Delitzsch. Die Befürchtung, dass es weitere Missbrauchsfälle gegeben haben könnte, hängt schon seit einigen Tagen wie ein Damoklesschwert über der Stadt. Jetzt sorgt ein Delitzscher für Gewissheit: Eberhard R., der „wegen der derzeit sehr aufgeregten Situation“ seinen Namen nicht nennen will.
Auf Grund seines Schicksals steht in einem weiteren Fall fest, dass es der einstige Vikar der katholischen Pfarrgemeinde St. Marien Delitzsch, Alfons Kamphusmann, auf kleine Jungen abgesehen hatte.
Es war an einem Geburtstag Anfang der sechziger Jahre ??- „mein 12. oder 13., so genau weiß ich das nicht mehr“, sagt Eberhard R. „Kamphusmann hatte mir gratuliert und auch etwas geschenkt. Ich gehörte damals der Katholischen Jugend an. Es war ein kurzer Besuch, bald schon brachte ich ihn wieder zur Tür. Dann geschah das, was ich nie vergessen werde“, erzählt der 57-Jährige. Bevor sich der Vikar von dannen machte, zog er Eberhard R. an sich, küsste ihn und legte eine Hand des Jungen auf seinen Penis. Für das Opfer bis heute ein Alptraum: „An den ekligen Klumpen von Zunge und die ausgewölbte Hose werde ich mich bis an mein Lebtag erinnern.“
Von Kirche zurückgezogen
Fortan ging Eberhard R. nicht mehr gern zur Kirche und Kamphusmann wenn möglich aus dem Weg. Weitergehende physische Annäherungsversuche durch den Seelsorger seien ihm nicht widerfahren, sagt er, hält es aber für möglich, „dass ich einiges verdrängt habe“. Auf alle Fälle behielt der Junge den Vorfall nicht für sich, sondern offenbarte sich Mutter und Vater. Die, so vermutet Eberhard R. Jahrzehnte danach, müssen die Leitung des Bistums Magdeburg informiert haben. „Denn alsbald wurde Kamphusmann versetzt und meine Eltern haben sich von der Gemeinde schlagartig zurückgezogen.“
Warum dies geschah, will Eberhard R., 1990 aus der Kirche ausgetreten, den Beauftragten des Bistums für Verdachtsfälle sexuellen Missbrauchs, Peter Willms, fragen. „Von ihm erhoffe ich mir Aufklärung, ob es wirklich Mutter und Vater waren, die Kamphusmann angezeigt haben. Ich will wissen, ob sie von ihren Schwestern und Brüdern in Delitzsch, von denen offenbar viele wussten, dass der Vikar pädophil war, ausgegrenzt wurden. Möglicherweise haben sie sich unfreiwillig von der Pfarrei distanziert.“ Tröstend sei für ihn nur, „dass es bei mir nicht so schlimm war wie bei Norbert Denef“.
Ungereimtheiten der Daten
Wie berichtet, war in der vergangenen Woche das traurige Schicksal des ehemaligen Ministranten Denef bekannt geworden. Der heute 56-Jährige gab an, ausgangs der 50er Jahre und bis Mitte der 60er von dem 1998 verstorbenen Kamphusmann mehrfach sexuell missbraucht worden zu sein. Nach dessen plötzlicher Versetzung trat der damalige Organist und Chorleiter der Gemeinde in die Fußstapfen des geweihten Peinigers. Kamphusmann und der inzwischen pensionierte Kirchenmusiker, der wie Denef im Großraum Frankfurt/Main lebt, haben ihre Vergehen später schriftlich gestanden; zu einem Zeitpunkt, als diese strafrechtlich verjährt waren.
Dass es bei der Datierung der Taten Ungereimtheiten gibt – Denef spricht vom Zeitraum 1958 bis 1964, die Personalakte Alfons Kamphusmanns beim Bistum sieht den einstigen Vikar zwischen 1959 und 1967 in Delitzsch – verwundert Eberhard R. nicht.
Wann ihm Kamphusmann die Hand aufs priesterliche Glied drückte, vermag auch er nach so langer Zeit nicht mehr genau zu sagen. Aber dass dies geschah, „darauf schwöre ich jeden Eid“.
Dominic Welters
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