Sebastian Borger über die Vorwürfe gegen die katholische Kirche in Irland
Staat und katholische Kirche in Irland haben jahrzehntelang den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester geduldet und vertuscht. Zu diesem vernichtenden Fazit kommt der nun veröffentlichte Regierungsbericht, der 320 Fällen in der Erzdiözese Dublin zwischen 1975 und 2004 auf den Grund ging. Den verantwortlichen Erzbischöfen sei es „vorrangig um die Vermeidung von Skandalen und die Reputation der Kirche“ gegangen; das Wohl der betroffenen Kinder habe lange Zeit „keine Rolle“ gespielt, heißt es in dem mehr als 700 Seiten starken Dokument. Justizminister Dermot Ahern zeigte sich „angewidert und zornig“ über den Bericht: „Dies ist eine Republik. Keine Institution, auch nicht die Kirche, steht außerhalb des Gesetzes.“
Die Kommission unter Leitung von Richterin Yvonne Murphy hatte nach dreijähriger Arbeit ihre Schlussfolgerungen bereits im Juli abgeschlossen. Seither war das Dokument mehrfach Gegenstand von Beratungen im Dubliner High Court; dabei geht es um noch laufende Strafverfahren gegen katholische Priester. Trotz einzelner Schwärzungen nennt Murphys Bericht die Namen der Täter, der beteiligten Bischöfe sowie von Polizisten, die schwere Anschuldigungen gegen Geistliche ignorierten „in der irrigen Annahme, sie seien für diese nicht zuständig“.
Ein im Sommer veröffentlichter Bericht behandelte den jahrzehntelangen systematischen Missbrauch – Vergewaltigung, Misshandlung, Akkordarbeit – Zehntausender Kinder in Kinderheimen katholischer Orden auf der grünen Insel. Schon damals hatte der jetzige Dubliner Erzbischof Diarmuid Martin weitere schlimme Enthüllungen angekündigt, welche die Kirche selbst betreffen. Tatsächlich geht der Murphy-Bericht mit Martins Vorgängern und Kollegen hart ins Gericht. Vier Erzbischöfe sowie eine Reihe von Bischöfen versetzten die verbrecherischen Priester systematisch von Gemeinde zu Gemeinde, um immer wieder auftauchende Vorwürfe zu vertuschen. Mitte der achtziger Jahre ließ der damalige Erzbischof seine Diözese gar gegen mögliche Missbrauchs-Prozesse versichern – ein klarer Hinweis darauf, dass der Kirchenleitung die strafrechtliche Relevanz bewusst war. Ohnehin seien die vielfältigen Beteuerungen von Unkenntnis „sehr schwer zu akzeptieren“, schreibt Richterin Murphy. Ein einziger Bischof habe in den Anhörungen der Kommission „unmissverständlich eingeräumt“, Fehler begangen zu haben. Auch der Vatikan muss sich Kritik gefallen lassen: Sämtliche Bitten um Kooperation blieben unbeantwortet.
Die Regierung sowie Erzbischof Martin entschuldigten sich uneingeschränkt bei den Opfern. Deren Interessengruppen forderten eine lückenlose Aufklärung sowie Entschädigung. Bereits im Sommer hatte die Regierung einen staatlichen Entschädigungsfonds in Höhe von 1,3 Milliarden Euro aufgelegt, zu dem die Kirche bis zu 50 Prozent beisteuern soll.
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