Fachtagung der Justiz und Polizei zu Opferschutz im Strafprozess um sexuellem Missbrauch
Von Bettina Thoenes
Mit dem verstärkten Einsatz von Videovernehmungen will die Braunschweiger Staatsanwaltschaft Opfer sexuellen Missbrauchs im Strafprozess besser schützen.
Für Sexualstrafopfer unter 18 Jahren kann eine solch richterliche Vernehmung eine spätere Zeugenaussage vor Gericht ersetzen. Robert Grain hat schon Großväter zusammenbrechen sehen, die ihre Enkel missbraucht hatten. Väter. Stiefväter. Wenn sie im Nebenzimmer sitzen, in das die Videovernehmung ihrer kindlichen Opfer übertragen wird, bringt es kaum mehr einer fertig, die Tat weiter abzustreiten.
Als Sonderermittlungsrichter hat Grain im Münchner Amtsgericht bisher an die tausend Kinder und Jugendlichen nach sexuellen Übergriffen mit Unterstützung von Videoaufzeichnungen vernommen. Die übrigen Prozessbeteiligten – Beschuldigter, Verteidiger, Staatsanwalt – können die Vernehmung von Nachbarraum aus verfolgen und Fragen stellen. Grains Erfahrung: Ist an dem Vorwurf was dran, „enden fast alle mit einem Geständnis“.
„Es ist eine vorweg gezogene kleine Hauptverhandlung“, erläutert der bayerische Richter in der Braunschweiger Brunsviga vor mehr als 60 niedersächsischen Richtern, Staatsanwälten und Polizeibeamten, die zur effektiveren Verfolgung von Sexualstraftaten erstmals zu einer interdisziplinären Fachtagung zusammengekommen sind.
Wird die Möglichkeit der richterlichen Videovernehmung im Ermittlungsverfahren in Braunschweig bisher kaum genutzt, hat Bayern eine bundesweite Vorreiterrolle übernommen. Spezialisierte Ermittlungsrichter vernehmen jedes minderjährige Opfer eines Sexualdeliktes via Video und ersparen ihm so Mehrfachvernehmungen wie auch den Gang vor Gericht.
Ute Lindemann, in einem Anfang des Jahres gegründeten Sonderdezernat der Staatsanwaltschaft für die Verfolgung sexuellen Missbrauchs zuständig, sieht darin eine gute Möglichkeit des Opferschutzes. Ihr Anliegen: dass dieser vom Gesetzgeber Anfang Oktober für alle Minderjährigen geebnete Weg künftig häufiger beschritten wird.
Im Dezember ist die Staatsanwältin vor dem Landgericht erstmals an einem Verfahren beteiligt, in dem eine Videoaufzeichnung die Zeugenaussage des Kindes ersetzen soll. Neben dem Opferschutz verbindet Lindemann damit auch den Vorteil einer frühzeitigen Beweissicherung – bevor die Erinnerung verblasst.
Doch nicht nur die Videovernehmung war gestern Thema der Tagung, zu der die Generalstaatsanwaltschaft eingeladen hatte. Im Hintergrund stand auch der Erfahrungsaustausch. Denn die Strafverfolgung in diesem sensiblen Bereich, so die Erkenntnis, erfordere ein abgestimmtes und reibungsloses Zusammenwirken aller Beteiligten.
Quelle:
http://www.newsclick.de/index.jsp/menuid/2048/artid/11294971
Hallo,
das ist doch mal eine positive Nachricht.
Finde es vorbildlich, dass Richter Grain sein Wissen auf einer Tagung weitergibt und ermutigend, dass seine niedersächsischen KollegInnen ihre Arbeitsweise optimieren und die betroffenen Kinder und Jugendlichen damit vor zusätzlichem Streß bewahren wollen.
Menschen mit einem Mangel an Empathie und reduzierter Impulskontrolle, evtl. auch Problemen mit dem Stirnhirn (das trifft auf viele Täter zu) brauchen tatsächlich ganz klare Ansagen und Rückmeldungen. Eine Videoaufzeichnung der dann gezielte, klare Fragen durch einen Richter folgen, ist für diese Menschen so anschaulich, dass die Welt wieder „geradegerückt“ wird in ihrem Gehirn.
Manche müssen buchstäblich gegen eine Wand rennen. In diesem Fall deutlichen Kontakt mit der Realität aufnehmen.
Ich habe 35jährige kennengelernt, deren Empathie denen eines 10jährigen entsprach. Sie waren normal intelligent und „funktionierten“ auch ansonsten „normal“. Ihre soziale Intelligenz nutzten sie lediglich, um andere zu manipulieren und sich Vorteile zu verschaffen.
Nach den Maßstäben unserer Leistungs- und Ellenbogengesellschaft erfolgreiche, wertvolle Menschen.
Erschreckend häufig sind sie Kinder von traumatisierten, suchtkranken, ebenfalls „emotional dysfunktionalen“ Eltern, die genauso sozial angepaßt und „normal“ lebten wie sie. Und deshalb nie Kontakt zu Psychiatern, Therapeuten, Sozialämtern oder ähnlichem hatten.
So etwas wird von Generation zu Generation weitergegeben.
Männer, die so geprägt sind, missbrauchen Kinder, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Einfach so – als „Kick“ – ob im Urlaub in Thailand, Tschechien oder Kenia oder eben einfach in Deutschland.
Die Frauen demütigen und misshandeln ihre Kinder (physisch oder emotional)- manche auch sexuell.
Sie gehen einfach davon aus, dass man sie nicht „erwischt“. So gehen sie auch sonst im Leben vor.
Man kann noch nicht mal sagen, dass sie Soziopathen sind. Dazu sind sie im sonstigen Leben zu „normal“.
Sie haben einfach kein Gewissen.
Sie tun das, was sie wollen, solange ihnen niemand Einhalt gebietet. Echte Bindungen gehen sie ungern ein – aber das gilt in unsere Gesellschaft ja nicht als Makel.
Ein Mann mit wechselnden Kontakten ist eben ein „toller Kerl, ein womanizer“, eine Frau ist schlimmstenfalls ein „Flittchen“ oder lebt mit einem Partner zusammen, der sein Leben im Hobbykeller oder im Fitnessclub verbringt. Da kann man sich ja super aus dem Weg gehen und es fällt gar nicht auf, dass man nichts gemeinsam hat.
Mittlerweile befürchte ich, dass viel mehr von diesen Leuten herumrennen als man gemeinhin annimmt. Man sieht ihnen ja nichts an und merkt erst, was mit ihnen los ist, wenn man sie näher kennt, sich mit ihnen sehr konzentriert unterhält und sie sehr genau beobachtet.
Wann hat man dazu denn schon Gelegenheit ?
Grüße von
Angelika Oetken, Berlin
Soweit mir bekannt, dient ein Video nicht mehr als Beweismittel.
Denn mit Hilfe der modernen Ton- und Videobearbeitung lassen sich diese relativ leicht verändern bzw. manipulieren.
Aber wenn es diesbezüglich Ausnahmen gibt, so ist das nur zu begrüßen und nachahmenswert.
Denn ein bestehendes Trauma von Betroffenen kann wohl schlecht entschärft werden durch ein erneutes Trauma in einem Gerichtsaal zu der Sache. Wer ein solches Trauma nie erlebt hat, der kann das natürlich schlecht nachvollziehen.
@ Angelika:
„Finde es vorbildlich, dass Richter Grain sein Wissen auf einer Tagung weitergibt und ermutigend, dass seine niedersächsischen KollegInnen ihre Arbeitsweise optimieren und die betroffenen Kinder und Jugendlichen damit vor zusätzlichem Streß bewahren wollen.“
z.B.In Dänemark gibt es die Möglichkeit der Videovernehmung – für Opfer unter 15 – schon seit 1991.
Dabei muss man aber auch bedenken, dass dies kein „Patentrezept“ ist, sondern nur eine Option sein kann. Für Opfer von Kinderpornographie kann eine Videovernehmung eine erneute Traumatisierung bedeuten. Andere Opfer wollen auch ganz bewusst ihren Peinigern vor Gericht gegenübersitzen, ihnen dabei kein Detail ihrer Aussage ersparen, weil es für sie eine Art Genugtuung ist, wenn man dieses Wort in diesem Zusammenhang überhaupt verwenden kann.
Ich habe etwas die Sorge, diese Tendenz gibt es in den USA, aber auch in Österreich, dass man Aussagen bald fast automatisiert per Video aufnimmt, ohne dass das Opfer/der Kläger dies selbst bestimmen kann. Dann würde man sich abermals über seinen Willen hinwegsetzen.
Angelika: „Mittlerweile befürchte ich, dass viel mehr von diesen Leuten herumrennen als man gemeinhin annimmt. Man sieht ihnen ja nichts an und merkt erst, was mit ihnen los ist, wenn man sie näher kennt, sich mit ihnen sehr konzentriert unterhält und sie sehr genau beobachtet.
Wann hat man dazu denn schon Gelegenheit? “
Vielleicht jetzt gerade. Schaue ich mir das 2002 drastisch verschärfte Sexualstrafrecht in den Niederlanden an, Sex ist jetzt erst ab 16 erlaubt, während das Mindestalter in Deutschland noch bei 14 liegt, dann kann ich froh sein, dass ich meine Jugend in der zweiten Hälfte der 90er Jahre erlebt habe, nicht heute.
Hätten damals schon andere Gesetze und höhere Altersgrenzen gegolten, dann wäre ich auch ständig mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Ich bin auch ehrlich genug mir einzugestehen, dass ich nicht weiß, ob dies nicht in Zukunft doch noch passieren kann, denn die § sind teilweise wirr, unverständlich, paradox oder beliebig interpretierbar, selbst Experten steigen da kaum noch durch.
( Auch in Deutschland, siehe den neuen §184c )
[ Das Bundesverfassungsgericht hält den in Teilen für verfassungswidrig, während Staatsanwaltschaft/Polizei hier trotzdem „Dienst nach Vorschrift“ machen ]
Die Rufe nach ständigen Gesetzesverschärfungen sind ja vom Gesetzgeber erhört worden, nur gingen die in letzter Zeit in die völlig falsche Richtung.
@ Hubert: Ein Video dient immer noch als Beweismittel, es kann aber natürlich von der Gegenseite angezweifelt werden.
Heimlich aufgenomme Überwachungsvideos, bzw. rechtswidrig selbst mitgeschnittene Telefongespräche dürfen nicht verwendet werden, dies darf nur die Staatsanwaltschaft selbst anordnen.
Liebe Caroline,
Patentrezepte einzusetzen wäre in keinem Bereich, in dem es auch um psychosoziale Aspekte geht professionell.
Wollte in meinem Beitrag nur anerkennen, dass die Richter sich in ihrem anspruchsvollen Berufsfeld gegenseitig weiterbilden und Wissen austauschen. Das ist nicht selbstverständlich. Schon gar nicht im öffentlichen Dienst.
Ich stimme mit Ihnen überein, dass Geseztesverschärfungen kein Allerheilmittel sind. Aber sie setzen Zeichen.
Gerade in einem Bereich mit einer derart negativen, gewalttätigen Tradition wie der in unserer Gesellschaft gelebten menschlichen Sexualität sind Entscheidungen über Schutzalter sicherlich schwierig.
Ich finde die Grenze von 16 Jahren wie in den Niederlanden persönlich richtig.
Sexuelle Kontakte können zu bleibenden körperlichen und psychischen Schäden führen und das tun sie auch in einem erschreckenden, geradezu grotesken Ausmaß.
Jeder sexuelle Kontakt geht mit einer körperlichen und auch psychischen Grenzüberschreitung einher, sonst wäre er keiner (per juristischer Definition)
Das erschließt sich jedem, der die Beiträge hier aufmerksam liest.
Sexuelle Kontakte erfordern eine gewisse Reife, Urteilsfähigkeit und das Vermögen, sich adäquat vor ungewollten Grenzüberschreitungen zu schützen, bzw. solche Grenzüberschreitungen zu erkennen. Und sich notfalls Hilfe zu holen, bzw. sich zu wehren, z.B. den Grenzüberschreiter anzuzeigen.
Das kann man von einem normal entwickelten 16jährigen erwarten. Von 14 und 15jährigen im allgemeinen noch nicht.
Es geht hier nicht um „Fummeln“ auf einer Party von 14jährigen.
Aber es geht um den „typischen“ jungen Mann, der sich in seiner psychosozialen Überforderung und sexuellen Unkenntnis eine „Matratze“ sucht und übergriffig wird, wenn sie „nicht will“.
Oder „reife“ Männer, die die „Abenteuerlust“ und Naivität von minderjährigen Mädchen und Jungen für ihre perversen Zwecke ausnutzen.
Gab es in meiner Jugend en massè und das wird heute nicht anders sein.
Es geht darum, dass wir so gut wie keine erotische Kultur haben, aber dafür eine Sexkultur.
Und die zeichnet sich durch allergrößte Primitivität, Gewalttätigkeit und Abwertung aus.
Dagegen helfen Gesetze durchaus. Vielleicht ergibt sich aus der Auseinandersetzung damit ja auch eine neue Entwicklung einer erotischen Kultur.
Erste Ansätze sind da: In meiner Jugendzeit gab es „Aufklärungsunterricht“ nur aus biologischer Sicht, heute geht es auch um psychosoziale und politische Aspekte.
Die Kinder und Jugendlichen werden angeregt, sich damit auseinanderzusezten, was sie und andere fühlen und wollen und woran man das erkennt.
Das finde ich einen großen Fortschritt und es bietet einen Gegenpol zur Verrohrung des Sexuellen (z.B. über die Verbreitung von Bildern und Filmen im Internet) und gibt den erotischen Aspekten mehr Gewicht.
Ich finde, so etwas sollte Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bewusst gemacht werden, so oft wie möglich und nötig.
Viele Kinder, Jugendliche und leider auch Erwachsene haben es nämlich offenbar noch nicht verstanden.
Anders ist das weitverbreitete abweichende Verhalten was Sexualität angeht nicht zu erklären.
Einen schönen zweiten Advent wünscht
Angelika Oetken, Berlin
Nabend Angelika,
Angelika: „Ich finde die Grenze von 16 Jahren wie in den Niederlanden persönlich richtig.“
Ich nicht, denn sie hat hier nur zu einer Flut von Verfahren gegen 12-15jährige geführt, weil man einerseits das gesetzliche Mindestalter für Sex von 12 auf 16 erhöhte, andererseits aber die Strafmündigkeit bei 12 belassen hat.
Eine Schutzaltersgrenze ist richtig und wichtig, aber sie sollte identisch mit der Strafmündigkeit sein.
Entweder stuft der Gesetzgeber Jugendliche ab 12 oder 14 als mündig ein, oder er tut dies nicht. Einerseits von Jugendlichen zu verlangen, dass sie hochkomplexe Sachverhalte nachvollziehen können
(Markenschutzverletzung, Verletzung der Persönlichkeitsrechte Dritter, usw.), ihnen in der Sexualität dann aber wieder Unmündigkeit zu unterstellen, passt nicht zusammen.
Angelika: „Sexuelle Kontakte können zu bleibenden körperlichen und psychischen Schäden führen und das tun sie auch in einem erschreckenden, geradezu grotesken Ausmaß.“
Können – ja. Aber wir sollten nicht vergessen, dass Sexualstraften die Ausnahme sind – glücklicherweise.
Wenn zwei Menschen miteinander Sex haben, dann ist dies etwas sehr Schönes, oder sollte es zumindest sein. Auch auf Seiten wie dieser sollte man dies mal erwähnen.
Wenn Sexualität nur noch im Zusammenhang mit möglichen Straftaten, als Leistungssport oder als Konsumprodukt thematisiert wird, dann wirkt dies auf Jugendliche, die gerade ihre ersten Erfahrungen machen (wollen), auch sehr negativ, mit entsprechenden Folgen.
Angelika: „Oder “reife” Männer, die die “Abenteuerlust” und Naivität von minderjährigen Mädchen und Jungen für ihre perversen Zwecke ausnutzen.“
Was heißt „pervers“? Sex mit Minderjährigen über 14 ist ja in D erlaubt. Ich bin zwar auch schon mit 14 „abenteuerlustig“ gewesen, aber nicht naiv. Ich habe da gar nichts bereut, ganz im Gegenteil. Hätte damals schon eine 16er Schutzaltersgrenze gegolten, dann wäre ich jetzt eine „Sexualstraftäterin“.
Dies alles unter Strafe zu stellen, zumindest ab dem Erreichen der Jugendlichkeit, hilft doch den Opfern eines sexuellen Missbrauchs gar nicht weiter. Ganz im Gegenteil. Dadurch wird dieser Begriff völlig entwertet.
Angelika: „es bietet einen Gegenpol zur Verrohrung des Sexuellen (z.B. über die Verbreitung von Bildern und Filmen im Internet) und gibt den erotischen Aspekten mehr Gewicht.“
Es ist doch viel wichtiger WELCHE Bilder und Filme verbreitet werden, als sich generell gegen Pornographie auszusprechen. Weshalb soll die Darstellung von Sexualität automatisch degradierend, frauenverachtend, primitiv, stumpfsinnig sein? Meist ist sie dies, aber nicht immer.
Wenn EMMA, STERN und die Zeitung mit den vier großen Buchstaben, hier ausnahmsweise in trauter Eintracht, alle positiven Gegenbeispiele bewusst ausklammern, dann spricht dies eher gegen die (Massen)medien, aber nicht gegen Pornographie an sich.
Und eine „pornographiefreie Zone“ ist auch keine Garantie für ein „Paradies auf Erden“.
Der Pabst wettert auch gegen Pornographie, das Resultat dieser „moralisch sauberen“ Gesellschaft ist ja bekannt.
Liebe Caroline,
Gesetzesverschärfungen nützen nur im Kontext, da gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Minderjährige zu kriminalisieren hilft auch in anderem Kontext nicht viel.
Andererseits verhalten sich nicht wenige Minderjährige im sexuellen Bereich übergriffig.
Strafrechtliche Verfolgung ist da sicherlich nicht der richtige Ansatz, sondern ein psychosozialer. Mit klaren Konsequenzen.
Ich rechne in die strafrechtlich zu verfolgende Gruppe nur Erwachsene ein.
Sexualstraftaten bilden meiner Meinung nach nur deshalb die Ausnahme in unserer Gesellschaft, da sie nach unserer Rechtsauffassung nur dann Straftaten sind, wenn sie mit erheblicher Gewalt einhergehen.
Es gibt dabei noch einen wichtigen nicht-juristischen Aspekt.
Menschen, die sexuelle Aktivitäten als schön empfinden, z.B. weil sie nie Opfer eines sexuellen Übergriffs wurden, sollten sich über diese Tatsache freuen.
Häufig ist es einfach nur Zufall, ob man durch gewalttätige Sexualität geprägt wurde oder nicht. Und ob man viel Zeit und Energie darauf verwendet, mit den Folgen zu leben oder statt dessen diese Zeit und Energie verwenden darf sein Leben einfach zu genießen.
Betrachten Sie Ihre positiven Erfahrungen als Geschenk. Mindestens 10 Prozent der weiblichen und mind. 5 Prozent der männlichen Bevölkerung sind nicht in dieser Weise beschenkt worden. Und das sind nur die, die Opfer von Übergriffen im juristischen Sinne wurden.
Und fast alle Opfer beschreiben diese sexuellen Erlebnisse als die prägendsten und widerwärtigsten ihres ganzen Lebens.
Fragen Sie sich doch mal : Was war mein widerwärtigstes sexuelles Erlebnis?
Sie haben keines: Freuen Sie sich.
Im Gespräch mit Menschen, die Sexualität verharmlosen bin ich manchmal drauf und dran zu sagen „na wollen wir tauschen?“.
Bei Männern, die so reden blitzt im Hintergrund nicht selten eine Neigung zur Übergriffigkeit und sexuellen Distanzlosigkeit durch.
Ein leider weit verbreitetes Verhalten.
Bei Frauen habe ich häufig den Eindruck, dass sie ihre eigenen Zweifel und eigenen schlechten Erfahrungen dadurch verharmlosen. So von wegen – mir ist so etwas nicht passiert, bei mir ist alles in Ordnung.
Eine Haltung, die man auch bei Müttern betroffener Kinder findet. Sie sagt viel über das Bedürnis nach Verdrängung beim Betreffenden aus.
Was mir nicht zuletzt durch diese Seite bewusst geworden ist und mich persönlich sehr entlastet hat ist, dass die Gruppe derjenigen, die Opfer eines Übergriffs wurden sehr groß ist.
Sie werden jetzt erst richtig in der Öffentlichkeit wahrgenommen, weil sie nicht mehr befürchten müssen, ausgegrenzt zu werden.
Oder dass man sich über sie lustig macht und sie herabwürdigt.
Oder andere wissen, was sie hätten „besser“ machen können…und ihnen das dann auch noch bedenkenlos mitteilen.
Die Gruppe der Betroffenen ist so groß, dass übergriffiges Sexualverhalten eigentlich als Normalität anzusehen ist.
Bei näherer Betrachtung – jenseits der Medienpropaganda und des politisch-korrekten, schönfärberischen Smalltalk – hat übergriffiges Sexualverhalten in unserer derzeitigen Kultur Tradition.
Sehr anschaulich beschrieben hat das Prof. Rolf Pohl in „Feindbild Frau“.
Und die jungen Menschen, die schlechte Erfahrungen machen, sind auch beileibe nicht alle naiv.
Manchmal haben sie einfach nur Pech gehabt.
Glück haben ist keine Leistung. Auf jeden Fall nichts auf das man stolz sein dürfte. So etwas wäre doch anmaßend oder?
Mir hat auch die Unterscheidung zwischen „Sex“ und „Erotik“ geholfen, Widersprüche in meinem Empfindungen und Denken klarer zu erkennen und meine Position zu finden.
„Sex“ lehne ich mittlerweile ab. Dessen Darstellung in der Öffentlichkeit und entsprechende Verhaltensweisen von Menschen in meiner Umgebung finde ich abstoßend und ekelerregend.
„Erotik“ als Liebeskunst zwischen Menschen, die sich als gleichwertig und mit Wertschätzung begegnen, kommt leider in unserem Leben zu kurz. Erotik ist nicht so weit verbreitet wie „Sex“, da komplexer.
Mein Eindruck ist auch, dass Männern im allgemeinen erotisches Verhalten viel schwerer fällt als Frauen. Ihr Rollenskript sieht ein anderes Verhalten vor, evtl. ist das der Grund, dass der eher einfach auszuübende „Sex“ so eine Konjunktur hat.
Übrigens habe ich mal irgendwo gelesen, dass die meisten Scheidungen von Frauen eingereicht werden und der überwiegende Grund für die Trennung ist, dass die Frauen mit dem ehelichen „Sexleben“ unzufrieden sind. Evtl. haben die alle Partner, die von Erotik keine Ahnung haben.
Also: da gibt es wohl noch viel Schulungsbedarf.
Einen schönen zweiten „Restadvent“ wünscht
Angelika Oetken, Berlin
Angelika, ich habe nicht über jugendliche Sexualstraftäter geschrieben, sondern über Jugendliche, die durch überzogene Gesetze und eine zu hohe Schutzaltersgrenze erst zu Straftätern gemacht werden.
Wenn Jugendliche (miteinander) Sex haben, dann sollte dies nicht automatisch unter der Überschrift „Übergriff“ diskutiert werden.
Seltsam finde ich auch die Formulierung „Sexualität verharmlosen“. Mit dieser Fokussierung auf Sexualstraftaten, wenn es eigentlich um einvernehmliche Sexualität Jugendlicher und/oder Erwachsener geht, kommen wir nicht weiter.
Der ganze Ansatz ist mir einfach zu negativ. Ich bin sogar sicher, dass er immer mehr Täter und immer mehr Opfer produzieren wird, die letzten Jahre haben dies doch gezeigt, gerade in den USA.
Wie sich jemand (sexuell) darstellt, muss er/sie schon selbst entscheiden, ein gewisses Schutzalter natürlich vorausgesetzt.
Ich bin auch froh, dass die Zeiten, wo man sich über die Opfer eines sex. Missbrauchs lustig gemacht hat, endlich vorbei sind.
( In den späten 80ern gabs ja noch solche Schlagzeilen:
“ Vergewaltigt, weil sie sich zu sexy angezogen hat „, oder “ Die Kinder waren selbst schuld, denn sie haben nicht NEIN gesagt “ )
Aber es kann auch nicht sein, dass Betroffene – so sehr ich dies aus dem persönlichen Schicksal heraus verstehen kann – Gesetze fordern, die die Freiheiten anderer dann massiv einschränken, die ja nie eine Sexualstraftat begangen haben, dies auch nicht vorhaben.
Da geht mir vieles mittlerweile zu weit. Mit der letzten Verschärfung des Sexualstrafrechts, in D genau vor 1 Jahr und in den NL schon vor 7 Jahren verabschiedet, hat der Gesetzgeber für mich den Rubikon überschritten.
Hallo Caroline,
auch ich wünsche mir nichts mehr, als dass Jugendliche ihre ersten erotischen Erfahrungen auf positive Weise in Einvernehmlichkeit machen.
Jeder Mensch hat eine subjektive Weltsicht, die sich aus seinen persönlichen Erfahrungen speist.
Objektivieren kann man Weltsichten nur, wenn man sie sammelt, kategorisiert und rechnerische Maßstäbe anlegt.
Da wo Menschen so etwas in Bezug auf sexuelle Übergriffe und Lebensalter gemacht haben, sind sie je nach Fragestellung und Definition zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Dazu sammelt Herr Denef in vorbildlicher Weise Material und stellt es uns allen zur Verfügung.
Wer selbst betroffen ist oder mit Betroffenen arbeitet (oder auch nur mit Menschen ehrliche, offene Gespräche führt) wird schnell merken, dass diese Zahlen häufig noch sehr untertreiben. Ich glaube nirgends wird so gelogen und (sich selbst) betrogen wie im Bereich Sexualität. Wahrscheinlich nur noch getoppt von der Steuererklärung.
Unter Therapeuten und Medizinern, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, ist es ein offenes Geheimnis, dass sexuelle Übergriffigkeit unter Kindern und Jugendlichen weit verbreitet ist und die „Täter“ kaum ein Unrechtsbewusstsein entwickelt haben.
Kunststück – sie orientieren sich an den Vorbildern ihrer Umgebung. Die scheinen eben oft keine guten zu sein.
Wie schon im allgemeinen Jugendstrafrecht kommt es nicht auf die Höhe der Strafe an, sondern dass Erwachsene konsequent handeln und klare Maßstäbe setzen. Und da finde ich den aus den Niederlanden eben angemessen.
Und auch im Sexualstrafrecht gilt : „Wo kein Kläger, da kein Richter“. Bei wirklich „einvernehmlicher“ Sexualität ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass jemand klagt oder ?
Andererseits hätten 15jährige, die damit überfordert waren, einzuschätzen, was bei sexuellen Handlungen passieren kann oder die manipuliert wurden, die Chance, Menschen, die es darauf anlegen, andere sexuell zu manipulieren und auszubeuten, anzuzeigen.
Und das finde ich gut.
Die ersten sexuellen Erfahrungen prägen für das ganze Leben. Wenn sie mies waren, dann kann das unter Umständen das ganze Leben so bleiben.
Gesetze setzen Maßstäbe dafür, was Normen in unserer Gesellschaft sein sollen.
Einvernehmliche Sexualität zwischen Menschen, die reif genug dafür sind, sollte eine Norm sein.
Reife entsteht unter anderem durch Aufklärung und Reflexion. Dazu sollten wir Kindern und Jugendlichen viel mehr Gelegenheit geben. Dann haben sie auch die Möglichkeit überkommene „Sexualmythen“ zu hinterfragen, an denen sie sich meist orientieren.
„Learning by doing“ ist in diesem Bereich nicht die beste Methode.
Im übrigen hat Herr Denef diese Seite aus folgenden Gründen eingerichtet :
Zitat von oben
„Diese Webseite informiert über die Aufarbeitung meines sexuellen Missbrauchs. Sie zeigt wie zerstörerisch sexuelle Gewalt auf das gesamte Leben eines Opfers einwirkt, wie Umwelt und Familie auf die Offenbarung reagieren und wie die katholische Kirche mit diesem Problem umgeht.“
Es gibt genug Internetseiten, die sich mit den positiven Aspekten von Sexualität beschäftigen.
Auf dieser Seite kommen Betroffene zu Wort und es können sich Leute informieren, die sich mit Betroffenen solidarisieren.
Grüße von
Angelika Oetken, Berlin
Das Problem in vielen Diskussionen, Statements, Auslassungen über „sexuellen Missbrauch“ ist regelmäßig, dass in diesem Zusammenhang von „Sexualität“ (was ja an sich schon ein vielfach, auch unterschiedlich besetzter Begriff ist) ausgegangen, bzw. gesprochen wird.
„Sexueller Missbrauch“ aber hat mit „Sexualität“ soviel zu tun wie Papier mit einem Buch: Es ist ein MITTEL ZUM ZWECK. Zum Zweck nämlich, GEWALT und MACHT auszuüben, bzw. zu demonstrieren.
Deshalb kann in diesem Zusammenhang auch niemals „einvernehmlich“ oder (freiwilliger) „Zustimmung“ gesprochen werden.
Allein schon die Bezeichnung „sexueller Missbrauch“ stellt eine Form struktureller Gewalt dar, schreibt die Ärztin und Psychosomatikerin Ingrid Olbricht („Was Frauen krank macht“). Denn ein „Missbrauch“, so schreibt sie, setzt voraus, dass es auch einen „Gebrauch“ geben muss (den es moralisch gesehen nicht geben sollte; faktisch entlarvt der Begriff „Missbrauch“ aber genau die Gewaltstrukturen, denen Kinder – insbesondere weibliche – in unserer und vielen anderen Gesellschaften ausgesetzt sind!).
Stattdessen schlägt Olbricht den Begriff „sexualisierte Gewalt“, bzw. „Traumatisierung durch sexualisierte Gewalt“ vor. Darin wird nämlich deutlicher, dass es sich beim so genannten „sexuellen Missbrauch“ um „sexualisierte Gewalt“, also um Gewalt die sich des Instruments „Sexualität“ bedient, um bestimmte Interessen durchzusetzen.
„Sexuelle Traumatisierung ist alles, was der sexuellen Befriedigung des Täters auf Kosten des Kindes dient“, schreibt Olbricht, und ergänzt: „…dient der Körper des Kindes (…) der Befriedigung und der narzisstischen Reparation des Vaters oder anderer Bezugspersonen als Objekt ihrer Macht- und Triebbefriedigung“.
DARAUS nämlich begründen sich die schwerwiegenden Folgen für alle diejenigen, die Traumatisierung durch sexualisierte Gewalt erleben mussten. Es geht um Gewalt- bzw. Ohnmachtserfahrungen. Nicht um „Liebe“, „einvernehmliche Sexualität“, „Aufklärung“ und welcher Mist sonst noch darüber verbreitet wird.
Da Gewalt einerseits aber ein so weit verbreitetes Mittel und Instrument zur „Lebensorganisation“ und „Gesellschaftsorganisation“ und zur Organisation der Hierarchie zwischen den Geschlechtern in unserer (und anderen) Gesellschaft ist, und andererseits die Benennung dieser Tatsache einem starken Tabu unterliegt, fällt es den meisten meist gar nicht auf, dass sie stattfindet. Wir finden das „normal“, WEIL ES DIE NORMALITÄT um uns herum IST.
Daher ist das Schweigen über Traumatisierung durch sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft mehr als ein „Verschweigen sich selbst gegenüber“; es braucht enorm viel Stärke, Selbstsicherheit und Mut, ein gesellschaftliches Tabu zu überwinden. Sich (wieder) angreifbar zu machen. Begebenheiten Worte zu geben, die (aufgrund des starken Tabus) „verboten“ sind zu sagen.
Daher finde ich, dass wenigstens wir Betroffenen untereinander sehr, sehr wertschätzend, achtsam und nicht fordernd miteinander umgehen sollten.
Und dass wir auch selbst aufhören sollten, Traumatisierung durch sexualisierte Gewalt als „sexuellen Missbrauch“ oder „Sexualität“ zu benennen und damit zu verharmlosen, was es wirklich ist: GEWALT gegen Schwächere zur Befriedigung eigener Bedürfnisse mittels sexueller Handlungen.
PS: Krebs als Folge von Traumatisierung durch sexualisierte Gewalt scheint nicht unüblich zu sein (ich bin ebenfalls an Krebs erkrankt und habe das nun schon mehrfach auf dieser Seite gelesen); Frage: Wieso erfährt frau davon in der Öffentlichkeit so wenig???
Und: Ich bin dabei, wenn wir uns zusammentun, um endlich mehr Öffentlichkeit für unser schweres Schicksal herzustellen und damit mehr öffentlichen Druck zu machen.
Ergänzung:
Und damit dürften auch sexuelle Handlungen, die Jugendliche – tatsächlich – einvernehmlich miteinander unternehmen, nicht mehr in die Kategorie „sexueller Missbrauch“, bzw. sexualisierte Gewalt fallen.
Wobei da noch zu diskutieren wäre, inwieweit welche Handlungen in unserer Gesellschaft – und hier wieder insbesondere von weiblichen Angehörigen – wirklich „einvernehmlich“ geschehen können.
Laut UNICEF wird „die weibliche Hälfte der Menschheit bis heute in allen Regionen der Welt benachteiligt und diskriminiert. (…) In jeder Weltregion bleiben Frauen Chancen und politische Macht vorenthalten. Jungen werden bevorzugt, Mädchen und Frauen werden die grundlegenden Menschenrechte verwehrt.“ (Bericht zur Situation der Kinder in der Welt 2007).
Die weibliche Erziehung ist laut der Ärtzin und Psychosomatikerin Ingrid Olbricht „.. eine Erziehung hin zu Anpassung, Harmoniestreben, Altruismus und letztlich Verfügbarkeit (…).“
Insofern – wie gesagt – wäre zu diskutieren, inwiefern sexuelle Handlungen zwischen männlichen und weiblichen Heranwachsenden einer wirklichen persönlichen Freiheit, also einer „freien“ Entscheidung der jeweils Handelnden unterliegen, bzw. wie sehr diese „Freiwilligkeit“ von Erziehung, traditionellen Rollenklischees, von medialen Einflüssen oder der Pornographisierung des Alltags beeinflusst und auch untergraben wird.
Sexuelle Handlungen zwischen einem Erwachsenen und einem Kind sind dagegen noch viel stärker von diesen gesellschaftlichen Bedingungen (problematisches Männerbild, das stark mit den Faktoren Macht und Gewalt korreliert; Abwertung des „Weiblichen“ bzw. unausgesprochene Aufforderungen nach Pflege, Entgegenkommen, Unterordnung) geprägt und daher Gewalt und Machtmissbrauch.
Und im Übrigen eine Straftat (auch so eine Tatsache, die gerne verschwiegen wird):
„Wer sexuelle Handlungen an einer Person unter 14 Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ § 176 Strafgesetzbuch
Liebe Petra,
ich werde über die Sache mit dem Projekt „ganz normal missbraucht“ während der Feiertage nochmal nachdenken und mich dann wieder melden.
Viele Grüße von
Angelika Oetken, Berlin