aber im Auge.
Grüße von Angelika Oetken, Berlin