Das Problem in vielen Diskussionen, Statements, Auslassungen über „sexuellen Missbrauch“ ist regelmäßig, dass in diesem Zusammenhang von „Sexualität“ (was ja an sich schon ein vielfach, auch unterschiedlich besetzter Begriff ist) ausgegangen, bzw. gesprochen wird.
„Sexueller Missbrauch“ aber hat mit „Sexualität“ soviel zu tun wie Papier mit einem Buch: Es ist ein MITTEL ZUM ZWECK. Zum Zweck nämlich, GEWALT und MACHT auszuüben, bzw. zu demonstrieren.
Deshalb kann in diesem Zusammenhang auch niemals „einvernehmlich“ oder (freiwilliger) „Zustimmung“ gesprochen werden.
Allein schon die Bezeichnung „sexueller Missbrauch“ stellt eine Form struktureller Gewalt dar, schreibt die Ärztin und Psychosomatikerin Ingrid Olbricht („Was Frauen krank macht“). Denn ein „Missbrauch“, so schreibt sie, setzt voraus, dass es auch einen „Gebrauch“ geben muss (den es moralisch gesehen nicht geben sollte; faktisch entlarvt der Begriff „Missbrauch“ aber genau die Gewaltstrukturen, denen Kinder – insbesondere weibliche – in unserer und vielen anderen Gesellschaften ausgesetzt sind!).
Stattdessen schlägt Olbricht den Begriff „sexualisierte Gewalt“, bzw. „Traumatisierung durch sexualisierte Gewalt“ vor. Darin wird nämlich deutlicher, dass es sich beim so genannten „sexuellen Missbrauch“ um „sexualisierte Gewalt“, also um Gewalt die sich des Instruments „Sexualität“ bedient, um bestimmte Interessen durchzusetzen.
„Sexuelle Traumatisierung ist alles, was der sexuellen Befriedigung des Täters auf Kosten des Kindes dient“, schreibt Olbricht, und ergänzt: „…dient der Körper des Kindes (…) der Befriedigung und der narzisstischen Reparation des Vaters oder anderer Bezugspersonen als Objekt ihrer Macht- und Triebbefriedigung“.
DARAUS nämlich begründen sich die schwerwiegenden Folgen für alle diejenigen, die Traumatisierung durch sexualisierte Gewalt erleben mussten. Es geht um Gewalt- bzw. Ohnmachtserfahrungen. Nicht um „Liebe“, „einvernehmliche Sexualität“, „Aufklärung“ und welcher Mist sonst noch darüber verbreitet wird.
Da Gewalt einerseits aber ein so weit verbreitetes Mittel und Instrument zur „Lebensorganisation“ und „Gesellschaftsorganisation“ und zur Organisation der Hierarchie zwischen den Geschlechtern in unserer (und anderen) Gesellschaft ist, und andererseits die Benennung dieser Tatsache einem starken Tabu unterliegt, fällt es den meisten meist gar nicht auf, dass sie stattfindet. Wir finden das „normal“, WEIL ES DIE NORMALITÄT um uns herum IST.
Daher ist das Schweigen über Traumatisierung durch sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft mehr als ein „Verschweigen sich selbst gegenüber“; es braucht enorm viel Stärke, Selbstsicherheit und Mut, ein gesellschaftliches Tabu zu überwinden. Sich (wieder) angreifbar zu machen. Begebenheiten Worte zu geben, die (aufgrund des starken Tabus) „verboten“ sind zu sagen.
Daher finde ich, dass wenigstens wir Betroffenen untereinander sehr, sehr wertschätzend, achtsam und nicht fordernd miteinander umgehen sollten.
Und dass wir auch selbst aufhören sollten, Traumatisierung durch sexualisierte Gewalt als „sexuellen Missbrauch“ oder „Sexualität“ zu benennen und damit zu verharmlosen, was es wirklich ist: GEWALT gegen Schwächere zur Befriedigung eigener Bedürfnisse mittels sexueller Handlungen.
PS: Krebs als Folge von Traumatisierung durch sexualisierte Gewalt scheint nicht unüblich zu sein (ich bin ebenfalls an Krebs erkrankt und habe das nun schon mehrfach auf dieser Seite gelesen); Frage: Wieso erfährt frau davon in der Öffentlichkeit so wenig???
Und: Ich bin dabei, wenn wir uns zusammentun, um endlich mehr Öffentlichkeit für unser schweres Schicksal herzustellen und damit mehr öffentlichen Druck zu machen.
Petra
Die Erde ist doch keine Scheibe!
Es gibt auch gute Nachrichten: Im aktuellen Magazin (4/09) „Wanderzeit“ des Deutschen Wanderverbands (immerhin ein Verein mit 600.000 Mitgliedern) findet sich unter der Rubrik „Jugend“ folgender Beitrag:
„Sexuelle Gewalt (!!!!!)
… und dessen Prävention ist ein sehr sensibles Thema – keine Frage. Möglicherweise möchte man dieses Thema am liebsten „ausblenden“ und sich stattdessen mit anderen, schöneren Themen im Verein beschäftigen.
Dennoch ist es wichtig, sich mit Möglichkeiten und Methoden zum Schutz vor Grenzverletzungen gegenüber Kindern und Jugendlichen auseinanderzusetzen. Umso mehr, wenn man selbst als ehrenamtlich tätiges Vereinsvorstandsmitglied Personalverantwirtung (für Gruppen- oder Freizeitleitungen, ggf. hauptamtliches Bildungspersonal) trägt.
Und keine Sorge, man wird nicht allein gelassen mit diesem heiklen Themengebiet. Eine Menge verständlich aufbereiteter Informationen und hilfreiche Konzepte stehen zur Verfügung.
Sowohl im Internet als auch bei den Geschäftsstellen der Deutschen Wanderjugend (DJW) können Sie sich Unterstützung holen. Unter http://www.wanderjugend.de haben Sie Zugriff auf weiterführende Informationen und Angebote, z. B. dem beschlossenen Verhaltenskodex der DJW, dem Präventionskonzept „PräTect“ vom Bayerischen Jugendring, oder dem Informationsangebot des Bundes-Familienministeriums (Kampagne: Hinsehen. Handeln. Helfen, Infos unter: http://www.hinsehen-handeln-helfen.de).
Vor einiger Zeit haben wir die Geschäftsstellen und Vorstände der Verbandsvereine per Rundschreiben über das Instrument des „Erweiterten Führungszeugnisses“ in der Kinder- und Jugendarbeit informiert. Kurz gefasst geht es um die Pflicht zur Einholung von „Erweiterten Führungszeugnissen“ für alle hauptamtlich tatigen Personen, die „kinder- und jugendnah beschäftigt sind“ (z.B. Bildungsreferent/-innen).
In (juristischen) Fachkreisen wird kontrovers diskutiert, ob zusätzlich auch ehrenamtlich tätige Personen, die kinder- und jugendnah beschäftigt sind, möglicherweise unter diese Bestimmung fallen (z.B. Gruppen- und Übungsleitungen, Helfer/-innen, Teamer/-innen). Dies wird jedoch derzeit aus dem Bereich der Jugendverbände (unter anderem dem Deutschen Bundesjugendring) so nicht gesehen, da dieses Instrument nur bedingt tauglich erscheint und gegebenenfalls ein falsches Sicherheitsgefühl vermittelt. Weiteres dazu im Hintergrundpapier des DBJR, abrufbar unter http://www.wanderjugend.de.
Hinschauen und aufmerksam sein ist wichtig. Ein gesundes Maß an Aufmerksamkeit und Kontrolle seitens einer Vereinsführung stellt kein generelles Misstrauen gegenüber kinder- und jugendnah beschäftigten Personen dar. Es signalisiert aber möglichen Tätern und Täterinnen, die in der Regel sehr zielgerichtet und planvoll handeln: „Hier hast du keine Chance!“.“ (Zitatende)
Also ich – als Betroffene!! – lese SO eine offensive Herangehensweise an das Thema zum allerersten Mal!!! Und ich muss sagen, dass mich das – auch wenn ich die einzelnen angegebenen weiterführenden Hinweise noch nicht weitere recherchiert habe – stark beeindruckt. Und Hoffnung macht, dass sich laaaaaaaaangsam, gaaaaanz langsam doch was beginnt zu drehen.
Ist es doch – im Gegensatz beispielsweise zu den Kirchen, die selbst wenn schon Schreckliches passiert ist, noch vertuschen, verleugnen, verstecken – ein Ansatz, der deutlich präventiv UND offensiv an die Thematik „sexuelle Gewalt“ herangeht.
Hier wird – im Bewusstsein, dass (u.a.) Vereine und Freizeitgruppen sehr beliebte „Beute-Orte“ von Pädosexuellen sind – nicht gewartet, bis (mindestens) ein Kind in den Brunnen gefallen ist, nicht gehofft, „es wird schon bei uns nichts sein“, sondern offensiv thematisiert, dass diese Gefahr besteht. Damit wird auch anerkannt, dass dies kein Randthema der Gesellschaft oder einzelner „gestörter“ Triebtäter ist, sondern ein weit verbreitetes Phänomen, das mitten im „normalen Leben“ vorkommt und dem endlich mehr Aufmerksamkeit zugemessen werden muss.
Für mein Empfinden ist der Artikel auch von jemandem verfasst, der/die weiß, wovon er/sie schreibt. Schon allein, dass nicht EINMAL der Begriff „sexueller Missbrauch“ auftaucht, sondern dass das Ganze von Anfang an mit „Sexuelle Gewalt“ als das benannt ist, was es ist, nämlich Gewalt.
Auch dass die Aufmerksamkeit auf „Täter und Täterinnen“ geführt wird, finde ich bemerkenswert, und auch die Feststellung, dass die „Täter und Täterinnen in der Regel sehr zielgerichtet und planvoll handeln“ zeugt davon, dass hier niemand schreibt, der/die sexualisierte Gewalt für „Fehltritte“ oder „Schwachgewordensein“ hält.
Wie gesagt: Mir begegnet so ein Artikel – außerhalb von Betroffenen- und Fachkreisen – in dieser Art zum ersten Mal, und ich finde es einfach ermutigend. Wenn es auch nur ein kleiner Schritt ist.
Ich werde dem Wanderverband eine entsprechende Rückmeldung zusenden. Vielleicht geht es ja dem Einen oder der Anderen, die das hier liest, ähnlich und er/sie schreibt ebenfalls an den Verband. Ich glaube, so können auch wir solche positiven Ansätze unterstützen/fördern, bzw. die Motivation, sensibel für das Thema zu bleiben, stärken.
Hallo Petra,
habe mich über die Stellungnahme aus der „Wanderzeit“ ebenfalls sehr gefreut.
Mir ist auch keine Info dieser Art von irgendeiner Jugendorganisation bekannt.
Ich werde den Artikel in meiner Praxis aushängen und KollgInnen zur Info senden.
Vielleicht macht das Beispiel der „Wanderjugend“ so langsam Schule.
Ich hoffe, dass Eltern, die ihre Kinder in irgendeinen Verein, eine kirchliche Gruppierung oder Organisation integrieren wollen beim Lesen ins Nachdenken kommen und „erweiterte Führungszeugnisse“ einfordern, bzw. genauer hinschauen.
Viele lassen sich von „nett-sein“ oder einer „gepflegten Erscheinung“ oder irgendeinem „Status“ blenden.
Und die Eltern im Zweifelsfall ihre Kinder lieber bei der „Wanderjugend“ anmelden als sie in irgendwelche kirchlichen Gruppen oder Säufererorganisationen wie die „Freiwillige Feuerwehr“ gehen zu lassen.
Ich weiß aus eigener Erfahrung wie unglaublich ignorant, abwehrend und naiv z.B. Kirchenvorstände mit dem Thema „sexueller Übergriff“ umgehen. Auch und gerade evangelische.
Das Prinzip „mit den Füßen abstimmen“ wirkt zwar langsam, aber nachhaltig.
„Weg ist weg“.
Solche Veränderungen sind nicht spektakulär, deshalb nimmt man sie nur nach und nach wahr, z.B. an den von Dir vorgestellten statements.
Sehr erfreulich.
Grüße von
Angelika Oetken, Berlin